Media Collection "Interview Justin Sonder 2018"
AGFl_0216
Video 01:50:40
11/10/2018
Chemnitz
Chemnitz
Campo di concentramento di Flossenburg
Campo di concentramento di Auschwitz III Monowitz
Ghetto Theresienstadt
Stadt Kitzingen
Stadt Dresden
Stadt Würzburg
Campo di concentramento di Auschwitz II Birkenau
Stadt Gleiwitz
Stadt Weißenfels
Markt Floß
Stadt Hof
Stadt Breslau
Campo di concentramento di Dachau
Stadt München
Stadt Plauen
Deutschland - Sowjetische Besatzungszone
Stadt Chemnitz
Stadt Zwickau
Stadt Halle
Stadt Leipzig
Stadt Berlin
Campo di concentramento di Auschwitz III Monowitz
Ghetto Theresienstadt
Stadt Kitzingen
Stadt Dresden
Stadt Würzburg
Campo di concentramento di Auschwitz II Birkenau
Stadt Gleiwitz
Stadt Weißenfels
Markt Floß
Stadt Hof
Stadt Breslau
Campo di concentramento di Dachau
Stadt München
Stadt Plauen
Deutschland - Sowjetische Besatzungszone
Stadt Chemnitz
Stadt Zwickau
Stadt Halle
Stadt Leipzig
Stadt Berlin
Membri della SS
Prigionieri dei campi di concentramento
Prigionieri-guardia (Kapò)
Resistenza
cþr2ê
Pacchi dei prigionieri
Baracche dove erano alloggiati i prigionieri
Arrivo al campo di concentramento
Lavoro forzato dei prigionieri dei campi di concentramento
Morire e morte nel campo di concentramento
Prigionieri di guerra
Marce della morte
Liberazione
Prigionieri dei campi di concentramento
Prigionieri-guardia (Kapò)
Resistenza
cþr2ê
Pacchi dei prigionieri
Baracche dove erano alloggiati i prigionieri
Arrivo al campo di concentramento
Lavoro forzato dei prigionieri dei campi di concentramento
Morire e morte nel campo di concentramento
Prigionieri di guerra
Marce della morte
Liberazione
Interview mit dem KZ-Überlebenden Justin Sonder
- Gedicht "Loreley" 1934 ohne Verfasser - Heinrich Heine als Autor unerwünscht
- Keine Erlaubnis für das Gymnasium
- Fußballturnier in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele '36 - Antisemitische Beschimpfungen statt Siegerehrung
- Reichspogromnacht 1938 - Brennende Synagoge auf dem Kaßberg
- Gescheiterter Auswanderungsversuch
- Zwangsarbeit des Vaters - Beschulung auf dem Friedhof
- Verhaftung der Eltern - Im Personenzug nach Theresienstadt
- Hilfe von Lebensmittelhändlern - Exkurs: Schicksal des Butterhändlers
- Exkurs: Widerstand während des Nationalsozialismus
- Verhaftung im Februar 1943 durch die Gestapo - Untersuchungshaft in der Hartmannstraße in Chemnitz
- Exkurs: Geschichte eines Mithäftlings im Untersuchungsgefängnis
- Deportation von Dresden nach Auschwitz - Ankunft in Auschwitz
- Ankunft in Auschwitz III Monowitz - Postkarte an die Tante
- Empfang eines Päckchens aus der Heimat - Exkurs: Der Kinderarzt Dr. Otto Jäger in Chemnitz
- Aufnahmeprozedur in Monowitz - Exkurs: "Berufsverbrecher" als Häftlingskategorie
- Freundschaft mit Funktionshäftling Max aus Chemnitz - Verhalten bei Selektionen
- Ankunft und Selektion in Flossenbürg
- Einteilung auf Block 19 - Vollkommene Überfüllung des Lagers
- Befehl zur Säuberung der Wachtürme - Blick auf gestapelte tote Häftlinge im Lager
- Reinigung der SS-Unterkünfte und andere Arbeiten im Lager
- Gescheiterter Kleiderschmuggel ins Lager - Schwere Misshandlung zur Strafe
- Evakuierung aus Flossenbürg - Essenssuche in Floßer Schule und Fliegerangriff
- Ermordung von zwei Mithäftlingen am Bahnhof in Floß
- Befreiung durch die Amerikaner am 23. April 1945
- Essen neben toter Wirtin im Gasthof "Zur Sonne" - Fund der toten Wirtstochter im Keller des Gasthofs
- Ohne Papiere von den Amerikanern in Hof verhaftet - Suche nach SS-Tätowierungen
- Entlassung und Versorgung im Gasthaus - Wiedersehen mit dem Vater
- Rückkehr ins zerstörte Chemnitz
- Eintritt in die SPD - Hilfe durch die SPD-Familie und erneute Heirat des Vaters
- Einstieg in den Polizeiberuf - Einsatz auf dem Polizeirevier 7 und Durchsetzung der Sperrstunde
- Aufnahme bei der Kripo - Verfolgung von Naziverbrechern
- Exkurs: Ursprünglicher Berufswunsch Sportreporter - Schulaufsatz über Autorennen
- Jurastudium - Zuständigkeit bei der Kripo für Gewaltdelikte bis zur Rente
- Beruf und schwere Krankheit der Ehefrau
- Gründung der DDR - Eintritt und Tätigkeit in der FDJ
- Erstes FDJ-Abzeichen für "Gutes Wissen" in Chemnitz - Freistellung von der Arbeit
- Geringe Bedeutung der Religion - Exkurs: Wunsch nach Aufbau eines besseren Deutschlands bereits im KZ
- Kaum Verbindungen zur jüdischen Gemeinde in Chemnitz - Exkurs: "Mischehen" in Sachsen vor dem Krieg
- Freude über die deutsche Einheit - Ehrenbürgerschaft der Stadt Chemnitz
- Vorträge an Schulen im Gedenken an die Mutter - Tabus des Erzählens
- Mitwirkung im Republikensemble der deutschen Volkspolizei
Originator/Copyright holder | Medienwerkstatt Franken |
---|---|
Source(s) | KZ-Gedenkstätte Flossenbürg / Medienwerkstatt Franken |
Usage conditions | Nur mit Einverständnis und Nennung von Archiv bzw. Urheber |
Display format | Interview, Rohmaterial |
Interviewer | Michael Aue |
Camera | Günter Wittmann |
Subtitles for "AGFl_AV.22.1165.mp4"
00:00:00 | Interviewer: Ja, wir sind heute in Chemnitz, es ist der 11. Oktober 2018 und wir sprechen mit Justin Sonder. |
00:00:08 | {unverständlich} Gut, ja... Und wir laufen. Herr Sonder, ich fände es schön, am Anfang, wenn Sie wirklich vielleicht ein bisschen |
00:00:32 | über Ihre Kindheit und Jugend und Ihre Familie erzählen, damit wir so'n bisschen wissen, äh, wo die Geschichte mal anfing. |
00:00:40 | Justin Sonder: Ich bin am 18. Oktober 1925 in Chemnitz geboren. Ich hab' meine Kindheitserinnerungen noch an Chemnitz. |
00:00:51 | Wir wohnten in der Lindenstraße, meine Eltern und ich. Ich hab' keine Geschwister. |
00:00:56 | Und vis à vis, einen Steinwurf entfernt, war das große Kaufhaus Schocken. |
00:01:02 | Und im, im Winter, wenn es kalt war, sind wir Jungs zum Aufwärmen in das Kaufhaus Schocken gelaufen. |
00:01:09 | Aber deren {unverständlich, Aufsicht} haben das nicht gerne gesehen, von Schocken. |
00:01:14 | Und haben uns des Hauses verwiesen. Wir sind an der einen Türe rausgeflogen und an der anderen sind wir wieder reingegangen. |
00:01:21 | Also das war... so Usus dort. Chemnitz war bekannt durch den sogenannten Brückenmarkt. |
00:01:31 | Ein wunderbarer Markt, der zweimal in der Woche, oder dreimal, aufgebaut worden is'. |
00:01:37 | Einmal gab's Gemüse und Obst - also der grüne Markt - und anders Mal war's 'n anderer Markt, der uns nich' gefallen hat. |
00:01:46 | Schnürsenkel, Schuhcreme, und was weiß ich, Strümpfe und solche Sachen. |
00:01:50 | Das war für uns nicht der Markt, aber der andere, war wirklich ein toller, äh, städtisches Unternehmen. |
00:01:58 | Was jeden.. am Tag.. jede Woche auf- und abgebaut worden ist. So, das war.. |
00:02:06 | In der Schule, ich war ein... guter Schüler, kann ich wirklich sagen. |
00:02:12 | Und ich habe eine Zen.. Eine Note immer mitgenommen bis zum letzten Tag der Schule, das war Zeichnen. Das war nich' mein Fach. |
00:02:25 | IV: {lacht} |
00:02:27 | JS: Also, äh, ich bin... Die Drei war geschmeichelt. Weil die anderen Noten gut waren, hab' ich das Gefühl gehabt, die... |
00:02:34 | Lehrer wollten mir keine Vier geben. In Wirklichkeit war's 'ne Vier. Also, also das war... |
00:02:40 | Ansonsten, ich hab' Geschichte geliebt, das war... beson.. besonders, hab' ich das gerne gemacht. |
00:02:49 | Ich hab' mir viel merken können, das war mein Vorteil. Also, so war die Schule. Dann... |
00:02:54 | IV: Ihr Elternhaus, was waren Ihre Eltern? Von Beruf, waren es... |
00:02:58 | JS: Mein, mein Vater.. Meine Eltern kamen aus Franken. Und Franken is' verbunden mit Wein. |
00:03:06 | Und mein Vater hat für eine Kitzinger Firma... {niest} Ohje... 'Tschuldigung. |
00:03:16 | IV: Kein Problem, Gesundheit. |
00:03:18 | JS: ...Hat er die Vertretung gemacht, die nannten sich wirklich Vertreter. |
00:03:22 | Also es ist nicht wie heute, dass die Kunden eingeladen werden zur Weinprobe, das war nicht. |
00:03:28 | Die mussten... die großen Wein.. Weingroßhandlungen - der berühmte Bocksbeutel - der, der.. das ist ja nun der fränkische Wein. |
00:03:38 | Das musste den Leuten.. und wer waren die Kunden? Das waren auch keine armen Leute. |
00:03:44 | Das waren Ärzte, Professoren, sonst gut gestellte Leute, die... die einen schönen Schluck Wein haben leisten können. |
00:03:54 | Und mein Vater war eben für so eine Kitzinger Firma, da Vertreter. |
00:03:59 | Vertreter, war... ging von Dresden weg, bis nach Thüringen, |
00:04:08 | Und in die andere Richtung war wieder 'n anderer Vertreter, also wie gesagt, es war... abgestimmt. |
00:04:15 | Und Spesen wurden ersetzt und bezahlt. Und äh, aber es war eben ein Beruf, der nicht sesshaft war. |
00:04:25 | Also die mussten draußen fahren und die Firma vertreten, also Weine verkaufen, um es mal einfach zu sagen. |
00:04:34 | IV: Und Ihre Mutter? |
00:04:36 | JS: Meine Mutter war Hausfrau... |
00:04:37 | IV: Ja, Entschuldigung, ja... kleinen Moment, ich hab hier ständig ein Kratzen drauf... |
00:04:41 | Vielleicht das Kratzen von den Schuhen... {Frau unverständlich im Hintergrund} |
00:04:42 | IV: Aus dieser Weingegend... aus Franken, is' aber dann hier nach Chemnitz... gezogen. |
00:04:48 | JS: Ja... meine Mutter... ja... meine Mutter war Fränkin durch und durch. |
00:04:53 | Die sprach so, war Schönheitskönigin in den 20er Jahren vom Raum Würzburg. |
00:05:01 | Und sie war klug, eine kluge Frau. Ja. Was soll ich von meiner Mutter noch sagen? Sie ist ermordet worden. In Auschwitz. |
00:05:14 | IV: Mhm. Da kommen wir später... noch dazu... |
00:05:17 | JS: Ja, ja, genau. |
00:05:19 | IV: Und, und Sie waren ja.. entstammen ja aus einer jüdischen Familie... |
00:05:21 | JS: Ja. |
00:05:22 | IV: War das jetzt eine tief religiöse Familie... |
00:05:24 | JS: Nein. |
00:05:25 | IV: Oder wie war sozusagen weltanschaulich... auch, wie sind Sie da aufgewachsen? |
00:05:29 | JS: Also wie jede andere Religion war das auch so, sie.. es gab keine jüdischen Freunde. |
00:05:37 | Die sind einmal im Jahr, haben die die Synagoge besucht, ansonsten war nischt... gar nischt. Ja... |
00:05:47 | IV: Also es war an sich ganz weltlich... |
00:05:51 | JS: Ja, absolut, absolut. Ja... Also, sie war klug, sehr klug. Vater war auch klug. Also der war... belesen. |
00:06:00 | Also Bücher standen rum, und... Und auch belesen insofern, was nicht alltäglich war. Also meine Mutter hat Heine gekannt. |
00:06:11 | Und auch zitieren können. Und auf.. und besondere Sachen herausgestellt. Ich kann mich erinnern, |
00:06:18 | 1934 kam ich in die vierte Klasse, und es gab neue Le... Lese.. also Bücher. Unter anderen ein Le.. ein Liederbuch. |
00:06:34 | Und ganz vorne war ein, groß abgebildet, die Loreley. Ich weiß nicht, was soll es bedeuten und so weiter, dass ich so traurig bin. |
00:06:43 | Ein Märchen aus uralten Zeiten kommt mir heut in den Sinn. Und da drunter von dem Buch, die Loreley, und ganz klein geschrieben: Verfasser unbekannt. |
00:06:57 | No, also die Nazis haben 1934 das deutsche Volk schon mächtig hintergangen. |
00:07:05 | Wie die weg waren, hat meine Mutter gesagt: "Ich kenn' den Verfasser." Ich sag': "Wieso?" |
00:07:12 | "Das ist Heinrich Heine. Der wird heute nicht mehr genannt. Das ist der eigentliche Dichter gewesen der Loreley." |
00:07:20 | Äh ja. Das... das bleibt in Erinnerung, so 'ne Sache. Die Mutter sagt: "Ich kenn' den Verfasser." |
00:07:28 | {unverständlich} Im Buch steht: "Verfasser unbekannt". Also das war für uns, für mich als Kind... |
