Media Collection "Interview Otto Schwerdt 2007"

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Contents

Originator/Copyright holder Medienwerkstatt Franken
Source(s) KZ-Gedenkstätte Flossenbürg / Medienwerkstatt Franken
Usage conditions Nur mit Einverständnis und Nennung von Archiv bzw. Urheber
Display format Interview, Rohmaterial
Interviewer Michael Aue
Camera Günter Wittmann

Subtitles for "AGFl_AV.22.0722.mp4"

00:00:02 IV: Herr Schwerdt, Sie haben ja mehrere Jahre von 1943 an glaub' ich bis zur Befreiung die Zeit in Konzentrationslagern verbracht.
00:00:10 Nach Auschwitz kamen Sie nach Fünfteichen glaub' ich, waren da ja 'ne längere Zeit.
00:00:15 Und schon als so langsam glaub' ich, in dem Buch haben Sie geschrieben, da war zu spüren, dass der Krieg wahrscheinlich zu Ende geht, ging auch die Zeit in Fünfteichen zu Ende für Sie.
00:00:26 OS: Ja, wir hörten ja schon Kanonendonner.
00:00:30 Wir wussten schon, dass irgendetwas passiert, nicht, dass die Front näher kommt.
00:00:34 Und dann vergessen Sie bitte nicht, wir haben bei Krupp gearbeitet.
00:00:38 Wir waren mit Zivilisten zusammen.
00:00:41 Die haben uns manchmal eine Zeitung zugesteckt.
00:00:43 Und da hat man ja gelesen, wir haben uns planmäßig zurückgezogen, nicht.
00:00:47 Wir haben es anders gelesen, es geht zu Ende.
00:00:50 Und dann kam auf einmal der Befehl, alle müssen sich sammeln, und der Todesmarsch, nicht.
00:00:58 Von Fünfteichen nach Groß-Rosen.
00:01:01 IV: Können Sie darüber ein bisschen erzählen?
00:01:04 OS: Ja gut, das war was ganz Schlimmes insofern, dass, wissen Sie, man geht in einer Reihe, und dann kommen die SS und zieht jemand raus und erschießen ihn in Ihrer Gegenwart.
00:01:13 Sie sehen, wie die Leute verbluten, also in Kopfschuss kriegen.
00:01:16 Und äh Leute, die nicht mehr gehen konnten, die sitzen dann im Schnee und warten auf ihren Tod.
00:01:22 So was Schlimmes, man selber hat schreckliche Angst, nicht.
00:01:25 Nicht nur um sich selber, um meinen Vater auch.
00:01:28 Und Leute konnten auch nicht so.
00:01:30 Die Häftlinge waren ja abgemagert und hungrig und, und, wissen Sie, so 100 Kilometer zu gehen, das war schwer.
00:01:40 Und die Hälfte ist ja auch dabei erschossen worden.
00:01:43 Die haben's ohne Rücksicht, da gab's keine Rücksicht.
00:01:47 Ganz egal, und wenn's jemand denen das Gesicht nicht gepasst hat, dann haben sie raus aus der Reihe, komm, Bum, Genickschuss und fertig.
00:01:54 Und das muss man ja, wenn man auch geht, wissen Sie, die Angst, die mitgeht, man muss es ja auch verdauen sowas.
00:02:02 Das kann man gar nicht, man geht in einem Schock, man hat einen Schock.
00:02:05 Man geht einfach, man denkt: "Hoffentlich erwischt es dich nicht."
00:02:10 IV: Äh, wie lange.., vielleicht können Sie noch ein bisschen erzählen, Sie waren mit Ihrem Vater zusammen.
00:02:15 Wie lange hat dieser Marsch gedauert, ..
00:02:17 OS: Der z..
00:02:17 IV: .. wie war die Verpflegung, wie haben Sie übernachtet?
00:02:21 OS: Also es war so:
00:02:22 Erstens, wie wir uns auf dem Appell in Fünfteichen standen, hat man jedem ein Stück Brot gegeben.
00:02:27 Und dann sind wir losgegangen.
00:02:32 Und die Reihe, Sie dürfen eins nicht vergessen, wenn 5000 Leute gehen, die hinteren haben immer auf die vorderen raufgegangen.
00:02:38 Weil das, das geht gar nicht anders.
00:02:40 Manche gehen langsamer, manche gehen schneller. {Räuspert sich}
00:02:44 Und wir.. am Anfang wussten wir ja gar nicht.
00:02:47 Wir dachten, das kann ja nicht sein.
00:02:49 Und dann haben wir es eben gemerkt, dass die Schüsse anfingen und dass man die Leute erschossen hat.
00:02:53 Wir sind gegangen und dann haben wir eine Nacht in einer Scheune, in zwei Scheunen haben wir übernachtet.
00:02:59 Manche im Schnee, weil kein Platz war. {Räuspert sich}
00:03:03 Und unterwegs haben wir nur ein bisschen Wasser gekriegt.
00:03:07 Ich weiß noch, dass unterwegs verschiedene, wo wir.. die Orte, wo wir durchgegangen sind, ja so alte Mütterlein gewesen sind, die haben uns Brot ein bisschen gegeben, aber die SS hat die verjagt.
00:03:17 Und dann stellen Sie sich mal vor, man gibt.. wir haben uns gerauft um das Brot, weil man ja hungrig war.
00:03:23 Aber die Angst hat mit.. ist.. mit der Angst ist man mitgegangen.
00:03:28 Und dort beim Schlafen, wenn wir geschlafen haben in der Scheune auch.
00:03:32 Da musste man Wache stehen, damit ein Häftling den anderen nicht erschlägt wegen dem Stückchen Brot.
00:03:36 Denn Leute, die hungrig sind, sind.., die kann man nicht.., die sind unberechenbar.
00:03:42 Da spielt das Leben überhaupt gar keine Rolle mehr.
