00:00:00 |
Interviewer: Ja, wir sind heute in Chemnitz, es ist der 11. Oktober 2018 und wir sprechen mit Justin Sonder. |
00:00:08 |
{unverständlich} Gut, ja... Und wir laufen. Herr Sonder, ich fände es schön, am Anfang, wenn Sie wirklich vielleicht ein bisschen |
00:00:32 |
über Ihre Kindheit und Jugend und Ihre Familie erzählen, damit wir so'n bisschen wissen, äh, wo die Geschichte mal anfing. |
00:00:40 |
Justin Sonder: Ich bin am 18. Oktober 1925 in Chemnitz geboren. Ich hab' meine Kindheitserinnerungen noch an Chemnitz. |
00:00:51 |
Wir wohnten in der Lindenstraße, meine Eltern und ich. Ich hab' keine Geschwister. |
00:00:56 |
Und vis à vis, einen Steinwurf entfernt, war das große Kaufhaus Schocken. |
00:01:02 |
Und im, im Winter, wenn es kalt war, sind wir Jungs zum Aufwärmen in das Kaufhaus Schocken gelaufen. |
00:01:09 |
Aber deren {unverständlich, Aufsicht} haben das nicht gerne gesehen, von Schocken. |
00:01:14 |
Und haben uns des Hauses verwiesen. Wir sind an der einen Türe rausgeflogen und an der anderen sind wir wieder reingegangen. |
00:01:21 |
Also das war... so Usus dort. Chemnitz war bekannt durch den sogenannten Brückenmarkt. |
00:01:31 |
Ein wunderbarer Markt, der zweimal in der Woche, oder dreimal, aufgebaut worden is'. |
00:01:37 |
Einmal gab's Gemüse und Obst - also der grüne Markt - und anders Mal war's 'n anderer Markt, der uns nich' gefallen hat. |
00:01:46 |
Schnürsenkel, Schuhcreme, und was weiß ich, Strümpfe und solche Sachen. |
00:01:50 |
Das war für uns nicht der Markt, aber der andere, war wirklich ein toller, äh, städtisches Unternehmen. |
00:01:58 |
Was jeden.. am Tag.. jede Woche auf- und abgebaut worden ist. So, das war.. |
00:02:06 |
In der Schule, ich war ein... guter Schüler, kann ich wirklich sagen. |
00:02:12 |
Und ich habe eine Zen.. Eine Note immer mitgenommen bis zum letzten Tag der Schule, das war Zeichnen. Das war nich' mein Fach. |
00:02:25 |
IV: {lacht} |
00:02:27 |
JS: Also, äh, ich bin... Die Drei war geschmeichelt. Weil die anderen Noten gut waren, hab' ich das Gefühl gehabt, die... |
00:02:34 |
Lehrer wollten mir keine Vier geben. In Wirklichkeit war's 'ne Vier. Also, also das war... |
00:02:40 |
Ansonsten, ich hab' Geschichte geliebt, das war... beson.. besonders, hab' ich das gerne gemacht. |
00:02:49 |
Ich hab' mir viel merken können, das war mein Vorteil. Also, so war die Schule. Dann... |
00:02:54 |
IV: Ihr Elternhaus, was waren Ihre Eltern? Von Beruf, waren es... |
00:02:58 |
JS: Mein, mein Vater.. Meine Eltern kamen aus Franken. Und Franken is' verbunden mit Wein. |
00:03:06 |
Und mein Vater hat für eine Kitzinger Firma... {niest} Ohje... 'Tschuldigung. |
00:03:16 |
IV: Kein Problem, Gesundheit. |
00:03:18 |
JS: ...Hat er die Vertretung gemacht, die nannten sich wirklich Vertreter. |
00:03:22 |
Also es ist nicht wie heute, dass die Kunden eingeladen werden zur Weinprobe, das war nicht. |
00:03:28 |
Die mussten... die großen Wein.. Weingroßhandlungen - der berühmte Bocksbeutel - der, der.. das ist ja nun der fränkische Wein. |
00:03:38 |
Das musste den Leuten.. und wer waren die Kunden? Das waren auch keine armen Leute. |
00:03:44 |
Das waren Ärzte, Professoren, sonst gut gestellte Leute, die... die einen schönen Schluck Wein haben leisten können. |
00:03:54 |