00:07:35 | IV: Da sind Sie ja schon bei so 'nem Thema, wie sich da in der Gesellschaft was verändert hat... |
00:07:40 | JS: Hm. |
00:07:41 | IV: ...durch die Nationalsozialisten. Können Sie sich erinnern... Sie sind ja '25 geboren, haben sozusagen praktisch als Kind und Jugendlicher |
00:07:49 | diese ganze Machtergreifung und die Veränderung der Verhältnisse in Deutschland wahrgenommen. |
00:07:54 | Haben Sie das bemerkt? Wie war das, hat sich etwas verändert... |
00:07:58 | JS: Als Kind habe ich, habe ich's nicht bemerkt. Es gab eine Situation, äh, in der Schule. |
00:08:08 | Ich gehörte zu den besten Schülern der Klasse. Und die... die genauso klug waren wie ich, sind... aufs Gymnasium gegangen. |
00:08:18 | Und da hab' ich meine Mutter gefragt: "Warum darf ich denn nicht auf's Gymnasium?" |
00:08:24 | Und meine Mutter hat mir was erzählt, dass wir kein Geld hätten. Das stimmt natürlich nicht. Damals hab' ich's geglaubt. |
00:08:31 | Aber heute weiß ich, ach Gott, ich durfte nicht. Die Nazis haben das untersagt, schon '34. |
00:08:39 | Dass ich das Gymnasium, eine erweiterte Schule, besuchen durfte. Das war die eine Seite. Dann, ich war wirklich, äh... |
00:08:51 | Wir schreiben das Jahr 1936, die Olympischen Spiele in Berlin stehen in Vorbereitung, |
00:08:59 | Und die Schulen haben alle was zur Eröffnung der Olympischen Spiele gemacht. |
00:09:05 | Wer ist der beste Sprinter, wer ist das, wer ist das, alles zu Ehren der Olympischen Spiele '36. |
00:09:15 | Und unsere Schule hat ein Fußballturnier ausgerichtet. Und da war der ganze, das Lehrerkollegium eingeladen. |
00:09:26 | Unsere Mannschaft, wo ich dabei war, wir schaff.. haben es bis zum Endspiel geschafft. |
00:09:32 | Und nun stand es.. das Endspiel in der Weißenschule {???}, die Straße gibt's heute noch. |
00:09:38 | Die Schule hatte einen kleinen Sportplatz. Und, ähm, {räuspert sich} unsere Mannschaft hatte nicht die Spur einer Chance. |
00:09:48 | Nach kurzer Zeit stand's 1:0 für die anderen. Und dann bin ich zu dem Turnlehrer, damals hieß es Turnlehrer, heute Sportlehrer. |
00:09:59 | Hingegangen und hab' gesagt: "Ich hab' bis.. ich bin Rechtsaußen, ich hab' noch keinen Ball erwischt." |
00:10:05 | Da hat er gesagt: "Du musst dich in die Mitte fallen lassen, selber 'n Ball erobern, und du kannst schießen, schieß aufs Tor." |
00:10:11 | Das hab' ich gemacht, und siehe da, tatsächlich, äh, stand dann 1:1. Aber am Ende stand's dann 4:1 gegen uns. |
00:10:21 | Und der Schulleiter rief zur Siegerehrung auf. Die siegreiche Mannschaft hat ihren zweifachen Torschützen auf die Schultern gehoben |
00:10:35 | Und die.. äh, wollten so zur Siegerehrung tragen. Und einer von unserer Mannschaft... |
00:10:42 | Der Schmerz hält bei zehnjährigen Jungs nicht so lange an: "Wir haben auch 'n Torschützen!" |
00:10:47 | Also, ich wurde auf die Schultern gehoben, es kam nicht zur Siegerehrung. |
00:10:52 | Der Direktor, Schuldirektor, Krause oder Kraus, ich weiß nicht mehr ganz genau, hat gesagt: |
00:10:59 | "Sowas gibt's gar nich'! Die Siegerehrung spielt sich gar nichts ab!" Und hat mich mächtig antisemitisch beschimpft. |
00:11:09 | Und - ich hab' geweint. Ich hab' sowas noch nie gehört. |
00:11:12 | Und ein Klassenlehrer, Herr Seidel, hat.. war ganz in Ordnung. |
00:11:18 | Äh, es gab in jeder Klasse hatte der Klassenlehrer einen sogenannten Rohrstock gehabt. |
00:11:26 | Da mussten die Jungs die Hand hinhalten und dann gab's ein paar drauf. Und, und jedes Jahr durften die Eltern einmal eine Schulstunde mit besuchen. |
00:11:36 | Mein Vater hat ja gearbeitet, Mutter is' hingegangen und hat sich's angehört. |
00:11:40 | Und da hat der, der Lehrer Seidel, mein Klassenlehrer, gesagt: |
00:11:44 | "Jetzt musst' ich Ihrem Sohn auch eine mit'm Rohrstock geben, weil Unruhe war. |
00:11:51 | Aber ich kann Ihnen sagen, Frau Sonder, ich bin kein Antisemit." So, 1935.. 1936. |
00:12:00 | IV: Und wie ging das dann weiter? Die Entwicklung? Sie sind ja immer auch 'n bisschen erwachsener geworden, was haben.. |
00:12:06 | Auch in Chemnitz selber, hat sich die Situation verändert? |
00:12:10 | Was haben Sie auch als jüdische Familie gespürt? |
00:12:13 | JS: Ja, ich hab' äh, wir wohnten in der Lindenstrasse, also einen Steinwurf entfernt von dem großen Kaufhaus Schocken. |
00:12:22 | Und in der Nacht zum 9. November 1938, diese sogenannte Pogromnacht, |
00:12:29 | Da war so ein Radau auf der Straße, dass ich als Kind aufgewa.. aufgewacht bin. |
00:12:38 | Hab's Fenster geöffnet und sah, wie die großen Schaufensterscheiben des Warenhauses Schocken zersprungen sind. |
00:12:46 | Und, und es haben SA-Leute, SS-Leute, alles, haben geschrien. |
00:12:51 | Da bin ich zum, ins Schlafzimmer meiner Eltern gegangen und hab' sie geweckt. |
00:12:55 | Mein Vater ist auf die Straße gegangen und kam nach kurzer Zeit wieder, hat gesagt: |
00:13:00 | "Es.. In Chemnitz ist der Teufel los." Ich kann mich erinnern, äh. |
00:13:07 | Auf dem Kaßberg soll die Synagoge brennen, die Geschäfte sind zerstört und es gibt auch Verhaftungen. |
00:13:16 | Und das ist mir ganz stark in Erinnerung. Die Situation der Pogromnacht 1938. |
00:13:26 | IV: Und danach? Hat Ihre Familie dann jemals erwogen, vielleicht, äh, aus Deutschland wegzugehen? |
00:13:33 | JS: Ja sicher, ja. Mei.. meine Eltern.. Oder wir wollten auswandern. Es stand nur Amerika zur Debatte. |
00:13:42 | Palästina nicht. Und, äh, aber es fehlte das, äh, nötige Geld, und ich weiß nich' mehr wie das.. wie.. |
00:13:55 | Also wir bekamen keine Genehmigung wegzugehen. Wir hätten das gerne gemacht. ...Ja... |
00:14:03 | IV: Und wie ging es dann weiter mit der Situation, der Lebenssituation Ihrer Eltern? |
00:14:08 | Ihr Vater hat weiter gearbeitet, Sie sind weiter zur Schule... |
00:14:11 | JS: Das waren alles Zwangsarbeiten. Er hat in einer Ziegelei arbeiten müssen, und dann hat er mal im Forst arbeiten müssen. |
00:14:18 | Und, äh, ich hab' keine Schule mehr gehabt, und es gab keine Räume mehr. |
00:14:25 | Was hat man in Chemnitz gemacht, etwas ganz makaberes. |
00:14:29 | Auf einem, äh, Wiesenstück, zwischen zwei Gräberfeldern auf dem jüdischen Friedhof in Chemnitz wurde ein Schauer errichtet, also ein Holzverschlag. |
00:14:42 | Und da sind die paar noch vorhanden gewesenen jüdischen Kinder, äh, mangelhaft unterrichtet worden. |
00:14:54 | So dass ich sagen kann, ich bin mal auf dem Friedhof zur Schule gegangen. |
00:14:59 | Klingt ulkig, ist aber.. entspricht den Tatsachen, was ich insofern erlebt habe. Ja... |
00:15:08 | Und dann sind meine Eltern... jetzt fehlt mir manchmal die Verbindung... |
00:15:17 | Die sind weggekommen. Meine Eltern sind verhaftet worden. Und.. ah ja. |
00:15:22 | Meine Eltern sind verhaftet worden. Und weil mein Vater "EK" und Freiwilliger war im Ersten Weltkrieg, |
00:15:29 | Ist er nicht im Güterwagen weggeschafft worden, sondern mit meiner Mutter - |
00:15:35 | Das war 'ne besondere Sache - mit Personenzug nach Theresienstadt. |
00:15:41 | Das hab' ich aber nicht gewusst, wohin. Und meine Mutter hat zu mir gesagt, äh.. |
00:15:49 | Also, andersrum noch. Es gab für jede Sache, ab erstem Kriegstag, eine Lebensmittelkarte. |
00:15:58 | Für die Brot.. Ich weiß nich' mehr, wie die Farbe war. Meinetwegen Brot, oder Fleisch, oder Butter. |
00:16:04 | Und ich hab' zum Zeitpunkt der Verhaftung meiner Eltern, hab' ich nur noch eine Brotkarte gehabt. |
00:16:11 | Ich hab' keine Butter gehabt, kein Fleisch gehabt, und was da noch an Karten da waren, also ich hat' nur Brot. |
00:16:17 | Und meine Mutter sagte: "Geh du zu dem Molkereibesitzer, wo ich immer hingegangen bin. Der is' ein guter Mensch. Und geh auch zu dem Fleischer Max Betzold. |
00:16:29 | Der is' auch in Ordnung." Und dann bin ich zu dem Butterhändler gegangen, |
00:16:37 | Und der Butterhändler hatte das Parteiabzeichen der Nazi dran. |
00:16:42 | Das sah so hässlich aus, dass die Bevölkerung abwertend gesagt hat, "Das Kuhauge". |
00:16:49 | Also wenn man das Wort "Kuhauge" hört, meinte man das. So... |
00:16:55 | Und, obwohl er Nazi war und wie ich rein kam, hat er ein Stück Butter genommen, hat das Stück Butter geteilt hat mir bissel Butter gegeben. |
00:17:06 | Und hat mir ein bissel Quark gegeben, wenn er gehabt hat, oder... Was war noch, was er gegeben hat? {überlegt} |
00:17:15 | Ja, und nach 'm Krieg wollt' ich mich bei ihm bedanken, und da hab' ich ihn nich' angetroffen, nur die Frau. |
00:17:24 | Ich sag': "Ich möcht' mich bei Ihnen bedanken, was Sie vor Jahren mit.. gemacht haben, für mich." |
00:17:31 | Und da sagt sie: "Ja. Mein Mann hat beim Einmarsch der Sowjet-Armee sich erschossen." |
00:17:39 | Äh, hätt' er nich' machen müssen. Nicht jeder, der in der Nazi-Partei war, so meine ich, war ein potentieller Mörder. |
00:17:47 | So weit schreibt die Kreide nicht. Und auch ich hab' mich gewandt gegen die Auffassung einiger amerikanischer Journalisten. |
00:17:56 | Und, Und wichtiger Leute, die gesagt haben, in Deutschland waren alle für Hitler. |
00:18:03 | Das is' nich' wahr. Es gab einen christlichen Widerstand, es gab einen, auch jüdischen Widerstand. |
00:18:10 | Es gab die Bibelforscher zum Beispiel, die äh, tatsächlich Widerstand waren, und es gab auch einen linken Widerstand. |
00:18:18 | Also das darf man nicht untern, äh, Teppich kehren. Das ist vollkommen fehlerhaft. |
00:18:25 | Und ich.. und in offiziellen Reden, äh, nehm' ich auch gegen die amerikanischen, äh, Leute Stellung, |
00:18:33 | die der Auffassung sind, alle waren für Hitler. Das ist nicht wahr. Das muss man unbedingt herausstellen. |
00:18:40 | Es gab tatsächlich eine ganze Gruppe, natürlich unter schwierigsten Bedingungen, die den Widerstand in Deutschland geleistet haben. |
00:18:48 | IV: Aber haben Sie, als Sie noch in Chemnitz waren, von diesem Widerstand selber was mitgekriegt? |
00:18:54 | JS: Nein. Bin ich ganz ehrlich. |
00:18:57 | IV: Mhm. |
00:18:58 | JS: Ich hab' nichts mitbekommen. Ich hab' einmal was gemerkt, aber das konnte ich nicht einordnen als Kind. |
00:19:04 | Das, das plötzlich, äh, ich in die Küche kam, am ersten Kriegstag, und unsere Wohnküche - |
00:19:15 | Wir hatten keine große Wohnung - in der Woh.. Alle hatten die Wohnküche, die Wohnküche war voll junger Männer. |
00:19:21 | Das konnt' ich mir nich'.. Später hab' ich mir überlegt, was war das? Das war ein... |
00:19:29 | Schneller Treff, meiner Meinung nach, des Widerstandes. Mein Vater war im Widerstand. Ja. |
00:19:36 | IV: Wie ging die Geschichte dann weiter, dann nachdem Ihre Eltern verhaftet worden waren? |
00:19:43 | JS: Naja, ich wohnte mit einem Jungen, der war ein, zwei Jahre älter, mit ähnlichem Schicksal, zusammen in einer, naja, |
00:19:54 | man könnte sagen... {überlegt} Bodenkammer. So ungefähr. |
00:20:01 | Mussten uns durchschlagen, bis... bis ich an einem Tag, ich weiß es jetzt nich' mehr, mein Tag der Ver.. |
00:20:13 | Ach, 27., jetzt weiß ich wieder. Der 27. Februar 1943, ich wollte um 6 Uhr das Haus verlassen. |
00:20:20 | Eher durfte ich nämlich nicht da, ich hatte Haus.. Ich musste im Haus bleiben von abends 8 Uhr bis früh 6 Uhr. |
00:20:30 | Als ich das Haus verlassen habe, genau um 6 Uhr, weil ich zur Arbeit wollte, zur Zwangsarbeit, in Chemnitz. |
00:20:38 | Stand vor der Haustüre Geheime Staatspolizei: "Du bist verhaftet." Äh, ich kam ins Polizeipräsidium, |
00:20:51 | In eine Zelle, und man hat mir mein Gesamtvermögen, was ich hatte, äh, als sogenanntes "Kommunistisches Vermögen".. |