00:03:46 Da musste man sich dagegen wehren, dass man auch nicht von den eigenen Leuten zu.. wenn jemand hungrig ist, wird er ein Tier.
00:03:52 Das kann man gar nicht verstehen, aber so ist es mal.
00:03:55 Und da musste man sich dagegen wehren.
00:03:57 Wir haben immer 'ne Wache aufgestellt, also in der einen Nacht auch in der Scheune auch 'ne Wache aufgestellt, weil wir Angst hatten wegen den Stückchen Brot, dass man uns umbringt.
00:04:08 IV: Äh.. wieviel sind denn im Endergebnis von diesen 5000 Leuten angekommen, warum glauben Sie, wie haben Sie das geschafft, ihr Vater, der noch kränker war?
00:04:17 OS: Ja, ich meine, ich hab' ja Glück gehabt, dass ich den Oberscharführer Langner kannte.
00:04:22 Und zwar bei Krupp, weil bei der Nachtschicht war ich ja Schreiber.
00:04:25 Und der ist mal zugekommen zu mir, hat mir erzählt, es tut ihm so leid um uns, und er ist aus Patschkau, das ist in Oberschlesien.
00:04:33 Und äh hat mir dann ein Buch gebracht, das hieß "Der Untertan" von Heinrich Mann.
00:04:38 Das war ein Buch auf der verbotenen Liste der Bücher.
00:04:41 Und wollte mir damit zeigen: "Ich bin anders".
00:04:44 Hat er mir wieder mal ein Brot gebracht und was.
00:04:46 Und dadurch, dass der gesagt hat, meinem Vater kann nichts passieren..
00:04:51 Wissen Sie, wenn man in so einem Marsch geht, und es kommt jemand, sagt "Dir kann nichts passieren", jemand der, der es möglich machen kann.
00:04:58 Dann kriegt man doppelte Kraft.
00:05:00 Und er ist immer wieder zugekommen, hat gefragt, wie es meinem Vater geht.
00:05:03 Und dann, wir waren so sieben Leute zusammen, und einer hat immer den anderen gestützt, man hat die Hoffnung gehabt, wir kommen schon irgendwie an, nicht.
00:05:11 Und den Mut gegeben.
00:05:13 Und wenn einer nicht mehr konnte, hat man ihn untergehakt und probiert, ihn weiterzubringen.
00:05:19 Ich weiß heute nicht, wie wir es durchgemacht haben, wie wir es überlebt haben.
00:05:22 Das kann man heute gar nicht mehr bemessen.
00:05:24 Man wundert sich, dass man es überlebt hat.
00:05:31 IV: Sozusagen, als Sie gestartet sind in Fünfteichen, gab es überhaupt eine Vorstellung, wo es hingeht, was es wird?
00:05:38 Mit was für Gedanken sind Sie losgegangen?
00:05:41 OS: Wir sind gedankenlos.. und wir werden evakuiert und wir werden in ein anderes Lager eventuell oder in die Freiheit.
00:05:45 Man wusste es ja nicht.
00:05:46 Aber man hat sich das nicht vorstellen können.
00:05:49 Nebenbei gesagt, äh man.. wir hätten uns ja krank melden können im Krankenrevier.
00:05:55 Aber wir haben ja Angst gehabt, dass man uns erschießt.
00:05:57 Und dann hab' ich erfahren, dass alle überlebt haben.
00:05:59 Da waren.. die wurden der Volkspolizei übergeben.
00:06:02 Und die hat's, hat's einfach nur gehütet.
00:06:05 Wie die Rus äh.. die Russen kamen, haben's freigelassen alle.
00:06:08 Naja.
00:06:11 Man geht in so einem Marsch, man denkt nur: "Hoffentlich erwischt es dich nicht".
00:06:15 Sie fragten, wie viele Leute überlebt haben.
00:06:17 Die Hälfte, 2500 Leute sind angekommen.
00:06:20 Ich weiß noch, dass sich in den, bei den Dörfern noch die Einwohner beschwert haben, dass die Straßen so blutig sind.
00:06:28 Nicht über die Leute, über die Straßen, dass sie blutig sind.
00:06:35 IV: Sie haben vorhin mal gesagt, sie mussten nachts Wachen aufstellen, damit niemand Ihnen das Brot wegnimmt vielleicht.
00:06:41 Und haben gesagt, in den Situationen werden die Menschen zu Tieren einfach.
00:06:45 OS: Das ist richtig.
00:06:46 IV: Damit sie überleben.
00:06:47 Was denken Sie denn, äh das hat aber ja nicht alle betroffen.
00:06:50 Wie haben Sie sich davor geschützt, oder vielleicht auch Ihr Vater, Ihre Freunde, nicht zum Tier zu werden?
00:06:57 OS: Ja, wissen Sie, das kann man, wenn man eine Unterstützung hat, nicht.
00:07:02 Wenn einer dem andern Trost zuspricht und..
00:07:04 Ich mein', es hängt auch von dem Menschen, kommt auf den Menschen drauf an.
00:07:07 Wie hungrig ist er?
00:07:09 Wie, wie reagiert ein Mensch?
00:07:12 Einer reagiert so, einer reagiert anders.
00:07:14 Aber wir haben uns davor geschützt, dass man immer eine Wache aufgestellt hat.
00:07:18 So dass die Leute wussten, da steht jemand und passt auf.
00:07:21 Denn die waren ja auch, die, die.. wenn einer den anderen überfallen hat, die waren ja genauso schwach wie die anderen.
00:07:25 Das konnte man nur durch Überraschung machen.
00:07:28 Sonst ging's ja nicht.
00:07:31 Aber ich meine, vielleicht sage ich es zu krass, äh einzelne waren es nur, vor denen man Angst haben musste.
00:07:40 IV: Gut, Sie sind dann in Groß-Rosen angekommen.
00:07:42 OS: Ja.
