00:00:00 |
IV: Aber wa.. ja. Sie sind hier geboren, zur Welt gekommen, aufgewachsen, haben hier gelebt. |
00:00:06 |
Äh wenn Sie mal so zurückdenken, wie weit Ihre Erinnerungen überhaupt so zurückgehen.. als Kind. |
00:00:14 |
Äh wann ist Ihnen so das erste Mal so klar geworden, dass hier ja Flossenbürg so auch was Besonderes ist. |
00:00:18 |
Oder war das nichts Besonderes, dass dieses Lager hier war, dieses Konzentrationslager? Hat man das als Kind irgendwie überhaupt registriert? |
00:00:26 |
Oder später.. wenn Sie zurückdenken.. Wann ist das das erste Mal so in Ihrem Bewusstsein auch so aufgetaucht? |
00:00:32 |
JW: Das erste Mal eigentlich äh als in der Ortsmitte der Friedhof nach der Befreiung des Lagers angelegt worden ist. |
00:00:41 |
Und zwar deshalb, weil der Friedhof unmittelbar neben dem Grundstück, wo ich geboren bin, gemacht worden ist. |
00:00:47 |
Da ist mir das erstmals aufgefallen. Nur als Kind weiß man nicht, was das bedeutet oder was das überhaupt ist. |
00:00:54 |
Das wäre eigentlich, was ich das Erste äh daran erinnern kann. |
00:00:58 |
Und später, als man dann älter geworden ist, als man mit Schulkameraden äh, mit ehemaligen Heimatvertriebenen, |
00:01:05 |
die in diesem Lager dann später wohnten, zusammenkam beziehungsweise hier herausging, dann hat man gesagt: "Ja, da war ein Lager." |
00:01:13 |
Aber was das bedeutet hat, als Kind, kann ich mich da also nicht irgendwie erinnern daran, was überhaupt das bedeutet hat. |
00:01:20 |
CM: Kurzen Break. Wir haben jetzt wieder Besuchergruppe. |
00:01:24 |
IV: Klar, das ist natürlich auch.. Wenn man dann irgendwie mit sowas auch so ein bisschen groß wird, ist das ja auch eher normal, als wenn man von außen kommt. |
00:01:30 |
Aber so diese, sozusagen diese Geschichte dieses Konzentrationslagers.. in der Familie.. wurde darüber geredet? War das ein Thema, oder..? |
00:01:38 |
Äh so.. oder auch so, dass man mal dann das Wort "KZ" oder so.. kam das irgendwie mal später? So.. |
00:01:44 |
Ich denke, irgendwann.. man wird ja so allmählich älter, fragt mal und.. Wie ist das so, wenn Sie da z.. dran zurückdenken? |
00:01:52 |
JW: Also ein, einen Punkt, an den erinnere ich mich schon. Und zwar das hat sich noch vor der Befreiung äh ereignet. |
00:02:00 |
Und zwar.. Es war ja auch verboten, schwarz zu hören. Und wir hatten ein Radio, so ein Volksempfänger. |
00:02:07 |
Und da ist immer abends um 21 Uhr Nachrichten vom em.. englischen Rundfunk gekommen, in deutscher Sprache. |
00:02:16 |
Äh, denn von Deutschland hat man ja das nicht so genau gehört. |
00:02:19 |
Und da haben am.. abends immer meine, meine Mutter, meine Geschwister und, ich glaube, teilweise aus der Nachbarschaft, die keinen Radio hatten.. |
00:02:27 |
Her.. sind rüber gekommen. Äh verdunkelt waren ja die Fenster sowieso, wegen der Fliegerangriffe. |
00:02:33 |
Und dann sind alle um diesen Radio gegangen äh und haben ge.. äh zugehört. |
00:02:38 |
Und ich als Kind bin noch auf gewesen und bin halt in der.. hab' gespielt oder was, das weiß ich nimmer so. |
00:02:44 |
Auf jeden Fall äh ist um 21 Uhr das so gekommen, und zwar dieser, dieser Londoner Rundfunk hat ein Sendezeichen gehabt. |
00:02:52 |
Drei Mal so ein Gongschlag: Bum, bum, bum - "Hier spricht London." So kurz: Bum, bum, bum - "Hier spricht London." |
00:03:03 |
Und das habe ich halt wahrscheinlich mitbekommen oder vielleicht momentan nicht registriert. Auf jeden Fall einige Tage später.. |
00:03:10 |
Genau weiß ich das nicht mehr.. war ich im Hof und draußen war eine, eine Blechbadewanne, am Fußteil gestanden nach oben. |
00:03:20 |
Und da bin ich als kleiner Fünfeinhalbjähriger reingegangen und habe also mit dem Finger drangeklopft.. auch so drei Mal. |
00:03:25 |
Und habe gesagt: "Bum, bum", also hat's ge.. so geklungen. Und ich habe geschrien {in höherer Stimmlage}: "Hier spricht London." |
00:03:31 |
Und nach ein paar Mal hat das meine Mutter gehört, ist rausgekommen, hat mich rausgezogen, hat mir, wie wir bayrisch sagen, "ein paar Watschen gegeben", hat gesagt: |
00:03:38 |
"Das darfst doch du nicht sagen! Wenn das jemand hört, die sperren uns alle ein." |
00:03:43 |
Ich habe das natürlich nicht verstanden, aber an das kann ich mich schon erinnern.. an diese Watschen, die ich da bekommen habe. |
00:03:50 |
IV: Weil das sozusagen das verbotene Hören der Feindsender war, oder so. |
00:03:53 |
JW: Richtig, richtig, ja. |
00:03:55 |
IV: Ja, und als Sie dann so ein bisschen älter wurden, hier auch aufwuchsen äh, da lebten ja dann Vertriebene, glaube ich, auf diesem Gelände. |
00:04:03 |
Das wurde auch wieder bebaut. Aber ich kann mich zum Beispiel erinnern, in meiner Familie wurde immer, als ich Kind war, über Krieg geredet. |
00:04:10 |
Über die Bombennächte, sozusagen über Hitler, über Faschismus äh.. War das irgendwie dann so, so ein Thema? Weil ich denke, das ist ja auch so.. da.. |
00:04:20 |
Ich denke, die Leute, die Generation Ihrer Eltern, die ja das hier irgendwie auch miterlebt hat, die haben natürlich mehr mitgekriegt.. mehr gewusst. |
00:04:27 |
War das irgendwie so ein Gesprächsthema? Oder wurde das wirklich irgendwie nicht mehr wahrgenommen oder nicht mehr thematisiert? Oder.. |
