Media Collection "Interview Justin Sonder 2018"

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Interview with concentration camp survivor Justin Sonder

Originator/Copyright holder Medienwerkstatt Franken
Source(s) KZ-Gedenkstätte Flossenbürg / Medienwerkstatt Franken
Usage conditions Nur mit Einverständnis und Nennung von Archiv bzw. Urheber
Display format Interview, Rohmaterial
Interviewer Michael Aue
Camera Günter Wittmann

Subtitles for "AGFl_AV.22.1165.mp4"

00:00:00 Interviewer: Ja, wir sind heute in Chemnitz, es ist der 11. Oktober 2018 und wir sprechen mit Justin Sonder.
00:00:08 {unverständlich} Gut, ja... Und wir laufen. Herr Sonder, ich fände es schön, am Anfang, wenn Sie wirklich vielleicht ein bisschen
00:00:32 über Ihre Kindheit und Jugend und Ihre Familie erzählen, damit wir so'n bisschen wissen, äh, wo die Geschichte mal anfing.
00:00:40 Justin Sonder: Ich bin am 18. Oktober 1925 in Chemnitz geboren. Ich hab' meine Kindheitserinnerungen noch an Chemnitz.
00:00:51 Wir wohnten in der Lindenstraße, meine Eltern und ich. Ich hab' keine Geschwister.
00:00:56 Und vis à vis, einen Steinwurf entfernt, war das große Kaufhaus Schocken.
00:01:02 Und im, im Winter, wenn es kalt war, sind wir Jungs zum Aufwärmen in das Kaufhaus Schocken gelaufen.
00:01:09 Aber deren {unverständlich, Aufsicht} haben das nicht gerne gesehen, von Schocken.
00:01:14 Und haben uns des Hauses verwiesen. Wir sind an der einen Türe rausgeflogen und an der anderen sind wir wieder reingegangen.
00:01:21 Also das war... so Usus dort. Chemnitz war bekannt durch den sogenannten Brückenmarkt.
00:01:31 Ein wunderbarer Markt, der zweimal in der Woche, oder dreimal, aufgebaut worden is'.
00:01:37 Einmal gab's Gemüse und Obst - also der grüne Markt - und anders Mal war's 'n anderer Markt, der uns nich' gefallen hat.
00:01:46 Schnürsenkel, Schuhcreme, und was weiß ich, Strümpfe und solche Sachen.
00:01:50 Das war für uns nicht der Markt, aber der andere, war wirklich ein toller, äh, städtisches Unternehmen.
00:01:58 Was jeden.. am Tag.. jede Woche auf- und abgebaut worden ist. So, das war..
00:02:06 In der Schule, ich war ein... guter Schüler, kann ich wirklich sagen.
00:02:12 Und ich habe eine Zen.. Eine Note immer mitgenommen bis zum letzten Tag der Schule, das war Zeichnen. Das war nich' mein Fach.
00:02:25 IV: {lacht}
00:02:27 JS: Also, äh, ich bin... Die Drei war geschmeichelt. Weil die anderen Noten gut waren, hab' ich das Gefühl gehabt, die...
00:02:34 Lehrer wollten mir keine Vier geben. In Wirklichkeit war's 'ne Vier. Also, also das war...
00:02:40 Ansonsten, ich hab' Geschichte geliebt, das war... beson.. besonders, hab' ich das gerne gemacht.
00:02:49 Ich hab' mir viel merken können, das war mein Vorteil. Also, so war die Schule. Dann...
00:02:54 IV: Ihr Elternhaus, was waren Ihre Eltern? Von Beruf, waren es...
00:02:58 JS: Mein, mein Vater.. Meine Eltern kamen aus Franken. Und Franken is' verbunden mit Wein.
00:03:06 Und mein Vater hat für eine Kitzinger Firma... {niest} Ohje... 'Tschuldigung.
00:03:16 IV: Kein Problem, Gesundheit.
00:03:18 JS: ...Hat er die Vertretung gemacht, die nannten sich wirklich Vertreter.
00:03:22 Also es ist nicht wie heute, dass die Kunden eingeladen werden zur Weinprobe, das war nicht.
00:03:28 Die mussten... die großen Wein.. Weingroßhandlungen - der berühmte Bocksbeutel - der, der.. das ist ja nun der fränkische Wein.
00:03:38 Das musste den Leuten.. und wer waren die Kunden? Das waren auch keine armen Leute.
00:03:44 Das waren Ärzte, Professoren, sonst gut gestellte Leute, die... die einen schönen Schluck Wein haben leisten können.
00:03:54 Und mein Vater war eben für so eine Kitzinger Firma, da Vertreter.
00:03:59 Vertreter, war... ging von Dresden weg, bis nach Thüringen,
00:04:08 Und in die andere Richtung war wieder 'n anderer Vertreter, also wie gesagt, es war... abgestimmt.
00:04:15 Und Spesen wurden ersetzt und bezahlt. Und äh, aber es war eben ein Beruf, der nicht sesshaft war.
00:04:25 Also die mussten draußen fahren und die Firma vertreten, also Weine verkaufen, um es mal einfach zu sagen.
00:04:34 IV: Und Ihre Mutter?
00:04:36 JS: Meine Mutter war Hausfrau...
00:04:37 IV: Ja, Entschuldigung, ja... kleinen Moment, ich hab hier ständig ein Kratzen drauf...
00:04:41 Vielleicht das Kratzen von den Schuhen... {Frau unverständlich im Hintergrund}
00:04:42 IV: Aus dieser Weingegend... aus Franken, is' aber dann hier nach Chemnitz... gezogen.
00:04:48 JS: Ja... meine Mutter... ja... meine Mutter war Fränkin durch und durch.
00:04:53 Die sprach so, war Schönheitskönigin in den 20er Jahren vom Raum Würzburg.
00:05:01 Und sie war klug, eine kluge Frau. Ja. Was soll ich von meiner Mutter noch sagen? Sie ist ermordet worden. In Auschwitz.
00:05:14 IV: Mhm. Da kommen wir später... noch dazu...
00:05:17 JS: Ja, ja, genau.
00:05:19 IV: Und, und Sie waren ja.. entstammen ja aus einer jüdischen Familie...
00:05:21 JS: Ja.
00:05:22 IV: War das jetzt eine tief religiöse Familie...
00:05:24 JS: Nein.
00:05:25 IV: Oder wie war sozusagen weltanschaulich... auch, wie sind Sie da aufgewachsen?
00:05:29 JS: Also wie jede andere Religion war das auch so, sie.. es gab keine jüdischen Freunde.
00:05:37 Die sind einmal im Jahr, haben die die Synagoge besucht, ansonsten war nischt... gar nischt. Ja...
00:05:47 IV: Also es war an sich ganz weltlich...
00:05:51 JS: Ja, absolut, absolut. Ja... Also, sie war klug, sehr klug. Vater war auch klug. Also der war... belesen.
00:06:00 Also Bücher standen rum, und... Und auch belesen insofern, was nicht alltäglich war. Also meine Mutter hat Heine gekannt.
00:06:11 Und auch zitieren können. Und auf.. und besondere Sachen herausgestellt. Ich kann mich erinnern,
00:06:18 1934 kam ich in die vierte Klasse, und es gab neue Le... Lese.. also Bücher. Unter anderen ein Le.. ein Liederbuch.
00:06:34 Und ganz vorne war ein, groß abgebildet, die Loreley. Ich weiß nicht, was soll es bedeuten und so weiter, dass ich so traurig bin.
00:06:43 Ein Märchen aus uralten Zeiten kommt mir heut in den Sinn. Und da drunter von dem Buch, die Loreley, und ganz klein geschrieben: Verfasser unbekannt.
00:06:57 No, also die Nazis haben 1934 das deutsche Volk schon mächtig hintergangen.
00:07:05 Wie die weg waren, hat meine Mutter gesagt: "Ich kenn' den Verfasser." Ich sag': "Wieso?"
00:07:12 "Das ist Heinrich Heine. Der wird heute nicht mehr genannt. Das ist der eigentliche Dichter gewesen der Loreley."
00:07:20 Äh ja. Das... das bleibt in Erinnerung, so 'ne Sache. Die Mutter sagt: "Ich kenn' den Verfasser."
00:07:28 {unverständlich} Im Buch steht: "Verfasser unbekannt". Also das war für uns, für mich als Kind...
00:07:35 IV: Da sind Sie ja schon bei so 'nem Thema, wie sich da in der Gesellschaft was verändert hat...
00:07:40 JS: Hm.
00:07:41 IV: ...durch die Nationalsozialisten. Können Sie sich erinnern... Sie sind ja '25 geboren, haben sozusagen praktisch als Kind und Jugendlicher
00:07:49 diese ganze Machtergreifung und die Veränderung der Verhältnisse in Deutschland wahrgenommen.
00:07:54 Haben Sie das bemerkt? Wie war das, hat sich etwas verändert...
00:07:58 JS: Als Kind habe ich, habe ich's nicht bemerkt. Es gab eine Situation, äh, in der Schule.
00:08:08 Ich gehörte zu den besten Schülern der Klasse. Und die... die genauso klug waren wie ich, sind... aufs Gymnasium gegangen.
00:08:18 Und da hab' ich meine Mutter gefragt: "Warum darf ich denn nicht auf's Gymnasium?"
00:08:24 Und meine Mutter hat mir was erzählt, dass wir kein Geld hätten. Das stimmt natürlich nicht. Damals hab' ich's geglaubt.
00:08:31 Aber heute weiß ich, ach Gott, ich durfte nicht. Die Nazis haben das untersagt, schon '34.
00:08:39 Dass ich das Gymnasium, eine erweiterte Schule, besuchen durfte. Das war die eine Seite. Dann, ich war wirklich, äh...
00:08:51 Wir schreiben das Jahr 1936, die Olympischen Spiele in Berlin stehen in Vorbereitung,
00:08:59 Und die Schulen haben alle was zur Eröffnung der Olympischen Spiele gemacht.
00:09:05 Wer ist der beste Sprinter, wer ist das, wer ist das, alles zu Ehren der Olympischen Spiele '36.
00:09:15 Und unsere Schule hat ein Fußballturnier ausgerichtet. Und da war der ganze, das Lehrerkollegium eingeladen.
00:09:26 Unsere Mannschaft, wo ich dabei war, wir schaff.. haben es bis zum Endspiel geschafft.
00:09:32 Und nun stand es.. das Endspiel in der Weißenschule {???}, die Straße gibt's heute noch.
00:09:38 Die Schule hatte einen kleinen Sportplatz. Und, ähm, {räuspert sich} unsere Mannschaft hatte nicht die Spur einer Chance.
00:09:48 Nach kurzer Zeit stand's 1:0 für die anderen. Und dann bin ich zu dem Turnlehrer, damals hieß es Turnlehrer, heute Sportlehrer.
00:09:59 Hingegangen und hab' gesagt: "Ich hab' bis.. ich bin Rechtsaußen, ich hab' noch keinen Ball erwischt."
00:10:05 Da hat er gesagt: "Du musst dich in die Mitte fallen lassen, selber 'n Ball erobern, und du kannst schießen, schieß aufs Tor."
00:10:11 Das hab' ich gemacht, und siehe da, tatsächlich, äh, stand dann 1:1. Aber am Ende stand's dann 4:1 gegen uns.
00:10:21 Und der Schulleiter rief zur Siegerehrung auf. Die siegreiche Mannschaft hat ihren zweifachen Torschützen auf die Schultern gehoben
00:10:35 Und die.. äh, wollten so zur Siegerehrung tragen. Und einer von unserer Mannschaft...
00:10:42 Der Schmerz hält bei zehnjährigen Jungs nicht so lange an: "Wir haben auch 'n Torschützen!"
00:10:47 Also, ich wurde auf die Schultern gehoben, es kam nicht zur Siegerehrung.
00:10:52 Der Direktor, Schuldirektor, Krause oder Kraus, ich weiß nicht mehr ganz genau, hat gesagt:
00:10:59 "Sowas gibt's gar nich'! Die Siegerehrung spielt sich gar nichts ab!" Und hat mich mächtig antisemitisch beschimpft.
00:11:09 Und - ich hab' geweint. Ich hab' sowas noch nie gehört.
00:11:12 Und ein Klassenlehrer, Herr Seidel, hat.. war ganz in Ordnung.
00:11:18 Äh, es gab in jeder Klasse hatte der Klassenlehrer einen sogenannten Rohrstock gehabt.
00:11:26 Da mussten die Jungs die Hand hinhalten und dann gab's ein paar drauf. Und, und jedes Jahr durften die Eltern einmal eine Schulstunde mit besuchen.
00:11:36 Mein Vater hat ja gearbeitet, Mutter is' hingegangen und hat sich's angehört.
00:11:40 Und da hat der, der Lehrer Seidel, mein Klassenlehrer, gesagt:
00:11:44 "Jetzt musst' ich Ihrem Sohn auch eine mit'm Rohrstock geben, weil Unruhe war.
00:11:51 Aber ich kann Ihnen sagen, Frau Sonder, ich bin kein Antisemit." So, 1935.. 1936.
00:12:00 IV: Und wie ging das dann weiter? Die Entwicklung? Sie sind ja immer auch 'n bisschen erwachsener geworden, was haben..
00:12:06 Auch in Chemnitz selber, hat sich die Situation verändert?
00:12:10 Was haben Sie auch als jüdische Familie gespürt?