00:07:42 IV: Erzählen Sie uns noch ein bisschen, was..
00:07:44 OS: Ja, also in Groß-Rosen kamen wir an, dann hat man uns in ein neues Lager ge, gebracht.
00:07:49 Und das neue Lager war katastrophal.
00:07:52 Da waren Scheunen ohne Türen.
00:07:54 Da musste man schlafen.
00:07:56 Und äh sehr wenig Essen haben wir gekriegt.
00:07:59 Ein Stückchen Brot, ein bisschen Suppe, wo, wo an und für sich nichts drinnen war.
00:08:03 Weil Groß-Rosen war ja auch nicht eingerichtet auf so viel Leute.
00:08:08 Wir waren ja nicht die einzigen, die dort gekommen sind.
00:08:10 Sind ja von verschiedenen Lagern nach Groß-Rosen gekommen, weil Groß-Rosen hat ja viele Nebenlager gehabt.
00:08:15 Und äh ich weiß nur {räuspert sich}, ich hab' ja dann.. dann hab' ich im alten Lager gearbeitet.
00:08:23 Konnte so ein bisschen Brot auch erhaschen.
00:08:26 Und bin abends wieder ins alte Lager, konnte meinem Vater helfen.
00:08:29 Sind aber viele Leute auch gestorben dort, sehr viele gestorben.
00:08:32 Aus Unterernährung, aus Kälte und aus Verzweiflung.
00:08:38 Man verzweifelt ja dann, nicht.
00:08:40 Da waren wir aber nicht lange, waren wir einen Monat ungefähr.
00:08:43 Und dann kam auf einmal alle Leute, alle, nicht nur Juden, extra, alle nach.. in Zug.
00:08:51 Wir wussten ja auch nicht, wohin der Zug geht.
00:08:53 Und Viehwaggons, da waren wir drinnen dann, und dann ging's los.
00:08:57 Und in Plauen war der Zug Station gemacht.
00:09:04 Und dann hat man den Zug geteilt.
00:09:05 Und wir haben Glück gehabt, dass der Helmut Gau, das war ein Kapo, durchgegangen ist, uns gesehen hat, hat gesagt:
00:09:11 "Kommt, ihr fährt mit uns!"
00:09:13 Wir wussten ja auch gar nicht wohin.
00:09:14 Es hieß nach Buchenwald.
00:09:16 Und die Hälfte ist ja nach Buchenwald gefahren.
00:09:18 Und Gott sei Dank konnten wir dann in, nach Leitmeritz, das war besser.
00:09:23 Leitmeritz war besser wie Buchenwald.
00:09:25 Weil die Reise auch weniger Zeit genommen hatte.
00:09:28 Und dann kamen wir nach Leitmeritz.
00:09:30 Und beim Bahnhof in Leitmeritz hat man uns sofort wunderbar empfangen.
00:09:33 Und ein SS-Mann hat 25 Leute bei der Rampe dort, so eine kleine Ausladungsrampe am Güterbahnhof, hat 25 Leute hingesetzt, hat sich einen Spaß gemacht, die Leute mit einer Kugel zu töten.
00:09:47 Was nicht ging. Hat zwei gebraucht.
00:09:49 Aber wissen Sie, wenn Sie das gleich sehen, dass man die Leute da hinsetzt, und geht einer und geht zu dem hin, in Genick schießt ihn.
00:09:56 Das war schon der Empfang.
00:09:58 Dann weiß ich noch, ich kann mich noch erinnern, dann ist man den Berg hochgegangen, die Kaserne lag ja oben.
00:10:04 Und da sind viele Leute auf dem.. die konnten nicht mehr auf den Berg hochgehen.
00:10:07 Ich weiß noch, dass einer gekrochen ist auf alle Viere.
00:10:10 Und die SS hat sich, hat darüber gelacht:
00:10:13 "Guck, der will unbedingt ins Lager."
00:10:15 Den hat man überhaupt nicht reingelassen, hat man einen Schuss gegeben.
00:10:18 Ja, und Leitmeritz selber, wie wir angekommen sind, hat man uns in zwei so 'ne Scheunen, Kasernen oben eingegeben, die gar nicht gut waren.
00:10:26 Denn Leitmeritz war ja überfüllt.
00:10:28 Es war für 5000 Leute gedacht, und auf einmal waren 15.000 Leute.
00:10:35 Und das war Mangel an Platz und an Essen und an allem.
00:10:41 Ja und bis wir uns.. man uns eingeteilt hatte, dann in dem Berg zu arbeiten, nicht, das hat auch gedauert.
00:10:47 Und dann haben wir auch wieder ein paar Zivilisten gehabt, die uns geholfen haben.
00:10:52 Immer wieder Arbeiter, Zivilisten, die mit uns gearbeitet haben, die haben uns schon ein bisschen geholfen.
00:10:57 Sonst hätten wir es gar nicht überlebt.
00:11:00 Und mein Vater hat dann, ja wie ein Bergarbeiter, das war schlimm, dann haben wir durch, durch einen bekannten Kapo, der hat dann, auch wieder der Helmut Gau, der hat uns genommen, wo die Musik war.
00:11:12 Das war schon für uns eine Rettung, weil wir nicht in der großen Scheune schlafen mussten. {Hustet}
00:11:17 Und dann, mein Vater konnte dann als Stubendienst dort arbeiten, weil sonst, der hätte es nicht ausgehalten.
00:11:23 Das wäre unmöglich gewesen.
00:11:24 Vergessen Sie nicht, mein Vater war damals 47 Jahre alt und zerbrochen von den KZ's.
00:11:31 Es ist ja überhaupt ein Wunder, dass er es noch überlebt hat und dann 10 Jahre noch hier gelebt hat.
00:11:36 IV: Erzählen Sie doch vielleicht ein bisschen noch über die Unterbringung.
00:11:38 Ich habe ja auch im Buch gelesen, dieser Musikerblock, es gab auch noch so ein Lagerorchester selbst...