00:04:35 |
JW: Äh. Mündlich überliefert vielleicht.. Das kann ich noch mit ansprechen, was in unserer Familie passiert ist. |
00:04:41 |
Vater war ja im Krieg und mein Bruder hat damals schon mit zehn, elf, zwölf Jahren das Orgelspielen lernen müssen vom örtlichen Pfarrer. |
00:04:51 |
Weil der damalige Organist, ein Lehrer, nicht mehr das Orgelspiel in der Kirche wahrgenommen hat.. aufgrund seiner Parteizugehörigkeit. |
00:05:02 |
Und dann hat der Pfarrer Kinder nachgebildet. |
00:05:05 |
Und mein Bruder musste also immer dann Noten schreiben und ist nicht in diese äh.. von der Jugendorganisation äh.. |
00:05:15 |
Dann v.. v.. ja ... die Stunde gegangen. Ich weiß jetzt gar nicht, wie die geheißen hat. |
00:05:21 |
Und dann hat der immer dann äh äh von dem Jugendführer äh irgendwie äh.. ja, ist er geschelten worden und meine Mutter hat gesagt: |
00:05:28 |
"Du bleibst daheim, du musst Noten schreiben. Du gehst da nicht hin." |
00:05:32 |
Sie hat schon vielleicht äh gewusst, warum, aber offen ausgesprochen hat sie's nicht. |
00:05:38 |
IV: Also, da haben Sie schon gemerkt, da ist irgendwas. Irgendwas war. |
00:05:40 |
JW: Richtig, ja. |
00:05:43 |
IV: Ja und dann, dann.. sozusagen später. Sie sind ja später.. haben sich ja politisch engagiert.. waren ja lange Jahre auch Bürgermeister. |
00:05:49 |
Aber auch so in dieser, dieser Phase.. ich denke, so 50er Jahre oder so, da setzen ja sicher auch so Erinnerungen ein. |
00:05:55 |
Wie ist da dieser Ort auch mit diesem Erbe umgegangen? Es hieß ja auch lange "das vergessene Flossenbürg", "das vergessene Konzentrationslager". Es lag weitab. |
00:06:04 |
Wenn Sie das so wahrnehmen, war das irgendwie dann.. dann war das hier in der Gemeinde immer noch irgendwie so ein Thema. |
00:06:11 |
Was soll daraus werden? Was wird damit? Äh oder war das eher auch ein verdrängtes Thema? Wie haben Sie das.. Sie das dann so wahrgenommen? |
00:06:19 |
JW: Also ein Thema, da war ich schon älter äh, habe ich wahrgenommen, und zwar eine belgische Besuchergruppe war da. |
00:06:29 |
Und äh ist auf einen Umstand hin.. Der Bus hat zu brennen begonnen. |
00:06:35 |
Dann hat es allgemein geheißen, ein Anschlag auf diese belgische Gruppe ist vorgenommen worden. |
00:06:43 |
Äh während des Mittagessens ist das geschehen, in einer örtlichen Gastwirtschaft. |
00:06:47 |
Dann hat aber die Polizei das aufgeklärt, dass ein äh Mitfahrer oder beziehungsweise ein Teilnehmer dieser Gruppe eine Laterne dort abgestellt hat. |
00:06:58 |
Und sie zwar ausgelöscht hat, aber die war noch heiß.. hat sie auf den Sitz gestellt und dann hat der Bus gebrannt. Das ist durch den Ort gegangen: |
00:07:05 |
Eine Besuchergruppe.. damals hat man ja nicht gesagt "Gedenkstätte", da hat man gesagt "im KZ".. ist dadurch beeinträchtigt worden. |
00:07:13 |
Da hat man dann als junger Mensch auch gesagt: "Mensch, was ist denn jetzt da gewesen? Was ist denn da passiert, dass da irgendwie der Bus äh gebrannt hat?" |
00:07:20 |
Weil es auch geheißen hat, ein Anschlag wäre vorgenommen worden. Das hat man äh ein bisserl wahrgenommen. |
00:07:25 |
Aber sonst hat man eigentlich nicht sehr viel gesprochen. Ob das eine Verdrängung war... |
00:07:33 |
Oder ob das nur war, weil man nach dem Krieg eben immer nach vorne geschaut hat, das kann ich also nicht jetzt.. nicht mehr beurteilen. |
00:07:40 |
Erst dann später, als ich mich politisch betätigt habe. Ich habe ja dann gleich begonnen.. |
00:07:46 |
Weil mein Vater war Anfang der 50er Jahre zweiter Bürgermeister, war im Gemeinderat, und dann ist auch so etwas manchmal angesprochen worden. |
00:07:56 |
Äh dass es sehr schwer ist, hier äh dieses, dieses Erbe des KZ-Lagers.. jetzt mit den vielen Flüchtlingen, hat man ja gesagt. |
00:08:05 |
Das waren ja keine Flüchtlinge, das waren ja Heimatvertriebene. Und äh auch von der Schule her gesehen: |
00:08:13 |
Äh die sind alle in Flossenbürg zur Volksschule gegangen. Ein Klassenstärke von 60 war nichts Ungewöhnliches. |
00:08:19 |
Flossenbürg war ja überfordert mit den damaligen Heimatvertriebenen. |
00:08:23 |
Äh mit den "Lagerern", wie wir gesagt haben, hat es natürlich auch manchmal ein bisschen ja.. zwischen den Buben.. |
00:08:32 |
Wir waren vom Dorf, die "Dorferer", und das waren die "Lagerer". |
00:08:36 |
Es waren ja F.. irgendwie Fremdlinge am Anfang und da hat man das wahrgenommen, da hat man ja manchmal gerauft auch, ist ganz klar. |
00:08:43 |
Und damals wahrgenommen: Die wohnen alle im KZ. Einer, der neben mir in der Schule gesessen ist, der hat gewohnt im Gefängnis. |
00:08:51 |
Weil in dem ehemaligen Gefängnis.. da hat man auch Wohnungen draus gemacht und dort haben Heimatvertriebene gewohnt. |
00:08:57 |
Und dann hat man schon ab und zu gehört.. äh aber nicht in der Schule.. dass da draußen allerhand passiert ist. |
00:09:04 |
Dass Menschen umgekommen sind, dass Menschen äh erschossen worden sind. Äh oder dass sie auch verbrannt worden sind. |
00:09:11 |
Meine Mutter hat immer gesagt: "Das hat man bei Ostwind über den Ort gerochen." Äh das war so der süßliche Geruch. |