00:21:00 | Ich.. Meine Eltern waren keine Kommunisten. Also glaube ich nicht, gleich gar nicht. Äh, abgenommen. |
00:21:08 | Äh, mein Gesamtvermögen bestand damals, bei der.. Am Tage der Verhaftung, dreißig Mark. |
00:21:15 | Das war mein Gesamtver.. mehr hatt' ich nich'. Ich hatt' kein, ich hab' nichts geerbt. |
00:21:21 | Was ich geerbt hab' von meinen Eltern war... Beide, beide Elternteile gleich, ein ausgeprägter, starker Wille. Den hab' ich tatsächlich geerbt. |
00:21:34 | Äh, ich bin... Ohne zu übertreiben, willensstark. Das kann ich von mir sagen, das hat mir viel geholfen in meinem Leben, ja. |
00:21:49 | IV: Also, Sie wurden verhaftet... |
00:21:52 | JS: Ja, ich, ich kam... |
00:21:59 | IV: Ja, Herr Sonder, Sie haben gerade erzählt, Sie sind dann morgens, als Sie zur Arbeit gehen wollten, verhaftet worden. |
00:22:03 | JS: Ja. |
00:22:04 | IV: Man hat Ihnen ihr Geld abgenommen. Was ist dann passiert, nach... |
00:22:08 | JS: Ja, ich kam ja in Untersuchungshaft. In Chemnitz. Hartmannstrasse. In eine Zelle. |
00:22:14 | Und in der Zelle saßen schon zwei oder drei drin. Auf alle Fälle ging plötzlich die Zellentüre auf, |
00:22:21 | Und mit einem Fußtritt landete ein weiterer Mann in der Zelle. |
00:22:28 | Und wir haben gefragt, wenn ein Neuer kommt, also, wer ist er? |
00:22:37 | Hat er gesagt: "Ich bin ein Angehöriger der Waffen-SS." Das kann doch gar nicht möglich sein, bei uns in der Zelle. |
00:22:47 | Kommt jetzt plötzlich einer rein von der Waffen-SS. "Ja", hat er gesagt, "meine Einheit liegt in Niederlande, und der Kommandant hat mich zu sich geholt. |
00:22:59 | Hat er gesagt, "was biste bloß für'n Lumpenhund!" Wörtlich! "Bist Freiwilliger der Waffen-SS, und hast, hast, |
00:23:09 | Hast uns deine Großmutter oder was, unterschlagen! Du bist doch jüdischer Abstammung!" |
00:23:16 | Oder so ähnlich. Also, der hat mit mir.. Dieser Mann, der Name ist mir jetzt gegenwärtig entfallen, Auschwitz überlebt. |
00:23:28 | Und ich bin mal dazugekommen, wie er mit Häftlingen gesprochen, nein, mit einem SS-Mann gesprochen hat. |
00:23:35 | Und gesagt hat: "Na, vor drei.. ein paar Mo.. vor drei Monaten hatt' ich diese Uniform auch noch an." Das hat keiner geglaubt. Aber... {zögert} |
00:23:48 | IV: Es war so. |
00:23:50 | JS: Es wird schon... Ja, er hat überlebt, ist nach Zwickau gegangen und war Musiker. |
00:23:57 | Und hat im Zwickauer, äh, Restaurant, oder... das Orchester geleitet. |
00:24:10 | Ja, ich such' immer noch den Namen, wie.. Gegenwärtig wird ein Buch geschrieben, über diesen Mann. |
00:24:18 | In Chemnitz. Ich hab' schon Auszüge aus dem Buch, is' mir vorgelesen worden, das is' ja einmalig. |
00:24:26 | Sein Großvater, ein Großvater, hat am Zarenhof, äh, Musik gemacht, und der andere am, im, äh, bei uns, beim, beim Kaiser Au.. Äh, in Deutschland. |
00:24:46 | Also, immer noch such' ich den Namen, der mir so geläufig war, äh, von diesem... |
00:24:52 | IV: Wenn er Ihnen noch einfällt... |
00:24:53 | JS: Na, ja, könn' wir ihn nachreichen. |
00:24:55 | IV: ...nachreichen. Und Sie beide waren in einer Zelle und sind dann auch gemeinsam nach Auschwitz gekommen? |
00:25:00 | JS: Ja, wir sind... |
00:25:01 | IV: Von der Untersuchungshaft aus? |
00:25:02 | JS: Also, wir sind in ein Lager in Dresden, auch da fehlt mir wieder.. Der Gestapochef von Dresden hat, |
00:25:15 | in Vorbereitung, dass die Juden abgeholt werden, oder andere, ein Lager, Barackenlager, äh, errichtet. |
00:25:24 | Und, äh, die Namen sind leider weg. Und, äh, da sind wir erstmal reingekommen, und dann... |
00:25:30 | Dresden Neustadt, stand ein ellenlanger Güterzug, und dann mussten alle dort in den Güterwagen rein, |
00:25:41 | In jeden Waggon kam ein Eimer rein, für die Notdurft, aber der war natürlich innerhalb.. Männlein, Weiblein, und ein paar Kinder waren auch dabei. |
00:25:50 | Äh... Und es stank, und es war stockfinster, und dann ratterte der Zug und wir wussten nich', wohin. |
00:26:01 | Und hielt dann plötzlich auf einer schneebedeckten Stelle an, und die SS schrie: |
00:26:11 | "Alle aussteigen, alles liegenlassen!" Und die Kommandos, und die, die Kinder, die ma.. die riefen nach der Mama. |
00:26:21 | Nach ihrer Mama, und die M.. Und die Frauen suchten die Männer, also diese Nacht unterscheidet sich von allen anderen Nächten meines Lebens. |
00:26:29 | Es war die Nacht der Ankunft in Auschwitz. Und dann musste man einzeln vortreten, |
00:26:38 | Äh, Namen spielten schon keine Rolle mehr, nur noch Alter und Beruf. Und da ich schon einmal konfrontiert worden bin mit der SS... |
00:26:51 | Wie man sich zu verhalten hat, in Chemnitz, auf dem Kaßberg, da hat es eine Gestapozentrale in Chemnitz, |
00:27:01 | Ich sollte mich bei dem Kommandanten, {schüttelt den Kopf}, nicht Kommandanten, Entschuldigung, Kommissar Ahnert melden. |
00:27:09 | Und Ahnert sagte zu mir: "Ich hab' jetzt keine Zeit, draußen im Vorraum steht 'n Stuhl, da setzte dich drauf und wenn ich Zeit hab', dann hol' ich dich wieder rein." |
00:27:18 | Also, ich setz' mich auf diesen Stuhl. da saß ich eine Minute, höchstens eine Minute, da kam ein ellenlanger SS-Mann und sagte: |
00:27:27 | "Du Mistschwein, du sitzt hier auf'm Stuhl!", und hau.. und hat mich total zusammen geschlagen. |
00:27:33 | Ja. Und auf dieser Fahrt, äh, im, nach, nach Auschwitz, in dieser, dieser angekommenden Nacht, |
00:27:44 | Äh, ich bin vor und hab' gesagt: "17 Jahre, Monteur." Und das hab' ich aber so überzeugend dargelegt, und Hacken zusammen: |
00:27:56 | "17 Jahre, Kommandeur!" Äh, {schüttelt Kopf} Entschuldigung. "17 Jahre, Monteur!" |
00:28:03 | Und der leitende SS-Offizier sagte: "Hast du noch Verwandte in Deutschland?" "Jawoll!" |
00:28:11 | "Wer ist das?" "Meine Tante!" "Wo wohnt die?" "In Chemnitz!" |
00:28:16 | "Du schreibst jetzt deiner Tante, dass du gut angekommen bist!" Dann sag' ich zu dem: "Ich weiß nicht, wo ich angekommen bin." |
00:28:23 | "Das werd' ich dir schon sagen! Hier haste 'ne Karte!" Und, Kuli gab's noch nicht, er gab mir einen Drehbleistift. |
00:28:32 | Naja, und jetzt im Winter. Und, Kälte, wie soll ich hier 'ne Karte schreiben? Die biegt sich doch. Ich sag: "Ich kann die nich.. Ich kann nich' schreiben." |
00:28:42 | "Schreib auf meinem Rücken!" Also, der spätere Häftling schreibt auf dem Rücken, Rücken des leitenden SS-Offiziers. |
00:28:51 | "Ich zitiere: Bin gut im Arbeitslager Monowitz angekommen." Das hab ich geschrieben. Die Karte ist tatsächlich in Chemnitz angekommen. |
00:29:08 | Und die hatte, äh, später einmal folgenden Effekt: Nach dem Abendappell hat der Blockälteste, so waren die Bezeichnungen, |
00:29:24 | zu mir gesagt: "Sofort an die Poststelle gehen", da sich jetzt einzufinden. Da bin ich mit gemischten Gefühlen hin, |
00:29:33 | weil ich gewusst hab', in dieser sogenannten Poststelle am Anfang des Lagers saß auch die SS. Die Gestapo. |
00:29:41 | Und da bin ich vor, und dann hab' ich.. Die Meldung war: "Hundert.. 105027", das war meine Häftlingsnummer, "wie befohlen zur Stelle!" |
00:29:57 | Das war Kommandosprache. "Ne", hat der auf der Poststelle gesagt, der Häftling, "deine Nummer interessiert uns nicht, wie heißt du wirklich?" |
00:30:09 | Und da hab' ich meinen Namen genannt. "Die Heimat hat an dich gedacht." Ich sag': "Was?" "Für dich ist ein Päckchen da." |
00:30:19 | In Auschwitz ein Päckchen! Also, so was hat's ja noch gar nicht gegeben! Und da haben die mir ein schuhkartongroßes Päckchen in die Hand gedrückt. |
00:30:28 | Da war bissel Zwieback drin, ein bissel Schokolade drin, ich weiß nicht mehr, was da d.. Ne, eine Maggisuppe war auch drinne! Oder zwei. |
00:30:36 | Also, und wer hat mir das Päckchen geschickt? Auf der Lagerstraße hab' ich versucht nachzugucken, wer ist das? |
00:30:51 | Es war mein Kinderarzt. Otto... ach, leider ist es schon wieder entfallen. Reiter, oder... Ich weiß nicht mehr. |
00:31:02 | Friedrich-August-Straße hat er die Praxis gehabt. Das ist ungefähr dort, wo heute die Hauptpost ist. |
00:31:11 | Und, weil das ein Kinderarzt war, war die Attraktion so verrückt: in seinem.. im Warteraum für Kinder, die waren ja meistens mit der Mutter da. |
00:31:25 | Kinder alleine gingen nicht, war {überlegt} vielleicht zwanzig Quadratmeter großes Fläche abgeteilt. |
00:31:35 | Und da war ein kleiner Affe drin. Wirklich, lebender Affe. Kleines Äffchen. Das sollte die Kinder ablenken. |
00:31:44 | Und dann.. Ach, jetzt hab' ich den Namen des Arztes. Dr. Otto Jäger. Also so heißt der Chemn.. Hieß der Chemnitzer Arzt. Ja. |
00:31:56 | IV: Und der hat Ihnen dieses Päckchen geschickt? |
00:31:59 | JS: Und der hat mir das Päckchen geschickt. So ist es. Jetzt ist mir der Name eben wieder eingefallen, ne? |
00:32:04 | IV: Ja. |
00:32:06 | JS: Ja, der hat mir das Päckchen gesch.. Also, das war... das war überwältigend für mich. |
00:32:12 | Hat ja nie einer Päckchen bekommen oder Post. Ich hab' bloß den Fehler gemacht, nach Jahren hab' ich mir das alles nochmal durch den Kopf gehen lassen. |
00:32:20 | Ich hätte sagen sollen, zur Poststelle: "Darf ich mich bedanken?" Das hab' ich nicht... die Freude war so groß, dass ich das... Ja. |
00:32:30 | IV: Wie ging denn Ihre Zeit in Auschwitz dann weiter? |
00:32:35 | JS: Ich bin nach Auschwitz III gekommen, das hieß Monowitz. Monowitz. Man musste die Kleider ablegen,kam in einen Duschraum, heißes Wasser, splitternackt. |
00:32:51 | Es wurde uns alles weggenommen. Und dann hieß es, so jetzt über.. Nachts, es war ja Februar, über die Lagerstraße rennen, zu dem Block 10. |
00:33:05 | "Ihr gehört alle zum Block 10." Also, wir kannten uns ja alle nicht, es waren junge Männer, junge... alte Leute, g.. ging gar nicht. Sind ja Arbeitskräfte gewesen. |
00:33:17 | Und der La.. Und der Blockälteste, ein Mann mit einem grünen Winkel, all.. jeder Häftling bekam 'ne Nummer und einen Winkel. |
00:33:28 | Rot war politisch. Also ich hatte auch mit rot. Grün war, die Nazis sagten dazu, das gibt's natürlich im Strafrecht in Deutschland nicht. |
00:33:41 | Äh... {überlegt} Was ham die jetzt... Ach... Jetzt fällt mir... |
00:33:50 | IV: Ich weiß es auch nicht genau. |
00:33:51 | JS: Ah ja... |
00:33:53 | IV: Aber es gab eben verschiedene Farben für... |
00:33:55 | JS: Es gab verschiedene Farben, grün war, ach... waren Verbrecher. Die Nazis... |
00:34:03 | IV: Also Kriminelle, sozusagen, oder... |
00:34:04 | JS: Ja, die Nazis haben diese Leute zu ihren Helfershelfern erklärt. Und die haben auch geschlagen und denunziert und Entzug von Essen undsoweiter. |
00:34:18 | Also, und die sagten dazu Berufsverbrecher. Diesen Ausdruck kennt das deutsche Recht nicht. Aber sie haben die so bezeichnet. |
00:34:28 | Und die haben geschlagen und gefoltert und gemacht. Als Helfershelfer der SS. Und wir waren über 500, glaube ich, Überlebende, |
00:34:43 | Oder, oder, also, die Zahl kann ich auch nicht mehr richtig. Die anderen sind in der gleichen Nacht noch, äh, vergast worden. |
00:34:51 | Das haben wir aber nicht gewusst. Und während ich, wir, auf dem Arbeitsgelände, gestanden haben am nächsten Tag, |
00:35:03 | lief ein Häftling vorbei, mit besserer Kleidung, Häftlingskleidung, heute würde ich sagen "Funktionshäftling". |
00:35:17 | Der hat gerufen: "Ist denn von den Neuen einer aus Chemnitz dabei?" Ich hab', ich hab' das wohl gehört, aber ich hab' mich.. |
00:35:27 | Ich hab' nicht reagiert, ich war so erschüttert von dem, was bis jetzt da war. Und... "Wo is'n der Chemnitzer?" |