00:12:13 JS: Ja, ich hab' äh, wir wohnten in der Lindenstrasse, also einen Steinwurf entfernt von dem großen Kaufhaus Schocken.
00:12:22 Und in der Nacht zum 9. November 1938, diese sogenannte Pogromnacht,
00:12:29 Da war so ein Radau auf der Straße, dass ich als Kind aufgewa.. aufgewacht bin.
00:12:38 Hab's Fenster geöffnet und sah, wie die großen Schaufensterscheiben des Warenhauses Schocken zersprungen sind.
00:12:46 Und, und es haben SA-Leute, SS-Leute, alles, haben geschrien.
00:12:51 Da bin ich zum, ins Schlafzimmer meiner Eltern gegangen und hab' sie geweckt.
00:12:55 Mein Vater ist auf die Straße gegangen und kam nach kurzer Zeit wieder, hat gesagt:
00:13:00 "Es.. In Chemnitz ist der Teufel los." Ich kann mich erinnern, äh.
00:13:07 Auf dem Kaßberg soll die Synagoge brennen, die Geschäfte sind zerstört und es gibt auch Verhaftungen.
00:13:16 Und das ist mir ganz stark in Erinnerung. Die Situation der Pogromnacht 1938.
00:13:26 IV: Und danach? Hat Ihre Familie dann jemals erwogen, vielleicht, äh, aus Deutschland wegzugehen?
00:13:33 JS: Ja sicher, ja. Mei.. meine Eltern.. Oder wir wollten auswandern. Es stand nur Amerika zur Debatte.
00:13:42 Palästina nicht. Und, äh, aber es fehlte das, äh, nötige Geld, und ich weiß nich' mehr wie das.. wie..
00:13:55 Also wir bekamen keine Genehmigung wegzugehen. Wir hätten das gerne gemacht. ...Ja...
00:14:03 IV: Und wie ging es dann weiter mit der Situation, der Lebenssituation Ihrer Eltern?
00:14:08 Ihr Vater hat weiter gearbeitet, Sie sind weiter zur Schule...
00:14:11 JS: Das waren alles Zwangsarbeiten. Er hat in einer Ziegelei arbeiten müssen, und dann hat er mal im Forst arbeiten müssen.
00:14:18 Und, äh, ich hab' keine Schule mehr gehabt, und es gab keine Räume mehr.
00:14:25 Was hat man in Chemnitz gemacht, etwas ganz makaberes.
00:14:29 Auf einem, äh, Wiesenstück, zwischen zwei Gräberfeldern auf dem jüdischen Friedhof in Chemnitz wurde ein Schauer errichtet, also ein Holzverschlag.
00:14:42 Und da sind die paar noch vorhanden gewesenen jüdischen Kinder, äh, mangelhaft unterrichtet worden.
00:14:54 So dass ich sagen kann, ich bin mal auf dem Friedhof zur Schule gegangen.
00:14:59 Klingt ulkig, ist aber.. entspricht den Tatsachen, was ich insofern erlebt habe. Ja...
00:15:08 Und dann sind meine Eltern... jetzt fehlt mir manchmal die Verbindung...
00:15:17 Die sind weggekommen. Meine Eltern sind verhaftet worden. Und.. ah ja.
00:15:22 Meine Eltern sind verhaftet worden. Und weil mein Vater "EK" und Freiwilliger war im Ersten Weltkrieg,
00:15:29 Ist er nicht im Güterwagen weggeschafft worden, sondern mit meiner Mutter -
00:15:35 Das war 'ne besondere Sache - mit Personenzug nach Theresienstadt.
00:15:41 Das hab' ich aber nicht gewusst, wohin. Und meine Mutter hat zu mir gesagt, äh..
00:15:49 Also, andersrum noch. Es gab für jede Sache, ab erstem Kriegstag, eine Lebensmittelkarte.
00:15:58 Für die Brot.. Ich weiß nich' mehr, wie die Farbe war. Meinetwegen Brot, oder Fleisch, oder Butter.
00:16:04 Und ich hab' zum Zeitpunkt der Verhaftung meiner Eltern, hab' ich nur noch eine Brotkarte gehabt.
00:16:11 Ich hab' keine Butter gehabt, kein Fleisch gehabt, und was da noch an Karten da waren, also ich hat' nur Brot.
00:16:17 Und meine Mutter sagte: "Geh du zu dem Molkereibesitzer, wo ich immer hingegangen bin. Der is' ein guter Mensch. Und geh auch zu dem Fleischer Max Betzold.
00:16:29 Der is' auch in Ordnung." Und dann bin ich zu dem Butterhändler gegangen,
00:16:37 Und der Butterhändler hatte das Parteiabzeichen der Nazi dran.
00:16:42 Das sah so hässlich aus, dass die Bevölkerung abwertend gesagt hat, "Das Kuhauge".
00:16:49 Also wenn man das Wort "Kuhauge" hört, meinte man das. So...
00:16:55 Und, obwohl er Nazi war und wie ich rein kam, hat er ein Stück Butter genommen, hat das Stück Butter geteilt hat mir bissel Butter gegeben.
00:17:06 Und hat mir ein bissel Quark gegeben, wenn er gehabt hat, oder... Was war noch, was er gegeben hat? {überlegt}
00:17:15 Ja, und nach 'm Krieg wollt' ich mich bei ihm bedanken, und da hab' ich ihn nich' angetroffen, nur die Frau.
00:17:24 Ich sag': "Ich möcht' mich bei Ihnen bedanken, was Sie vor Jahren mit.. gemacht haben, für mich."
00:17:31 Und da sagt sie: "Ja. Mein Mann hat beim Einmarsch der Sowjet-Armee sich erschossen."
00:17:39 Äh, hätt' er nich' machen müssen. Nicht jeder, der in der Nazi-Partei war, so meine ich, war ein potentieller Mörder.
00:17:47 So weit schreibt die Kreide nicht. Und auch ich hab' mich gewandt gegen die Auffassung einiger amerikanischer Journalisten.
00:17:56 Und, Und wichtiger Leute, die gesagt haben, in Deutschland waren alle für Hitler.
00:18:03 Das is' nich' wahr. Es gab einen christlichen Widerstand, es gab einen, auch jüdischen Widerstand.
00:18:10 Es gab die Bibelforscher zum Beispiel, die äh, tatsächlich Widerstand waren, und es gab auch einen linken Widerstand.
00:18:18 Also das darf man nicht untern, äh, Teppich kehren. Das ist vollkommen fehlerhaft.
00:18:25 Und ich.. und in offiziellen Reden, äh, nehm' ich auch gegen die amerikanischen, äh, Leute Stellung,
00:18:33 die der Auffassung sind, alle waren für Hitler. Das ist nicht wahr. Das muss man unbedingt herausstellen.
00:18:40 Es gab tatsächlich eine ganze Gruppe, natürlich unter schwierigsten Bedingungen, die den Widerstand in Deutschland geleistet haben.
00:18:48 IV: Aber haben Sie, als Sie noch in Chemnitz waren, von diesem Widerstand selber was mitgekriegt?
00:18:54 JS: Nein. Bin ich ganz ehrlich.
00:18:57 IV: Mhm.
00:18:58 JS: Ich hab' nichts mitbekommen. Ich hab' einmal was gemerkt, aber das konnte ich nicht einordnen als Kind.
00:19:04 Das, das plötzlich, äh, ich in die Küche kam, am ersten Kriegstag, und unsere Wohnküche -
00:19:15 Wir hatten keine große Wohnung - in der Woh.. Alle hatten die Wohnküche, die Wohnküche war voll junger Männer.
00:19:21 Das konnt' ich mir nich'.. Später hab' ich mir überlegt, was war das? Das war ein...
00:19:29 Schneller Treff, meiner Meinung nach, des Widerstandes. Mein Vater war im Widerstand. Ja.
00:19:36 IV: Wie ging die Geschichte dann weiter, dann nachdem Ihre Eltern verhaftet worden waren?
00:19:43 JS: Naja, ich wohnte mit einem Jungen, der war ein, zwei Jahre älter, mit ähnlichem Schicksal, zusammen in einer, naja,
00:19:54 man könnte sagen... {überlegt} Bodenkammer. So ungefähr.
00:20:01 Mussten uns durchschlagen, bis... bis ich an einem Tag, ich weiß es jetzt nich' mehr, mein Tag der Ver..
00:20:13 Ach, 27., jetzt weiß ich wieder. Der 27. Februar 1943, ich wollte um 6 Uhr das Haus verlassen.
00:20:20 Eher durfte ich nämlich nicht da, ich hatte Haus.. Ich musste im Haus bleiben von abends 8 Uhr bis früh 6 Uhr.
00:20:30 Als ich das Haus verlassen habe, genau um 6 Uhr, weil ich zur Arbeit wollte, zur Zwangsarbeit, in Chemnitz.
00:20:38 Stand vor der Haustüre Geheime Staatspolizei: "Du bist verhaftet." Äh, ich kam ins Polizeipräsidium,
00:20:51 In eine Zelle, und man hat mir mein Gesamtvermögen, was ich hatte, äh, als sogenanntes "Kommunistisches Vermögen"..
00:21:00 Ich.. Meine Eltern waren keine Kommunisten. Also glaube ich nicht, gleich gar nicht. Äh, abgenommen.
00:21:08 Äh, mein Gesamtvermögen bestand damals, bei der.. Am Tage der Verhaftung, dreißig Mark.
00:21:15 Das war mein Gesamtver.. mehr hatt' ich nich'. Ich hatt' kein, ich hab' nichts geerbt.
00:21:21 Was ich geerbt hab' von meinen Eltern war... Beide, beide Elternteile gleich, ein ausgeprägter, starker Wille. Den hab' ich tatsächlich geerbt.
00:21:34 Äh, ich bin... Ohne zu übertreiben, willensstark. Das kann ich von mir sagen, das hat mir viel geholfen in meinem Leben, ja.
00:21:49 IV: Also, Sie wurden verhaftet...
00:21:52 JS: Ja, ich, ich kam...
00:21:59 IV: Ja, Herr Sonder, Sie haben gerade erzählt, Sie sind dann morgens, als Sie zur Arbeit gehen wollten, verhaftet worden.
00:22:03 JS: Ja.
00:22:04 IV: Man hat Ihnen ihr Geld abgenommen. Was ist dann passiert, nach...
00:22:08 JS: Ja, ich kam ja in Untersuchungshaft. In Chemnitz. Hartmannstrasse. In eine Zelle.
00:22:14 Und in der Zelle saßen schon zwei oder drei drin. Auf alle Fälle ging plötzlich die Zellentüre auf,
00:22:21 Und mit einem Fußtritt landete ein weiterer Mann in der Zelle.
00:22:28 Und wir haben gefragt, wenn ein Neuer kommt, also, wer ist er?
00:22:37 Hat er gesagt: "Ich bin ein Angehöriger der Waffen-SS." Das kann doch gar nicht möglich sein, bei uns in der Zelle.
00:22:47 Kommt jetzt plötzlich einer rein von der Waffen-SS. "Ja", hat er gesagt, "meine Einheit liegt in Niederlande, und der Kommandant hat mich zu sich geholt.
00:22:59 Hat er gesagt, "was biste bloß für'n Lumpenhund!" Wörtlich! "Bist Freiwilliger der Waffen-SS, und hast, hast,
00:23:09 Hast uns deine Großmutter oder was, unterschlagen! Du bist doch jüdischer Abstammung!"
00:23:16 Oder so ähnlich. Also, der hat mit mir.. Dieser Mann, der Name ist mir jetzt gegenwärtig entfallen, Auschwitz überlebt.
00:23:28 Und ich bin mal dazugekommen, wie er mit Häftlingen gesprochen, nein, mit einem SS-Mann gesprochen hat.
00:23:35 Und gesagt hat: "Na, vor drei.. ein paar Mo.. vor drei Monaten hatt' ich diese Uniform auch noch an." Das hat keiner geglaubt. Aber... {zögert}
00:23:48 IV: Es war so.
00:23:50 JS: Es wird schon... Ja, er hat überlebt, ist nach Zwickau gegangen und war Musiker.
00:23:57 Und hat im Zwickauer, äh, Restaurant, oder... das Orchester geleitet.
00:24:10 Ja, ich such' immer noch den Namen, wie.. Gegenwärtig wird ein Buch geschrieben, über diesen Mann.
00:24:18 In Chemnitz. Ich hab' schon Auszüge aus dem Buch, is' mir vorgelesen worden, das is' ja einmalig.
00:24:26 Sein Großvater, ein Großvater, hat am Zarenhof, äh, Musik gemacht, und der andere am, im, äh, bei uns, beim, beim Kaiser Au.. Äh, in Deutschland.
00:24:46 Also, immer noch such' ich den Namen, der mir so geläufig war, äh, von diesem...
00:24:52 IV: Wenn er Ihnen noch einfällt...
00:24:53 JS: Na, ja, könn' wir ihn nachreichen.
00:24:55 IV: ...nachreichen. Und Sie beide waren in einer Zelle und sind dann auch gemeinsam nach Auschwitz gekommen?
00:25:00 JS: Ja, wir sind...
00:25:01 IV: Von der Untersuchungshaft aus?
00:25:02 JS: Also, wir sind in ein Lager in Dresden, auch da fehlt mir wieder.. Der Gestapochef von Dresden hat,
00:25:15 in Vorbereitung, dass die Juden abgeholt werden, oder andere, ein Lager, Barackenlager, äh, errichtet.