Und mein Vater war eben für so eine Kitzinger Firma, da Vertreter. |
00:03:59 |
Vertreter, war... ging von Dresden weg, bis nach Thüringen, |
00:04:08 |
Und in die andere Richtung war wieder 'n anderer Vertreter, also wie gesagt, es war... abgestimmt. |
00:04:15 |
Und Spesen wurden ersetzt und bezahlt. Und äh, aber es war eben ein Beruf, der nicht sesshaft war. |
00:04:25 |
Also die mussten draußen fahren und die Firma vertreten, also Weine verkaufen, um es mal einfach zu sagen. |
00:04:34 |
IV: Und Ihre Mutter? |
00:04:36 |
JS: Meine Mutter war Hausfrau... |
00:04:37 |
IV: Ja, Entschuldigung, ja... kleinen Moment, ich hab hier ständig ein Kratzen drauf... |
00:04:41 |
Vielleicht das Kratzen von den Schuhen... {Frau unverständlich im Hintergrund} |
00:04:42 |
IV: Aus dieser Weingegend... aus Franken, is' aber dann hier nach Chemnitz... gezogen. |
00:04:48 |
JS: Ja... meine Mutter... ja... meine Mutter war Fränkin durch und durch. |
00:04:53 |
Die sprach so, war Schönheitskönigin in den 20er Jahren vom Raum Würzburg. |
00:05:01 |
Und sie war klug, eine kluge Frau. Ja. Was soll ich von meiner Mutter noch sagen? Sie ist ermordet worden. In Auschwitz. |
00:05:14 |
IV: Mhm. Da kommen wir später... noch dazu... |
00:05:17 |
JS: Ja, ja, genau. |
00:05:19 |
IV: Und, und Sie waren ja.. entstammen ja aus einer jüdischen Familie... |
00:05:21 |
JS: Ja. |
00:05:22 |
IV: War das jetzt eine tief religiöse Familie... |
00:05:24 |
JS: Nein. |
00:05:25 |
IV: Oder wie war sozusagen weltanschaulich... auch, wie sind Sie da aufgewachsen? |
00:05:29 |
JS: Also wie jede andere Religion war das auch so, sie.. es gab keine jüdischen Freunde. |
00:05:37 |
Die sind einmal im Jahr, haben die die Synagoge besucht, ansonsten war nischt... gar nischt. Ja... |
00:05:47 |
IV: Also es war an sich ganz weltlich... |
00:05:51 |
JS: Ja, absolut, absolut. Ja... Also, sie war klug, sehr klug. Vater war auch klug. Also der war... belesen. |
00:06:00 |
Also Bücher standen rum, und... Und auch belesen insofern, was nicht alltäglich war. Also meine Mutter hat Heine gekannt. |
00:06:11 |
Und auch zitieren können. Und auf.. und besondere Sachen herausgestellt. Ich kann mich erinnern, |
00:06:18 |
1934 kam ich in die vierte Klasse, und es gab neue Le... Lese.. also Bücher. Unter anderen ein Le.. ein Liederbuch. |
00:06:34 |
Und ganz vorne war ein, groß abgebildet, die Loreley. Ich weiß nicht, was soll es bedeuten und so weiter, dass ich so traurig bin. |
00:06:43 |
Ein Märchen aus uralten Zeiten kommt mir heut in den Sinn. Und da drunter von dem Buch, die Loreley, und ganz klein geschrieben: Verfasser unbekannt. |
00:06:57 |
No, also die Nazis haben 1934 das deutsche Volk schon mächtig hintergangen. |
00:07:05 |
Wie die weg waren, hat meine Mutter gesagt: "Ich kenn' den Verfasser." Ich sag': "Wieso?" |
00:07:12 |
"Das ist Heinrich Heine. Der wird heute nicht mehr genannt. Das ist der eigentliche Dichter gewesen der Loreley." |
00:07:20 |
Äh ja. Das... das bleibt in Erinnerung, so 'ne Sache. Die Mutter sagt: "Ich kenn' den Verfasser." |
00:07:28 |
{unverständlich} Im Buch steht: "Verfasser unbekannt". Also das war für uns, für mich als Kind... |
00:07:35 |
IV: Da sind Sie ja schon bei so 'nem Thema, wie sich da in der Gesellschaft was verändert hat... |
00:07:40 |
JS: Hm. |
00:07:41 |