00:35:34 | Weil einer gerufen hat: "Wir ham nen Chemnitzer!" "Wo is'n der..." Dann hab' ich mich gemeldet und dann kam er zu mir her und hat gesagt: |
00:35:40 | "Wie heißt ‘n du?" Da hab' ich den Namen, wusste er auch nichts mit anzufangen. Und: "Frierst du?" Das war sein zweites Wort. |
00:35:51 | Ich sage: "Ja, 's is' kalt." Da hat er sich ausgezogen, der hatte so'n... |
00:35:56 | Wie Unterhemd. Das hat er mir gegeben. Und "mein Name ist Max", hat er gesagt, "Max." |
00:36:03 | "Ich bin vom Chemnitzer Brühl. Komm heute Abend mal in Block 8. Da brauchste bloß nach Max zu fragen." Das hab' ich auch gemacht, nach dem Abend.. am Abend. |
00:36:20 | "Ich will zu Max." Und da hat einer gerufen: "Max, du kriegst Besuch!" Und Max hat mir als erstes gesagt: "Solange wir arbeiten können, haben.. können wir eventuell leben. |
00:36:36 | Wenn du nicht mehr arbeiten kannst, wirst du selektiert." Und jetzt hat er mir die Selektion erläutert. Wie es vor sich ging. |
00:36:49 | Und dann hat er gesagt... Jetzt müsst' ich aber ein Wort gebrauchen, was nicht kamerareif ist... |
00:36:57 | IV: Jedes Wort... Wenn es die Wahrheit ist, ist es auch kamerareif... |
00:37:02 | JS: Ja, er hat gesagt: "Du musst dich verhalten wie ein Arschficker. Hinter einem herlaufen, der schon.. Den kannst du nicht mehr retten. |
00:37:10 | Der is.. der läu.. der schleppt sich selber schon.. Also der hat noch.. der wird ausgesucht zur Vergasung." {räuspert sich} |
00:37:22 | Und so hab' ich's gemacht. Und, und wenn der... Nach altem römischen Recht hat der SS-Arzt den Daumen nach oben gehalten: |
00:37:40 | Du kannst weiter Arbeitssklave bleiben. Oder so {Daumen nach unten}: Du hast noch ein, zwei Stunden zu leben, dann wirst du vergast. |
00:37:49 | Ja, das hab' ich 17 Mal mitgemacht. Das ist grausam. Das ist einzigartig, war das in Auschwitz. Woanders gab' s das in diesem Maße.. Diese Vernichtung.. |
00:38:01 | Auschwitz nannte sich nicht bloß KZ, sondern Konzentration- und Vernichtungslager. Also man hat das schon mit eingebaut. Ja. Ja. |
00:38:11 | IV: Wie lange waren Sie in Auschwitz? Und wie sind Sie von dort dann weggekommen? |
00:38:18 | JS: Mit der Offensive der Roten Armee, oder der Sowjetarmee. Kam immer näher und ich weiß nicht mehr genau, |
00:38:34 | Im Dezember, abends, gab's kein Essen, sondern wir sind in Marsch gesetzt worden und sind die ganze Nacht gelaufen. |
00:38:50 | Wer gestolpert ist, wurde von der, von den SS-Einheiten rausgeschleudert und erschossen. Wer selber weggerenn.. wegrennen wollte, |
00:39:03 | wurde erschossen. Dieser Marsch nannte sich der erste Todesmarsch. Neben dem KZ Auschwitz gab es ein kleines Lager für britische Kriegsgefangene. |
00:39:16 | Und ein britischer Kriegsgefangener.. Und die, und die sind ebenfalls in Marsch gesetzt worden, als die Rote Armee immer näher kam. |
00:39:29 | Und dann sind die, so schildert der, über die toten Häftlinge hinweggelaufen. Muss eine fürchterliche Sache gewesen sein. |
00:39:43 | Und, äh, und er hat ein Buch geschrieben: "Ich drang in ein KZ ein." Is' egal, ich will nicht.. über das nicht weiter reden. |
00:39:53 | Aber auf alle Fälle, äh, hab' ich Stück gehört davon. |
00:40:01 | Und hab' BBC London angerufen. Und hab' gesagt: "Es gibt Überlebende." Er hat nämlich geschrieben, da gibt's keine Überlebenden, von diesem Todesmarsch. |
00:40:12 | Und dann hab' ich aber zu wenig Englisch gebracht, und dann haben die gesagt: "Es genügt uns auch, wenn Sie uns einen Bericht schicken." |
00:40:21 | Also, ich habe einen Bericht.. Auf Deutsch natürlich.. BBC London geschickt. Und da haben sie sich bei mir bedankt, weil es doch Überlebende gab. |
00:40:32 | IV: Das war in der Zeit nach der Befreiung. Schon dann. Wo Sie das geschickt haben. |
00:40:36 | JS: Die, die Geschichte mit BBC? |
00:40:38 | IV: Ja, ja. Ja. |
00:40:40 | JS: Ja, ja, sicher. |
00:40:41 | IV: Gehen wir doch nochmal zurück, erzählen Sie doch ein bisschen, was Sie noch auf dem Todesmarsch erlebt haben, und wohin das ging... |
00:40:48 | JS: Wir sind nach Gleiwitz, wir sind, äh... Ich weiß es nicht mehr, mir fä.. Ich hab's mal ausgerechnet, die Kilometerzahl. |
00:40:56 | Also, wir sind in Gleiwitz angekommen, Oberschlesien, glaube ich. Und, äh, und sind jämmerlich beleidigt worden. Von, äh, Frauen. Männer haben wir gar nicht gesehen. |
00:41:09 | Also Frauen: "Euch müsst' man alle umbringen! Ihr Mörder, ihr Verbrecher! Ihr Schweine!" |
00:41:16 | Und während wir so durch Gleiwitz gelaufen sind, hab' ich eine Frau gesehen, die aus einem, aus einer Türe im Vorgarten war, |
00:41:28 | Und die hielt so'n Päckchen in der Hand. Und ich hab' das Gefühl gehabt, die will uns das Päckchen geben. |
00:41:37 | Und beim Moment bin ich aus der Reihe gelaufen. |
00:41:41 | Das war lebensgefährlich und hab' das Päckchen in Empfang genommen. Das waren alles belegte Schnitten. |
00:41:47 | Und dann hab' ich die verteilt, unter den Häftlingen, die da waren. Ja. |
00:41:55 | IV: Und von Gleiwitz aus, wie ging es dann weiter? Sind Sie immer nur gelaufen, oder auch mal wieder gefahren, mit Zügen oder so? |
00:42:04 | JS: Ach, es.. Ich muss, es ist schwer... Natürlich sind wir wieder mal gefahren. Ja, an welchem Bahnhof weiß ich nicht, |
00:42:16 | Auf alle Fälle, Güterwagen, geschl.. äh, geschlossene Wagen, da sind wir reingepfercht worden, und in jeden Wagen kam ein SS-Mann. |
00:42:29 | Der sollte für Ruhe und Sicherheit sorgen und dieser SS-Mann war ein totaler Verbrecher. |
00:42:39 | Er zog sein Bajonett und schlug auf die Häftlinge ein. Grausam, grausam sahen die Häftlinge aus. Dem Einen fehlt die halbe Nase. |
00:42:53 | Der andere ein Ohr, also ich will's nicht weiter ausmalen. Es war fürchterlich, was dieser SS-Mann gemacht hat. |
00:43:04 | Und ich wollte.. Und er sprach sächsisch. Und er sprach sächsisch, und ich sagte zu meinem französischen Mithäftling mit dem schönen deutschen Namen Marx. |
00:43:21 | Der hieß Leon, Leon Marx: "Ich muss mit dem SS-Mann reden." "Du bist wohl verrückt!" hat er ges.. |
00:43:30 | "Du darfst kein SS-Mann, du wirst zu Tode, der schlägt dich tot!" Und ich hab' zwei Stunden gebraucht, |
00:43:36 | immer einen Platz zu wechseln, bis ich in die Nähe, ganz in der Nähe des SS-Mann war, der da drinne war. |
00:43:45 | Und.. jetzt hab' ich.. Und er sprach sächsisch. Total sächsisch. Und ich hab' mir überlegt, wie sprichst du so einen SS-Mann an? |
00:43:56 | Was nicht gestattet ist. Und dann hab' ich mir doch Mut zugesprochen und hab' gesagt: |
00:44:04 | "Na, wo Sie herkomm' wees ich." Jetzt hätt' er mich zusammenhauen müssen. |
00:44:09 | Hat er aber nicht gemacht. Und sagte zu mir: "Na, wo komm' isch denn her?" Ich sag': "Sie komm' aus Weißenfels." |
00:44:18 | Na sagt er, hätt' er wieder.. Hat das Gespräch weitergeführt. Und sagte: "Ne, mei' Gutster, aus Weißenfels komm' isch ne'. |
00:44:30 | "Ich sag': "Jetzt weiß ich aber genau, wo Sie herkomm'. Sie kommen aus Leipzig." |
00:44:36 | "Wieso weestn du das?" Ich sag: "Na, Sie ham Gutster gesagt. {lacht} Ich bin aus Chemnitz." "Was?" Er sagte, "Aus Chem.." |
00:44:46 | Also für den waren wir alle, wie sagt man, Ur.. Unmenschen. So eine Verwirrung. "Aus Chemnitz! Wieso, wieso bist denn du hier? |
00:44:58 | Mensch, 'n Chemnitzer! Jetzt sind wir schon zwee!" Also, {abwertende Geste} so primitiv. So primitiv. Hat mir von Leipzig erzählt, |
00:45:08 | Hat ein Friseurgeschäft gehabt, "Der Führer hat gerufen", hat er gesagt, "also hab' ich mich sofort gemeldet." Ja, hm. |
00:45:15 | Dieser, dieser... Und das kam gar nicht gut an, was ich gemacht hab', bei den Mithäftlingen. Die Mithäftlinge waren ja keine Deutschen. |
00:45:26 | Die, ah, jetzt auf einmal haben wir gelacht. SS-Mann und ich. Die wussten nicht mehr, wer ich bin. Ob ich ein Verräter bin, oder was weiß ich was. |
00:45:36 | Also mir ging's nicht gut. Es hat mir nicht viel eingebracht. Ja. |
00:45:42 | IV: Sie sind dann ja irgendwann auf diesem Weg auch nach Flossenbürg gekommen. Vielleicht können Sie mir ein bisschen erzählen... |
00:45:52 | JS: Ja, das weiß ich jetzt wirklich nich' mehr, wie ich nach Flossenbürg gekommen bin. Ob wir gelaufen sind... |
00:45:57 | Ich kann das.. Flossenbürg, ja... Ich bin nach Flossenbürg gelaufen, auf alle Fälle. Und, das war wie so 'ne Selektion. |
00:46:11 | Ein SS-Mann stand auf einem Schemel, und ein Häftling.. Bin dort vorbei.. |
00:46:23 | Einzeln mussten wir vorbeilaufen. Und dieser Häftling hat mit 'nem Lappen oder was das war, dir eine vors Gesicht gegeben. |
00:46:31 | Das war also Wasser. Und der SS-Mann, oder Kommandeur oder wer das war, hat mit einem Stift eine Zahl drauf geschrieben. |
00:46:43 | {fragend an IV} Ist Ihnen das schon mal unter..? Als würden wir sortiert oder was. Das ist Flossenbürg der Beginn gewesen. |
00:46:54 | IV: Was hatten.. Wissen Sie, was diese Zahlen zu bedeuten hatten? |
00:46:59 | JS: Nein, ich, ich, ich hab' Angst gehabt. Ich hab'.. Römische Zahlen. Die anderen hatten das ja auch. Al.. Der Häftli.. Und der hat oben.. {macht Geste} So... |
00:47:11 | Ich kam in Block 19. Das is' direkt neben dem Eingangstor. Wer kommt auf den Gedanken, neben dem Tor mit der 19 zu beginnen? |
00:47:25 | Und das, und das, Flossenbürg war total überfüllt. Von den zurückflutenden, zurückgetriebenen Häftlingen aus dem Osten. |
00:47:38 | Flossenbürg war so überfüllt, dass.. Und das sage ich immer, wenn ich vor Jugendlichen spreche: "Was denkt ihr, wieviel Leute in einem Block... |
00:47:55 | Also in einem Schlafblock geschlafen haben, wo drei Mann rein müssen, wieviel haben dann in einem Bett bis oben geschlafen?" |
00:48:03 | Bisher ist noch niemand drauf gekommen. Es war eine Wahnsinnszahl, die wir dort in den einzelnen Betten zugebracht haben. |
00:48:17 | In den einzelnen Betten wurden sechs Häftlinge reingepfercht. Das brach natürlich zusammen. Und Fenster konnte man nicht schließen. |
00:48:26 | Sonst wären wir erstickt. Und die SS.. Wenn die zusammengebrochen sind, kam die SS und hat mit den Kolben... {macht Schlaggeste} |
00:48:33 | Also, es war.. So hab' ich Flossenbürg zu Beginn erlebt. Ja... |
00:48:39 | IV: Wie lange waren Sie dann ungefähr in Flossenbürg? |
00:48:43 | JS: Ja, bis zur Auf.. Ich war von An.. Bis das, bis das Lager evakuiert worden ist. Aber ich weiß nicht mehr, da weiß ich nicht mehr. |
00:48:53 | Ja. Ich hab' in diesem Block 19, hab' ich zwei Sachen erlebt. Also es war das erste Block nach ‘m Tor. |
00:49:07 | Und ich hab' aus.. Ich hab' 'n roten Winkel gehabt. |
00:49:15 | Aus Versehen, oder wie das gekommen ist, weiß der Teufel. Äh, und ein SS-Mann sagt: "Eimer holen und Besen!" |
00:49:25 | Na, Und dann hab' ich mir das ausgeliehen, von dem Blockältesten. |
00:49:33 | Und dann sind wir, bin ich mit dem SS-Mann auf die Wachtürme geklettert. Und hab' die saubermachen müssen. Und das... |
00:49:47 | Ohne zu sprechen, er hat mich nicht angesprochen. Und auf einmal sagte der SS-Mann: "Ab jetzt nicht mehr ins Lager blicken!" |
00:50:00 | Naja, is' genau das Gegenteil passiert, ein Häftling, der den Befehl bekommt, nicht mehr ins Lager zu blicken.. |
00:50:08 | Man musste die Treppen zu dem hochklettern und durch die Beine hab' ich ins Lager geblickt. |
00:50:15 | Und sah einen äh, wie Häftlinge, wie Tote aufgestapelt waren. |
00:50:27 | Stapel, 'n regelrechten Stapel Häftlinge. Es gab aber kein Gespräch, ich bin mit dem SS-Mann rings ums Lager gelaufen und hab' die Türme sauber gemacht. |