00:25:24 Und, äh, die Namen sind leider weg. Und, äh, da sind wir erstmal reingekommen, und dann...
00:25:30 Dresden Neustadt, stand ein ellenlanger Güterzug, und dann mussten alle dort in den Güterwagen rein,
00:25:41 In jeden Waggon kam ein Eimer rein, für die Notdurft, aber der war natürlich innerhalb.. Männlein, Weiblein, und ein paar Kinder waren auch dabei.
00:25:50 Äh... Und es stank, und es war stockfinster, und dann ratterte der Zug und wir wussten nich', wohin.
00:26:01 Und hielt dann plötzlich auf einer schneebedeckten Stelle an, und die SS schrie:
00:26:11 "Alle aussteigen, alles liegenlassen!" Und die Kommandos, und die, die Kinder, die ma.. die riefen nach der Mama.
00:26:21 Nach ihrer Mama, und die M.. Und die Frauen suchten die Männer, also diese Nacht unterscheidet sich von allen anderen Nächten meines Lebens.
00:26:29 Es war die Nacht der Ankunft in Auschwitz. Und dann musste man einzeln vortreten,
00:26:38 Äh, Namen spielten schon keine Rolle mehr, nur noch Alter und Beruf. Und da ich schon einmal konfrontiert worden bin mit der SS...
00:26:51 Wie man sich zu verhalten hat, in Chemnitz, auf dem Kaßberg, da hat es eine Gestapozentrale in Chemnitz,
00:27:01 Ich sollte mich bei dem Kommandanten, {schüttelt den Kopf}, nicht Kommandanten, Entschuldigung, Kommissar Ahnert melden.
00:27:09 Und Ahnert sagte zu mir: "Ich hab' jetzt keine Zeit, draußen im Vorraum steht 'n Stuhl, da setzte dich drauf und wenn ich Zeit hab', dann hol' ich dich wieder rein."
00:27:18 Also, ich setz' mich auf diesen Stuhl. da saß ich eine Minute, höchstens eine Minute, da kam ein ellenlanger SS-Mann und sagte:
00:27:27 "Du Mistschwein, du sitzt hier auf'm Stuhl!", und hau.. und hat mich total zusammen geschlagen.
00:27:33 Ja. Und auf dieser Fahrt, äh, im, nach, nach Auschwitz, in dieser, dieser angekommenden Nacht,
00:27:44 Äh, ich bin vor und hab' gesagt: "17 Jahre, Monteur." Und das hab' ich aber so überzeugend dargelegt, und Hacken zusammen:
00:27:56 "17 Jahre, Kommandeur!" Äh, {schüttelt Kopf} Entschuldigung. "17 Jahre, Monteur!"
00:28:03 Und der leitende SS-Offizier sagte: "Hast du noch Verwandte in Deutschland?" "Jawoll!"
00:28:11 "Wer ist das?" "Meine Tante!" "Wo wohnt die?" "In Chemnitz!"
00:28:16 "Du schreibst jetzt deiner Tante, dass du gut angekommen bist!" Dann sag' ich zu dem: "Ich weiß nicht, wo ich angekommen bin."
00:28:23 "Das werd' ich dir schon sagen! Hier haste 'ne Karte!" Und, Kuli gab's noch nicht, er gab mir einen Drehbleistift.
00:28:32 Naja, und jetzt im Winter. Und, Kälte, wie soll ich hier 'ne Karte schreiben? Die biegt sich doch. Ich sag: "Ich kann die nich.. Ich kann nich' schreiben."
00:28:42 "Schreib auf meinem Rücken!" Also, der spätere Häftling schreibt auf dem Rücken, Rücken des leitenden SS-Offiziers.
00:28:51 "Ich zitiere: Bin gut im Arbeitslager Monowitz angekommen." Das hab ich geschrieben. Die Karte ist tatsächlich in Chemnitz angekommen.
00:29:08 Und die hatte, äh, später einmal folgenden Effekt: Nach dem Abendappell hat der Blockälteste, so waren die Bezeichnungen,
00:29:24 zu mir gesagt: "Sofort an die Poststelle gehen", da sich jetzt einzufinden. Da bin ich mit gemischten Gefühlen hin,
00:29:33 weil ich gewusst hab', in dieser sogenannten Poststelle am Anfang des Lagers saß auch die SS. Die Gestapo.
00:29:41 Und da bin ich vor, und dann hab' ich.. Die Meldung war: "Hundert.. 105027", das war meine Häftlingsnummer, "wie befohlen zur Stelle!"
00:29:57 Das war Kommandosprache. "Ne", hat der auf der Poststelle gesagt, der Häftling, "deine Nummer interessiert uns nicht, wie heißt du wirklich?"
00:30:09 Und da hab' ich meinen Namen genannt. "Die Heimat hat an dich gedacht." Ich sag': "Was?" "Für dich ist ein Päckchen da."
00:30:19 In Auschwitz ein Päckchen! Also, so was hat's ja noch gar nicht gegeben! Und da haben die mir ein schuhkartongroßes Päckchen in die Hand gedrückt.
00:30:28 Da war bissel Zwieback drin, ein bissel Schokolade drin, ich weiß nicht mehr, was da d.. Ne, eine Maggisuppe war auch drinne! Oder zwei.
00:30:36 Also, und wer hat mir das Päckchen geschickt? Auf der Lagerstraße hab' ich versucht nachzugucken, wer ist das?
00:30:51 Es war mein Kinderarzt. Otto... ach, leider ist es schon wieder entfallen. Reiter, oder... Ich weiß nicht mehr.
00:31:02 Friedrich-August-Straße hat er die Praxis gehabt. Das ist ungefähr dort, wo heute die Hauptpost ist.
00:31:11 Und, weil das ein Kinderarzt war, war die Attraktion so verrückt: in seinem.. im Warteraum für Kinder, die waren ja meistens mit der Mutter da.
00:31:25 Kinder alleine gingen nicht, war {überlegt} vielleicht zwanzig Quadratmeter großes Fläche abgeteilt.
00:31:35 Und da war ein kleiner Affe drin. Wirklich, lebender Affe. Kleines Äffchen. Das sollte die Kinder ablenken.
00:31:44 Und dann.. Ach, jetzt hab' ich den Namen des Arztes. Dr. Otto Jäger. Also so heißt der Chemn.. Hieß der Chemnitzer Arzt. Ja.
00:31:56 IV: Und der hat Ihnen dieses Päckchen geschickt?
00:31:59 JS: Und der hat mir das Päckchen geschickt. So ist es. Jetzt ist mir der Name eben wieder eingefallen, ne?
00:32:04 IV: Ja.
00:32:06 JS: Ja, der hat mir das Päckchen gesch.. Also, das war... das war überwältigend für mich.
00:32:12 Hat ja nie einer Päckchen bekommen oder Post. Ich hab' bloß den Fehler gemacht, nach Jahren hab' ich mir das alles nochmal durch den Kopf gehen lassen.
00:32:20 Ich hätte sagen sollen, zur Poststelle: "Darf ich mich bedanken?" Das hab' ich nicht... die Freude war so groß, dass ich das... Ja.
00:32:30 IV: Wie ging denn Ihre Zeit in Auschwitz dann weiter?
00:32:35 JS: Ich bin nach Auschwitz III gekommen, das hieß Monowitz. Monowitz. Man musste die Kleider ablegen,kam in einen Duschraum, heißes Wasser, splitternackt.
00:32:51 Es wurde uns alles weggenommen. Und dann hieß es, so jetzt über.. Nachts, es war ja Februar, über die Lagerstraße rennen, zu dem Block 10.
00:33:05 "Ihr gehört alle zum Block 10." Also, wir kannten uns ja alle nicht, es waren junge Männer, junge... alte Leute, g.. ging gar nicht. Sind ja Arbeitskräfte gewesen.
00:33:17 Und der La.. Und der Blockälteste, ein Mann mit einem grünen Winkel, all.. jeder Häftling bekam 'ne Nummer und einen Winkel.
00:33:28 Rot war politisch. Also ich hatte auch mit rot. Grün war, die Nazis sagten dazu, das gibt's natürlich im Strafrecht in Deutschland nicht.
00:33:41 Äh... {überlegt} Was ham die jetzt... Ach... Jetzt fällt mir...
00:33:50 IV: Ich weiß es auch nicht genau.
00:33:51 JS: Ah ja...
00:33:53 IV: Aber es gab eben verschiedene Farben für...
00:33:55 JS: Es gab verschiedene Farben, grün war, ach... waren Verbrecher. Die Nazis...
00:34:03 IV: Also Kriminelle, sozusagen, oder...
00:34:04 JS: Ja, die Nazis haben diese Leute zu ihren Helfershelfern erklärt. Und die haben auch geschlagen und denunziert und Entzug von Essen undsoweiter.
00:34:18 Also, und die sagten dazu Berufsverbrecher. Diesen Ausdruck kennt das deutsche Recht nicht. Aber sie haben die so bezeichnet.
00:34:28 Und die haben geschlagen und gefoltert und gemacht. Als Helfershelfer der SS. Und wir waren über 500, glaube ich, Überlebende,
00:34:43 Oder, oder, also, die Zahl kann ich auch nicht mehr richtig. Die anderen sind in der gleichen Nacht noch, äh, vergast worden.
00:34:51 Das haben wir aber nicht gewusst. Und während ich, wir, auf dem Arbeitsgelände, gestanden haben am nächsten Tag,
00:35:03 lief ein Häftling vorbei, mit besserer Kleidung, Häftlingskleidung, heute würde ich sagen "Funktionshäftling".
00:35:17 Der hat gerufen: "Ist denn von den Neuen einer aus Chemnitz dabei?" Ich hab', ich hab' das wohl gehört, aber ich hab' mich..
00:35:27 Ich hab' nicht reagiert, ich war so erschüttert von dem, was bis jetzt da war. Und... "Wo is'n der Chemnitzer?"
00:35:34 Weil einer gerufen hat: "Wir ham nen Chemnitzer!" "Wo is'n der..." Dann hab' ich mich gemeldet und dann kam er zu mir her und hat gesagt:
00:35:40 "Wie heißt ‘n du?" Da hab' ich den Namen, wusste er auch nichts mit anzufangen. Und: "Frierst du?" Das war sein zweites Wort.
00:35:51 Ich sage: "Ja, 's is' kalt." Da hat er sich ausgezogen, der hatte so'n...
00:35:56 Wie Unterhemd. Das hat er mir gegeben. Und "mein Name ist Max", hat er gesagt, "Max."
00:36:03 "Ich bin vom Chemnitzer Brühl. Komm heute Abend mal in Block 8. Da brauchste bloß nach Max zu fragen." Das hab' ich auch gemacht, nach dem Abend.. am Abend.
00:36:20 "Ich will zu Max." Und da hat einer gerufen: "Max, du kriegst Besuch!" Und Max hat mir als erstes gesagt: "Solange wir arbeiten können, haben.. können wir eventuell leben.
00:36:36 Wenn du nicht mehr arbeiten kannst, wirst du selektiert." Und jetzt hat er mir die Selektion erläutert. Wie es vor sich ging.
00:36:49 Und dann hat er gesagt... Jetzt müsst' ich aber ein Wort gebrauchen, was nicht kamerareif ist...
00:36:57 IV: Jedes Wort... Wenn es die Wahrheit ist, ist es auch kamerareif...
00:37:02 JS: Ja, er hat gesagt: "Du musst dich verhalten wie ein Arschficker. Hinter einem herlaufen, der schon.. Den kannst du nicht mehr retten.
00:37:10 Der is.. der läu.. der schleppt sich selber schon.. Also der hat noch.. der wird ausgesucht zur Vergasung." {räuspert sich}
00:37:22 Und so hab' ich's gemacht. Und, und wenn der... Nach altem römischen Recht hat der SS-Arzt den Daumen nach oben gehalten:
00:37:40 Du kannst weiter Arbeitssklave bleiben. Oder so {Daumen nach unten}: Du hast noch ein, zwei Stunden zu leben, dann wirst du vergast.
00:37:49 Ja, das hab' ich 17 Mal mitgemacht. Das ist grausam. Das ist einzigartig, war das in Auschwitz. Woanders gab' s das in diesem Maße.. Diese Vernichtung..
00:38:01 Auschwitz nannte sich nicht bloß KZ, sondern Konzentration- und Vernichtungslager. Also man hat das schon mit eingebaut. Ja. Ja.
00:38:11 IV: Wie lange waren Sie in Auschwitz? Und wie sind Sie von dort dann weggekommen?
00:38:18 JS: Mit der Offensive der Roten Armee, oder der Sowjetarmee. Kam immer näher und ich weiß nicht mehr genau,
00:38:34 Im Dezember, abends, gab's kein Essen, sondern wir sind in Marsch gesetzt worden und sind die ganze Nacht gelaufen.
00:38:50 Wer gestolpert ist, wurde von der, von den SS-Einheiten rausgeschleudert und erschossen. Wer selber weggerenn.. wegrennen wollte,
00:39:03 wurde erschossen. Dieser Marsch nannte sich der erste Todesmarsch. Neben dem KZ Auschwitz gab es ein kleines Lager für britische Kriegsgefangene.
00:39:16 Und ein britischer Kriegsgefangener.. Und die, und die sind ebenfalls in Marsch gesetzt worden, als die Rote Armee immer näher kam.
00:39:29 Und dann sind die, so schildert der, über die toten Häftlinge hinweggelaufen. Muss eine fürchterliche Sache gewesen sein.