IV: ...durch die Nationalsozialisten. Können Sie sich erinnern... Sie sind ja '25 geboren, haben sozusagen praktisch als Kind und Jugendlicher |
00:07:49 |
diese ganze Machtergreifung und die Veränderung der Verhältnisse in Deutschland wahrgenommen. |
00:07:54 |
Haben Sie das bemerkt? Wie war das, hat sich etwas verändert... |
00:07:58 |
JS: Als Kind habe ich, habe ich's nicht bemerkt. Es gab eine Situation, äh, in der Schule. |
00:08:08 |
Ich gehörte zu den besten Schülern der Klasse. Und die... die genauso klug waren wie ich, sind... aufs Gymnasium gegangen. |
00:08:18 |
Und da hab' ich meine Mutter gefragt: "Warum darf ich denn nicht auf's Gymnasium?" |
00:08:24 |
Und meine Mutter hat mir was erzählt, dass wir kein Geld hätten. Das stimmt natürlich nicht. Damals hab' ich's geglaubt. |
00:08:31 |
Aber heute weiß ich, ach Gott, ich durfte nicht. Die Nazis haben das untersagt, schon '34. |
00:08:39 |
Dass ich das Gymnasium, eine erweiterte Schule, besuchen durfte. Das war die eine Seite. Dann, ich war wirklich, äh... |
00:08:51 |
Wir schreiben das Jahr 1936, die Olympischen Spiele in Berlin stehen in Vorbereitung, |
00:08:59 |
Und die Schulen haben alle was zur Eröffnung der Olympischen Spiele gemacht. |
00:09:05 |
Wer ist der beste Sprinter, wer ist das, wer ist das, alles zu Ehren der Olympischen Spiele '36. |
00:09:15 |
Und unsere Schule hat ein Fußballturnier ausgerichtet. Und da war der ganze, das Lehrerkollegium eingeladen. |
00:09:26 |
Unsere Mannschaft, wo ich dabei war, wir schaff.. haben es bis zum Endspiel geschafft. |
00:09:32 |
Und nun stand es.. das Endspiel in der Weißenschule {???}, die Straße gibt's heute noch. |
00:09:38 |
Die Schule hatte einen kleinen Sportplatz. Und, ähm, {räuspert sich} unsere Mannschaft hatte nicht die Spur einer Chance. |
00:09:48 |
Nach kurzer Zeit stand's 1:0 für die anderen. Und dann bin ich zu dem Turnlehrer, damals hieß es Turnlehrer, heute Sportlehrer. |
00:09:59 |
Hingegangen und hab' gesagt: "Ich hab' bis.. ich bin Rechtsaußen, ich hab' noch keinen Ball erwischt." |
00:10:05 |
Da hat er gesagt: "Du musst dich in die Mitte fallen lassen, selber 'n Ball erobern, und du kannst schießen, schieß aufs Tor." |
00:10:11 |
Das hab' ich gemacht, und siehe da, tatsächlich, äh, stand dann 1:1. Aber am Ende stand's dann 4:1 gegen uns. |
00:10:21 |
Und der Schulleiter rief zur Siegerehrung auf. Die siegreiche Mannschaft hat ihren zweifachen Torschützen auf die Schultern gehoben |
00:10:35 |
Und die.. äh, wollten so zur Siegerehrung tragen. Und einer von unserer Mannschaft... |
00:10:42 |
Der Schmerz hält bei zehnjährigen Jungs nicht so lange an: "Wir haben auch 'n Torschützen!" |
00:10:47 |
Also, ich wurde auf die Schultern gehoben, es kam nicht zur Siegerehrung. |
00:10:52 |
Der Direktor, Schuldirektor, Krause oder Kraus, ich weiß nicht mehr ganz genau, hat gesagt: |
00:10:59 |
"Sowas gibt's gar nich'! Die Siegerehrung spielt sich gar nichts ab!" Und hat mich mächtig antisemitisch beschimpft. |
00:11:09 |
Und - ich hab' geweint. Ich hab' sowas noch nie gehört. |
00:11:12 |
Und ein Klassenlehrer, Herr Seidel, hat.. war ganz in Ordnung. |
00:11:18 |
Äh, es gab in jeder Klasse hatte der Klassenlehrer einen sogenannten Rohrstock gehabt. |
00:11:26 |