00:50:44 | Also ich kenn' das Lager von.. Er hat mit mir auch nicht gesprochen. Das war die erste Sache. |
00:50:51 | IV: Und Sie haben ja auch schon gesagt, das Lager war überfüllt... |
00:50:55 | JS: Total überfüllt. |
00:50:57 | IV: Es waren, äh, Berge von Leichen. Wie war, gab es noch Verpflegung, oder irgendwas oder... |
00:51:03 | JS: Ganz, alles mangelhaft, alles mangelhaft. Und, ach, ein SS-Offizier kam, weil er wusste, da ist einer, der deutsch spricht. |
00:51:14 | "Hol dir mal zehn junge Häftlinge bis morgen früh!" Ich suchte deutsche Häftlinge, Jungs. Mit denen konnte ich ja reden. |
00:51:31 | Ich hab' sie nicht gefunden. Ich wusste aber genau, es gab welche. Na, da hab' ich Franzosen genommen, Polen genommen, Russen genommen. |
00:51:40 | Das waren glaub' ich die. Und früh sollt' ich melden: |
00:51:47 | "Eins neun auf dem Wege zur SS-Unterkunft." Die waren ein bissel... An der Seite. |
00:51:54 | IV: Seitlich. |
00:51:55 | JS: Hä? |
00:51:56 | IV: An den Sa.. An den Seiten. |
00:51:57 | JS: Ja, wirklich, ja. Ja, genau. Und dort.. So hab' ich gemeldet. "Eins neun, auf dem Wege zur SS-Unterkunft." |
00:52:05 | Das kann man nicht erzählen. Da... Als erstes war, er gab uns eine Waschschüssel, da waren die Reste der Rasur drinne. |
00:52:20 | Und übrig gebliebene Speisereste vom Abend. |
00:52:28 | Das getrau' ich mir bald nicht zu sagen. Und die Häftlinge haben die Kartoffeln, die aussahen wie das letzte.. |
00:52:38 | Der Hunger is' so fürchterlich, so grausam. Rausgeklaubelt und gegessen. Ich hab's nicht gemacht. |
00:52:45 | Aber es ist gemacht worden, ich hab's gesehen. Es ist schlimm. |
00:52:49 | Es ist, der Hunger ist, ist des Wahnsinns. Ja, auf alle Fälle hatte ich die zehn Jungs zusammen, darunter einen Franzosen, polnische Jungs waren ein paar dabei. |
00:53:04 | Die haben übel mitgespielt dann, mit mir... Und ich hab' sie geleitet. Und, in der SS-Unterkunft bekam jeder Junge, Häftlingsjunge, eine Decke. |
00:53:21 | Und dann sind wir in der, ins.. Dort wo die Desinfektion, Desinfektion gelaufen und bekamen noch feuchte Oberbekleidung von Frauen. |
00:53:39 | Also, Männerbekleidung null. Äh, von Frauen, und die haben wir gebündelt, ach, wenn wir viel tragen konnten, waren es vielleicht, ich weiß es nicht, vielleicht fünfzehn. |
00:53:52 | Ach, wir haben zu tun gehabt mit der, mit der kleinen Menge. Und ich wurde in eine SS-Villa gebracht, und auf dem Oberboden der SS-Villa waren Schnüre gespannt. |
00:54:03 | Da sollten die Frauen Kleider oder Röcke oder was weiß ich was - keine Unterwäsche - restlos noch trocknen. Ja. |
00:54:17 | IV: Also das war Ihre Arbeit praktisch. |
00:54:21 | JS: Das war meine Arbeit. |
00:54:24 | IV: {unverständlich, durcheinander} ...Kommando, die desinfizierte Wäsche dann zum Trocknen zu tragen. |
00:54:29 | JS: Ja, mit dem.. Und, und ich wurde dort mal... |
00:54:34 | Ach so, und die SS erwischte uns, wie wir Klamotten ins Lager reingebracht haben. |
00:54:46 | In den ersten - Block 2 war das, glaube ich - aber hat den entgegengenommen. Und dann wurde ich erwischt. Und jämmerlich zusammengeschlagen. |
00:55:00 | Und wenn du niedergeschlagen warst, musst du wieder aufstehen. Und wieder zusammengehauen. Und ich stand wieder auf. |
00:55:08 | Dann hat er einen Polen, einen polnischen Häftling genommen, und der sollte mich dann zusammenschlagen. |
00:55:16 | Der Pole hatte jedoch kein Interesse, mich zusammenzuschlagen, und hat bloß so... |
00:55:21 | Tatschel, tatschel, tatschel... Jetzt kriegte der Pole 'ne Ladung von der SS mit und dann: "Los, schlag den zusammen!" |
00:55:31 | Und der Pole hat dann wirklich aus Not mich zusammengehauen. Also, ich sah aus... Das war... |
00:55:41 | IV: Aber Sie waren willensstark... |
00:55:43 | JS: Ich war sehr willensstark, aber da hab' ich wirklich... So zusammengehauen war ich in Auschwitz nicht... |
00:55:52 | In Auschwitz hatte ich ja 'n Beschützer, den Max. |
00:55:57 | IV: Ja, hatten Sie erzählt... Und jetzt, in Flossenbürg, gab's da 'ne Krankenstation? |
00:56:02 | Nachdem Sie zusammengeschlagen wurden, kamen Sie irgendwie auf ein Krankenrevier oder einfach wieder in Ihren Bau 19 da... |
00:56:10 | JS: Ich kam... Das weiß ich nicht mehr genau. Ob ich in den Krankenrevier kam. Ich glaub 's nicht. Hätten Sie ja aber angeben müssen. Das ging ja gar nicht. |
00:56:22 | IV: Dann kam ja die Front immer näher und es stand auch an, dass Flossenbürg evakuiert werden musste. |
00:56:29 | JS: Ja... |
00:56:31 | IV: Wie war das? Können Sie sich erinnern? |
00:56:32 | JS: Ne, da fehlt mir.. der Erinnerungsvermögen is' nich' mehr da. |
00:56:36 | Wir sind.. Ich weiß bloß, wir sind nach Floß. Muss ein Bahnhof gewesen sein oder was. |
00:56:48 | Sind hingekommen und auf einmal waren die Amis, äh, die Flugzeuge da. Und ich bin vom Bahnhofsplatz in das Floßer Dörfchen... |
00:57:06 | In das Dörfchen gerannt. Und zwar wo die Schule war. Mitten im Dorf war 'ne Schule. Weil ich davon ausgegangen bin, "da findste was Übriggebliebenes". |
00:57:22 | Mitbringsel, Essen, Brot oder was. Und ich kam in die Schule an und da waren schon zwei polnische Häftlinge. Die haben wirklich was gefunden. |
00:57:33 | Ich hatte nichts gefunden. Und dann kam die SS, drei Mann SS, mit... {Geste vorgehaltene Waffe} und führten uns zu dem Bahnhofsplatz wieder zurück. |
00:57:49 | Hände hoch mussten wir machen. Und ich hab' gedacht: "Denen kannste ja nicht erzählen, dass das.. wir bloß wegen Essen." |
00:57:58 | Für die stand die Frage fliehen. Äh, und.. Aber wir hatten gleiche Klamotten an. Und, und als ich am Bahnhofsvorplatz wieder war, |
00:58:11 | kamen wieder Flugzeuge drüber. Da bin ich zu den anderen Häftlingen gerannt. Die SS lag im Dreck und allem, die haben mich nicht mehr gefunden. |
00:58:23 | Und dann da passierte Folgendes: Es war ja der Güterwagen da, wir mussten alle einsteigen in 'n Güterzug. Güterzug. |
00:58:35 | Und zwei Häftlinge kampelten sich, richtig. Die hatten sich in die Haare gekriegt, also Haare hatten sie keine mehr, aber... |
00:58:46 | Um ein Stück Brot. Und dann kam ein SS-Offizier, nahm das Stück Brot, jedem die Hälfte gegeben und die sollten sich hinknien. |
00:59:02 | Und das Brot so ver.. Einmalige Erlebnis. Hielten das Brot so und waren gekniet. Und der andere von der anderen Seite. |
00:59:10 | Da hat der SS-Offizier seine Pistole gezogen und hat die mit 'n St.. Jeden mit ‘n Stück Genickschuss gegeben. |
00:59:18 | Also das war eine der schlimmsten Dinge, die ich von Mord da direkt gesehen hab'. Mit'm Stück Brot sind die.. |
00:59:28 | Haben Genickschuss bekommen. Das war fürchterlich für mich. |
00:59:32 | IV: Das war in Floss auf dem Bahnhof. |
00:59:34 | JS: Das war in Floss auf'm Bahnhof. Das müssen sie heute aber wissen, denn ich hab's ja dort kund getan. Ja. |
00:59:44 | IV: Und dann sind Sie irgendwann nochmal mit einem Zug weitergefahren? Also von dem Bahnhof aus, wie ging es dann weiter? Wissen Sie's noch? |
00:59:53 | JS: Ja... |
00:59:55 | IV: Irgendwann wurden Sie ja auch befreit, vielleicht noch mal ver.. Dass Sie sich versuchen, zu erinnern... |
01:00:00 | JS: Ja, Moment mal... Jetzt fehlt mir ein bissel... Ach, Gott... Vor ein paar Jahren war das noch alles da... |
01:00:12 | IV: Ja, und da war es einfacher, sich zu erinnern. |
01:00:14 | JS: Ja, ich... |
01:00:15 | IV: Aber vielleicht erinnern Sie sich ja an die Befreiung selber, wir müssen ja gar nicht alles Stück für Stück erzählen... |
01:00:19 | JS: Ja, ja. |
01:00:22 | IV: Die Befreiung... |
01:00:28 | JS: Ah, so schlimm... Keine Erinnerung mehr... Also... Ach... |
01:00:42 | Das hätt' ich nicht gedacht, dass ich das Erinnerungsvermögen... |
01:00:48 | Wissen Sie, die Amis kamen mit Panzern. |
01:00:57 | Ach, es war filmreif, die Szene. Wir riefen den Amis was zu. Aus Freude. Den Panzern. |
01:01:08 | "God save the king!" oder "How do you do?" oder alles, alles Mögliche. Ein.. Und die Amis schmissen Apfelsi.. |
01:01:22 | Die haben voll ihre Panzer gehabt, ich hab' so was noch nicht erlebt. |
01:01:25 | Und es wurde gekocht, und äh... Also der, dieser Tag, der 23. April 1945, ja, war mein Befreiungstag, |
01:01:43 | Und seit dieser Zeit feier' ich diesen 23. April schon mit meiner Frau als zweiten Geburtstag. |
01:01:54 | Das halt' ich ganz.. Für außerordentlich wichtig, diesen Befreiungstag. |
01:02:01 | Ja, aber... Ach, wie wir frei waren sind wir in 'ne Gaststätte "Zur Sonne". Ich weiß noch jetzt den Namen. |
01:02:12 | Von.. Sonne, und da war noch der Rest vom Frühstück der SS, angebissene Brote. |
01:02:20 | Und wir haben, als wär' das das Gängigste der Welt, aufgegessen. |
01:02:26 | Obwohl das angebissen war von der SS, haben wir aufgegessen. |
01:02:31 | Und es machte uns gar nichts aus, dass in der Entfernung von drei, vier Metern eine tote Frau lag. |
01:02:38 | Die, die Chef.. die Wirtin des Ha.. So. Und einer der.. |
01:02:45 | Aber wir haben trotzdem nicht viel zu essen gehabt, die paar Schnitten von der SS. Wir suchten nach.. |
01:02:50 | Wir suchten nach Essen. Und einer ging in ‘n Keller, und sagt: "Ich hab' nichts gefunden, ein paar Rüben, ein paar Kartoffeln, und ein totes Mädel." |
01:03:03 | Die dort unten... Neun Jahre ungefähr. So, und die Wirtin war auch tot, also die lag neben uns und wir haben weitergegessen, so... |
01:03:16 | Und einer.. Und während wir weitergegessen haben kam einer und sagte: "Ich nix Soldat." Ich Arbeits... Äh, ich... Wie das bei den Nazis hieß... |
01:03:33 | Arbeiter.. Arbeits... Also der hat 'ne andere Uniform gehabt. Und... Und ich sag': "Ich weiß, dass du nicht von der.. Du bist von der..." |
01:03:51 | Ich weiß nicht mehr, wie die Bezeichnung hieß. Äh, ja. Der sprach mit uns immer so halb deutsch. |
01:03:58 | Er dachte, wir sind, wer weiß wer solche Leute. Na hab' ich gesagt: |
01:04:03 | "Mit uns kannst du deutsch reden. Wir sind Deutsche." Das hat er nicht begriffen. Der hat.. Der Junge. |
01:04:13 | Arbei.. Arbeitsfront, nee... Ich weiß nicht mehr, wie die Bezeichnung hieß, von denen... Ja. |
01:04:21 | IV: Ich würd' vorschlagen, dass wir jetzt mal fünf Minuten Pause machen... |
01:04:25 | Laufen wir wieder? - Ja. Ja, ihr lauft? - |
01:04:27 | Ja. Äh, ich würde sagen, jetzt waren wir ja bei der Befreiung, und dann würde ich sagen, schließen wir dieses ganze Kapitel, |
01:04:34 | Auschwitz, Flossenbürg ab, und dann würde ich sagen, unser neues Kapitel heißt dann: "Neuanfang". Wie ging's weiter? |
01:04:45 | JS: Also, ich hab' mich von meinen französischen Mithäftlingen verabschiedet, und der hat gesagt: |
01:04:55 | "Was willst du in diesem fürchterlichen Mörderstaat? |
01:04:59 | Mörder. Komm mit mir nach Paris, da geht es dir gut." Und dann haben wir uns umarmt, und ich sag: |
01:05:07 | "Nein, ich, ich geh' in meine Heimatstadt Chemnitz. Ich geh' nach Norden, und du kannst nach Frankreich gehen." |
01:05:16 | Ja, und seitdem.. Er hat ja so'n schönen deutschen Namen gehabt. Marx. Ich weiß nicht, {unverständlich}. |
01:05:27 | Bin nach Chemnitz gegangen... Ach, ich bin bis Hof gelaufen. Mit noch einem. Und international.. Die Alliierten haben angeordnet, |
01:05:45 | dass in jeder Stadt, größeren Dorf auch, äh, Restaurants eingerichtet werden sollen, oder |
01:05:54 | Übernachtungsstätten für zurück.. überlebende Häftlinge. |
01:05:59 | So war das auch... in Hof. Und ich bin schon mit einem ehemalig.. Breslauer Junge gelaufen, er wollte auch nach.. Er wollte nach Breslau. |