00:39:43 Und, äh, und er hat ein Buch geschrieben: "Ich drang in ein KZ ein." Is' egal, ich will nicht.. über das nicht weiter reden.
00:39:53 Aber auf alle Fälle, äh, hab' ich Stück gehört davon.
00:40:01 Und hab' BBC London angerufen. Und hab' gesagt: "Es gibt Überlebende." Er hat nämlich geschrieben, da gibt's keine Überlebenden, von diesem Todesmarsch.
00:40:12 Und dann hab' ich aber zu wenig Englisch gebracht, und dann haben die gesagt: "Es genügt uns auch, wenn Sie uns einen Bericht schicken."
00:40:21 Also, ich habe einen Bericht.. Auf Deutsch natürlich.. BBC London geschickt. Und da haben sie sich bei mir bedankt, weil es doch Überlebende gab.
00:40:32 IV: Das war in der Zeit nach der Befreiung. Schon dann. Wo Sie das geschickt haben.
00:40:36 JS: Die, die Geschichte mit BBC?
00:40:38 IV: Ja, ja. Ja.
00:40:40 JS: Ja, ja, sicher.
00:40:41 IV: Gehen wir doch nochmal zurück, erzählen Sie doch ein bisschen, was Sie noch auf dem Todesmarsch erlebt haben, und wohin das ging...
00:40:48 JS: Wir sind nach Gleiwitz, wir sind, äh... Ich weiß es nicht mehr, mir fä.. Ich hab's mal ausgerechnet, die Kilometerzahl.
00:40:56 Also, wir sind in Gleiwitz angekommen, Oberschlesien, glaube ich. Und, äh, und sind jämmerlich beleidigt worden. Von, äh, Frauen. Männer haben wir gar nicht gesehen.
00:41:09 Also Frauen: "Euch müsst' man alle umbringen! Ihr Mörder, ihr Verbrecher! Ihr Schweine!"
00:41:16 Und während wir so durch Gleiwitz gelaufen sind, hab' ich eine Frau gesehen, die aus einem, aus einer Türe im Vorgarten war,
00:41:28 Und die hielt so'n Päckchen in der Hand. Und ich hab' das Gefühl gehabt, die will uns das Päckchen geben.
00:41:37 Und beim Moment bin ich aus der Reihe gelaufen.
00:41:41 Das war lebensgefährlich und hab' das Päckchen in Empfang genommen. Das waren alles belegte Schnitten.
00:41:47 Und dann hab' ich die verteilt, unter den Häftlingen, die da waren. Ja.
00:41:55 IV: Und von Gleiwitz aus, wie ging es dann weiter? Sind Sie immer nur gelaufen, oder auch mal wieder gefahren, mit Zügen oder so?
00:42:04 JS: Ach, es.. Ich muss, es ist schwer... Natürlich sind wir wieder mal gefahren. Ja, an welchem Bahnhof weiß ich nicht,
00:42:16 Auf alle Fälle, Güterwagen, geschl.. äh, geschlossene Wagen, da sind wir reingepfercht worden, und in jeden Wagen kam ein SS-Mann.
00:42:29 Der sollte für Ruhe und Sicherheit sorgen und dieser SS-Mann war ein totaler Verbrecher.
00:42:39 Er zog sein Bajonett und schlug auf die Häftlinge ein. Grausam, grausam sahen die Häftlinge aus. Dem Einen fehlt die halbe Nase.
00:42:53 Der andere ein Ohr, also ich will's nicht weiter ausmalen. Es war fürchterlich, was dieser SS-Mann gemacht hat.
00:43:04 Und ich wollte.. Und er sprach sächsisch. Und er sprach sächsisch, und ich sagte zu meinem französischen Mithäftling mit dem schönen deutschen Namen Marx.
00:43:21 Der hieß Leon, Leon Marx: "Ich muss mit dem SS-Mann reden." "Du bist wohl verrückt!" hat er ges..
00:43:30 "Du darfst kein SS-Mann, du wirst zu Tode, der schlägt dich tot!" Und ich hab' zwei Stunden gebraucht,
00:43:36 immer einen Platz zu wechseln, bis ich in die Nähe, ganz in der Nähe des SS-Mann war, der da drinne war.
00:43:45 Und.. jetzt hab' ich.. Und er sprach sächsisch. Total sächsisch. Und ich hab' mir überlegt, wie sprichst du so einen SS-Mann an?
00:43:56 Was nicht gestattet ist. Und dann hab' ich mir doch Mut zugesprochen und hab' gesagt:
00:44:04 "Na, wo Sie herkomm' wees ich." Jetzt hätt' er mich zusammenhauen müssen.
00:44:09 Hat er aber nicht gemacht. Und sagte zu mir: "Na, wo komm' isch denn her?" Ich sag': "Sie komm' aus Weißenfels."
00:44:18 Na sagt er, hätt' er wieder.. Hat das Gespräch weitergeführt. Und sagte: "Ne, mei' Gutster, aus Weißenfels komm' isch ne'.
00:44:30 "Ich sag': "Jetzt weiß ich aber genau, wo Sie herkomm'. Sie kommen aus Leipzig."
00:44:36 "Wieso weestn du das?" Ich sag: "Na, Sie ham Gutster gesagt. {lacht} Ich bin aus Chemnitz." "Was?" Er sagte, "Aus Chem.."
00:44:46 Also für den waren wir alle, wie sagt man, Ur.. Unmenschen. So eine Verwirrung. "Aus Chemnitz! Wieso, wieso bist denn du hier?
00:44:58 Mensch, 'n Chemnitzer! Jetzt sind wir schon zwee!" Also, {abwertende Geste} so primitiv. So primitiv. Hat mir von Leipzig erzählt,
00:45:08 Hat ein Friseurgeschäft gehabt, "Der Führer hat gerufen", hat er gesagt, "also hab' ich mich sofort gemeldet." Ja, hm.
00:45:15 Dieser, dieser... Und das kam gar nicht gut an, was ich gemacht hab', bei den Mithäftlingen. Die Mithäftlinge waren ja keine Deutschen.
00:45:26 Die, ah, jetzt auf einmal haben wir gelacht. SS-Mann und ich. Die wussten nicht mehr, wer ich bin. Ob ich ein Verräter bin, oder was weiß ich was.
00:45:36 Also mir ging's nicht gut. Es hat mir nicht viel eingebracht. Ja.
00:45:42 IV: Sie sind dann ja irgendwann auf diesem Weg auch nach Flossenbürg gekommen. Vielleicht können Sie mir ein bisschen erzählen...
00:45:52 JS: Ja, das weiß ich jetzt wirklich nich' mehr, wie ich nach Flossenbürg gekommen bin. Ob wir gelaufen sind...
00:45:57 Ich kann das.. Flossenbürg, ja... Ich bin nach Flossenbürg gelaufen, auf alle Fälle. Und, das war wie so 'ne Selektion.
00:46:11 Ein SS-Mann stand auf einem Schemel, und ein Häftling.. Bin dort vorbei..
00:46:23 Einzeln mussten wir vorbeilaufen. Und dieser Häftling hat mit 'nem Lappen oder was das war, dir eine vors Gesicht gegeben.
00:46:31 Das war also Wasser. Und der SS-Mann, oder Kommandeur oder wer das war, hat mit einem Stift eine Zahl drauf geschrieben.
00:46:43 {fragend an IV} Ist Ihnen das schon mal unter..? Als würden wir sortiert oder was. Das ist Flossenbürg der Beginn gewesen.
00:46:54 IV: Was hatten.. Wissen Sie, was diese Zahlen zu bedeuten hatten?
00:46:59 JS: Nein, ich, ich, ich hab' Angst gehabt. Ich hab'.. Römische Zahlen. Die anderen hatten das ja auch. Al.. Der Häftli.. Und der hat oben.. {macht Geste} So...
00:47:11 Ich kam in Block 19. Das is' direkt neben dem Eingangstor. Wer kommt auf den Gedanken, neben dem Tor mit der 19 zu beginnen?
00:47:25 Und das, und das, Flossenbürg war total überfüllt. Von den zurückflutenden, zurückgetriebenen Häftlingen aus dem Osten.
00:47:38 Flossenbürg war so überfüllt, dass.. Und das sage ich immer, wenn ich vor Jugendlichen spreche: "Was denkt ihr, wieviel Leute in einem Block...
00:47:55 Also in einem Schlafblock geschlafen haben, wo drei Mann rein müssen, wieviel haben dann in einem Bett bis oben geschlafen?"
00:48:03 Bisher ist noch niemand drauf gekommen. Es war eine Wahnsinnszahl, die wir dort in den einzelnen Betten zugebracht haben.
00:48:17 In den einzelnen Betten wurden sechs Häftlinge reingepfercht. Das brach natürlich zusammen. Und Fenster konnte man nicht schließen.
00:48:26 Sonst wären wir erstickt. Und die SS.. Wenn die zusammengebrochen sind, kam die SS und hat mit den Kolben... {macht Schlaggeste}
00:48:33 Also, es war.. So hab' ich Flossenbürg zu Beginn erlebt. Ja...
00:48:39 IV: Wie lange waren Sie dann ungefähr in Flossenbürg?
00:48:43 JS: Ja, bis zur Auf.. Ich war von An.. Bis das, bis das Lager evakuiert worden ist. Aber ich weiß nicht mehr, da weiß ich nicht mehr.
00:48:53 Ja. Ich hab' in diesem Block 19, hab' ich zwei Sachen erlebt. Also es war das erste Block nach ‘m Tor.
00:49:07 Und ich hab' aus.. Ich hab' 'n roten Winkel gehabt.
00:49:15 Aus Versehen, oder wie das gekommen ist, weiß der Teufel. Äh, und ein SS-Mann sagt: "Eimer holen und Besen!"
00:49:25 Na, Und dann hab' ich mir das ausgeliehen, von dem Blockältesten.
00:49:33 Und dann sind wir, bin ich mit dem SS-Mann auf die Wachtürme geklettert. Und hab' die saubermachen müssen. Und das...
00:49:47 Ohne zu sprechen, er hat mich nicht angesprochen. Und auf einmal sagte der SS-Mann: "Ab jetzt nicht mehr ins Lager blicken!"
00:50:00 Naja, is' genau das Gegenteil passiert, ein Häftling, der den Befehl bekommt, nicht mehr ins Lager zu blicken..
00:50:08 Man musste die Treppen zu dem hochklettern und durch die Beine hab' ich ins Lager geblickt.
00:50:15 Und sah einen äh, wie Häftlinge, wie Tote aufgestapelt waren.
00:50:27 Stapel, 'n regelrechten Stapel Häftlinge. Es gab aber kein Gespräch, ich bin mit dem SS-Mann rings ums Lager gelaufen und hab' die Türme sauber gemacht.
00:50:44 Also ich kenn' das Lager von.. Er hat mit mir auch nicht gesprochen. Das war die erste Sache.
00:50:51 IV: Und Sie haben ja auch schon gesagt, das Lager war überfüllt...
00:50:55 JS: Total überfüllt.
00:50:57 IV: Es waren, äh, Berge von Leichen. Wie war, gab es noch Verpflegung, oder irgendwas oder...
00:51:03 JS: Ganz, alles mangelhaft, alles mangelhaft. Und, ach, ein SS-Offizier kam, weil er wusste, da ist einer, der deutsch spricht.
00:51:14 "Hol dir mal zehn junge Häftlinge bis morgen früh!" Ich suchte deutsche Häftlinge, Jungs. Mit denen konnte ich ja reden.
00:51:31 Ich hab' sie nicht gefunden. Ich wusste aber genau, es gab welche. Na, da hab' ich Franzosen genommen, Polen genommen, Russen genommen.
00:51:40 Das waren glaub' ich die. Und früh sollt' ich melden:
00:51:47 "Eins neun auf dem Wege zur SS-Unterkunft." Die waren ein bissel... An der Seite.
00:51:54 IV: Seitlich.
00:51:55 JS: Hä?
00:51:56 IV: An den Sa.. An den Seiten.
00:51:57 JS: Ja, wirklich, ja. Ja, genau. Und dort.. So hab' ich gemeldet. "Eins neun, auf dem Wege zur SS-Unterkunft."
00:52:05 Das kann man nicht erzählen. Da... Als erstes war, er gab uns eine Waschschüssel, da waren die Reste der Rasur drinne.
00:52:20 Und übrig gebliebene Speisereste vom Abend.
00:52:28 Das getrau' ich mir bald nicht zu sagen. Und die Häftlinge haben die Kartoffeln, die aussahen wie das letzte..
00:52:38 Der Hunger is' so fürchterlich, so grausam. Rausgeklaubelt und gegessen. Ich hab's nicht gemacht.
00:52:45 Aber es ist gemacht worden, ich hab's gesehen. Es ist schlimm.
00:52:49 Es ist, der Hunger ist, ist des Wahnsinns. Ja, auf alle Fälle hatte ich die zehn Jungs zusammen, darunter einen Franzosen, polnische Jungs waren ein paar dabei.
00:53:04 Die haben übel mitgespielt dann, mit mir... Und ich hab' sie geleitet. Und, in der SS-Unterkunft bekam jeder Junge, Häftlingsjunge, eine Decke.
00:53:21 Und dann sind wir in der, ins.. Dort wo die Desinfektion, Desinfektion gelaufen und bekamen noch feuchte Oberbekleidung von Frauen.