00:11:42 OS: Ja, ja, und das war aus Polen.
00:11:43 IV: .. vielleicht könnten Sie da ein bisschen erzählen.
00:11:44 OS: Ja, das war so: Wir waren ja in dieser, dieser Scheune.
00:11:48 Und das war gepresst voll.
00:11:49 Das war ganz schlimm, weil da ist einer mit.. auf dem anderen gelegen direkt.
00:11:54 Und da kam auch dieser Helmut Gau, dieser kam her und hat uns gesehen, hat gesagt:
00:11:57 "Kommt! Ich kenne den Lagerältesten. Ihr könnt.."
00:12:01 Also sieben Leute waren wir dann.. bei der Musik.., die haben uns gar nicht gut empfangen.
00:12:06 Die waren böse darüber, aber die konnten nix tun.
00:12:09 Und dadurch hatten wir eine bessere Unterkunft.
00:12:11 Wir waren, in, in Kojen, eine über dem andern.
00:12:15 Und das war schon ganz was Herrliches.
00:12:18 Und konnten richtig schlafen und brauchten nicht Angst haben, dass man uns eine auf den Kopf ge.. gibt.
00:12:22 Tja {räuspert sich}. Und Leitmeritz selber war ja überfüllt.
00:12:28 Ich weiß noch eben, wo ich auch im Buch erzählt habe, wo der Bruder von dem Herrn Schechter kam, der ging in Revier und kam nicht mehr wieder.
00:12:35 Nur hat eine Wunde auf dem Bein gehabt.
00:12:37 Also, war schon schlimm.
00:12:40 Leitmeritz war ein schlimmes Lager, letztens nicht, also die letzten Tage.
00:12:48 {Regieanweisung}
00:12:51 IV: Äh, ich frag' Sie jetzt mal noch kurz zu diesem Lagerorchester.
00:12:54 Hat das denn noch gespielt?
00:12:55 OS: Ja, ja! Das hat gespielt bei der Ausgang zu der..
00:12:58 Wir sind.. haben ja gearbeitet in einem Berg drinnen.
00:13:01 Da hat man Panzermotoren gemacht.
00:13:03 Und ich hab' gearbeitet als Lokomotivführer.
00:13:06 So eine kleine Diesellok mit Teilen runtergefahren in den Berg rein.
00:13:10 Und äh das.. die Musik hat gespielt, wenn wir rausgegangen sind zur Arbeit und wenn wir gekommen sind von der Arbeit.
00:13:17 Es ist eine Ironie, eine Ironie, nicht.
00:13:20 Aber die haben gespielt.
00:13:23 IV: Können Sie in bisschen was über die Arbeit denn erzählen.
00:13:26 Also das war ne Produktionsstätte,..
00:13:27 OS: Produktion von Panzermotoren.
00:13:29 Das lief folgendermaßen:
00:13:30 Die Leute, die im Berg drinnen gearbeitet haben, immer bewacht, nicht, sind hingegangen.
00:13:37 Und die Leute sind dann in den Berg rein und haben dann ihren Panzermotoren gemacht.
00:13:40 Also zusammengestellt.
00:13:42 Und ich war ja als Lokomotivführer musste ich ja die Ersatzteile reinbringen.
00:13:47 Bin ich immer den Berg runter in den.. äh, das war von oben nach unten.
00:13:51 Und manchmal ist mir schon eine Lokomotivlore da wegge..
00:13:56 Ich hab' immer getutet, dass die Leute aufpassen, damit es nicht äh.. irgendein Unglück passiert.
00:14:01 Aber zumindestens hatten wir diesen Plus, dass man nicht geschlagen wurde dabei.
00:14:07 Geschlagen wurde man nur, wenn man in Verbind.. so..irgendein, ein, mit einem SS-Mann zusammen, wissen Sie.
00:14:13 Auch Kapos waren schlimm, es gab schlimme Kapos auch.
00:14:16 In Leitmeritz haben wir es nicht so gespürt.
00:14:20 Und man hat dort gearbeitet von früh morgens, erstmal Appell, früh morgens gearbeitet, wenn man zurückgekommen, wieder Appell, also 12 Stunden hat man schon gearbeitet.
00:14:30 Und dann noch, rechnen Sie mal, wenn wir Glück hatten, war der Appell 'ne halbe Stunde, wenn wir Pech hatten, war es länger.
00:14:35 Und die Leute.. man hat ja die Toten immer mitgenommen.
00:14:38 Die sind ja im, im Berg dort bei der Arbeit gestorben, die man mitgenommen hat.
00:14:42 Oder erschlagen worden, ich mein', das geh auf dasselbe raus. {Räuspert sich}
00:14:49 Ich meine, die, die Arbeit war schon gut, dass man gearbeitet hat, weil dann konnte man nicht so auffallen.
00:14:59 IV: Also Arbeit hatte auch Überleben gesichert, wenn man noch gut..
00:15:02 OS: Teilweise. Teilweise.
00:15:05 IV: Äh, es gab ja mehrere Stollen, glaub' ich, wurde überall dasselbe gemacht, wieviel Menschen haben da gearbeitet..?
00:15:10 OS: Ich kenn' nur einen, ich kannte nur einen Stollen.
00:15:12 Ich kannte nur einen Stollen, ich kann Ihnen auch nicht sagen, wie viele Leute reingekommen sind in den Stollen.
00:15:17 Ich weiß nur, dass wir da rausgehen.. da jeden Tag rausgegangen sind und dort gearbeitet haben.
00:15:22 IV: Aber Sie haben gesagt, es waren ungefähr 15.000 Menschen. haben in dem Lager..
00:15:25 OS: Ja.
00:15:26 IV: Haben die meisten gearbeitet in der Produktion, oder war das sehr hektisch in dem Stollen?