01:06:16 | Aber.. Wir waren ja frei. Ich wollte nach Chemnitz. Und, und die Amis... Wie war denn das? |
01:06:27 | Ach, die haben uns angehalten, und: "Your paper, please!" |
01:06:34 | Und das.. Alle hatten paper, nur wir hatten keine. Und abends kamen so, |
01:06:42 | Ami-Militärfahrzeuge, große, alle drauf, in ein leergezogenes Konzentrationslager in Hof. |
01:06:53 | Wurden wir nach.. runtergeschmissen. Und früh am nächsten Morgen, hieß das Kommando: "Alles auf den Appellplatz, Oberkörper frei!" |
01:07:02 | Und dann stand alles da und die Amis haben SS-Leute gesucht, mit ihren Blut... |
01:07:15 | IV: Tätowierungen. |
01:07:18 | JS: ...hier unterm Arm, oder an der Seite oder was, ich weiß nicht was. Und ich, und ich stand da mit dem Breslauer und ich sag': |
01:07:24 | "Du, ein kleines bissel Englisch, Schulenglisch, bring' ich noch. Wenn die Amis kommen, nehmen wir zwei demonstrativ die Hände nach unten." |
01:07:36 | Und so hab' ich gesagt: "We are concentration camp. And this is the number." Oh, oh, was hat der Ami zu mir gesagt? |
01:07:49 | "Sorry, sorry, sorry." Und nochmal: "Oh, oh, oh. Entschuldigung, Entschuldigung." Mir wurde ein Offizier benannt, |
01:07:59 | der uns Ausweise.. Ja, ich hab' von den Amis einen, in vier Sprachen glaube ich, |
01:08:10 | Ausweis bekommen, den hab' ich noch zuhause gehabt. |
01:08:14 | Der müsste noch zu mir in der Wohnung liegen, wir haben es mit einem politischen Häftling zu tun, ihm ist jede Unterstützung zu gewähren. |
01:08:25 | Mit bicycle, Eisenbahn, was weiß ich was, so. Und dann hab' ich dem Ami gesagt: "Wir haben Hunger." |
01:08:37 | Und dann, äh: "Da fahren wir euch ins Rathaus von Hof." Also die haben, die Ami haben uns nichts zu essen gegeben. |
01:08:49 | Wir kamen ins Rathaus und sahen, da haben sie gesagt: "Wir haben auch nichts zu essen." |
01:08:53 | Aber, nach alliiertem Beschluss haben wir eine, ein Restaurant eingerichtet für Hä.. für, äh, zurückfüh.. überlebende Häftlinge. |
01:09:07 | Und das war um 9 Uhr früh. Und da haben wir geklingelt und dann kam der Ober raus: "Was wollt‘n ihr?" |
01:09:14 | "Das Rathaus schickt uns her, hier würd' s zu essen geben." |
01:09:17 | "Ja, aber nicht um Neune. Wir machen um Elfe auf. Ihr seid die Ersten. Haut euch hierher." |
01:09:25 | Und da lagen wir zwei vor der Eingangstür und haben gewartet, bis es um Elfe war. Um Elfe wurden wir reingelassen, |
01:09:34 | Und der Ober sagt: "Ihr seid schon so lange da, die erste Suppe oder was, bekommt ihr." |
01:09:44 | Und während wir die Suppe gelöffelt haben, sagt mein Nebenmann: |
01:09:49 | "Da drüben is' auch einer von Auschwitz. Den musst du auch kennen." Also, ich hab' den nicht erkannt. |
01:09:58 | Der ließ nicht locker. "Wir wechseln mal die Plätze." |
01:10:03 | Wir wechseln die Plätze, und "Schau mal hier nüber." |
01:10:08 | Und da schrei ich auf: "Mein Vater!" Alles hat geklatscht. |
01:10:13 | Der Ober hat meine Suppe runtergehauen, aber das hat er mit.. Also, ich hab' meinen Vater in Hof... |
01:10:21 | Wie.. und mein Vater kam aus Konzentrationslager Dachau und is', is' genau diesen Weg.. |
01:10:30 | Und dann sind wir gemeinsam weitergelaufen, nach Chemnitz. |
01:10:37 | Diese zerstörte Stadt. Ich hab' die Stadt nicht wiedererkannt. |
01:10:43 | Dort, wo einst der Krieg begonnen hat, hat der Krieg zurückgeschlagen. |
01:10:51 | Äh, Chemnitz war eine.. Es war nichts mehr ganz. Es fuhr keine Straßenbahn mehr, gar nichts. |
01:11:01 | Omnibus ist sowieso nicht gewesen.Also, ein Wort: eine tote Stadt. |
01:11:06 | Mein Vater war aber ein SPD-Mann. Vorher schon gewesen, war im Widerstand der SPD. |
01:11:14 | Und dann hat man.. Dann hat er wieder, nicht, die Partei mitgegründet, mein Vater. |
01:11:26 | Ach, und, und dann hab' ich zu meinem Vater gesagt.. |
01:11:29 | Ja, jetzt, wie das langsam wieder kommt. Ich bin auch in der Partei. |
01:11:35 | Ja, ich weiß bloß nicht wo. Und dann sagt mein Vater: |
01:11:40 | "Es sind ja ununterbrochen Versammlungen." Und da hab' ich sowieso.. Einem Mal von der SP.. |
01:11:46 | Es kamen nur zwei Parteien in Frage für mich: SPD, KPD. |
01:11:51 | Und dann hab' ich die angehört und hab' gesagt: "Ich seh' hier gar keinen Unterschied groß." |
01:11:56 | Alle wollen die Verfolgung der Nazi und Kriegsverbrecher, |
01:12:01 | Aufbau eines neu.. Friedlichen Deutschland, das haben doch alle beide. Na, dann gehste noch einmal rein. |
01:12:09 | Und dann bin ich noch einmal rein, hab' mir wieder angehört, und dann gefiel mir die Diskussionsrunde der SPD besser als die der KPD. |
01:12:20 | Bei der SPD war das nicht so absolut, absolut. |
01:12:25 | Bei der KPD: "Wenn wir das sagen, muss..." Das gefiel mir nicht. Also bin ich in die SPD gegangen. |
01:12:31 | Ich war einer der Jüngsten dann, die in der SPD waren. Ja. |
01:12:36 | IV: Wie war das dann auch so in der, in der Partei, die meisten jüdischen Überlebenden haben Deutschland ja verlassen. |
01:12:47 | JS: Ich nicht. |
01:12:48 | IV: Sie und Ihr Vater auch nicht? |
01:12:50 | JS: Nein. Mein Vater... |
01:12:52 | IV: Wie war sozusagen das Klima, als Sie sozusagen... |
01:12:55 | JS: Na, ich sag'... |
01:12:56 | IV: ...als Überlebender zurückkamen... |
01:12:57 | JS: Ja, mein Vater war SPD-Mann und is' in der SPD-Familie.. |
01:13:03 | Sind wir beide aufgenommen worden. Und man hat uns zu essen gegeben. |
01:13:07 | Und man hat uns, äh, Wo.., Wo.. Schlafraum gegeben. Die SPD-Familie war so groß... |
01:13:19 | Der Max Müller, der is' eigentlich, der war derjenige, der eigentlich den Aufruf zum, zur |
01:13:30 | Bildung des Arbeiter- und Bauern.. 1918, unterschrieben hat, mit Fritz Heckert. |
01:13:38 | Fritz Heckert auf der einen Seite, KPD, und Max Müller auf der anderen Seite. |
01:13:43 | Inzwischen war, war er ja der sächsische Innenminister geworden, Max Müller. |
01:13:52 | Also, wir.. Ich hab'.. Mein Vater lernt dort eine neue Frau kennen und sagt zu mir: |
01:14:00 | "Hast du was dagegen, wenn ich die heirate?" |
01:14:06 | Also da sind jetzt Wochen und Monate vorbei. Und ich sag': "Ihr könnt mir meine Mutter..." |
01:14:13 | Ich wusste, dass meine Mutter getötet worden ist, "...nicht mehr lebendig machen." |
01:14:18 | Dann, dann hat er die Herta Müller geheiratet. Aber die Ehe ging nicht lang, mein Vater ist nach kurzer Zeit gestorben. |
01:14:30 | Er ist aber von der Stadt noch berufen worden, |
01:14:35 | Berufen worden zur... Fehlen mir die Worte... |
01:14:44 | IV: Hat ein Amt oder so bekommen. |
01:14:45 | JS: Ja, hat ein Amt bekommen... Ah, Gedächtnis lässt nach, da... |
01:14:56 | IV: Is' nicht schlimm. |
01:14:57 | JS: Ja. |
01:14:59 | IV: Und Sie selber sind dann wieder zur Schule gegangen? |
01:15:01 | JS: Ah, ah, nee, ich... Die SPD sagte zu mir: "Solche jungen Leute, auf.. |
01:15:12 | Haben wir schon lange gewartet, mit so 'nem politischen Hintergrund. |
01:15:17 | Du musst zur Polizei." Da hab' ich so naiv geantwortet: "Ich wollte mal 'n Beruf erlernen." |
01:15:28 | "Polizei is' auch 'n Beruf." Hab' ich.. Haben die gesagt. |
01:15:34 | Da hab' ich gesagt: "Na gut. Wenn schon Polizei, dann möchte ich zur Kripo." |
01:15:42 | Aber im Freistaat Sachsen konnte man erst zur Kripo gehen, wenn man 25 is'. |
01:15:50 | Ich war aber erst gerade mal 19. "Dann geh du auf die Polizeiwache, Polizeirevier." |
01:16:00 | Naja... So bin ich auf ein Polizeire.. Aufs Team der Polizeirevier gekommen, hab' wieder Uniform gehabt. |
01:16:09 | Mein erster Dienstgrad war "Wachtmeister auf Probe". Ha. Was da los war, auf dem Revier... Die ersten... |
01:16:18 | Es war ja um 11 Uhr Sperrstunde. Um 11 Uhr hat jeder zuhause zu sein. |
01:16:24 | Nachts. Und manchmal kamen noch Leute, Frauen, und die haben wir ja als Polizisten, nach Hause begleitet. |
01:16:35 | Ich hab' mal 'n Vortrag gehalten, ein einziges Mal den gleichen Vortrag, ich, ich... |
01:16:41 | Es wär' doch wichtig, man sollte den Vortrag nochmal halten. Und zwar: |
01:16:47 | Die erste, die erste, die erste Stunde, so ähnlich hieß der Vorgang. |
01:16:52 | Äh, Vortrag. Ich hab' im Polizeirevier, siebente, Polizeirevier.. |
01:17:00 | Was ich nicht wusste, waren Barackenstädte. Die Nazis haben sogenannte Barackenstädte eingerichtet für Leute, |
01:17:09 | Heute würde man sagen, Faulenzer, oder ja... Die haben da.. |
01:17:18 | Und wenn nachts Leute aufgegriffen worden sind, sind die festgehalten worden. |
01:17:22 | Auf dem Polizeirevier, Männlein wie Weiblein, und früher sind die von uns begleitet worden, wegen der Gefahr Geschlechtskrankheiten. |
01:17:36 | Also die sind dort, äh, in so'n... Krankenhaus war das nicht, aber so'n Station gebracht worden. |
01:17:47 | Sollten geprüft werden, ob sie Geschlechtskrankheiten... |
01:17:49 | Der Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten war ganz... Vor allen Dingen Tripper, war ganz stark, äh, ja. |
01:17:57 | Und eben einmal is' ne Frau, splitternackt ins Polizeirevier gerannt, siebente, Angst vor Russen. |
01:18:10 | Die is' über ‘n Balkon ausgerissen, da haben wir erstmal Decken geholt. |
01:18:14 | Um die Frau zuzudecken, also.. Aber ich hab' dort unheimlich viel gelernt, für den späteren Beruf. |
01:18:25 | Und ich wollte ja zur Kripo. |
01:18:28 | Und dann hab', hat man mir gesagt: "Du kannst noch nicht." |
01:18:35 | Und dann immer wieder bin ich konfrontiert worden, mit Leuten der Kripo, wenn die auf'm Revier waren. |
01:18:43 | Haben jemanden geholt oder was weiß ich was, da haben die immer gesagt: |
01:18:47 | "Sag mal, warst du denn nicht eigentlich im Lager?" |
01:18:50 | Ich sag': "Ja." "Ja, was willst ‘n auf'm Polizeirevier? Wir brauchen junge Leute bei der Kripo." |
01:18:55 | "Na, ich kann nicht. Ich bin erst neun... Ich bin erst neunzehn." |
01:18:59 | "Na, da musste dem Innenminister..." Jetzt kommt er, Fischer, wie hieß der hier in Chemnitz, hatte.. |
01:19:07 | Also, ich hab' dem geschrieben, und dann wurde die Genehmigung erteilt, dass ich zur Kripo gekommen bin. |
01:19:15 | IV: Schon mit19? Oder 20 oder... |
01:19:17 | JS: Ja. Und die erste Arbeit, die ich gemacht hab', bei der Kripo.. |
01:19:22 | Ach so, es war Ost wie West, die Formulare waren gleich, die tona.. Die Dings waren gleich. |
01:19:35 | Und ich, und die erste Arbeit, die wir hatten, die ich mitgemacht hab' war, die schlimmen Nazis dingfest zu machen. |
01:19:46 | Wie meinetwegen den Luftschutzwart, der gesagt hat, "ich hab' gehört, abends, wie die BBC London hören", oder meinetwegen, was so... |
01:19:55 | {ahmt die Paukenschläge des deutschen Dienstes der BBC nach} |
01:19:59 | ...angezeigt sind, verhaftet worden, ins KZ gekommen... Also es gab 'ne ganze Masse, die verfolgt werden mussten. |
01:20:08 | Das ist der kleine Unterschied, meiner Meinung nach, gewesen, ich weiß nicht, |
01:20:14 | ob mit so 'ner Gründlichkeit im Westen das gemacht wurde. Also hier ist es... |
01:20:18 | IV: Also da war sozusagen die DDR schon gegründet, als Sie bei der Kripo waren dann? |
01:20:22 | JS: Nö... {JS und IV durcheinander} Noch nicht... Nein, nein. |
01:20:28 | IV: Also noch sowjetische Besatzungszone... |
01:20:29 | JS: Ja, ja, das war. Also, es gab genug zu tun bei der Kripo, Überfälle und alles Mögliche. Und nachts um, um 11 Uhr war Sperrstunde. |
01:20:40 | Also, da mussten sie alle zuhause sein. Frei.. Ja. Aber, und dann hab' ich die Sprossenleiter bei der Kripo gemacht, ich... |