00:53:39 Also, Männerbekleidung null. Äh, von Frauen, und die haben wir gebündelt, ach, wenn wir viel tragen konnten, waren es vielleicht, ich weiß es nicht, vielleicht fünfzehn.
00:53:52 Ach, wir haben zu tun gehabt mit der, mit der kleinen Menge. Und ich wurde in eine SS-Villa gebracht, und auf dem Oberboden der SS-Villa waren Schnüre gespannt.
00:54:03 Da sollten die Frauen Kleider oder Röcke oder was weiß ich was - keine Unterwäsche - restlos noch trocknen. Ja.
00:54:17 IV: Also das war Ihre Arbeit praktisch.
00:54:21 JS: Das war meine Arbeit.
00:54:24 IV: {unverständlich, durcheinander} ...Kommando, die desinfizierte Wäsche dann zum Trocknen zu tragen.
00:54:29 JS: Ja, mit dem.. Und, und ich wurde dort mal...
00:54:34 Ach so, und die SS erwischte uns, wie wir Klamotten ins Lager reingebracht haben.
00:54:46 In den ersten - Block 2 war das, glaube ich - aber hat den entgegengenommen. Und dann wurde ich erwischt. Und jämmerlich zusammengeschlagen.
00:55:00 Und wenn du niedergeschlagen warst, musst du wieder aufstehen. Und wieder zusammengehauen. Und ich stand wieder auf.
00:55:08 Dann hat er einen Polen, einen polnischen Häftling genommen, und der sollte mich dann zusammenschlagen.
00:55:16 Der Pole hatte jedoch kein Interesse, mich zusammenzuschlagen, und hat bloß so...
00:55:21 Tatschel, tatschel, tatschel... Jetzt kriegte der Pole 'ne Ladung von der SS mit und dann: "Los, schlag den zusammen!"
00:55:31 Und der Pole hat dann wirklich aus Not mich zusammengehauen. Also, ich sah aus... Das war...
00:55:41 IV: Aber Sie waren willensstark...
00:55:43 JS: Ich war sehr willensstark, aber da hab' ich wirklich... So zusammengehauen war ich in Auschwitz nicht...
00:55:52 In Auschwitz hatte ich ja 'n Beschützer, den Max.
00:55:57 IV: Ja, hatten Sie erzählt... Und jetzt, in Flossenbürg, gab's da 'ne Krankenstation?
00:56:02 Nachdem Sie zusammengeschlagen wurden, kamen Sie irgendwie auf ein Krankenrevier oder einfach wieder in Ihren Bau 19 da...
00:56:10 JS: Ich kam... Das weiß ich nicht mehr genau. Ob ich in den Krankenrevier kam. Ich glaub 's nicht. Hätten Sie ja aber angeben müssen. Das ging ja gar nicht.
00:56:22 IV: Dann kam ja die Front immer näher und es stand auch an, dass Flossenbürg evakuiert werden musste.
00:56:29 JS: Ja...
00:56:31 IV: Wie war das? Können Sie sich erinnern?
00:56:32 JS: Ne, da fehlt mir.. der Erinnerungsvermögen is' nich' mehr da.
00:56:36 Wir sind.. Ich weiß bloß, wir sind nach Floß. Muss ein Bahnhof gewesen sein oder was.
00:56:48 Sind hingekommen und auf einmal waren die Amis, äh, die Flugzeuge da. Und ich bin vom Bahnhofsplatz in das Floßer Dörfchen...
00:57:06 In das Dörfchen gerannt. Und zwar wo die Schule war. Mitten im Dorf war 'ne Schule. Weil ich davon ausgegangen bin, "da findste was Übriggebliebenes".
00:57:22 Mitbringsel, Essen, Brot oder was. Und ich kam in die Schule an und da waren schon zwei polnische Häftlinge. Die haben wirklich was gefunden.
00:57:33 Ich hatte nichts gefunden. Und dann kam die SS, drei Mann SS, mit... {Geste vorgehaltene Waffe} und führten uns zu dem Bahnhofsplatz wieder zurück.
00:57:49 Hände hoch mussten wir machen. Und ich hab' gedacht: "Denen kannste ja nicht erzählen, dass das.. wir bloß wegen Essen."
00:57:58 Für die stand die Frage fliehen. Äh, und.. Aber wir hatten gleiche Klamotten an. Und, und als ich am Bahnhofsvorplatz wieder war,
00:58:11 kamen wieder Flugzeuge drüber. Da bin ich zu den anderen Häftlingen gerannt. Die SS lag im Dreck und allem, die haben mich nicht mehr gefunden.
00:58:23 Und dann da passierte Folgendes: Es war ja der Güterwagen da, wir mussten alle einsteigen in 'n Güterzug. Güterzug.
00:58:35 Und zwei Häftlinge kampelten sich, richtig. Die hatten sich in die Haare gekriegt, also Haare hatten sie keine mehr, aber...
00:58:46 Um ein Stück Brot. Und dann kam ein SS-Offizier, nahm das Stück Brot, jedem die Hälfte gegeben und die sollten sich hinknien.
00:59:02 Und das Brot so ver.. Einmalige Erlebnis. Hielten das Brot so und waren gekniet. Und der andere von der anderen Seite.
00:59:10 Da hat der SS-Offizier seine Pistole gezogen und hat die mit 'n St.. Jeden mit ‘n Stück Genickschuss gegeben.
00:59:18 Also das war eine der schlimmsten Dinge, die ich von Mord da direkt gesehen hab'. Mit'm Stück Brot sind die..
00:59:28 Haben Genickschuss bekommen. Das war fürchterlich für mich.
00:59:32 IV: Das war in Floss auf dem Bahnhof.
00:59:34 JS: Das war in Floss auf'm Bahnhof. Das müssen sie heute aber wissen, denn ich hab's ja dort kund getan. Ja.
00:59:44 IV: Und dann sind Sie irgendwann nochmal mit einem Zug weitergefahren? Also von dem Bahnhof aus, wie ging es dann weiter? Wissen Sie's noch?
00:59:53 JS: Ja...
00:59:55 IV: Irgendwann wurden Sie ja auch befreit, vielleicht noch mal ver.. Dass Sie sich versuchen, zu erinnern...
01:00:00 JS: Ja, Moment mal... Jetzt fehlt mir ein bissel... Ach, Gott... Vor ein paar Jahren war das noch alles da...
01:00:12 IV: Ja, und da war es einfacher, sich zu erinnern.
01:00:14 JS: Ja, ich...
01:00:15 IV: Aber vielleicht erinnern Sie sich ja an die Befreiung selber, wir müssen ja gar nicht alles Stück für Stück erzählen...
01:00:19 JS: Ja, ja.
01:00:22 IV: Die Befreiung...
01:00:28 JS: Ah, so schlimm... Keine Erinnerung mehr... Also... Ach...
01:00:42 Das hätt' ich nicht gedacht, dass ich das Erinnerungsvermögen...
01:00:48 Wissen Sie, die Amis kamen mit Panzern.
01:00:57 Ach, es war filmreif, die Szene. Wir riefen den Amis was zu. Aus Freude. Den Panzern.
01:01:08 "God save the king!" oder "How do you do?" oder alles, alles Mögliche. Ein.. Und die Amis schmissen Apfelsi..
01:01:22 Die haben voll ihre Panzer gehabt, ich hab' so was noch nicht erlebt.
01:01:25 Und es wurde gekocht, und äh... Also der, dieser Tag, der 23. April 1945, ja, war mein Befreiungstag,
01:01:43 Und seit dieser Zeit feier' ich diesen 23. April schon mit meiner Frau als zweiten Geburtstag.
01:01:54 Das halt' ich ganz.. Für außerordentlich wichtig, diesen Befreiungstag.
01:02:01 Ja, aber... Ach, wie wir frei waren sind wir in 'ne Gaststätte "Zur Sonne". Ich weiß noch jetzt den Namen.
01:02:12 Von.. Sonne, und da war noch der Rest vom Frühstück der SS, angebissene Brote.
01:02:20 Und wir haben, als wär' das das Gängigste der Welt, aufgegessen.
01:02:26 Obwohl das angebissen war von der SS, haben wir aufgegessen.
01:02:31 Und es machte uns gar nichts aus, dass in der Entfernung von drei, vier Metern eine tote Frau lag.
01:02:38 Die, die Chef.. die Wirtin des Ha.. So. Und einer der..
01:02:45 Aber wir haben trotzdem nicht viel zu essen gehabt, die paar Schnitten von der SS. Wir suchten nach..
01:02:50 Wir suchten nach Essen. Und einer ging in ‘n Keller, und sagt: "Ich hab' nichts gefunden, ein paar Rüben, ein paar Kartoffeln, und ein totes Mädel."
01:03:03 Die dort unten... Neun Jahre ungefähr. So, und die Wirtin war auch tot, also die lag neben uns und wir haben weitergegessen, so...
01:03:16 Und einer.. Und während wir weitergegessen haben kam einer und sagte: "Ich nix Soldat." Ich Arbeits... Äh, ich... Wie das bei den Nazis hieß...
01:03:33 Arbeiter.. Arbeits... Also der hat 'ne andere Uniform gehabt. Und... Und ich sag': "Ich weiß, dass du nicht von der.. Du bist von der..."
01:03:51 Ich weiß nicht mehr, wie die Bezeichnung hieß. Äh, ja. Der sprach mit uns immer so halb deutsch.
01:03:58 Er dachte, wir sind, wer weiß wer solche Leute. Na hab' ich gesagt:
01:04:03 "Mit uns kannst du deutsch reden. Wir sind Deutsche." Das hat er nicht begriffen. Der hat.. Der Junge.
01:04:13 Arbei.. Arbeitsfront, nee... Ich weiß nicht mehr, wie die Bezeichnung hieß, von denen... Ja.
01:04:21 IV: Ich würd' vorschlagen, dass wir jetzt mal fünf Minuten Pause machen...
01:04:25 Laufen wir wieder? - Ja. Ja, ihr lauft? -
01:04:27 Ja. Äh, ich würde sagen, jetzt waren wir ja bei der Befreiung, und dann würde ich sagen, schließen wir dieses ganze Kapitel,
01:04:34 Auschwitz, Flossenbürg ab, und dann würde ich sagen, unser neues Kapitel heißt dann: "Neuanfang". Wie ging's weiter?
01:04:45 JS: Also, ich hab' mich von meinen französischen Mithäftlingen verabschiedet, und der hat gesagt:
01:04:55 "Was willst du in diesem fürchterlichen Mörderstaat?
01:04:59 Mörder. Komm mit mir nach Paris, da geht es dir gut." Und dann haben wir uns umarmt, und ich sag:
01:05:07 "Nein, ich, ich geh' in meine Heimatstadt Chemnitz. Ich geh' nach Norden, und du kannst nach Frankreich gehen."
01:05:16 Ja, und seitdem.. Er hat ja so'n schönen deutschen Namen gehabt. Marx. Ich weiß nicht, {unverständlich}.
01:05:27 Bin nach Chemnitz gegangen... Ach, ich bin bis Hof gelaufen. Mit noch einem. Und international.. Die Alliierten haben angeordnet,
01:05:45 dass in jeder Stadt, größeren Dorf auch, äh, Restaurants eingerichtet werden sollen, oder
01:05:54 Übernachtungsstätten für zurück.. überlebende Häftlinge.
01:05:59 So war das auch... in Hof. Und ich bin schon mit einem ehemalig.. Breslauer Junge gelaufen, er wollte auch nach.. Er wollte nach Breslau.
01:06:16 Aber.. Wir waren ja frei. Ich wollte nach Chemnitz. Und, und die Amis... Wie war denn das?
01:06:27 Ach, die haben uns angehalten, und: "Your paper, please!"
01:06:34 Und das.. Alle hatten paper, nur wir hatten keine. Und abends kamen so,
01:06:42 Ami-Militärfahrzeuge, große, alle drauf, in ein leergezogenes Konzentrationslager in Hof.
01:06:53 Wurden wir nach.. runtergeschmissen. Und früh am nächsten Morgen, hieß das Kommando: "Alles auf den Appellplatz, Oberkörper frei!"
01:07:02 Und dann stand alles da und die Amis haben SS-Leute gesucht, mit ihren Blut...
01:07:15 IV: Tätowierungen.
01:07:18 JS: ...hier unterm Arm, oder an der Seite oder was, ich weiß nicht was. Und ich, und ich stand da mit dem Breslauer und ich sag':
01:07:24 "Du, ein kleines bissel Englisch, Schulenglisch, bring' ich noch. Wenn die Amis kommen, nehmen wir zwei demonstrativ die Hände nach unten."
01:07:36 Und so hab' ich gesagt: "We are concentration camp. And this is the number." Oh, oh, was hat der Ami zu mir gesagt?
01:07:49 "Sorry, sorry, sorry." Und nochmal: "Oh, oh, oh. Entschuldigung, Entschuldigung." Mir wurde ein Offizier benannt,
01:07:59 der uns Ausweise.. Ja, ich hab' von den Amis einen, in vier Sprachen glaube ich,
01:08:10 Ausweis bekommen, den hab' ich noch zuhause gehabt.
01:08:14 Der müsste noch zu mir in der Wohnung liegen, wir haben es mit einem politischen Häftling zu tun, ihm ist jede Unterstützung zu gewähren.
01:08:25 Mit bicycle, Eisenbahn, was weiß ich was, so. Und dann hab' ich dem Ami gesagt: "Wir haben Hunger."