00:09:18 |
Ich kann mich da als Kind nicht erinnern, aber meine Mutter sa.. hat das immer gesagt. |
00:09:21 |
Und wenn man dann so äh 12, 13, 14 Jahre ist, dann nimmt man das erst wahr.. diese Erzählungen der Mutter. |
00:09:28 |
Und denkt daran: "Mensch, was war denn da überhaupt los?" |
00:09:32 |
Aber es wurde dann immer wieder gesagt.. ich glaube sogar auch, die Bevölkerung wusste das vielleicht gar nicht so genau.. |
00:09:40 |
Es waren Verbrecher, die da drin waren, es war der Abschaum der Menschheit. |
00:09:44 |
So wie die Propaganda während des Krieges gelaufen ist, hat man doch auch nach dem Krieg noch gesagt. |
00:09:51 |
Äh ob da mir sagen kann, es wollte niemand sprechen, oder hat man das bewusst verdrängt.. oder vielleicht in die Zukunft schauen. |
00:10:00 |
Da waren dann Leute draus, das ist vorbei. So könnte man das vielleicht auch sagen. |
00:10:05 |
IV: Aber jedenfalls war es nicht so, dass man in der Schule.. dass der Lehrer gesagt hat: |
00:10:08 |
"Wir gehen jetzt dahin, kucken uns das an und ich erzähle euch, was hier passiert ist." Oder so. Also.. |
00:10:14 |
JW: Ich bin 1953 aus der Volksschule rausgekommen und die Lehrer, die mich oder uns unterrichtet haben, waren ja alles Ältere, |
00:10:22 |
die entweder im Krieg waren oder.. zum Beispiel dieser Organist, wo ich angesprochen habe, der war damals dann später wieder Schulleiter in Flossenbürg. |
00:10:34 |
Später hat man schon gedacht, dass die natürlich über diese Sache nicht geredet haben, ist ganz klar. Oder erst seit ich äh äh Bürgermeister geworden bin. |
00:10:43 |
Vielleicht war das gar nicht im Lehrplan gestanden.. von Seiten der, des Ministeriums. Das weiß ich aber nicht. |
00:10:49 |
Aber ich kann mir das schon vorstellen. |
00:10:51 |
Das habe ich auch dann später erlegt.. erlebt, als Schulklassen gekommen sind. |
00:10:56 |
Und mich als Bürgermeister auf der Gemeinde angerufen haben, ob ich nicht eine Führung machen könnte. |
00:11:02 |
Da habe ich also festgestellt, dass sie mit Lehrern gekommen sind, die Kin.. diese Kinder nicht vorbereitet haben. |
00:11:09 |
Die sind durchgegangen und haben gesagt: "Ja, das ist eine schöne Anlage." Also wenn niemand dabei ist, war's schwierig. |
00:11:14 |
Ich kann mir vorstellen, dass diese Lehrer vielleicht über diese Zeit nicht sprechen wollten. Ob das so war, weiß ich nicht, aber ich vermute es. |
00:11:22 |
IV: Also Sie haben das Gefühl, das war auch so ein gesamtgesellschaftliches Klima. Das war jetzt nicht nur hier, sondern auch so.. man konnte das überall spüren. |
00:11:29 |
Aber immerhin: Die Lehrer kamen ja plötzlich dann mit ihren Schülern schon her. |
00:11:33 |
Das war ja sicher auch nicht von Anfang an so, sondern hat sich ja irgendwann gewandelt auch.. so vom Bewusstsein. |
00:11:39 |
JW: Ja, wenn ich vielleicht das einfügen darf: Äh ich war ja über 30 Jahre kommunalpolitisch tätig. |
00:11:45 |
Von '72 bis '78 war ich zweiter Bürgermeister.. damals als 33-Jähriger das schon geworden. Und dann äh '78 wurde ich dann erster Bürgermeister. |
00:11:56 |
Und '79, da ist es mir erst so richtig äh bewusst geworden, als der Staatspräsident von Italien, Sandro Pertini, hier in Flossenbürg war. |
00:12:06 |
Mit dem damaligen Ministerpräsidenten von Bayern, Franz Josef Strauß, weil der Bruder des italienischen Staatspräsidenten Pertini, Euch.. |
00:12:15 |
Eugenio Pertini in Flossenbürg im Lager war und ist auf einem Transport von Flossenbürg weg umgekommen ist. |
00:12:22 |
Und somit wurde er für Flossenbürg als tot mitgerechnet und er war dann da und das ist dann natürlich durch die Medien gegangen. |
00:12:31 |
Und da habe ich die Meinung, dass dadurch der Besucherstrom, die Besucher zugenommen haben. |
00:12:38 |
Aber auch.. ich glaube, zu dieser Zeit lief auch die Fernsehserie Holocaust. |
00:12:43 |
Und dann, glaube ich, dass das wieder so richtig in das Bewusstsein der Deutschen, sage ich jetzt mal global, wieder gekommen ist. |
00:12:52 |
Ja, da war ja noch etwas vor dieser Zeit. Und dann nahmen meiner Meinung nach die Besuchergruppen zu, aber auch Schulklassen kamen ab und zu. |
00:13:01 |
Nur, es war vor Ort niemand, der diese Klassen oder diese Menschen betreut hat. Und das lief alles, alles über die Gemeinde, weil ja auch keine Verwaltung da war. |
00:13:13 |
Nur ein Gärtner war da, der die Anlagen gepflegt hat. Und für einen, der das nicht wusste, geht man in erster Linie auf die örtliche Behörde, das ist die Gemeinde. |
00:13:24 |
Und das lief natürlich zu 99 Prozent über den Tisch des Bürgermeisters. |
00:13:29 |
Und da habe ich mich natürlich ein bisschen am Anfang zu stark aus dem Fenster gelegt, habe meiner Sekretärin gesagt: |
00:13:35 |
"Also, wenn eine Gruppe kommt und will eine Führung, dann sagst du mir Bescheid, dann versuche ich, vielleicht diese Gruppe durchzuführen." |
00:13:42 |
Obwohl ich am Anfang auch die Hintergründe .. gründe nicht wusste. Es gab zwar ein Buch, das dann herausgekommen ist.. auch in dieser Zeit: |
00:13:52 |
Bayern in der NS-Zeit, Band 2. Und da ist also die, das Lager Flossenbürg äh geschichtlich äh von einem äh Buchverfasser aufgearbeitet worden. |