00:15:30 OS: Das kann ich Ihnen.., kann ich.., ich weiß nur von wir, eine ganze Gruppe, die meisten haben gearbeitet dort.
00:15:35 Bis es zu Ende ging, nicht.
00:15:38 Bis äh Schluss war, wo man mir sagte, man muss die Rotgussschalen ausbauen und so weiter.
00:15:43 Da war Schluss.
00:15:45 Und dann kam es eben der Aufruf, alle Juden sollen sich melden.
00:15:48 Und wir dachten, man erschießt uns alle, nicht.
00:15:51 Und da hat man sich ja.., da haben wir uns versteckt das erste Mal.
00:15:54 Und dann sind diese Kapos, die wir kannten, die wurden ja dann SS-Leute.
00:15:59 Die wurden, äh ja nicht alle, nur teilweise, was sehr schlimm für die war, aber die haben sich gemeldet, freiwillig.
00:16:06 Und die sind nur mit Knüppeln und Gewehren ohne Munition haben sie uns begleitet, und die haben uns dann erzählt, dass wir blöd sind.
00:16:13 Weil wir sind nach Theresienstadt hat man die Leute gebracht.
00:16:16 Da gibt's Frauen und Kinder, die haben sie wunderbar empfangen.
00:16:19 Da hat ja mein Vater nochmal bei dem polnischen Sekretär, der da war, der Schreiber, durchgeführt, dass man noch eine Gruppe macht.
00:16:26 Und da sind viele Nichtjuden auch gegangen.
00:16:28 Und wir haben Glück geha.. alles Glück, nicht.
00:16:30 Ich meine, es ist klar. Glück gehabt, dass wir dann nach Theresienstadt kamen.
00:16:34 Und acht Tage später wurden wir befreit.
00:16:38 IV: Vielleicht nochmal so ein bisschen zurück.
00:16:40 Also ich meine, all die Leute, die da ja waren als Häftlinge, hatten ja ähnlich wie Sie wahrscheinlich auch schon eine längere Lagerodyssee..
00:16:47 OS: .. Erfahrung..
00:16:48 IV: ..hinter sich. Also äh sicher auch..
00:16:51 In was für einem Zustand waren denn die Leute, auch die Sie in Leitmeritz angetroffen haben, die meisten, die da waren?
00:16:56 Ich meine, Sie selber auch, das hat sich ja im Lauf der Jahre sicher verschlimmert.
00:16:59 Wie war der, so der Zustand der Leute, wie war in den letzten Tagen auch die Ernährung?
00:17:05 Und wie war das dann auch nochmal zu hören, dass sich vielleicht doch was ändert, ..
00:17:08 OS: Ja, man hat die Hoffnung dauernd gehabt, es wird jetzt zu Ende gehen.
00:17:12 Man hat ja auch gehört, und dann die Leute, die gekommen sind von anderen Lagern, von Blechhammer zum Beispiel, wo der Bruder von dem Schechter war.
00:17:19 Dass dort auch geräumt wurde, weil die Truppen, weil die russischen Truppen nah sind.
00:17:24 Und man hat einerseits gehofft, einerseits Angst gehabt, dass man uns alle in den Berg reingibt und erschießt, was weiß ich.
00:17:31 Aber im Großen und Ganzen ist es so, die Leute.. die Hoffnung hat die Leute am Leben erhalten.
00:17:36 Wissen Sie, wenn man hofft, kann man, kann man, kann man.. am Leben erhalten..
00:17:39 Wenn.. Wer es noch konnte, den hat es am Leben erhalten, die, die Rationen waren sehr schlimm.
00:17:46 Zuletzt fast.., man, man hat ja nix zu essen gehabt.
00:17:48 Man hat sogar Kartoffeln geklaut in Mieten und nur, damit man etwas hat.
00:17:53 Und hat Gras gegessen und so weiter.
00:17:58 Die Ernährung war schlimm.
00:17:59 Zuletzt ganz schlimm.
00:18:01 IV: Sie haben ja in dem Buch auch so beschrieben, als Sie ankamen, was für Leute Sie gesehen haben, diese Muselmänner..
00:18:06 Also ähnlich. Das es auch noch optisch nochmal schlimmer war als vorher.
00:18:10 Vielleicht erzählen Sie darüber auch noch ein bisschen.
00:18:11 OS: Ja gut, die Muselmänner, das war bei uns schon bekannt, weil beim, beim Marsch hat man die Muselmänner ja fast alle erschossen.
00:18:17 Aber dann, wie wir angekamen, waren auch viele Muselmänner da, also Leute, die kaum gehen konnten. {Räuspert sich}
00:18:24 Meistens sind sie gestorben dann dort. In Leitmeritz, vor, vor dem Ende.
00:18:30 Man hat doch viele erschossen nebenbei gesagt.
00:18:32 Aber in Leitmeritz selber, da hat man gemerkt, dass Leute keine Kraft mehr haben.
00:18:36 Das ging, das ging mit uns zu Ende.
00:18:38 Ich glaube, wenn es noch ein oder zwei Monate gedauert hätte, wir hätten es nicht überlebt.
00:18:42 Hätten wir auf keinen Fall überlebt.
00:18:43 Das wäre nicht möglich.
00:18:45 Unmöglich. Weil man kann hungern.
00:18:47 Einen Monat vielleicht hungern, etwas noch zu essen, eine Kleinigkeit.
00:18:51 Aber mehr geht's nicht.
00:18:53 Und Leitmeritz, das war schon schlimm.
00:18:56 Aber man, man merkt, da kümmert sich kein Mensch um dich.
00:18:59 Ob du jetzt lebst oder nicht lebst, ist egal.
00:19:02 Und äh im Moment, wo man aufgehört hat zu arbeiten..
00:19:05 Und die Zivilisten, die gearbeitet haben, die haben ja auch Angst gekriegt, wissen Sie, die haben Angst ge.. Die SS hat Angst gehabt.