01:08:37 Und dann, äh: "Da fahren wir euch ins Rathaus von Hof." Also die haben, die Ami haben uns nichts zu essen gegeben.
01:08:49 Wir kamen ins Rathaus und sahen, da haben sie gesagt: "Wir haben auch nichts zu essen."
01:08:53 Aber, nach alliiertem Beschluss haben wir eine, ein Restaurant eingerichtet für Hä.. für, äh, zurückfüh.. überlebende Häftlinge.
01:09:07 Und das war um 9 Uhr früh. Und da haben wir geklingelt und dann kam der Ober raus: "Was wollt‘n ihr?"
01:09:14 "Das Rathaus schickt uns her, hier würd' s zu essen geben."
01:09:17 "Ja, aber nicht um Neune. Wir machen um Elfe auf. Ihr seid die Ersten. Haut euch hierher."
01:09:25 Und da lagen wir zwei vor der Eingangstür und haben gewartet, bis es um Elfe war. Um Elfe wurden wir reingelassen,
01:09:34 Und der Ober sagt: "Ihr seid schon so lange da, die erste Suppe oder was, bekommt ihr."
01:09:44 Und während wir die Suppe gelöffelt haben, sagt mein Nebenmann:
01:09:49 "Da drüben is' auch einer von Auschwitz. Den musst du auch kennen." Also, ich hab' den nicht erkannt.
01:09:58 Der ließ nicht locker. "Wir wechseln mal die Plätze."
01:10:03 Wir wechseln die Plätze, und "Schau mal hier nüber."
01:10:08 Und da schrei ich auf: "Mein Vater!" Alles hat geklatscht.
01:10:13 Der Ober hat meine Suppe runtergehauen, aber das hat er mit.. Also, ich hab' meinen Vater in Hof...
01:10:21 Wie.. und mein Vater kam aus Konzentrationslager Dachau und is', is' genau diesen Weg..
01:10:30 Und dann sind wir gemeinsam weitergelaufen, nach Chemnitz.
01:10:37 Diese zerstörte Stadt. Ich hab' die Stadt nicht wiedererkannt.
01:10:43 Dort, wo einst der Krieg begonnen hat, hat der Krieg zurückgeschlagen.
01:10:51 Äh, Chemnitz war eine.. Es war nichts mehr ganz. Es fuhr keine Straßenbahn mehr, gar nichts.
01:11:01 Omnibus ist sowieso nicht gewesen.Also, ein Wort: eine tote Stadt.
01:11:06 Mein Vater war aber ein SPD-Mann. Vorher schon gewesen, war im Widerstand der SPD.
01:11:14 Und dann hat man.. Dann hat er wieder, nicht, die Partei mitgegründet, mein Vater.
01:11:26 Ach, und, und dann hab' ich zu meinem Vater gesagt..
01:11:29 Ja, jetzt, wie das langsam wieder kommt. Ich bin auch in der Partei.
01:11:35 Ja, ich weiß bloß nicht wo. Und dann sagt mein Vater:
01:11:40 "Es sind ja ununterbrochen Versammlungen." Und da hab' ich sowieso.. Einem Mal von der SP..
01:11:46 Es kamen nur zwei Parteien in Frage für mich: SPD, KPD.
01:11:51 Und dann hab' ich die angehört und hab' gesagt: "Ich seh' hier gar keinen Unterschied groß."
01:11:56 Alle wollen die Verfolgung der Nazi und Kriegsverbrecher,
01:12:01 Aufbau eines neu.. Friedlichen Deutschland, das haben doch alle beide. Na, dann gehste noch einmal rein.
01:12:09 Und dann bin ich noch einmal rein, hab' mir wieder angehört, und dann gefiel mir die Diskussionsrunde der SPD besser als die der KPD.
01:12:20 Bei der SPD war das nicht so absolut, absolut.
01:12:25 Bei der KPD: "Wenn wir das sagen, muss..." Das gefiel mir nicht. Also bin ich in die SPD gegangen.
01:12:31 Ich war einer der Jüngsten dann, die in der SPD waren. Ja.
01:12:36 IV: Wie war das dann auch so in der, in der Partei, die meisten jüdischen Überlebenden haben Deutschland ja verlassen.
01:12:47 JS: Ich nicht.
01:12:48 IV: Sie und Ihr Vater auch nicht?
01:12:50 JS: Nein. Mein Vater...
01:12:52 IV: Wie war sozusagen das Klima, als Sie sozusagen...
01:12:55 JS: Na, ich sag'...
01:12:56 IV: ...als Überlebender zurückkamen...
01:12:57 JS: Ja, mein Vater war SPD-Mann und is' in der SPD-Familie..
01:13:03 Sind wir beide aufgenommen worden. Und man hat uns zu essen gegeben.
01:13:07 Und man hat uns, äh, Wo.., Wo.. Schlafraum gegeben. Die SPD-Familie war so groß...
01:13:19 Der Max Müller, der is' eigentlich, der war derjenige, der eigentlich den Aufruf zum, zur
01:13:30 Bildung des Arbeiter- und Bauern.. 1918, unterschrieben hat, mit Fritz Heckert.
01:13:38 Fritz Heckert auf der einen Seite, KPD, und Max Müller auf der anderen Seite.
01:13:43 Inzwischen war, war er ja der sächsische Innenminister geworden, Max Müller.
01:13:52 Also, wir.. Ich hab'.. Mein Vater lernt dort eine neue Frau kennen und sagt zu mir:
01:14:00 "Hast du was dagegen, wenn ich die heirate?"
01:14:06 Also da sind jetzt Wochen und Monate vorbei. Und ich sag': "Ihr könnt mir meine Mutter..."
01:14:13 Ich wusste, dass meine Mutter getötet worden ist, "...nicht mehr lebendig machen."
01:14:18 Dann, dann hat er die Herta Müller geheiratet. Aber die Ehe ging nicht lang, mein Vater ist nach kurzer Zeit gestorben.
01:14:30 Er ist aber von der Stadt noch berufen worden,
01:14:35 Berufen worden zur... Fehlen mir die Worte...
01:14:44 IV: Hat ein Amt oder so bekommen.
01:14:45 JS: Ja, hat ein Amt bekommen... Ah, Gedächtnis lässt nach, da...
01:14:56 IV: Is' nicht schlimm.
01:14:57 JS: Ja.
01:14:59 IV: Und Sie selber sind dann wieder zur Schule gegangen?
01:15:01 JS: Ah, ah, nee, ich... Die SPD sagte zu mir: "Solche jungen Leute, auf..
01:15:12 Haben wir schon lange gewartet, mit so 'nem politischen Hintergrund.
01:15:17 Du musst zur Polizei." Da hab' ich so naiv geantwortet: "Ich wollte mal 'n Beruf erlernen."
01:15:28 "Polizei is' auch 'n Beruf." Hab' ich.. Haben die gesagt.
01:15:34 Da hab' ich gesagt: "Na gut. Wenn schon Polizei, dann möchte ich zur Kripo."
01:15:42 Aber im Freistaat Sachsen konnte man erst zur Kripo gehen, wenn man 25 is'.
01:15:50 Ich war aber erst gerade mal 19. "Dann geh du auf die Polizeiwache, Polizeirevier."
01:16:00 Naja... So bin ich auf ein Polizeire.. Aufs Team der Polizeirevier gekommen, hab' wieder Uniform gehabt.
01:16:09 Mein erster Dienstgrad war "Wachtmeister auf Probe". Ha. Was da los war, auf dem Revier... Die ersten...
01:16:18 Es war ja um 11 Uhr Sperrstunde. Um 11 Uhr hat jeder zuhause zu sein.
01:16:24 Nachts. Und manchmal kamen noch Leute, Frauen, und die haben wir ja als Polizisten, nach Hause begleitet.
01:16:35 Ich hab' mal 'n Vortrag gehalten, ein einziges Mal den gleichen Vortrag, ich, ich...
01:16:41 Es wär' doch wichtig, man sollte den Vortrag nochmal halten. Und zwar:
01:16:47 Die erste, die erste, die erste Stunde, so ähnlich hieß der Vorgang.
01:16:52 Äh, Vortrag. Ich hab' im Polizeirevier, siebente, Polizeirevier..
01:17:00 Was ich nicht wusste, waren Barackenstädte. Die Nazis haben sogenannte Barackenstädte eingerichtet für Leute,
01:17:09 Heute würde man sagen, Faulenzer, oder ja... Die haben da..
01:17:18 Und wenn nachts Leute aufgegriffen worden sind, sind die festgehalten worden.
01:17:22 Auf dem Polizeirevier, Männlein wie Weiblein, und früher sind die von uns begleitet worden, wegen der Gefahr Geschlechtskrankheiten.
01:17:36 Also die sind dort, äh, in so'n... Krankenhaus war das nicht, aber so'n Station gebracht worden.
01:17:47 Sollten geprüft werden, ob sie Geschlechtskrankheiten...
01:17:49 Der Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten war ganz... Vor allen Dingen Tripper, war ganz stark, äh, ja.
01:17:57 Und eben einmal is' ne Frau, splitternackt ins Polizeirevier gerannt, siebente, Angst vor Russen.
01:18:10 Die is' über ‘n Balkon ausgerissen, da haben wir erstmal Decken geholt.
01:18:14 Um die Frau zuzudecken, also.. Aber ich hab' dort unheimlich viel gelernt, für den späteren Beruf.
01:18:25 Und ich wollte ja zur Kripo.
01:18:28 Und dann hab', hat man mir gesagt: "Du kannst noch nicht."
01:18:35 Und dann immer wieder bin ich konfrontiert worden, mit Leuten der Kripo, wenn die auf'm Revier waren.
01:18:43 Haben jemanden geholt oder was weiß ich was, da haben die immer gesagt:
01:18:47 "Sag mal, warst du denn nicht eigentlich im Lager?"
01:18:50 Ich sag': "Ja." "Ja, was willst ‘n auf'm Polizeirevier? Wir brauchen junge Leute bei der Kripo."
01:18:55 "Na, ich kann nicht. Ich bin erst neun... Ich bin erst neunzehn."
01:18:59 "Na, da musste dem Innenminister..." Jetzt kommt er, Fischer, wie hieß der hier in Chemnitz, hatte..
01:19:07 Also, ich hab' dem geschrieben, und dann wurde die Genehmigung erteilt, dass ich zur Kripo gekommen bin.
01:19:15 IV: Schon mit19? Oder 20 oder...
01:19:17 JS: Ja. Und die erste Arbeit, die ich gemacht hab', bei der Kripo..
01:19:22 Ach so, es war Ost wie West, die Formulare waren gleich, die tona.. Die Dings waren gleich.
01:19:35 Und ich, und die erste Arbeit, die wir hatten, die ich mitgemacht hab' war, die schlimmen Nazis dingfest zu machen.
01:19:46 Wie meinetwegen den Luftschutzwart, der gesagt hat, "ich hab' gehört, abends, wie die BBC London hören", oder meinetwegen, was so...
01:19:55 {ahmt die Paukenschläge des deutschen Dienstes der BBC nach}
01:19:59 ...angezeigt sind, verhaftet worden, ins KZ gekommen... Also es gab 'ne ganze Masse, die verfolgt werden mussten.
01:20:08 Das ist der kleine Unterschied, meiner Meinung nach, gewesen, ich weiß nicht,
01:20:14 ob mit so 'ner Gründlichkeit im Westen das gemacht wurde. Also hier ist es...
01:20:18 IV: Also da war sozusagen die DDR schon gegründet, als Sie bei der Kripo waren dann?
01:20:22 JS: Nö... {JS und IV durcheinander} Noch nicht... Nein, nein.
01:20:28 IV: Also noch sowjetische Besatzungszone...
01:20:29 JS: Ja, ja, das war. Also, es gab genug zu tun bei der Kripo, Überfälle und alles Mögliche. Und nachts um, um 11 Uhr war Sperrstunde.
01:20:40 Also, da mussten sie alle zuhause sein. Frei.. Ja. Aber, und dann hab' ich die Sprossenleiter bei der Kripo gemacht, ich...
01:20:59 Das war mein, das war mein Beruf. Ich wollte eigentlich was ganz anderes machen.
01:21:03 Machen wollte ich Reporter. Sportreporter. Das lag mir. Also ich konnte Fußball.. Sportübertragungen regelrecht...
01:21:18 Und ich hab' mal, in der Schule war ein Aufsatz, Thema hieß {überlegt}
01:21:30 Es ist schlimm. Äh, Sport.. Radiobericht vom Autorennen, so ähnlich.
01:21:41 Und ich kannte die Fahrer alle, ob es Hans Stuck war, Caracciola, wie sie hießen. Und ich hab' 'n Aufsatz geschrieben,
01:21:52 Und dann wurden die Aufsätze wieder zurückgegeben, und da hat er gesagt, der Lehrer:
01:21:57 "Dieser Aufsatz ist in der Schulleitung schon einmal vorgelesen worden.
01:22:04 Und in der Parallelklasse auch. Und jetzt les' ich euch den Aufsatz vor."
01:22:09 IV: Weil der so gut war.
01:22:12 JS: Aber, war aber wirklich gut, ich weiß noch manche Sätze: "das satte Grün leuchtete darüber, und die schleu..
01:22:19 Wunderbaren Autos stehen schon startbereit..." Also, das war, da hab' ich mein.. Ich wollte wirklich...
01:22:26 IV: Sportreporter werden.
01:22:30 JS: Ich wollte Sportreporter werden. Ja.