00:14:03 |
Von äh äh einem Mann, der sich später sehr viel auch um diese Gedenkstätte, um diese Geschichte gekümmert hat. |
00:14:11 |
Und das habe ich natürlich zum Anlass genommen.. mich da schlau gemacht, dass ich auch ein bissl die Hintergründe erklären konnte. |
00:14:18 |
IV: Also das heißt aber auch so, dass vorher hier selber sich da an sich gar niemand so drum bemüht hat. |
00:14:24 |
Also heute gibt's ja auch viele so Heimatforscher, die selber vor Ort kucken. |
00:14:28 |
Oder ganz viele Orte ja auch so gemein.., die einfach, egal wo sie sind, so versuchen, ihre örtliche Geschichte aufzuarbeiten. |
00:14:34 |
So ein bisschen Heimatforschung. Also da gab's hier erst mal gar niemanden, der auch viel drüber wusste? |
00:14:38 |
Das kam.. Und auch dieser Besucherstrom, das war ja nicht sozusagen von hier initiiert, sondern das kam.. rollte auch so ein bisschen über diese Gemeinde rein oder so, nicht? |
00:14:48 |
JW: Ja, das ist, das ist richtig. Aber auch mein äh Vorgänger im Amt, die hat auch schon Führungen gemacht bei bestimmten Anlässen. |
00:14:55 |
Bei Betriebsausflügen zum Beispiel. Die Regierung der Oberpfalz kam und wollte eine Führung haben.. mal nur als Beispiel. |
00:15:02 |
Auch in meiner Zeit schon. Äh dann kam natürlich automatisch die Frage.. Also wie gesagt: |
00:15:07 |
Wir sind indirekt dann so langsam hineingewachsen und der Besucherstrom, wenn ich Ihren Ausdruck gebrauchen darf, überrollt worden. Das ist richtig. |
00:15:16 |
IV: Und dann kam so die Überlegung, man muss irgendwie auch reagieren. Also wenn das passiert, muss man reagieren. |
00:15:21 |
Und ich.. Aber ich denke, dass hat sich dann ja mir der Zeit gewandelt. |
00:15:24 |
Jetzt gibt es ja schon seit über zehn Jahren, glaube ich, sozusagen noch mal diese, sozusagen diese Art neue Form der Gedenkstätte. |
00:15:32 |
Also wo Leute hier arbeiten, Historiker, sozusagen auch diese, diese Ausstellung jetzt vorbereitet haben, Führungen durchgeführt haben, Filme gezeigt haben. |
00:15:40 |
Wie kam denn so dieser Wandel auf? Oder wie hat man.. oder wie hat.. |
00:15:44 |
Ich denke, Sie können ja auch als ehemaliger Bürgermeister auch so ein bisschen so das Klima in der Gemeinde, der Leute wider.. |
00:15:49 |
Wie war denn das für die Leute? Das ist ja auch komisch, plötzlich ist man der Ort, wo das KZ war und da kommen die Leute mit dem Bus. |
00:15:55 |
Die interessieren sich jetzt nicht sozusagen für dieses Postkarten-Flossenbürg als Luftkurort, sondern äh sind.. |
00:16:02 |
Ja, heute nennt man das so ein bisschen zynisch "KZ-Tourismus" manchmal. Und kommen und sagen immer: |
00:16:07 |
"Wo ist denn..?" Die Sehenswürdigkeit ist plötzlich ein Konzentrationslager, das ist ja auch.. Wo es ja oft dann auch die Diskussion gibt: |
00:16:13 |
Die Leute müssen doch was gewusst haben. Und.. Wie war das so, als diese, sozusagen diese, diese Wandlung begann.. auch in der Bevölkerung? |
00:16:21 |
Haben die Leute sich drüber gefreut? War das eher irritierend? Wie sind die Menschen da auch damit umgegangen? |
00:16:27 |
JW: Vielleicht kann ich das noch kurz vorweg schicken: Äh als der Besucherstrom immer mehr wurde.. auch Schulklassen. |
00:16:35 |
Dann habe ich für mich immer gedacht: Das kann doch nicht sein. Das ist doch Aufgabe des Staates. |
00:16:40 |
Die Gedenkstätte ist doch Eigentum des bayerischen Staates, die müssen doch irgendetwas tun. |
00:16:45 |
Und dann habe ich zufällig in der Süddeutschen Zeitung gelesen, dass in Dachau Lehrer freigestellt worden sind zur Führung von Schulklassen. |
00:16:52 |
Dann habe ich mich über den damaligen Justizminister Gustl Lang, der ja unser Stimmkreisabgeordneter war, gewandt und habe gesagt: |
00:16:58 |
"Was in Dachau möglich ist, müsste doch auch in Flossenbürg möglich sein." |
00:17:03 |
Nach langen Verhandlungen ist dann '84 auch ein örtlicher Lehrer äh für einige Stunden in der Woche freigestellt worden zu Führen. |
00:17:11 |
Und äh ich habe mich dann bemüht, die beiden Ortsgeistlichen zu interessieren: katholischen, die evangelischen Pfarrer. |
00:17:19 |
Äh zwei äh Beamte, ein Zollbeamter und ein Polizeibeamter, die sich auch schlau gemacht haben, haben sich.. haben mir mitgeholfen. |
00:17:27 |
Und ab 1985 kam ein neuer evangelischer Pfarrer, der von der Landeskirche auch schon auf das Gebiet hingewiesen worden ist. |
00:17:36 |
Und dann nä.. nahmen dies, der, der Strom immer mehr zu. Und dann hat sich das so entwickelt. |
00:17:42 |
Äh haben wir das so gemacht, die Leute haben das äh.. sagen wir mal so: Ohne großen Kommentar wahrgenommen. |
00:17:53 |
Wenn ein Omnibus gekommen ist, habe also dann immer festgestellt, halt, die haben in der Wirtschaft Mittag gegessen. |
00:17:59 |
Vorher waren sie in der Gedenkstätte oder anschließend. Das hat man ohne großen Kommentar hingenommen. |
00:18:06 |
Vielleicht erst später, wo manchmal ein bisschen etwas hier.. ja.. ein bisschen.. "Aufruhr" kann man nicht sagen. |
00:18:14 |
Und das ein bisschen mehr zunahm. Vielleicht erst ab '95. |
00:18:18 |
Äh 50-jährigster Jahrestag der Befreiung, wo also dann äh von den Sicherheitsmaßnahmen außen rum.. Polizei und alles da war. |