Da mussten die Jungs die Hand hinhalten und dann gab's ein paar drauf. Und, und jedes Jahr durften die Eltern einmal eine Schulstunde mit besuchen. |
00:11:36 |
Mein Vater hat ja gearbeitet, Mutter is' hingegangen und hat sich's angehört. |
00:11:40 |
Und da hat der, der Lehrer Seidel, mein Klassenlehrer, gesagt: |
00:11:44 |
"Jetzt musst' ich Ihrem Sohn auch eine mit'm Rohrstock geben, weil Unruhe war. |
00:11:51 |
Aber ich kann Ihnen sagen, Frau Sonder, ich bin kein Antisemit." So, 1935.. 1936. |
00:12:00 |
IV: Und wie ging das dann weiter? Die Entwicklung? Sie sind ja immer auch 'n bisschen erwachsener geworden, was haben.. |
00:12:06 |
Auch in Chemnitz selber, hat sich die Situation verändert? |
00:12:10 |
Was haben Sie auch als jüdische Familie gespürt? |
00:12:13 |
JS: Ja, ich hab' äh, wir wohnten in der Lindenstrasse, also einen Steinwurf entfernt von dem großen Kaufhaus Schocken. |
00:12:22 |
Und in der Nacht zum 9. November 1938, diese sogenannte Pogromnacht, |
00:12:29 |
Da war so ein Radau auf der Straße, dass ich als Kind aufgewa.. aufgewacht bin. |
00:12:38 |
Hab's Fenster geöffnet und sah, wie die großen Schaufensterscheiben des Warenhauses Schocken zersprungen sind. |
00:12:46 |
Und, und es haben SA-Leute, SS-Leute, alles, haben geschrien. |
00:12:51 |
Da bin ich zum, ins Schlafzimmer meiner Eltern gegangen und hab' sie geweckt. |
00:12:55 |
Mein Vater ist auf die Straße gegangen und kam nach kurzer Zeit wieder, hat gesagt: |
00:13:00 |
"Es.. In Chemnitz ist der Teufel los." Ich kann mich erinnern, äh. |
00:13:07 |
Auf dem Kaßberg soll die Synagoge brennen, die Geschäfte sind zerstört und es gibt auch Verhaftungen. |
00:13:16 |
Und das ist mir ganz stark in Erinnerung. Die Situation der Pogromnacht 1938. |
00:13:26 |
IV: Und danach? Hat Ihre Familie dann jemals erwogen, vielleicht, äh, aus Deutschland wegzugehen? |
00:13:33 |
JS: Ja sicher, ja. Mei.. meine Eltern.. Oder wir wollten auswandern. Es stand nur Amerika zur Debatte. |
00:13:42 |
Palästina nicht. Und, äh, aber es fehlte das, äh, nötige Geld, und ich weiß nich' mehr wie das.. wie.. |
00:13:55 |
Also wir bekamen keine Genehmigung wegzugehen. Wir hätten das gerne gemacht. ...Ja... |
00:14:03 |
IV: Und wie ging es dann weiter mit der Situation, der Lebenssituation Ihrer Eltern? |
00:14:08 |
Ihr Vater hat weiter gearbeitet, Sie sind weiter zur Schule... |
00:14:11 |
JS: Das waren alles Zwangsarbeiten. Er hat in einer Ziegelei arbeiten müssen, und dann hat er mal im Forst arbeiten müssen. |
00:14:18 |
Und, äh, ich hab' keine Schule mehr gehabt, und es gab keine Räume mehr. |
00:14:25 |
Was hat man in Chemnitz gemacht, etwas ganz makaberes. |
00:14:29 |
Auf einem, äh, Wiesenstück, zwischen zwei Gräberfeldern auf dem jüdischen Friedhof in Chemnitz wurde ein Schauer errichtet, also ein Holzverschlag. |
00:14:42 |
Und da sind die paar noch vorhanden gewesenen jüdischen Kinder, äh, mangelhaft unterrichtet worden. |
00:14:54 |
So dass ich sagen kann, ich bin mal auf dem Friedhof zur Schule gegangen. |
00:14:59 |
Klingt ulkig, ist aber.. entspricht den Tatsachen, was ich insofern erlebt habe. Ja... |
00:15:08 |
Und dann sind meine Eltern... jetzt fehlt mir manchmal die Verbindung... |
00:15:17 |
Die sind weggekommen. Meine Eltern sind verhaftet worden. Und.. ah ja. |
00:15:22 |