01:22:32 IV: Aber später wurde dann doch die Kripo Ihr Leben, oder Ihre Berufung.
01:22:35 JS: Ja.
01:22:38 IV: Das wollten Sie dann ja auch.
01:22:40 JS: Ja, das wollte ich auch. Ich hab' dann Jura studiert, und Diplom..
01:22:49 Ich bin Diplomjurist. Und das, das machte mir Laune. Also, dieses..
01:23:00 Zuletzt war ich verantwortlich für die Aufklärung von Mord und Totschlag,
01:23:09 Schwere Vergewaltigung und vor allen Dingen... fehlt mir schon wieder die Worte...
01:23:18 IV: Also jede Form von Gewaltkriminalität, an sich... Also...
01:23:21 JS: Ja.
01:23:24 IV: Und das haben Sie bis zu Ihrem, äh...
01:23:27 JS: Äh, bis zum...
01:23:29 IV: Rentenalter, oder so...
01:23:30 JS: Ja. Und der General, der sagte.. Der war aus dem Potsdamer Raum, sprach aber ganz berlinerisch: "Je nu, der Sonder..."
01:23:45 So hat er mich angesprochen, "häng' Se doch noch zwei, drei Jahre an." Ich hab' gesagt:
01:23:52 "Genosse General, meine Frau darf in Rente gehen, ich möchte eigentlich.."
01:24:03 Ich darf auch, man hat die ehemaligen Häftlinge, durften zwei Jahre eher glaube ich, gehen. Ich weiß nicht mehr genau, wie es war.
01:24:13 "Na dann gehen.. Na dann hörn Se eben auf bei uns, alles Gute wünsch' ich Ihnen noch." Hm.
01:24:22 Und dann haben wir ein paar schöne Jahre noch gehabt.
01:24:27 Die Frau war die Chefin, wo ich sie kennengelernt hab', im Raum Chemnitz - Kindergarten.
01:24:35 War verantwortlich. Und dann hat sie, is' sie sehr schwer krank geworden, und dann hat sie so 'ne Kita bekommen.
01:24:45 War nicht mehr die Chefin in Chemnitz, sondern Kita, und das machte sie bis zu, bis zum Ende.
01:24:53 Ja. Oder kurz vor dem Ende. Ja.
01:24:58 IV: Ja, trinken.. Trinken Sie nochmal einen Schluck... Ich trink' auch einen...
01:25:06 Ich möchte nochmal so'n bisschen zurückgehen, äh, also irgendwann wurde ja aus der sowjetisch besetzten Zone die DDR.
01:25:15 Die DDR hat sich gegründet, äh, wie haben Sie das erlebt? Hat sich da was geändert für Sie?
01:25:20 JS: Gar nischt.
01:25:21 IV: Gar nichts...
01:25:22 JS: Also für mich... kann ich mich nicht entsinnen. Ja, es is' sieben.. Wann war das? 7.10.49 glaube ich.
01:25:36 Ach so, äh, ich war nicht in der FDJ. Erst als ich erfahren hab', dass es keene Erfindung der DDR,
01:25:53 sondern, die FDJ ist in London gegründet worden, hab' ich gesagt: "Da tret' ich ein."
01:26:02 Also ich wollt'.. Die wo noch vor ‘n paar Wochen Hitlerjungs oder BDM-Mädels waren..
01:26:09 Nein, die sind in England aus der Taufe gehoben worden.
01:26:15 Freie deutsche Jugend, auch die Fahne, und dann bin ich rein, und das war.. Ich bin a bissel hofiert worden.
01:26:24 Die wussten, dass ich im Lager war. Und dann bin ich gleich in 'ne Leitungsfunktion gekommen.
01:26:31 Leitung, aber Kultur. So. Und wir haben Ausflüge gemacht oder Wanderungen gemacht oder...
01:26:43 Politisch war nicht viel. Ja, man is', ich hab' mal einen..
01:26:53 Ach, es gab bei der FDJ ein Abzeichen für gutes Wissen. Und das war..
01:27:02 Die Bedingungen waren sehr, sehr schwer.
01:27:06 Und die Polizei in Chemnitz wollte, dass sie mit die ersten sind, die dieses, diese Medaille bekommen haben.
01:27:20 Und stellten uns acht Tage von der Arbeit frei, zwei Mann.
01:27:26 Den FDJ-Sekretär Gerhard Wallussek, so hieß er glaube ich, und ich von der Kripo.
01:27:35 Und wir, wir machten alles Mögliche, lernten, lernten, lernten, lernten, und was man auswendig...
01:27:43 Also mit einem Wort, die Prüfung wurde in Halle abgenommen.
01:27:49 Wir fuhren früh nach Halle, und dort musste man einen gewählten Aufsatz schreiben, aber das hab' ich auch gemacht.
01:28:00 Und wir besch.. Wir bekamen das Abzeichen für gutes Wissen. Das erste Abzeichen für Chemnitz. Für gutes Wissen in Gold.
01:28:11 Und wir waren so besessen, auf dieses Gold, haben wir ja erarbeitet, dass ich in Leipzig, wir hatten 'ne Stunde Aufenthalt,
01:28:21 Sind wir beide auf das Postamt gegangen und haben wir beide nach Chemnitz an die Polizeidirektion ein Telegramm geschickt:
01:28:32 "Zwei Mal Gold. Gerhard und Justin."
01:28:38 So stark war das. Wir bringen, was wir können, wir sind da für die Sache... Ja.
01:28:47 IV: Der starke Wille. Sie haben ja gesagt, willensstark und zielstrebig.
01:28:50 JS: Ja, ja, der andere machte auch mit. Er, er, der Gerhard. Ja.
01:28:58 IV: Denken Sie jetzt denn in Ihrer Zeit, sozusagen ja auch Ihrer beruflichen Karriere und des normalen Alltagslebens..
01:29:04 War das irgendwie noch ‘n Thema, dass Sie an sich Jude sind?
01:29:08 JS: Nein. Ich bin Atheist, ich hab'.. Wie hab' ich mal gesagt? Ach, ich hab' in Würzburg gesprochen.
01:29:19 Wahnsinnig große Veranstaltung. Und die Zeitung in Würzburg, oder Kitzingen, ich weiß es nicht, hieß Mainpost.
01:29:33 Und die Mainpost schrieb, Balkenüberschrift: "In Auschwitz ging ihm der liebe Gott verloren" So ähnlich.
01:29:43 Das war die Balkenüberschrift. Da war, ja, hat mich nicht gestört. Muss ich ehrlich sagen.
01:29:50 IV: Aber, ich meine jetzt auch gar nicht unbedingt persönlich für Sie, sondern in der Wahrnehmung von außen.
01:29:56 Weil viele jüdische Überlebende, die haben ja gesagt, sie wollen in Deutschland nicht leben, sie wollen weg...
01:30:01 JS: Ach so, da muss ich dann schon...
01:30:03 IV: ...weil sie quasi diskriminiert werden, oder immer noch schlecht angesehen werden, kam da von außen.. War das irgendwie für andere ein Thema?
01:30:09 JS: Nein. Da muss ich aber zurück ins Lager nochmal gehen. Im Lager waren wir 'ne Gruppe deutscher Jungs. Wo ich war.
01:30:20 Breslauer, St.. Bayerische, München und alles Mögliche, Chemnitz natürlich auch, Leipzig, Dresden...
01:30:29 Wir haben gesagt, wir wollen nach Deutschland. Im Lager! Im Lager haben wir das gesagt. Wir, die, die haben uns für verrückt erklärt.
01:30:38 Wir wollen nicht ins Ausland, wir wollen nicht nach Amerika, wir wollen nicht nach.. Israel gab's nicht, Palästina. Wir wollen in Deutschland...
01:30:46 Und wir wollen studieren, wir wollen, wir wollen ein gutes Deutschland aufbauen. Es klingt heute alles pathetisch, aber es ist wahr.
01:30:55 Und die, die haben uns an den Kopf gegriffen, die anderen. Äh, und wir haben das gemacht. Und jedes Jahr haben wir uns einmal in Berlin getroffen.
01:31:05 Als wir verheiratet waren, haben wir uns wieder getroffen, äh. Und alle haben studiert, einer von uns hat promoviert, es sind alle in Deutschland geblieben.
01:31:18 Die, die kleine Gruppe, wir waren wesentlich weniger als die religiösen Leute. Die sogar während ihrer Haftzeit gefastet haben.
01:31:29 Sind früh zur Arbeit und bis zum Fastenbrechen haben sie die Schwerarbeit gemacht, das haben wir, war... {schüttelt Kopf} ...war ich nicht dabei. Ja.
01:31:39 War ich nicht dabei. Ich gehörte auch keiner Gemeinde, ich bin Atheist. Muss ich ganz ehrlich sein. Ich werde manchmal eingeladen.
01:31:49 Mal gehe ich, mal gehe ich nicht, sie wissen, kennen meinen, meine Meinung zur Religion. Auch die jüdische Gemeinde in Chemnitz.
01:32:01 Das sind ja mehr aus Russland eingewanderte Juden. Aber ich hab' nichts mit der jüdischen Gemeinde. Ich werde manchmal eingeladen,
01:32:12 Auch von der Vorsitzenden. Ich hab' dort gesprochen, das, das Sprechen is' ganz schwer. Es wird 'ne deutsche Frage gestellt,
01:32:23 dann wird Russisch übersetzt, dann wird meine Antwort wieder in Russisch, ach Gott...
01:32:30 Aber die Frau, Vorsitzende der Gemeinde, ich weiß nicht, ob Sie das wissen... Is' 'ne Deutsche. Und der Mann ist, ich glaube Christ.
01:32:42 Wie so oft die sogenannten Mischehen, in Sachsen, ganz stark waren. Schon während meiner Kindheit hab' ich viele kennengelernt.
01:32:56 Jungs und Mädels aus 'ner Mischehe.
01:32:59 Da haben die Eltern beschrieben, wir wollen das das Kind christlich erzogen wird oder so.
01:33:07 Oder die haben gesagt, sie wollen, dass die jüdisch erzogen werden.
01:33:13 War aber in Unterfranken unmöglich. Oder in Franken. Was hier gang und gäbe war bis nach Berlin hoch, also da war das einfach.
01:33:25 Die haben, ich hab' 'n Freund gehabt, der hieß Erich, der Vater war Jude und die Mutter war Christin. Der hatte eine Schwe.. Der hatte zwei Schwestern.
01:33:37 Da war das ähnlich: Die eine ist christlich erzogen worden... Es war ein Durcheinander. Und die haben Chan.. Die haben Weihnachten gefeiert.
01:33:47 Und, und Chanukka, ein Lichterfest. Und da entstand das schöne deutsche Wort: Weihnukka.
01:33:55 Ha, wenn man das Wort Weihnukka hört, das ist 'ne Veralberung. Ja.
01:34:03 IV: Jetzt vielleicht so abschließend noch so'n paar Fragen. Sie haben ja erlebt sozusagen, wie aus Nazideutschland, oder einem Teil, die DDR wurde.
01:34:12 Und Sie haben ja dann auch die Wende und die Wiedervereinigung erlebt.
01:34:17 Äh, hat sich da was in Ihrem Leben verändert, wie haben Sie das wahrgenommen? So, also die letzten 25 Jahre?
01:34:25 Irgendwie so, oder auch die Veränderung in der Gesellschaft... Hat das auch für das Leben von jüdischen Menschen was geändert?
01:34:31 JS: Na, ich meine, ich hab' ja mit den jüdischen Problemen... War nicht mehr für mich.
01:34:38 Äh, also ich hab' das begrüßt, die deutsche Einheit.
01:34:43 Und, und auch in meinen Vorträgen, da war noch gar nicht dran zu denken, hab' ich den Jungs und Mädels gesagt:
01:34:52 "Leute, ihr braucht nicht nach Jamaika zu rammeln. Wir haben ein wunderschönes Land.
01:34:59 Liebt Deutschland... Und in Deutschland darf nie wieder Krieg..." Also ich hab' gefleht.
01:35:05 Das ist auch der Grund, im Großen und Ganzen, warum ich Ehrenbürger geworden bin. Das hab' ich gar nicht registriert.
01:35:12 Aber die Stadt hat registriert, in wieviel Schulen ich war, in wieviel..
01:35:18 Vor wieviel Kindern ich gesprochen hab', und dann... Das war der Grund.
01:35:22 Also dann, Ehrenbürgerschaft entspricht dem Wirken, was ich in den Schulen gemacht habe, in vielen Schulen. Ja.
01:35:31 IV: Und ist es Ihnen nie schwer gefallen, darüber zu reden?
01:35:36 JS: Nein.
01:35:37 IV: Es gab ja Leute, die wollten ihr ganzes Leben nicht mehr drüber reden...
01:35:40 JS: Doch, ich hab' mich, ich hab' das ihnen gesagt, ich muss aus der, meiner Jugendzeit.. Ich bin mit 17 dorthin gekommen.
01:35:50 Und hab' Selektionen, äh denn.. dargestellt und aber auch gesagt, dass meine Mutter ermordet worden ist. Und ich, und ich sage, was ich hier mache,
01:36:01 ist alles im Ange.. Im Gedenken an meine wunderbare Mutter, die ermordet worden is'. Die is' grausam ermordet worden.
01:36:11 Wer da denkt, der Gastod is' einfach und schnell, der irrt gewaltig. Sie kämpfen fürchterlich ums Überleben, die machen die verrücktesten Sachen.