00:18:27 |
Da hat man gesagt: "Ja muss denn das überhaupt sein? Das ist doch schon so lange her äh.. Könnte man doch einmal sagen, es ist vorbei." |
00:18:34 |
Das ist ab und zu gesprochen worden. Aber diese Stammtischgespräche gibt's ja überall. |
00:18:39 |
Aber die große Mehrheit, sagen wir mal so, hat das vielleicht toleriert. Warum? Weil die politische Führung in Flossenbürg immer vorausgegangen ist. |
00:18:52 |
Das heißt also, der jeweilige Bürgermeister ist immer vorausgegangen. |
00:18:55 |
Dann hat man das eher äh akzeptiert, als wenn von außen jemand kommt und macht hier Führungen. |
00:19:02 |
Oder sagt: "Das und das soll gemacht werden." Und da habe ich immer strengs.., strengstens darauf geachtet, dass so.. dass so bleiben soll oder so bleibt. |
00:19:11 |
Dann wird das, glaube ich, von der Bevölkerung mehr akzeptiert. |
00:19:17 |
IV: Ja, und ich meine, wenn Sie sich politisch oder auch sicher mit Ihren Parteigenossen oder im Stadtrat |
00:19:21 |
so dafür eingesetzt haben, dass hier mehr passiert, wurde das so widerspruchslos hingenommen oder begrüßt oder..? |
00:19:27 |
Ich denke, mit Widerstä.. Oder hatte man mit Widerständen zu kämpfen? Kann man ja auch drüber reden.. so.. |
00:19:31 |
JW: Äh jetzt möchte ich mal ganz einfach sagen. Ich habe manchmal den Bü.. Gemeinderat über das gar nicht unterrichtet. |
00:19:37 |
Das habe ja ich gemacht als Bürgermeister. Ich brauchte keinen Gemeinderatsbeschluss und habe vielleicht manchmal.. das.. |
00:19:44 |
Hätte ich vielleicht das Gefühl gehabt, vielleicht könnte Widerspruch entstehen. Dann habe ich lieber nichts gesagt. |
00:19:50 |
Und habe das nach oben abgesprochen. So lang keine Verpflichtung finanzieller Art auf die Gemeinde zukam, lag ja nichts dran. |
00:19:58 |
Im Gegenteil, ich habe mich also dann angewandt.. an das Ministerium. |
00:20:02 |
Äh es müsste ja dann irgendwie ein finanzieller Ausgleich geschaffen werden, wenn wir uns so engagieren. |
00:20:08 |
Sei es äh.. nicht äh äh äh speziell finanziell für mich, sondern für die Gemeinde, für diese Stunden, die ich hier verbringe. |
00:20:15 |
Oder die Gemeinde hat auf meine Anweisung hin diese Zufahrtsstraßen extra geräumt und gestreut. Das sind ja Kosten der Gemeinde. |
00:20:23 |
Und dann habe ich also mich eingewandt und der Staat hat teilweise finanziell ein bisschen.. |
00:20:28 |
Anfangs ganz gering.. geholfen und das hat der Gemeinderat äh mit Dankbarkeit zur Kenntnis genommen. |
00:20:36 |
IV: Gut. Ist ja schön, wenn man das alles so ein bisschen nach Gutsherren Art irgendwie durchsetzen kann.. irgendwie. |
00:20:43 |
Was mich noch, noch so interessiert.. also ich bin ja sozusagen so im Stamme so der Nach-68-er Generation.. |
00:20:50 |
Und da war auch immer so in diesem.. gab es halt immer den Konflikt auch dieses Löslö.. dieses Loslösen von der Generation der Eltern. |
00:20:58 |
Und da wurde, wurde, wurden auch immer diese Fragen gestellt, sozusagen: "Was habt ihr gewusst? Und wo wart ihr für verantwortlich? |
00:21:05 |
Was habt ihr im Krieg gemacht?" Also war so ein wichtiges Thema auch. |
00:21:09 |
Gab es sowas als Thema? Und ich meine, das ist dann natürlich, denk' ich, in so einem Ort auch naheliegend, dass was sich Kinder und Enkelkinder dann.. |
00:21:16 |
Dann ihre Großeltern fragen und sagen: "Hier, das ist doch vor der Haustür, habt ihr denn das mitgekriegt?" |
00:21:21 |
Oder gab's da sozusagen so eine Diskussion oder solche Konflikte? Oder kam das hier gar nicht so auf? |
00:21:27 |
JW: Also eine offene Diskussion gab es nicht. Wenn es in einzelnen Familien geschehen ist, wo vielleicht jemand höhere Schulen besucht hat. |
00:21:34 |
Und dort vielleicht ein bisschen etwas gehört hat, könnte schon möglich sein. Aber eine offene Diskussion entstand dadurch nicht. |
00:21:42 |
Äh vielleicht auch kommt damit es her, dass Flossenbürg mehr so ein.. wie es angesprochen worden ist.. ein, ein vergessenes Lager war.. |
00:21:51 |
Das nicht so stark in den Medien dargestellt worden ist. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt von 1995. Äh so kann ich mir das vorstellen. |
00:22:03 |
In den Familien, die sich damit befasst haben, wurde selbstverständlich drüber gesprochen. Äh wenn jemand sagt: |
00:22:10 |
"Wir haben nichts gewusst." So ist das nicht richtig. Es hat jeder gewusst, dass hier ein Konzentrationslager war. |
00:22:16 |
Beziehungsweise.. und vor allem, was darunter zu verstehen ist, das war ein bissel im Unklaren. |
00:22:21 |
Äh unter dem Begriff, denn es war ja auch ein neuer Begriff, der damals geprägt worden ist. |
00:22:25 |
Es hat auch jeder gewusst, dass hier Menschen eingeliefert worden sind. Äh Häftlinge, wie es so angesprochen worden ist. |
00:22:31 |
Denn dieser Häftlingszug ist ja immer durch den bewohnten Ort durchgeführt worden. Am Ortseingang war der Bahnhof und sind immer durchgeführt worden. |
00:22:40 |
Es war zwar immer Ausgangssperre, aber die an dieser Straße wohnten, haben ja das täglich gesehen, wenn diese außerhalb.. |
00:22:47 |