00:19:12 Man hat's gemerkt.
00:19:14 Auf einmal wollten sich manche anbiedern, na.
00:19:16 Anbiedern, wir sind ja gut, wir sind ja prima.
00:19:19 Das merkt man dann.
00:19:23 IV: Wie ging es Ihnen denn auch so emotional?
00:19:25 Ich erinnere mich glaub' ich auch, so in dem Buch..
00:19:27 {Jemand hustet}
00:19:28 IV:.. dass Sie irgendwie so das gespürt haben, dass es an sich zu Ende ging, aber auch die Hoffnung schon sehr gering war.
00:19:32 Also dass so ein Gefühl auf, aufkam, schaffen wir es überhaupt nicht..
00:19:35 Oder jetzt, nachdem man ein paar Jahre geschafft hat, jetzt vielleicht...?
00:19:38 OS: Ja, ja das stimmt.
00:19:40 Ich sag' Ihnen ganz offen, wenn mein Vater nicht da gewesen wäre, hätten wir beide nicht überlebt.
00:19:43 Einer hat den anderen getröstet.
00:19:46 Der eine hat den anderen aufgemuntert und man hat mit der Hoffnung gelebt, mit der Hoffnung, jetzt geht's besser, jetzt vielleicht überleben wir es.
00:19:52 Und dann, wir wussten ja nicht, dass die Angehörigen tot sind, vergessen Sie das nicht.
00:19:57 Man hat immer gedacht, wenn wir jetzt befreit werden, werden meine Mutter, meine Schwester, mein Bruder auch befreit.
00:20:02 Man hat das ja nicht gewusst, nicht.
00:20:05 Wenn man das gewusst hätte, vielleicht hätte man resigniert.
00:20:07 "Ach was, wir haben ja zu niemand zurück zu gehen.
00:20:10 Wozu brauchen wir das Leben eigentlich noch?"
00:20:14 Ich mein', an Rache hat niemand gedacht, das sage ich Ihnen ganz offen.
00:20:17 An Rache hat niemand gedacht.
00:20:18 Man hat nur gedacht: "Hoffentlich überleben wir es. Hoffentlich können wir mal essen wie normale Menschen.
00:20:24 Hoffentlich können wir mal tun, was normale Menschen tun."
00:20:26 Man hat ja nicht mehr gewusst, was, was kann man, was darf man.
00:20:30 Ich meine, vor, vor dem Lager waren wir ja auch im Ghetto.
00:20:33 Im Ghetto war auch zugeschlossen alles rumrum.
00:20:36 Und man konnte zwar im Ghetto sich treffen, man konnte sprechen und so weiter.
00:20:39 Aber Leben war es auch nicht.
00:20:45 IV: Vielleicht noch mal kurz zurück so zu, zu den Men.. so zu, zu diesen letzten Tagen, bevor Sie dann nach Theresienstadt kamen.
00:20:52 Sie haben ja schon über die Befürchtung geredet..
00:20:55 OS: Ja.
00:20:55 IV: .. was vielleicht passiert, dass man alles in die Luft sprengt. Sie mussten offenbar..
00:20:58 OS: Ja.
00:20:59 IV: .. die Produktionsanlagen auch zerstören..
00:21:01 OS: Haben sie auch zerstört.
00:21:01 IV: Vielleicht erzählen Sie darüber noch ein bisschen.
00:21:03 OS: Ja gut, ich meine, es war so.
00:21:05 Ich kam dann.. früh kamen wir zur Arbeit, da sagt der Polier zu uns:
00:21:08 "Heute bauen wir aus die ganze äh Rotgussschalen von den Lokomotiven nicht.
00:21:13 Und da wussten wir ja schon, es geht zu Ende. {Räuspert sich}
00:21:16 Angst haben wir gehabt auf alle Fälle.
00:21:18 Sehr große Angst.
00:21:19 Und dann haben die tatsächlich, hab' ich das gehört, ich hab es nicht selber gesehen, haben sie die Produktionsstätten gesprengt.
00:21:28 Ob da Leute noch drinnen waren, nicht, ich kann das nicht sagen.
00:21:30 Ich glaube nicht. Weil die selber Angst hatten.
00:21:33 Der Russe hatte uns so umzingelt.
00:21:34 Und wir wussten jetzt, die kommen dran.
00:21:37 Das ist gar keine Frage.
00:21:38 Und es waren ja auch nicht nur Juden, es waren ja Polen, es waren Russen auch dabei, Kriegsgefangene viele.
00:21:43 Äh und äh Deutsche, nicht.
00:21:47 Und die haben Angst gekriegt.
00:21:49 Man hat gemerkt, die haben Angst gehabt.
00:21:51 Was uns ermuntert hat, so durchzuhalten, nicht, selbstverständlich.
00:21:57 IV: Ja und dann vielleicht noch, wie ging es dann zu Ende, vielleicht noch kurz..
00:22:00 OS: Ja, ich wurde dann in Theresienstadt.. kam ja nach Theresienstadt.
00:22:03 Und wissen Sie, man kommt hin, und man sieht jüdische Frauen und Kinder.
00:22:08 Wir haben geheult, alle haben wir geheult.
00:22:10 Beim Tor haben wir alle geheult.
00:22:12 Weil wir wussten nicht, dass noch jüdische Kinder existieren.
00:22:15 Denn wir haben ja gesehen, wie man die Kinder umgebracht hat alle.
00:22:17 Und dann kamen wir rein, wir wurden phantastisch empfangen von den Leuten dort.
00:22:21 Die haben uns in die Hamburger Kaserne.
00:22:23 Das war so außerhalb des Lagers, außerhalb Theresienstadt, so ne.
00:22:27 Damals war es noch mit drinnen.
00:22:29 Und äh da hat man uns untergebracht, und die Frauen haben uns, uns Essen gebracht.
00:22:34 Wissen Sie, wir haben Essen gekriegt, was die Frauen gekocht haben!