01:36:22 Kann man gar nicht schildern. Und immer wenn, ich hab' gesagt, wenn 'ne Frage kommt zu meiner Mutter, lehne ich ab.
01:36:32 Also das hab' ich nicht beantwortet. Was hab' ich noch? Ah, zwei Sachen... Ach, und eine zweite Sache lehne ich ab: Wenn sie gesagt haben...
01:36:40 "Wissen Sie, Sie haben gesagt, die werden erschossen. Die Häftlinge sind erschossen worden,
01:36:46 sind vergast worden, was gab's denn noch für Totungs.., Tötungsarten?"
01:36:50 Und dann sag' ich: "Ich kenn' sie, ich teile sie Ihnen aber nicht mit. Zu meinem Schutz und auch zu Ihrem Schutz." Darüber spreche ich nicht.
01:37:01 Es ist fürchterlich, was ich an Todesarten in Auschwitz erleben musste. Also, das, das hab' ich auch eingehalten. Spreche ich nicht.
01:37:14 Und es kommt auch sehr, sehr selten vor. Ja, kommt selten vor. Aber ich sag' gleich: "Schenk ich euch."
01:37:24 Ja, ja. Kapitel für sich.
01:37:43 Eine Selektion ist... Kann man nicht darstellen. Und mein letzter Kapo von Auschwitz, ein Chemnitzer, hat auch überlebt. Ah, als Komponist. Ja.
01:38:09 IV: Ja, vielleicht einfach, nach auch diesen vielen schrecklichen Geschichten,
01:38:15 So wenn man auf die Jahre danach kuckt, was war dann so das Schönste in Ihrem Leben?
01:38:22 JS: Das Kennenlernen meiner Frau. Sag ich ganz ehrlich.
01:38:27 Also erstma' hat die Polizei ein Ensemble aufgebaut. Ich musste nicht mehr Polizist spielen.
01:38:40 Sondern war nur noch... Man hat uns alle, die sich freiwillig gemeldet haben, geprüft. In Erhol.. In einem Erholungsheim der Polizei.
01:38:53 Auf unsere Stimme. Und haben gesagt, wir wollen ein Ensemble aufbauen. Aber jede Stimme wurde e.. Wirklich von einem Musiker geprüft.
01:39:06 Und gleich an Ort und Stelle wurde gesagt zu mir: "Der Bass geht, du wirst genommen.
01:39:14 Zum bestimmten Zeitpunkt musste dort und dort sein."
01:39:19 Und zu den anderen hat man gesagt: "Du kannst wieder nach Hause fahren. Das dau.. Das geht nicht." Ja, und dann wurde das Ensemble...
01:39:30 Nannte sich Republikensemble der deutschen Volkspolizei. Ein Klangkörper ersten Grades.
01:39:38 Ich hab' die ganze DDR mit dem Ensemble..
01:39:44 Jeden Tag, in Plauen, in Chemnitz, vor Hunderten, vor zehntausend Zuschauern. Ja, bis zum Ende.
01:39:53 Und dann hat man uns gesagt, wo das Ende, nach einem halben Jahr: "Ihr könnt jetzt richtige Profis werden.
01:40:05 Dieses Ensemble tritt dann in Deutschland auf, in Ausland auf, oder ihr geht zurück." Und da hab' ich gesagt:
01:40:14 "Mit mich braucht ihr gar nicht weiter reden, ich war schon bei der Kripo, ich möchte wieder dorthin.
01:40:21 Ich hab' mit dem, mit dem Ensemble will ich nichts mehr zu tun haben."
01:40:25 Also, so'n bissel, so ähnlich hab' ich gesprochen. Und da hab' ich wieder angefangen bei der Kripo. Ja.
01:40:32 IV: Also zwischendurch waren Sie praktisch, richtig fast vollberuflich in diesen... So 'ne Art Polizeichor oder so, dieses Ensemble...
01:40:39 JS: Es war ein Ensemble, ein richtiges Ensemble.
01:40:41 Ja, ja, war ich drin, aber das war vielleicht ein halbes Jahr. Ja, war schöne Zeit. Wir waren jung. Ja.
01:40:50 IV: Und Sie haben gesungen.
01:40:54 JS: Ich hab' nur gesungen.
01:40:55 IV: Welche Stimmlage?
01:40:56 JS: Bass.
01:40:57 IV: Bass.
01:40:58 JS: {unverständlich} Bin ich hier ja, bin ich zu dem Chor gekommen hier. Hier wurde auch einmal im, im bestimmten Zeit...
01:41:08 Also, äh, das war ein Klangkörper ersten Grades. Ja. Wunderbar.
01:41:14 Und, da hab' ich so lachen müssen, wie hieß der große Sänger von drüben, Westen?
01:41:22 Wie der gesagt hat, ihr seid ja gar keine, ihr habt ja bloß Lieder aus der Sowjetunion gesungen...
01:41:28 Und, und, und, das stimmt nicht, natürlich. Wir haben ganz uralte deutsche Lieder gesungen. Ich kann mich erinnern: "Schwefelhölzle"
01:41:38 Das ist ein sagenhaft altes deutsches.. {singt}
01:41:41 Schwefelhölzle, Schwefelhölzle muss mer han. Schwefelhölzle, Schwefelhölzle, um Feuer machen kann.
01:41:48 Lalala, lalala... Na, das war...
01:41:51 Also die Zeit, das is' natürlich Unsinn gewesen, was der gesagt hat. Nein, nein, das waren deutsche Volkslieder.
01:41:58 IV: Und das ist 'ne schöne Erinnerung für Sie.
01:42:00 JS: Das ist 'ne wunderbare Erinnerung. Also, da... Freies Leben gewesen. Ja.
01:42:07 IV: Jetzt, zum Abschluss, das Mittagessen wird schon langsam kalt, befürchte ich...
01:42:12 JS: Aber haben wir denn über Flossenbürg...
01:42:14 IV: Haben wir, da haben wir genug geredet. Das ist...
01:42:17 JS: Haben wir genug geredet... Ja.
01:42:20 IV: Mich würde jetzt noch interessieren, zwei Sachen. Was wünschen Sie sich noch für Ihr Leben? Und was... Sie sich persönlich.
01:42:30 Und was wünschen Sie Deutschland für die Zukunft?
01:42:34 JS: Also, so.. 'Ne Einheit. Ich wünsche, dass kein Krieg mehr ausgeht von Deutschland. Dass Frieden herrscht. Dass die gegenwärtigen Dinge,
01:42:50 die ich ab und zu mal höre, die menschenfeindlich sind, die antisemitisch sind, die Ausländerhass predigen, dass das..
01:43:00 Das wünsch' ich mir, dass das aufhört.
01:43:03 Dass das untersagt wird, dass es - da muss ich sagen - bekämpft wird. Das darf es nicht in Deutschland geben.
01:43:10 Ein zweites Auschwitz darf es nicht geben. Und ich denke auch, es ist die Kraft vorhanden, und ich, ich glaube, dass das gelingt.
01:43:22 Aber es müssen schon viele Leute mitmachen. Müssen sehr viele Leute mitmachen. Ja, das wünsch' ich mir für Deutschland. Für mein Heimatland. Ja.
01:43:32 IV: Und für sich persönlich?
01:43:36 JS: Na, noch ein paar gute Jahre. Es ist, ich, ich hab' ja noch niemand groß kennengelernt, weder ein Mann noch eine Frau.
01:43:48 Wenn man, wenn ich hier lieg', und bevor ich einschlaf', ich sag, mein Sohn, der ruft mich jeden Abend an, aus‘m Stuttgarter Raum.
01:43:58 Und dann sag' ich: "Die erste Zeit denk' ich immer noch an die Mutter." {nickt} Die gestorben ist.
01:44:07 Ich war echt ein Mann, der die Frau geliebt hat. Wie man einen Menschen lieben kann, also das is'... Schade. Ja.
01:44:26 Meine Tochter is' Lehrerin, ganz schwer in der Schule. Die heißt "Am Zeisigwald", in Chemnitz. Und diese Schule hat den Untertitel:
01:44:44 "Für Schwererziehbare". Also, was die zu hören bekommt und zu sehen bekommt, und erleben muss, is' viel. Ja.
01:44:57 IV: Aber die is' ja dann in Ihrer Nähe, wenn sie in Chemnitz ist. Die Tochter.
01:45:03 JS: Die besucht mich oft, ja.
01:45:05 IV: Das ist doch schön.
01:45:06 JS: Ja, ja. Das ist wunderbar. Und ein Sohn, der spricht bloß Englisch, beruflich, in Berlin, Nachzügler. Also der is' zehn Jahre jünger als die anderen Kinder.
01:45:21 Und der andere hat promoviert, mein ältester Sohn, hat ‘n Doktor gemacht, und is' auch so Ding, äh, Spezialgebiet, äh, Spezialgebiet Englisch.
01:45:42 Einsatzgebiet der Nahe Osten. Israel nicht, äh, die anderen Länder. Ja. Und dann fehlt mir wieder der Faden.
01:46:02 IV: Äh, die Kinder, wie es einem geht... Aber... Und insgesamt, wenn Sie zurück gucken, ein gutes Leben?
01:46:15 JS: Ich würde sagen, ich möcht' die erste Hälfte nicht noch einmal erleben. Das war zu.. Ich war ja auch im Kinderheim.
01:46:26 Meine Mutter war so schwer krank, ist, ich glaube, vier Mal operiert worden, und mein, durch die Arbeit meines Vaters,
01:46:37 der nicht zuhause seinen Beruf hatte, sondern ich musste ins Kinderheim. Die, das Kinderheim war auch ein Ort meiner Erziehung.
01:46:48 Also ich hab' mich untergeordnet. Im Kinderheim muss man sich unterordnen. Da kann man nicht hier Wild West spielen.
01:46:55 Und alles, was ich vorgeschlagen hab', musste die Oberin, so hieß die, bestätigen.
01:47:04 Zum Beispiel: Manche Kinder, also ich gehörte nicht darunter, hatten noch Päckchen bekommen.
01:47:13 Das war so vorübergehend. Und dann hab' ich gesagt: "Die Masse kriegt keine Päckchen. Du hast aber einen Karton bekommen mit Kuchen und Äpfel.
01:47:27 Ich schlage vor, wir machen eine Süko", was heißen soll: Süßkost-Kiste.
01:47:38 IV: Für alle, praktisch.
01:47:39 JS: Ja. Gib was ab. Die Masse kriegt ja kein Päckchen. Und das musste erst die Oberin bestätigen. Und, und so ist die Süko entstanden. Ja.
01:47:54 Und ich hab' noch ‘n Vorschlag gemacht. Der is' halb und halb durchgegangen. Ich wollte, dass wir uns selber erziehen. Also spielerisch.
01:48:09 Äh, ich war der Staatsanwalt, andere haben den Richter gespielt. Jetzt haben wir..
01:48:19 Und der hat.. Also, ich weiß, der Junge hat bei den Mädels mal oben ins Bad geguckt, also...
01:48:27 Das ist ruchbar geworden, und jetzt sollten wir.. Und dann haben wir den.. Das ist nicht durchgegangen bei der Oberin.
01:48:36 Wir wollten den nach Naziart in Bann legen. Also keiner durfte mit dem mehr sprechen. Und dieses Urteil hat die Oberin nicht bestätigt.
01:48:48 Dagegen, ein anderes, wie der einmal ins Waschraum geguckt hat, bei ‘n Mädels, oder, oder Baderaum, durch ‘n Fenster...
01:48:58 Da hat er die Schuhe putzen müssen für alle. Das is' bestätigt worden. {lacht}
01:49:05 IV: Aber das zeigt ja, dass Sie schon sehr früh ein soziales Bewusstsein hatten.
01:49:09 JS: Naja...
01:49:10 IV: Also nicht nur an sich gedacht, sondern auch an andere. {sprechen durcheinander} ...soziale Gerechtigkeit...
01:49:15 JS: Durch das Kinderheim. Das Kinderheim, schlechtes Essen, armselig, armselig, könnt ihr nicht mehr vergleichen mit heute.
01:49:25 Um Gottes Willen, Ostern '38... Meine Mutter hat mir immer 'n paar Ostereier geschenkt, und ein bissel Gelee so, Gellee-Ei.
01:49:39 IV: Gelee-Ei...
01:49:41 JS: Ja, Gelee-Eier. Und die hatten so gut wie gar nichts. Das war so armselig, ach... Also, die Zeit möcht' ich eben nicht mehr wiederholen.
01:49:53 Ja, die Lagerzeit natürlich auch nicht, aber sonst, ansonsten, hab' ich eine wunderbare Ehe geführt, Kinder haben alle studiert,
01:50:06 Alle Kinder studiert, ja.
01:50:12 IV: Jetzt haben Sie die Kurve aber noch gut gekriegt, mit der Frage.
01:50:17 Die erste... Jetzt haben Sie aber gut die Kurve in der Frage noch gekriegt, wie das Leben war: Erste Hälfte nicht mehr, aber die zweite war gut.
01:50:27 JS: Ja. Jaja.
01:50:29 IV: Gut. Und dann machen wir jetzt einfach Schluss und ich bedanke mich. Vielen Dank.
01:50:35 JS: Ist in Ordnung.
01:50:36 IV: Vielen Dank. Das war sehr... {unverständlich im Hintergrund}
01:50:38 JS: Jetzt wollen die Schwestern.. Haben, oder wie ihr wo..