Beziehungswiese wenn diese Transporte gekommen sind. Äh man hat also auch äh das unter der Hand gesprochen, es sind Leute erschossen worden. |
00:22:55 |
Nur, nur unter Hand, weiter hat man das nicht gesagt. Wahrscheinlich auch in der Weise, da man gewisse Angst gehabt hat. |
00:23:03 |
Äh oder, oder dass jemand verbrannt worden ist. Wie ich schon angesprochen.. meine Mutter hat immer gesagt: |
00:23:08 |
"Da hat's ein bisschen gerochen bei Ostwind im Ort." Das hat schon jeder gewusst. |
00:23:12 |
Aber die Funktionsweise, wie das im Lager zugegangen ist, das ist vielleicht erst nach dem Krieg bekannt geworden. |
00:23:21 |
Und vielleicht auch erst später, als die Forschung Einzelheiten darüber herausgebracht hat. Ich habe mich wundern müssen. |
00:23:27 |
Ich habe diese Ausstellung ein bisschen schon angeschaut. Da sind ja Sachen drin, die auch ich nicht weiß oder gewusst habe. |
00:23:35 |
Also muss ich mich auch zuerst ein bisschen schlau machen, weil ich ja nach wie vor Führungen durchführe. |
00:23:41 |
IV: Jetzt, Sie haben ja schon mal 1900.. äh '95 angesprochen, ich glaube, da war auch das erste Überlebendentreffen.. wieder. |
00:23:48 |
Wo sozusagen ehemalige Häftlinge wieder hierher gekommen sind. Äh wie war das? Also.. und heute.. |
00:23:55 |
Ich war ja die letzten zwei Jahre auch hier, bei diesem Überlebendentreffen. Hab' immer gesehen an sich auch dieses herzliche Miteinander mit der Bevölkerung. |
00:24:02 |
Also diese positive Aufnahme, oft auch wie diese ehemaligen Häftlinge hier schon Bekanntschaften geschlossen haben, sich freuen, dankbar sind. |
00:24:09 |
Also wo das so sehr harmonisch, sehr schön wird am Anfang. |
00:24:13 |
Und so, als das das erste Mal bevorstand äh, haben Sie da eine Erinnerung, wie wurde das diskutiert? |
00:24:19 |
Hat man da irgendwie so ein bisschen Unsicherheit gehabt, dass da Leute wiederkommen? Wie war das so? |
00:24:23 |
Wie hat sich das auch entwickelt über diese 10 Jahre.. vielleicht auch zu diesem sehr schönen hin? Vielleicht können Sie da ein bisschen drüber schildern? |
00:24:29 |
JW: Äh nachdem 1991 die Zuständigkeit von der Gedenkstätte aus gewechselt ist vom Finanzministerium, sprich Schlösserverwaltung, zum Kultusministerium, |
00:24:43 |
ist äh ein Ministerialrat vom Kultusministerium beauftragt worden, sich um die Information der Gedenkstätte zu kümmern. |
00:24:51 |
Und äh auf mein Bestreben hin ist dann so ein kleiner Ausschuss gegründet worden, dem der Bürgermeister angehörte, |
00:24:57 |
die zwei Pfarrer, der Lehrer, der Führungen durchführte, um irgendwelche Informationen vorher gemeinsam abzusprechen. |
00:25:04 |
Und als '95 die Zeit heran.. oder '94 die Zeit herankam.. '95 äh.. 50 Jahre Tag der Befreiung, habe ich also angeregt, zu diesem Ministerialrat: |
00:25:14 |
Wir müssen auf jeden Fall etwas tun. |
00:25:17 |
50 Jahre äh Tag der Befreiung muss irgendwie äh ein Gedenktag oder eine, eine Gedenkstunde abgehalten werden. |
00:25:24 |
Äh und es ist dann vorbereitet worden. Und der hat also dann äh irgendjemand gesucht, der dafür verantwortlich zeichnet. |
00:25:33 |
Und es ist also der Bezirk Oberpfalz hier dann aufgetreten, der Bezirkstagspräsident und die Gemeinde Flossenbürg. |
00:25:40 |
Mitbearbeitet worden oder unterstützt von einem Verein, von der Arbeitsgemeinschaft äh äh Konzentrationslager Flossenbürg, |
00:25:48 |
der ja damals sich ins Leben gerufen hat. Der aus zum Großteil Mitarbeiter aus Regensburg stammten. |
00:25:54 |
Und äh im Zuge dieser Vorbereitung habe ich natürlich diesen öffentlichen Druck.. sage ich mal so.. genützt. |
00:26:04 |
Und habe also dann auf die politisch Verantwortlichen eingewirkt. Auch über meine Partei. |
00:26:10 |
Und es war also dann äh.. im April wäre ja dieser Tag gewesen und im März war also der Kult.. der Arbeitskreis äh |
00:26:17 |
oder der kulturpolitische Arbeitskreis der CSU-Landtagsfraktion hier in Flossenbürg. Der damalige Vorsitzende ist der jetzige Kulturstaatssekretär Karl Freller. |
00:26:29 |
Und den haben wir das alles vorgetragen, habe ich dem alleine unter vier Augen, haben wir mit den ... mit dem Ausschuss gesprochen. |
00:26:34 |
Ich wollte niemanden dabei haben, um Fraktura zu sprechen. Und jetzt kann ich ja das sagen. Habe ich gesagt: |
00:26:40 |
Ihr.. der Staat drückt sich um ihre Aufgabe, insbesondere.. sage ich jetzt mal ganz offen.. die CSU vielleicht auch. |
00:26:48 |
Denn man kann das nicht sagen "der Staat", wenn die CSU als staatstragende Partei so lang an der Regierung ist, da kann ich das nicht auf andere schieben. |
00:26:55 |
Ihr müsst etwas tun. |
00:26:58 |
Ich erkläre mich bereit, von Seiten der Gemeinde ein Informationszentrum oder ein Informationsbüro aufzubauen, wenn der Staat die Kosten übernimmt. |
00:27:07 |
Und der hat das aufgenommen, hat einen Antrag gestellt und äh vier oder sechs Wochen später hat der kulturpolitische Ausschuss beschlossen: |
00:27:15 |
Jawohl, das wird so angenommen und im Sommer äh äh '95 hat der Landtag das beschlossen: Eine Halbtagskraft wird eingestellt. |
00:27:24 |
Das muss ich vielleicht noch einflechten: Vorher haben das schon andere Stellen gefordert, insbesondere die evangelische Jugend von Oberfranken. |