01:20:59 | Das war mein, das war mein Beruf. Ich wollte eigentlich was ganz anderes machen. |
01:21:03 | Machen wollte ich Reporter. Sportreporter. Das lag mir. Also ich konnte Fußball.. Sportübertragungen regelrecht... |
01:21:18 | Und ich hab' mal, in der Schule war ein Aufsatz, Thema hieß {überlegt} |
01:21:30 | Es ist schlimm. Äh, Sport.. Radiobericht vom Autorennen, so ähnlich. |
01:21:41 | Und ich kannte die Fahrer alle, ob es Hans Stuck war, Caracciola, wie sie hießen. Und ich hab' 'n Aufsatz geschrieben, |
01:21:52 | Und dann wurden die Aufsätze wieder zurückgegeben, und da hat er gesagt, der Lehrer: |
01:21:57 | "Dieser Aufsatz ist in der Schulleitung schon einmal vorgelesen worden. |
01:22:04 | Und in der Parallelklasse auch. Und jetzt les' ich euch den Aufsatz vor." |
01:22:09 | IV: Weil der so gut war. |
01:22:12 | JS: Aber, war aber wirklich gut, ich weiß noch manche Sätze: "das satte Grün leuchtete darüber, und die schleu.. |
01:22:19 | Wunderbaren Autos stehen schon startbereit..." Also, das war, da hab' ich mein.. Ich wollte wirklich... |
01:22:26 | IV: Sportreporter werden. |
01:22:30 | JS: Ich wollte Sportreporter werden. Ja. |
01:22:32 | IV: Aber später wurde dann doch die Kripo Ihr Leben, oder Ihre Berufung. |
01:22:35 | JS: Ja. |
01:22:38 | IV: Das wollten Sie dann ja auch. |
01:22:40 | JS: Ja, das wollte ich auch. Ich hab' dann Jura studiert, und Diplom.. |
01:22:49 | Ich bin Diplomjurist. Und das, das machte mir Laune. Also, dieses.. |
01:23:00 | Zuletzt war ich verantwortlich für die Aufklärung von Mord und Totschlag, |
01:23:09 | Schwere Vergewaltigung und vor allen Dingen... fehlt mir schon wieder die Worte... |
01:23:18 | IV: Also jede Form von Gewaltkriminalität, an sich... Also... |
01:23:21 | JS: Ja. |
01:23:24 | IV: Und das haben Sie bis zu Ihrem, äh... |
01:23:27 | JS: Äh, bis zum... |
01:23:29 | IV: Rentenalter, oder so... |
01:23:30 | JS: Ja. Und der General, der sagte.. Der war aus dem Potsdamer Raum, sprach aber ganz berlinerisch: "Je nu, der Sonder..." |
01:23:45 | So hat er mich angesprochen, "häng' Se doch noch zwei, drei Jahre an." Ich hab' gesagt: |
01:23:52 | "Genosse General, meine Frau darf in Rente gehen, ich möchte eigentlich.." |
01:24:03 | Ich darf auch, man hat die ehemaligen Häftlinge, durften zwei Jahre eher glaube ich, gehen. Ich weiß nicht mehr genau, wie es war. |
01:24:13 | "Na dann gehen.. Na dann hörn Se eben auf bei uns, alles Gute wünsch' ich Ihnen noch." Hm. |
01:24:22 | Und dann haben wir ein paar schöne Jahre noch gehabt. |
01:24:27 | Die Frau war die Chefin, wo ich sie kennengelernt hab', im Raum Chemnitz - Kindergarten. |
01:24:35 | War verantwortlich. Und dann hat sie, is' sie sehr schwer krank geworden, und dann hat sie so 'ne Kita bekommen. |
01:24:45 | War nicht mehr die Chefin in Chemnitz, sondern Kita, und das machte sie bis zu, bis zum Ende. |
01:24:53 | Ja. Oder kurz vor dem Ende. Ja. |
01:24:58 | IV: Ja, trinken.. Trinken Sie nochmal einen Schluck... Ich trink' auch einen... |
01:25:06 | Ich möchte nochmal so'n bisschen zurückgehen, äh, also irgendwann wurde ja aus der sowjetisch besetzten Zone die DDR. |
01:25:15 | Die DDR hat sich gegründet, äh, wie haben Sie das erlebt? Hat sich da was geändert für Sie? |
01:25:20 | JS: Gar nischt. |
01:25:21 | IV: Gar nichts... |
01:25:22 | JS: Also für mich... kann ich mich nicht entsinnen. Ja, es is' sieben.. Wann war das? 7.10.49 glaube ich. |
01:25:36 | Ach so, äh, ich war nicht in der FDJ. Erst als ich erfahren hab', dass es keene Erfindung der DDR, |
01:25:53 | sondern, die FDJ ist in London gegründet worden, hab' ich gesagt: "Da tret' ich ein." |
01:26:02 | Also ich wollt'.. Die wo noch vor ‘n paar Wochen Hitlerjungs oder BDM-Mädels waren.. |
01:26:09 | Nein, die sind in England aus der Taufe gehoben worden. |
01:26:15 | Freie deutsche Jugend, auch die Fahne, und dann bin ich rein, und das war.. Ich bin a bissel hofiert worden. |
01:26:24 | Die wussten, dass ich im Lager war. Und dann bin ich gleich in 'ne Leitungsfunktion gekommen. |
01:26:31 | Leitung, aber Kultur. So. Und wir haben Ausflüge gemacht oder Wanderungen gemacht oder... |
01:26:43 | Politisch war nicht viel. Ja, man is', ich hab' mal einen.. |
01:26:53 | Ach, es gab bei der FDJ ein Abzeichen für gutes Wissen. Und das war.. |
01:27:02 | Die Bedingungen waren sehr, sehr schwer. |
01:27:06 | Und die Polizei in Chemnitz wollte, dass sie mit die ersten sind, die dieses, diese Medaille bekommen haben. |
01:27:20 | Und stellten uns acht Tage von der Arbeit frei, zwei Mann. |
01:27:26 | Den FDJ-Sekretär Gerhard Wallussek, so hieß er glaube ich, und ich von der Kripo. |
01:27:35 | Und wir, wir machten alles Mögliche, lernten, lernten, lernten, lernten, und was man auswendig... |
01:27:43 | Also mit einem Wort, die Prüfung wurde in Halle abgenommen. |
01:27:49 | Wir fuhren früh nach Halle, und dort musste man einen gewählten Aufsatz schreiben, aber das hab' ich auch gemacht. |
01:28:00 | Und wir besch.. Wir bekamen das Abzeichen für gutes Wissen. Das erste Abzeichen für Chemnitz. Für gutes Wissen in Gold. |
01:28:11 | Und wir waren so besessen, auf dieses Gold, haben wir ja erarbeitet, dass ich in Leipzig, wir hatten 'ne Stunde Aufenthalt, |
01:28:21 | Sind wir beide auf das Postamt gegangen und haben wir beide nach Chemnitz an die Polizeidirektion ein Telegramm geschickt: |
01:28:32 | "Zwei Mal Gold. Gerhard und Justin." |
01:28:38 | So stark war das. Wir bringen, was wir können, wir sind da für die Sache... Ja. |
01:28:47 | IV: Der starke Wille. Sie haben ja gesagt, willensstark und zielstrebig. |
01:28:50 | JS: Ja, ja, der andere machte auch mit. Er, er, der Gerhard. Ja. |
01:28:58 | IV: Denken Sie jetzt denn in Ihrer Zeit, sozusagen ja auch Ihrer beruflichen Karriere und des normalen Alltagslebens.. |
01:29:04 | War das irgendwie noch ‘n Thema, dass Sie an sich Jude sind? |
01:29:08 | JS: Nein. Ich bin Atheist, ich hab'.. Wie hab' ich mal gesagt? Ach, ich hab' in Würzburg gesprochen. |
01:29:19 | Wahnsinnig große Veranstaltung. Und die Zeitung in Würzburg, oder Kitzingen, ich weiß es nicht, hieß Mainpost. |
01:29:33 | Und die Mainpost schrieb, Balkenüberschrift: "In Auschwitz ging ihm der liebe Gott verloren" So ähnlich. |
01:29:43 | Das war die Balkenüberschrift. Da war, ja, hat mich nicht gestört. Muss ich ehrlich sagen. |
01:29:50 | IV: Aber, ich meine jetzt auch gar nicht unbedingt persönlich für Sie, sondern in der Wahrnehmung von außen. |
01:29:56 | Weil viele jüdische Überlebende, die haben ja gesagt, sie wollen in Deutschland nicht leben, sie wollen weg... |
01:30:01 | JS: Ach so, da muss ich dann schon... |
01:30:03 | IV: ...weil sie quasi diskriminiert werden, oder immer noch schlecht angesehen werden, kam da von außen.. War das irgendwie für andere ein Thema? |
01:30:09 | JS: Nein. Da muss ich aber zurück ins Lager nochmal gehen. Im Lager waren wir 'ne Gruppe deutscher Jungs. Wo ich war. |
01:30:20 | Breslauer, St.. Bayerische, München und alles Mögliche, Chemnitz natürlich auch, Leipzig, Dresden... |
01:30:29 | Wir haben gesagt, wir wollen nach Deutschland. Im Lager! Im Lager haben wir das gesagt. Wir, die, die haben uns für verrückt erklärt. |
01:30:38 | Wir wollen nicht ins Ausland, wir wollen nicht nach Amerika, wir wollen nicht nach.. Israel gab's nicht, Palästina. Wir wollen in Deutschland... |
01:30:46 | Und wir wollen studieren, wir wollen, wir wollen ein gutes Deutschland aufbauen. Es klingt heute alles pathetisch, aber es ist wahr. |
01:30:55 | Und die, die haben uns an den Kopf gegriffen, die anderen. Äh, und wir haben das gemacht. Und jedes Jahr haben wir uns einmal in Berlin getroffen. |
01:31:05 | Als wir verheiratet waren, haben wir uns wieder getroffen, äh. Und alle haben studiert, einer von uns hat promoviert, es sind alle in Deutschland geblieben. |
01:31:18 | Die, die kleine Gruppe, wir waren wesentlich weniger als die religiösen Leute. Die sogar während ihrer Haftzeit gefastet haben. |
01:31:29 | Sind früh zur Arbeit und bis zum Fastenbrechen haben sie die Schwerarbeit gemacht, das haben wir, war... {schüttelt Kopf} ...war ich nicht dabei. Ja. |
01:31:39 | War ich nicht dabei. Ich gehörte auch keiner Gemeinde, ich bin Atheist. Muss ich ganz ehrlich sein. Ich werde manchmal eingeladen. |
01:31:49 | Mal gehe ich, mal gehe ich nicht, sie wissen, kennen meinen, meine Meinung zur Religion. Auch die jüdische Gemeinde in Chemnitz. |
01:32:01 | Das sind ja mehr aus Russland eingewanderte Juden. Aber ich hab' nichts mit der jüdischen Gemeinde. Ich werde manchmal eingeladen, |
01:32:12 | Auch von der Vorsitzenden. Ich hab' dort gesprochen, das, das Sprechen is' ganz schwer. Es wird 'ne deutsche Frage gestellt, |
01:32:23 | dann wird Russisch übersetzt, dann wird meine Antwort wieder in Russisch, ach Gott... |
01:32:30 | Aber die Frau, Vorsitzende der Gemeinde, ich weiß nicht, ob Sie das wissen... Is' 'ne Deutsche. Und der Mann ist, ich glaube Christ. |
01:32:42 | Wie so oft die sogenannten Mischehen, in Sachsen, ganz stark waren. Schon während meiner Kindheit hab' ich viele kennengelernt. |
01:32:56 | Jungs und Mädels aus 'ner Mischehe. |
01:32:59 | Da haben die Eltern beschrieben, wir wollen das das Kind christlich erzogen wird oder so. |
01:33:07 | Oder die haben gesagt, sie wollen, dass die jüdisch erzogen werden. |
01:33:13 | War aber in Unterfranken unmöglich. Oder in Franken. Was hier gang und gäbe war bis nach Berlin hoch, also da war das einfach. |
01:33:25 | Die haben, ich hab' 'n Freund gehabt, der hieß Erich, der Vater war Jude und die Mutter war Christin. Der hatte eine Schwe.. Der hatte zwei Schwestern. |
01:33:37 | Da war das ähnlich: Die eine ist christlich erzogen worden... Es war ein Durcheinander. Und die haben Chan.. Die haben Weihnachten gefeiert. |
01:33:47 | Und, und Chanukka, ein Lichterfest. Und da entstand das schöne deutsche Wort: Weihnukka. |
01:33:55 | Ha, wenn man das Wort Weihnukka hört, das ist 'ne Veralberung. Ja. |
01:34:03 | IV: Jetzt vielleicht so abschließend noch so'n paar Fragen. Sie haben ja erlebt sozusagen, wie aus Nazideutschland, oder einem Teil, die DDR wurde. |
01:34:12 | Und Sie haben ja dann auch die Wende und die Wiedervereinigung erlebt. |
01:34:17 | Äh, hat sich da was in Ihrem Leben verändert, wie haben Sie das wahrgenommen? So, also die letzten 25 Jahre? |
01:34:25 | Irgendwie so, oder auch die Veränderung in der Gesellschaft... Hat das auch für das Leben von jüdischen Menschen was geändert? |
01:34:31 | JS: Na, ich meine, ich hab' ja mit den jüdischen Problemen... War nicht mehr für mich. |
01:34:38 | Äh, also ich hab' das begrüßt, die deutsche Einheit. |
01:34:43 | Und, und auch in meinen Vorträgen, da war noch gar nicht dran zu denken, hab' ich den Jungs und Mädels gesagt: |
01:34:52 | "Leute, ihr braucht nicht nach Jamaika zu rammeln. Wir haben ein wunderschönes Land. |
01:34:59 | Liebt Deutschland... Und in Deutschland darf nie wieder Krieg..." Also ich hab' gefleht. |
01:35:05 | Das ist auch der Grund, im Großen und Ganzen, warum ich Ehrenbürger geworden bin. Das hab' ich gar nicht registriert. |
01:35:12 | Aber die Stadt hat registriert, in wieviel Schulen ich war, in wieviel.. |
01:35:18 | Vor wieviel Kindern ich gesprochen hab', und dann... Das war der Grund. |
01:35:22 | Also dann, Ehrenbürgerschaft entspricht dem Wirken, was ich in den Schulen gemacht habe, in vielen Schulen. Ja. |
01:35:31 | IV: Und ist es Ihnen nie schwer gefallen, darüber zu reden? |