00:22:38 Das war schon ganz was anderes, nicht.
00:22:40 Und, und ich muss sagen, ich muss sagen, dass, wir haben es trotzdem nicht geglaubt.
00:22:46 Wir haben gedacht, wir träumen.
00:22:48 Ich war ja krank, ich war ja typhuskrank gewesen dort, und dann hat mich ja die Majorin damals..
00:22:53 Ich mach die Augen auf, steht da Majorin, Riesenfrau, vor mir, sagt: "Die מלחמה ist zu Ende."
00:22:59 Also der Krieg ist zu Ende.
00:23:01 Hat's nicht geglaubt.
00:23:02 Man konnte es gar nicht glauben.
00:23:04 Und dann hab' ich einen klugen Vater gehabt, der hat uns sofort raufgenommen, wieder zurück in die Stube und essen ganz langsam, langsam.
00:23:11 Denn tatsächlich hab' ich selber gesehen Leute mit Riesenbäuchen, na, ja, sagen Sie mal einem Hungrigen, er soll nicht essen.
00:23:22 Die Russen, die haben aus den Panzern Schinken und alles rausgeschmissen, aber der Magen konnte das ja nicht.
00:23:29 Und da haben Leute nach zwei Tage, wo sie befreit wurden, dort da gelegen.
00:23:34 Viele, nicht wenig.
00:23:36 Und dann, ich meine, wie wir schon ein bisschen etwas zu sich gekommen sind, ein bisschen was gegessen haben so richtig, so ein Brötchen, mal einen Kaffee und so weiter.
00:23:47 Wissen Sie, das schmeckt ja doppelt so gut.
00:23:49 Bei mir tu' ich heute auch kein Brot rausschmeißen.
00:23:52 Das wird getrocknet zum Bauer gebracht.
00:23:54 Brot ist ein Stück Leben.
00:23:55 Und man kann nur ermessen, wenn man wusste, was heißt Brot.
00:23:59 Wie das heute hier ist, nicht.
00:24:05 IV: Vielleicht nochmal so ein Rückblick: Sie waren in Auschwitz, vorher schon in einem Zwangs..
00:24:11 OS: Das war ein Zwangsarbeitslager, ja.
00:24:12 IV: .. einem Zwangsarbeitslager.
00:24:14 Haben dann Fünfteichen, Groß-Rosen kennen gelernt, Leitmeritz.
00:24:17 Was war denn vielleicht so..
00:24:19 Leitmeritz war ja praktisch auch die letzte Station dieser Lagerhaft.
00:24:22 Was war für Sie so das Typische oder Charakteristische, was war vielleicht auch das Schlimmste oder das Schwierigste in Leitmeritz?
00:24:28 OS: In Leitmeritz war das Schlimme, dass ich nie krank melde..
00:24:31 Genau wie in Auschwitz.
00:24:32 Man durfte sich nicht krank melden.
00:24:34 Wenn man sich krank gemeldet hat, verschwand man, verschwand man einfach.
00:24:37 Und in Leitmeritz war das Schlimme, dass wir auf einen Haufen waren, zu viele Leute waren da drinnen.
00:24:43 Die konnten gar nicht nachkommen mit der Verteilung von Essen oder was.
00:24:47 Konnten sie gar nicht nachkommen.
00:24:49 Man hat zwar nur ein Stück Brot gekriegt oder irgendwas, 'ne Suppe, wo nix drinnen war.
00:24:52 Die konnten gar nicht nachkommen, die waren für 5000 Leute und nicht für 15000.
00:24:57 Und dann eben, wie ich Ihnen sagte, dann hat man gemerkt, dass es zu Ende geht.
00:25:04 Man hat gemerkt, dass es zu Ende geht.
00:25:07 Leitmeritz konnte das nicht bewältigen, das war unmöglich.
00:25:12 IV: Wie waren die hygienischen Verhältnisse des..
00:25:14 OS: Die waren schlimm, ganz schlimme Verhältnisse.
00:25:17 Ich kann mich gar nicht so gut erinnern damals.
00:25:20 Aber war schlechte Verhältnisse.
00:25:22 Schlechte Verhältnisse.
00:25:31 Aber mehr kann ich Ihnen nicht sagen.
00:25:33 Wissen Sie, es sind 61 Jahre her, 62 bald.
00:25:39 61 Jahre her und die Erinnerung ist zwar da, aber nicht auf Kleinigkeiten, wissen Sie, das konnt.. kann man nicht.
00:25:46 IV: Die vermischt sich ja sicher auch mit den anderen..
00:25:48 OS: Mit den anderen ja, ja, sicher. Sicher.
00:25:52 IV: Aber das merkt man auch bei vielen Zeitzeugen, manche waren ja noch in viel mehr..
00:25:55 OS: Mehr Lagern, ja.
00:25:57 IV: Und ich meine, überall war, überall war es an sich katastrophal.
00:26:01 Überall musste man ums Überleben kämpfen.
00:26:03 OS: Ja, sicher.
00:26:04 Aber in Auschwitz zum Beispiel, da musste man auch Glück haben.
00:26:08 Einfach Glück. Einfach Glück.
00:26:10 Glück musste man haben.
00:26:12 In Fünfteichen war schon besser, weil wir bei Krupp gearbeitet haben.
00:26:15 Und Krupp hat ja darauf bestanden, dass die Leute etwas länger leben.
00:26:20 Und man hat auch manchmal in der Kantine.. zum Beispiel erinnere ich mich, da hat man einen Kessel rausgebracht.
00:26:26 Das hieß, sie haben einen Kessel zu viel. Ich weiß, sie haben es extra gemacht.
00:26:29 Und das war schon ganz toll, nicht.
00:26:31 Oder wenn ein, ein Ar.. einer ist hingekommen zu mir zum Tisch, hat mir ein Stück Brot gegeben.