00:27:31 |
Aber ich persönlich habe mir immer gedacht: Was soll hier ein Mann ohne eine Behörde? Alleine kann man ja nichts aufbauen. |
00:27:38 |
Und drum ist mir der Gedanken gekommen: Wir von der Gemeinde machen das. Wir haben eine Behörde und dann äh.. |
00:27:44 |
Nach einem halben Jahr äh so zugesagt gewesen eine Halbtagskraft.. innerlich haben wir gedacht: Halbtagskraft, da bekommen wir ja niemanden. |
00:27:52 |
Wir können doch nicht einen ABM-Arbeiter nehmen. Es muss ja eine Fachkraft sein. |
00:27:56 |
Dann haben wir gewartet. '96 äh '95 und '96 wieder die Halbtagskraft im Haushalt genehmigt.. ist ja schon eine Ganztagskraft. |
00:28:03 |
Dann haben wir gesagt: Stellen wir jemanden an ab '96. Und das haben wir getan und das ist der jetzige Leiter der Gedenkstätte, Herr Jörg Skriebeleit. |
00:28:11 |
Der dann '96 eingestellt worden ist von der Gemeinde. Und wir haben die Kosten vom bayerischen Staat ersetzt bekommen. |
00:28:17 |
Ich glaube sogar, das Ministerium war froh darüber, dass sie nichts organisatorisch machen mussten. Sondern nur das Geld hinlegen. |
00:28:24 |
Und das war der erste Schritt. Er hatte zwar dann eine, eine Aufgabenteilung.. also Aufgabenaufteilung gehabt, was er tun hätte sollen.. |
00:28:33 |
Informationen sammeln, Literatur sammeln, aber das hat.. von dem wär's ja nicht getan. |
00:28:38 |
Dann haben wir die Bürokratie nicht walten lassen oder den Amtsschimmel wiehern lassen, haben wir das auf kürzestem Wege gemacht. |
00:28:46 |
Und haben ihm sogar eine Dienstreise nach Amerika genehmigt. Schon mit Absprache von München. Und da hat er also sehr viel gefunden. |
00:28:54 |
Das war das erste Jahr. Es wäre aber das abgelaufen. Das muss ich noch mit anführen, was.. wie manchmal auch Zufälle spielen. |
00:29:01 |
Das wäre '96 gewesen. '97 wäre es wieder reduziert auf eine Halbtagskraft. |
00:29:06 |
Auf einmal flattert mir ein Brief zu vom Amtsgericht damals Vohenstrauß.. vom Amtsrichter, |
00:29:12 |
dass einer, der gestorben ist, als Erbe 70.000 Mark dem Betreiber oder beziehungsweise dem, der Gedenkstätte Flossenbürg vermacht hat. |
00:29:21 |
Der Richter wusste nicht, wer zuständig ist, hat das mir als Bürgermeister geschickt. Und da habe ich gesagt: |
00:29:26 |
Das kann ich nicht abliefern im bayerischen Staat, denn sonst läuft's mit rein. Nur mit der Zusage, dass das wieder ein Jahr lang diese Person beschäftigt wird. |
00:29:36 |
Und so hat sich das entwickelt und da haben wir so viel gesammelt gehabt, dass es kein Zurück mehr gab. |
00:29:42 |
Und dann ab 1. äh.. ich sage immer dann ab Beginn des neuen Jahrtausends ist dann eine eigene Gedenkstättenverwaltung eingerichtet worden. |
00:29:52 |
Und nun hat sich das so entwickelt. Habe ich später gesagt, kann ich mich beruhigt zurücksetzen. Die Saat, die ich mit gesät habe, ist aufgegangen. |
00:30:03 |
Und dann haben wir noch zum Abschluss, bevor ich dann 2002 als Bürgermeister aufgehört habe, noch einen Förderverein gegründet. |
00:30:10 |
Deren Vorsitzender ich jetzt noch bin, um auch von dritter Seite das zu unterstützen. |
00:30:15 |
Oder auch Finanzen mit zu sammeln für etwaige Buchvorstellungen oder.. und, und in der Richtung halt. Und jetzt läuft das so, wie es also ist. |
00:30:25 |
IV: Das ist ja sicher was, wo man stolz drauf sein kann.. auch ein bisschen. |
00:30:28 |
JW: Ja, ein bisschen äh stolz bin ich schon. Wenn das.. dass das jetzt so gut läuft. Und das noch vielleicht: |
00:30:34 |
Was sich da entwickelt hat.. eben mit ehemaligen Häftlingen. Da vorne sehe ich einen, da sitzt nämlich einer aus Frankreich. |
00:30:41 |
Die habe ich ja vorher schon gekannt. Als 2. Bürgermeister schon in den 70er Jahren. Es ist dann so herzlich geworden. |
00:30:48 |
Die Organisation hat uns eingeladen nach Frankreich. Wir waren drüben in Frankreich. |
00:30:53 |
Äh die Italiener äh haben mich zum Beispiel.. das kann man sich vor.. überhaupt nicht vorstellen. |
00:31:01 |
Eine Stadt, Lodi, mit unge.. etwa 30, 35.000 Einwohner. Das ist äh äh s.., süd.. äh oder östlich von Mailand, hat mich zum Ehrenbürger ernannt. |
00:31:12 |
Äh eine, einen Bürgermeister einer Gemeinde, wo äh Bürger dort waren, dort Bürger umgekommen sind. |
00:31:18 |
Sogar ein Bürgermeister der Stadt Lodi.. damals ist hier in Flossenbürg ums Leben gekommen. Solche äh äh Verbindungen hat man geschaffen. |
00:31:27 |
Und sie werden ja sehen, wenn ich also.. äh oder der Präsident der, der französischen Organisation, den ich eben begrüßt habe.. |
00:31:35 |
Man umarmt sich, man hat Freundschaften geschlossen. Und das ist, wo wir vielleicht anderen Gedenkstätten ein bisschen voraus sind. |
00:31:44 |
Weil wir die menschliche Phase hier mit einspielen haben lassen. |
00:31:48 |
Denn äh nicht nur über den Tod reden, nicht nur über das, was geschehen ist, sondern.. und natürlich selbstverständlich auch über die äh.. |
00:31:59 |
Über die, das Gedenken der Opfer, über die Mahnung, über das Lernen, sondern auch die Menschlichkeit wieder mit in den Mittelpunkt stellen. |
00:32:06 |