01:35:36 | JS: Nein. |
01:35:37 | IV: Es gab ja Leute, die wollten ihr ganzes Leben nicht mehr drüber reden... |
01:35:40 | JS: Doch, ich hab' mich, ich hab' das ihnen gesagt, ich muss aus der, meiner Jugendzeit.. Ich bin mit 17 dorthin gekommen. |
01:35:50 | Und hab' Selektionen, äh denn.. dargestellt und aber auch gesagt, dass meine Mutter ermordet worden ist. Und ich, und ich sage, was ich hier mache, |
01:36:01 | ist alles im Ange.. Im Gedenken an meine wunderbare Mutter, die ermordet worden is'. Die is' grausam ermordet worden. |
01:36:11 | Wer da denkt, der Gastod is' einfach und schnell, der irrt gewaltig. Sie kämpfen fürchterlich ums Überleben, die machen die verrücktesten Sachen. |
01:36:22 | Kann man gar nicht schildern. Und immer wenn, ich hab' gesagt, wenn 'ne Frage kommt zu meiner Mutter, lehne ich ab. |
01:36:32 | Also das hab' ich nicht beantwortet. Was hab' ich noch? Ah, zwei Sachen... Ach, und eine zweite Sache lehne ich ab: Wenn sie gesagt haben... |
01:36:40 | "Wissen Sie, Sie haben gesagt, die werden erschossen. Die Häftlinge sind erschossen worden, |
01:36:46 | sind vergast worden, was gab's denn noch für Totungs.., Tötungsarten?" |
01:36:50 | Und dann sag' ich: "Ich kenn' sie, ich teile sie Ihnen aber nicht mit. Zu meinem Schutz und auch zu Ihrem Schutz." Darüber spreche ich nicht. |
01:37:01 | Es ist fürchterlich, was ich an Todesarten in Auschwitz erleben musste. Also, das, das hab' ich auch eingehalten. Spreche ich nicht. |
01:37:14 | Und es kommt auch sehr, sehr selten vor. Ja, kommt selten vor. Aber ich sag' gleich: "Schenk ich euch." |
01:37:24 | Ja, ja. Kapitel für sich. |
01:37:43 | Eine Selektion ist... Kann man nicht darstellen. Und mein letzter Kapo von Auschwitz, ein Chemnitzer, hat auch überlebt. Ah, als Komponist. Ja. |
01:38:09 | IV: Ja, vielleicht einfach, nach auch diesen vielen schrecklichen Geschichten, |
01:38:15 | So wenn man auf die Jahre danach kuckt, was war dann so das Schönste in Ihrem Leben? |
01:38:22 | JS: Das Kennenlernen meiner Frau. Sag ich ganz ehrlich. |
01:38:27 | Also erstma' hat die Polizei ein Ensemble aufgebaut. Ich musste nicht mehr Polizist spielen. |
01:38:40 | Sondern war nur noch... Man hat uns alle, die sich freiwillig gemeldet haben, geprüft. In Erhol.. In einem Erholungsheim der Polizei. |
01:38:53 | Auf unsere Stimme. Und haben gesagt, wir wollen ein Ensemble aufbauen. Aber jede Stimme wurde e.. Wirklich von einem Musiker geprüft. |
01:39:06 | Und gleich an Ort und Stelle wurde gesagt zu mir: "Der Bass geht, du wirst genommen. |
01:39:14 | Zum bestimmten Zeitpunkt musste dort und dort sein." |
01:39:19 | Und zu den anderen hat man gesagt: "Du kannst wieder nach Hause fahren. Das dau.. Das geht nicht." Ja, und dann wurde das Ensemble... |
01:39:30 | Nannte sich Republikensemble der deutschen Volkspolizei. Ein Klangkörper ersten Grades. |
01:39:38 | Ich hab' die ganze DDR mit dem Ensemble.. |
01:39:44 | Jeden Tag, in Plauen, in Chemnitz, vor Hunderten, vor zehntausend Zuschauern. Ja, bis zum Ende. |
01:39:53 | Und dann hat man uns gesagt, wo das Ende, nach einem halben Jahr: "Ihr könnt jetzt richtige Profis werden. |
01:40:05 | Dieses Ensemble tritt dann in Deutschland auf, in Ausland auf, oder ihr geht zurück." Und da hab' ich gesagt: |
01:40:14 | "Mit mich braucht ihr gar nicht weiter reden, ich war schon bei der Kripo, ich möchte wieder dorthin. |
01:40:21 | Ich hab' mit dem, mit dem Ensemble will ich nichts mehr zu tun haben." |
01:40:25 | Also, so'n bissel, so ähnlich hab' ich gesprochen. Und da hab' ich wieder angefangen bei der Kripo. Ja. |
01:40:32 | IV: Also zwischendurch waren Sie praktisch, richtig fast vollberuflich in diesen... So 'ne Art Polizeichor oder so, dieses Ensemble... |
01:40:39 | JS: Es war ein Ensemble, ein richtiges Ensemble. |
01:40:41 | Ja, ja, war ich drin, aber das war vielleicht ein halbes Jahr. Ja, war schöne Zeit. Wir waren jung. Ja. |
01:40:50 | IV: Und Sie haben gesungen. |
01:40:54 | JS: Ich hab' nur gesungen. |
01:40:55 | IV: Welche Stimmlage? |
01:40:56 | JS: Bass. |
01:40:57 | IV: Bass. |
01:40:58 | JS: {unverständlich} Bin ich hier ja, bin ich zu dem Chor gekommen hier. Hier wurde auch einmal im, im bestimmten Zeit... |
01:41:08 | Also, äh, das war ein Klangkörper ersten Grades. Ja. Wunderbar. |
01:41:14 | Und, da hab' ich so lachen müssen, wie hieß der große Sänger von drüben, Westen? |
01:41:22 | Wie der gesagt hat, ihr seid ja gar keine, ihr habt ja bloß Lieder aus der Sowjetunion gesungen... |
01:41:28 | Und, und, und, das stimmt nicht, natürlich. Wir haben ganz uralte deutsche Lieder gesungen. Ich kann mich erinnern: "Schwefelhölzle" |
01:41:38 | Das ist ein sagenhaft altes deutsches.. {singt} |
01:41:41 | Schwefelhölzle, Schwefelhölzle muss mer han. Schwefelhölzle, Schwefelhölzle, um Feuer machen kann. |
01:41:48 | Lalala, lalala... Na, das war... |
01:41:51 | Also die Zeit, das is' natürlich Unsinn gewesen, was der gesagt hat. Nein, nein, das waren deutsche Volkslieder. |
01:41:58 | IV: Und das ist 'ne schöne Erinnerung für Sie. |
01:42:00 | JS: Das ist 'ne wunderbare Erinnerung. Also, da... Freies Leben gewesen. Ja. |
01:42:07 | IV: Jetzt, zum Abschluss, das Mittagessen wird schon langsam kalt, befürchte ich... |
01:42:12 | JS: Aber haben wir denn über Flossenbürg... |
01:42:14 | IV: Haben wir, da haben wir genug geredet. Das ist... |
01:42:17 | JS: Haben wir genug geredet... Ja. |
01:42:20 | IV: Mich würde jetzt noch interessieren, zwei Sachen. Was wünschen Sie sich noch für Ihr Leben? Und was... Sie sich persönlich. |
01:42:30 | Und was wünschen Sie Deutschland für die Zukunft? |
01:42:34 | JS: Also, so.. 'Ne Einheit. Ich wünsche, dass kein Krieg mehr ausgeht von Deutschland. Dass Frieden herrscht. Dass die gegenwärtigen Dinge, |
01:42:50 | die ich ab und zu mal höre, die menschenfeindlich sind, die antisemitisch sind, die Ausländerhass predigen, dass das.. |
01:43:00 | Das wünsch' ich mir, dass das aufhört. |
01:43:03 | Dass das untersagt wird, dass es - da muss ich sagen - bekämpft wird. Das darf es nicht in Deutschland geben. |
01:43:10 | Ein zweites Auschwitz darf es nicht geben. Und ich denke auch, es ist die Kraft vorhanden, und ich, ich glaube, dass das gelingt. |
01:43:22 | Aber es müssen schon viele Leute mitmachen. Müssen sehr viele Leute mitmachen. Ja, das wünsch' ich mir für Deutschland. Für mein Heimatland. Ja. |
01:43:32 | IV: Und für sich persönlich? |
01:43:36 | JS: Na, noch ein paar gute Jahre. Es ist, ich, ich hab' ja noch niemand groß kennengelernt, weder ein Mann noch eine Frau. |
01:43:48 | Wenn man, wenn ich hier lieg', und bevor ich einschlaf', ich sag, mein Sohn, der ruft mich jeden Abend an, aus‘m Stuttgarter Raum. |
01:43:58 | Und dann sag' ich: "Die erste Zeit denk' ich immer noch an die Mutter." {nickt} Die gestorben ist. |
01:44:07 | Ich war echt ein Mann, der die Frau geliebt hat. Wie man einen Menschen lieben kann, also das is'... Schade. Ja. |
01:44:26 | Meine Tochter is' Lehrerin, ganz schwer in der Schule. Die heißt "Am Zeisigwald", in Chemnitz. Und diese Schule hat den Untertitel: |
01:44:44 | "Für Schwererziehbare". Also, was die zu hören bekommt und zu sehen bekommt, und erleben muss, is' viel. Ja. |
01:44:57 | IV: Aber die is' ja dann in Ihrer Nähe, wenn sie in Chemnitz ist. Die Tochter. |
01:45:03 | JS: Die besucht mich oft, ja. |
01:45:05 | IV: Das ist doch schön. |
01:45:06 | JS: Ja, ja. Das ist wunderbar. Und ein Sohn, der spricht bloß Englisch, beruflich, in Berlin, Nachzügler. Also der is' zehn Jahre jünger als die anderen Kinder. |
01:45:21 | Und der andere hat promoviert, mein ältester Sohn, hat ‘n Doktor gemacht, und is' auch so Ding, äh, Spezialgebiet, äh, Spezialgebiet Englisch. |
01:45:42 | Einsatzgebiet der Nahe Osten. Israel nicht, äh, die anderen Länder. Ja. Und dann fehlt mir wieder der Faden. |
01:46:02 | IV: Äh, die Kinder, wie es einem geht... Aber... Und insgesamt, wenn Sie zurück gucken, ein gutes Leben? |
01:46:15 | JS: Ich würde sagen, ich möcht' die erste Hälfte nicht noch einmal erleben. Das war zu.. Ich war ja auch im Kinderheim. |
01:46:26 | Meine Mutter war so schwer krank, ist, ich glaube, vier Mal operiert worden, und mein, durch die Arbeit meines Vaters, |
01:46:37 | der nicht zuhause seinen Beruf hatte, sondern ich musste ins Kinderheim. Die, das Kinderheim war auch ein Ort meiner Erziehung. |
01:46:48 | Also ich hab' mich untergeordnet. Im Kinderheim muss man sich unterordnen. Da kann man nicht hier Wild West spielen. |
01:46:55 | Und alles, was ich vorgeschlagen hab', musste die Oberin, so hieß die, bestätigen. |
01:47:04 | Zum Beispiel: Manche Kinder, also ich gehörte nicht darunter, hatten noch Päckchen bekommen. |
01:47:13 | Das war so vorübergehend. Und dann hab' ich gesagt: "Die Masse kriegt keine Päckchen. Du hast aber einen Karton bekommen mit Kuchen und Äpfel. |
01:47:27 | Ich schlage vor, wir machen eine Süko", was heißen soll: Süßkost-Kiste. |
01:47:38 | IV: Für alle, praktisch. |
01:47:39 | JS: Ja. Gib was ab. Die Masse kriegt ja kein Päckchen. Und das musste erst die Oberin bestätigen. Und, und so ist die Süko entstanden. Ja. |
01:47:54 | Und ich hab' noch ‘n Vorschlag gemacht. Der is' halb und halb durchgegangen. Ich wollte, dass wir uns selber erziehen. Also spielerisch. |
01:48:09 | Äh, ich war der Staatsanwalt, andere haben den Richter gespielt. Jetzt haben wir.. |
01:48:19 | Und der hat.. Also, ich weiß, der Junge hat bei den Mädels mal oben ins Bad geguckt, also... |
01:48:27 | Das ist ruchbar geworden, und jetzt sollten wir.. Und dann haben wir den.. Das ist nicht durchgegangen bei der Oberin. |
01:48:36 | Wir wollten den nach Naziart in Bann legen. Also keiner durfte mit dem mehr sprechen. Und dieses Urteil hat die Oberin nicht bestätigt. |
01:48:48 | Dagegen, ein anderes, wie der einmal ins Waschraum geguckt hat, bei ‘n Mädels, oder, oder Baderaum, durch ‘n Fenster... |
01:48:58 | Da hat er die Schuhe putzen müssen für alle. Das is' bestätigt worden. {lacht} |
01:49:05 | IV: Aber das zeigt ja, dass Sie schon sehr früh ein soziales Bewusstsein hatten. |
01:49:09 | JS: Naja... |
01:49:10 | IV: Also nicht nur an sich gedacht, sondern auch an andere. {sprechen durcheinander} ...soziale Gerechtigkeit... |
01:49:15 | JS: Durch das Kinderheim. Das Kinderheim, schlechtes Essen, armselig, armselig, könnt ihr nicht mehr vergleichen mit heute. |
01:49:25 | Um Gottes Willen, Ostern '38... Meine Mutter hat mir immer 'n paar Ostereier geschenkt, und ein bissel Gelee so, Gellee-Ei. |
01:49:39 | IV: Gelee-Ei... |
01:49:41 | JS: Ja, Gelee-Eier. Und die hatten so gut wie gar nichts. Das war so armselig, ach... Also, die Zeit möcht' ich eben nicht mehr wiederholen. |
01:49:53 | Ja, die Lagerzeit natürlich auch nicht, aber sonst, ansonsten, hab' ich eine wunderbare Ehe geführt, Kinder haben alle studiert, |
01:50:06 | Alle Kinder studiert, ja. |
01:50:12 | IV: Jetzt haben Sie die Kurve aber noch gut gekriegt, mit der Frage. |
01:50:17 | Die erste... Jetzt haben Sie aber gut die Kurve in der Frage noch gekriegt, wie das Leben war: Erste Hälfte nicht mehr, aber die zweite war gut. |
01:50:27 | JS: Ja. Jaja. |
01:50:29 | IV: Gut. Und dann machen wir jetzt einfach Schluss und ich bedanke mich. Vielen Dank. |
01:50:35 | JS: Ist in Ordnung. |
01:50:36 | IV: Vielen Dank. Das war sehr... {unverständlich im Hintergrund} |
01:50:38 | JS: Jetzt wollen die Schwestern.. Haben, oder wie ihr wo.. |