00:26:36 'Ne Flasche Bier hat mir mal einer gebracht.
00:26:38 Stellen Sie sich mal.. Ich hab' sie nicht getrunken.
00:26:40 Ich hab' sie auf dem Bauch reinge.. reingeschmuggelt in den Lager und hab' meinem Lagerältesten gegeben.
00:26:49 IV: Als.. Ihre Familie wurde ja getrennt, Sie hatten ja noch einen Bruder, eine Schwester..
00:26:53 OS: Ja.
00:26:53 IV: .. Und die Mutter. Sie konnten mit dem Vater.. am Anfang war der Bruder ja noch dabei.
00:26:57 OS: Bei uns ja.
00:26:58 IV: Sie wurden in Auschwitz getrennt. Vielleicht erzählen Sie noch..
00:27:00 OS: Ja, weil mein Bruder hat sich gemeldet..
00:27:02 Wusste.. Wir waren ja Neuhäftlinge.
00:27:05 Alte Häftlinge, da wussten wir schon, man darf sich nie melden, nie sagen, was man kann.
00:27:10 Absolut nicht. Mein Bruder hat sich als Maurer gemeldet.
00:27:13 Dann hat man ihn zu Maurerarbeiten auch geschickt.
00:27:15 Zu uns im Block zurück hat er ein Stück Brot dazugekriegt mehr.
00:27:19 Und dann hat man ihn als Maurer weggenommen von uns.
00:27:24 Und meine Mutter, mein.. und meine Schwester, die sind ja ins Frauenlager gekommen.
00:27:28 Und ich hab' dann erfahren von einem Bekannten von mir, dass sie ungekommen sind.
00:27:32 Der hat bei der.. in Ga.. bei der Krematorium gearbeitet.
00:27:37 Wir haben es ja immer noch gehofft, dass wir sie treffen, nicht.
00:27:39 Das war ja unsere Hoffnung.
00:27:43 IV: Aber die sind umgekommen.
00:27:44 OS: Die sind umgekommen leider, leider.
00:27:49 Hat immer die Hoffnung gehabt. Die Trauer hat man auch immer.
00:27:51 Seit der Befreiung hat man die Trauer im Herzen, wissen Sie.
00:27:54 Man würde so gerne die Mutter und Schwester und Bruder wieder..
00:27:56 Wir haben eine, eine Familie gehabt, wo einer dem anderen beigestanden ist, wo wir keinen Krach gehabt haben, wo..
00:28:03 Eine wunderbare Familie.
00:28:05 Und dann auf einmal ist alles, alles weggewesen.
00:28:10 Ich bin auch froh gewesen, dass mein Vater überlebt hat, nicht.
00:28:12 Das war ja auch irgendeine Sache, wo man das gar nicht so be.. bezeichnen kann.
00:28:18 Denn mein Vater, wie ich Ihnen sagte, war ein alter Mann, 47 Jahre.
00:28:21 Und Hunger und alles hat sich schon ausgewirkt.
00:28:25 Und trotzdem Gott sei Dank hat er überlebt.
00:28:30 IV: Und der hat dann in Regensburg noch gelebt..
00:28:33 OS: Ja, der hat nochmal geheiratet, mit meiner Einwilligung.
00:28:36 Ich leb' jetzt mit meiner Stiefmutter Tür an Tür.
00:28:39 Früh morgens geh ich hin und frag: "Wie geht's dir?" ... Wie weggekommen.. hab' ich gesagt: "Wie geht's dir?".
00:28:43 Denn es ist schon wichtig, dass man weiß, dass einer sich um den anderen kümmert.
00:28:47 Das ist so wichtig, man braucht das.
00:28:50 Auch für den der fragt, nicht.
00:28:53 Und äh wir leben wunderbar zusammen.
00:28:55 Mein Vater ist nach 10 Jahre gestorben.
00:28:57 Eben von Leitmeritz.
00:28:58 An Krebs, was in der, in dem, in dem Berg gekriegt hat.
00:29:03 Das war, das war Krebs für.. äh der Berg war nicht gut.
00:29:06 Sind viele Leute an Krebs dann gestorben.
00:29:09 Nach der Befreiung.
00:29:12 Hat 10 Jahre noch gelebt, hat ein Geschäft hier gehabt. Tja.
00:29:19 IV: Und Sie sind nach Israel..
00:29:20 OS: Ich war sechs Jahre in Israel, hab' geheiratet.
00:29:23 Dann ist mein Sohn krank geworden, er hat Kinderlähmung gehabt.
00:29:26 Mein Vater ist krank geworden.
00:29:28 Bin ich zurückgekommen hierher.
00:29:30 Meinen Sohn hat man.. 13 Jahre ist meine Frau mit ihm nach Hamburg gefahren.
00:29:34 Man hat immer wieder operiert.
00:29:36 Und jetzt ist er zwar Professor an einer Uni, aber eine Hand kann er nicht heben, Bein ein bisschen kürzer.
00:29:42 Aber gut, wir sind zufrieden, dass es so ist.
00:29:45 Mein Vater ist dann gestorben, nicht, also.
00:29:48 Da habe ich dann mit meiner Stiefmutter das Geschäft weitergeführt.
00:29:52 Man hat's verdrängt.
00:29:54 Wissen Sie, man verdrängt, weil man wollte nicht Wunden aufreißen.
00:29:59 Hat einfach gesagt, wir wollen darüber nicht erzählen.
00:30:02 Auch heute, wenn ich jemanden treffe, der im KZ war und ich seine Nummer sehe.
00:30:06 Wir umarmen uns, aber vom Lager reden wir nix.
00:30:10 Da haben wir genug gehabt.
00:30:12 Jeder hat seine Geschichte vom Lager gehabt.
00:30:18 IV: Gut.
00:30:19 OS: Ok. Fein.
00:30:21 IV: Ich bedanke mich.
00:30:22 OS: Gern geschehen.