Und das glaube ich, haben wir geschafft, und deshalb muss ich nochmal das Wort sagen, sind wir schon ein bisschen drauf stolz. |
00:32:13 |
IV: Und das interessiert mich. Und sozusagen dieses Schaffen dieser menschlichen Ebene wieder.. diese Wiederbegegnung, auch das Verständnis.. |
00:32:19 |
Das lief immer reibungslos? Auch ohne Vorbehalte, ohne Ängste? So am Rande? |
00:32:25 |
JW: In den ersten Jahren, als ich äh '78 offiziell dann äh einmal eine ja.. kann man ruhig sagen, die französische Delegation empfangen habe. |
00:32:35 |
Da ging das also nur mit einem Händedruck. Die Begrüßung. |
00:32:40 |
Erst am Abend, als wir zusammensaßen, ist also dann die Verabschiedung mit sich gegenseitig Um.. Umarmen. |
00:32:47 |
Beim nächsten Jahr war das wieder früh nur.. sage ich jetzt einmal unter Anführungszeichen.. ein Händedruck. Bis sich das abgebaut hat. |
00:32:55 |
Und jetzt ist das ein herzliches Umarmen, mit den ganzen Teilnehmern des Busses, von denen ich also bereits schon fast 30 Jahre die kenne. |
00:33:03 |
Äh in dieser Art ist das geworden. Anfangs, wie gesagt, ein bisschen Zurückhaltung. |
00:33:08 |
Kann vielleicht auch sein, weil ich zwar äh äh ein, ein Jahrgang '39 bin, nicht im Krieg war beziehungsw.. vom Alter her sowieso nicht. |
00:33:16 |
Und vielleicht auch nicht mit dieser unrühmlichen Vergangenheit behaftet war. |
00:33:22 |
Vielleicht hat das von den Ausländern her und von den Ehemaligen den Punkt ausgemacht. Ich weiß es nicht. |
00:33:28 |
IV: Vielleicht noch eine letzte Frage jetzt so: |
00:33:31 |
Übermorgen wird halt die, sozusagen diese generalüberholte Gedenkstätte gerade, das Museum und die Ausstellung eröffnet. |
00:33:39 |
So.. was für eine Perspektive, denken Sie.. ja, als.. kann ich ja immer noch sagen.. als politisch denkender Mensch, auch wenn Sie nicht mehr im Amt sind. |
00:33:46 |
Was für eine Perspektive.. da ist ja viel erreicht worden, ist ja lange drauf hingearbeitet worden. |
00:33:50 |
Was für eine Perspektive eröffnet das Ihrer Meinung nach für Flossenbürg, auch für die Gemeinde? Für diesen Ort? |
00:33:58 |
JW: Ja, diese Frage, das ist eigentlich schwer zu beantworten. |
00:34:02 |
Wenn man also den ganzen Umbruch sieht, insbesondere auch von der wirtschaftlichen Seite her: Von der Arbeitsplatzsituation her. |
00:34:09 |
Auf dem Gelände, wo jetzt dieses Museum entstanden ist äh oder entsteht, besser gesagt, waren ja Gebäude des ehemaligen Lagers.. |
00:34:17 |
Sind verkauft worden und auf diesem Gelände mit zusätzlichen Hallen, die nach dem Krieg gebaut worden sind, sind einmal 30.. 300 Leute beschäftigt gewesen. |
00:34:26 |
Die nach der Grenzöffnung dann abgezogen sind. Verlust von 300 Arbeitsplätzen. |
00:34:33 |
Und äh sie wurden dann wieder zum Großteil aufgefangen von einem anderen örtlichen Betrieb. |
00:34:38 |
Und jetzt entwickelt sich das mehr auf diese Art, ja, Museum, Vergangenheitsbewältigung, äh in diese Richtung. |
00:34:49 |
Sie haben es schon angesprochen äh: Gedenkstättentourismus und so weiter hin. Das ist natürlich schon schwer, manchmal den Menschen das zu vermitteln. |
00:34:59 |
Der Tourismus hat ja auch ein bisschen nachgelassen in unserer Gegend. Nicht nur, nur bei uns, sondern in anderen Bereichen, seit die Grenzöffnung war. |
00:35:09 |
Früher sind die Berliner gekommen und na.. über die Grenze rüber und sind da geblieben. Jetzt fahren sie durch. |
00:35:14 |
Äh ich habe also letzte.. nur als Beispiel.. letzte Woche mit einem aus den damaligen Fremdenverkehrszentren äh |
00:35:21 |
Pleystein/Vohenstrauß, die damals schon 100.000 Übernachtungen hatten, dass es auch auf 50 Prozent rückgegangen ist. |
00:35:27 |
Also auch bei uns so. Und Tourismus hängt ja auch mit der Gastronomie zusammen. Da sind wir zur Zeit ein bisschen schlecht bestellt.. einerseits. |
00:35:37 |
Andererseits aber auch: Wir hatten trotzdem immer viele Arbeitsplätze vor Ort. |
00:35:42 |
So dass die Leute nicht unbedingt.. die Bewohner nicht unbedingt auf den Tourismus angewiesen waren. |
00:35:49 |
Und äh jetzt stellt sich das wieder ein bisschen um. Auf den.. ja nah.. äh also auf den Ta.., Tagestourismus. |
00:36:00 |
Viele, die also hier kommen, schauen sich die Gedenkstätte an, bleiben kurz da und.. |
00:36:06 |
Ich muss jetzt winken, weil mir ein ehemaliger Häftling zuwinkt. {hebt die Hand und winkt} |
00:36:10 |
Äh äh und zwar die äh wieder wegfahren. Es bleiben auch einige da, die also.. vielleicht Angehörige manchmal, die kurzzeitig dableiben. |
00:36:22 |
Aber wir müssen sich auf den Tagestourismus.. muss sich umgestellt werden. |
00:36:25 |
Und das ist manchmal schon ein Problem, weil eben bei uns.. das muss ich ganz offen sagen.. die Gastronomien nicht mehr so funktionieren. |
00:36:32 |
Teilweise familiär bedingt, was die Gemeinde nicht beeinflussen konnte. |
00:36:37 |
Aber ich habe gehört über den Bürgermeister, über den Landrat, der Regierungspräsident schaltet sich sehr stark mit ein, |
00:36:45 |
dass hier ihm Rahmen der Städtebauförderung in dieser Richtung etwas getan werden wird. |
00:36:50 |
Und dann erhoffen wir uns, dass da ein bisschen etwas.. ja, das besser organisiert wird. |
00:36:56 |
IV: Okay. Gut. |