Meine Eltern sind verhaftet worden. Und weil mein Vater "EK" und Freiwilliger war im Ersten Weltkrieg, |
00:15:29 |
Ist er nicht im Güterwagen weggeschafft worden, sondern mit meiner Mutter - |
00:15:35 |
Das war 'ne besondere Sache - mit Personenzug nach Theresienstadt. |
00:15:41 |
Das hab' ich aber nicht gewusst, wohin. Und meine Mutter hat zu mir gesagt, äh.. |
00:15:49 |
Also, andersrum noch. Es gab für jede Sache, ab erstem Kriegstag, eine Lebensmittelkarte. |
00:15:58 |
Für die Brot.. Ich weiß nich' mehr, wie die Farbe war. Meinetwegen Brot, oder Fleisch, oder Butter. |
00:16:04 |
Und ich hab' zum Zeitpunkt der Verhaftung meiner Eltern, hab' ich nur noch eine Brotkarte gehabt. |
00:16:11 |
Ich hab' keine Butter gehabt, kein Fleisch gehabt, und was da noch an Karten da waren, also ich hat' nur Brot. |
00:16:17 |
Und meine Mutter sagte: "Geh du zu dem Molkereibesitzer, wo ich immer hingegangen bin. Der is' ein guter Mensch. Und geh auch zu dem Fleischer Max Betzold. |
00:16:29 |
Der is' auch in Ordnung." Und dann bin ich zu dem Butterhändler gegangen, |
00:16:37 |
Und der Butterhändler hatte das Parteiabzeichen der Nazi dran. |
00:16:42 |
Das sah so hässlich aus, dass die Bevölkerung abwertend gesagt hat, "Das Kuhauge". |
00:16:49 |
Also wenn man das Wort "Kuhauge" hört, meinte man das. So... |
00:16:55 |
Und, obwohl er Nazi war und wie ich rein kam, hat er ein Stück Butter genommen, hat das Stück Butter geteilt hat mir bissel Butter gegeben. |
00:17:06 |
Und hat mir ein bissel Quark gegeben, wenn er gehabt hat, oder... Was war noch, was er gegeben hat? {überlegt} |
00:17:15 |
Ja, und nach 'm Krieg wollt' ich mich bei ihm bedanken, und da hab' ich ihn nich' angetroffen, nur die Frau. |
00:17:24 |
Ich sag': "Ich möcht' mich bei Ihnen bedanken, was Sie vor Jahren mit.. gemacht haben, für mich." |
00:17:31 |
Und da sagt sie: "Ja. Mein Mann hat beim Einmarsch der Sowjet-Armee sich erschossen." |
00:17:39 |
Äh, hätt' er nich' machen müssen. Nicht jeder, der in der Nazi-Partei war, so meine ich, war ein potentieller Mörder. |
00:17:47 |
So weit schreibt die Kreide nicht. Und auch ich hab' mich gewandt gegen die Auffassung einiger amerikanischer Journalisten. |
00:17:56 |
Und, Und wichtiger Leute, die gesagt haben, in Deutschland waren alle für Hitler. |
00:18:03 |
Das is' nich' wahr. Es gab einen christlichen Widerstand, es gab einen, auch jüdischen Widerstand. |
00:18:10 |
Es gab die Bibelforscher zum Beispiel, die äh, tatsächlich Widerstand waren, und es gab auch einen linken Widerstand. |
00:18:18 |
Also das darf man nicht untern, äh, Teppich kehren. Das ist vollkommen fehlerhaft. |
00:18:25 |
Und ich.. und in offiziellen Reden, äh, nehm' ich auch gegen die amerikanischen, äh, Leute Stellung, |
00:18:33 |
die der Auffassung sind, alle waren für Hitler. Das ist nicht wahr. Das muss man unbedingt herausstellen. |
00:18:40 |
Es gab tatsächlich eine ganze Gruppe, natürlich unter schwierigsten Bedingungen, die den Widerstand in Deutschland geleistet haben. |
00:18:48 |
IV: Aber haben Sie, als Sie noch in Chemnitz waren, von diesem Widerstand selber was mitgekriegt? |
00:18:54 |
JS: Nein. Bin ich ganz ehrlich. |
00:18:57 |
IV: Mhm. |
00:18:58 |
JS: Ich hab' nichts mitbekommen. Ich hab' einmal was gemerkt, aber das konnte ich nicht einordnen als Kind. |
00:19:04 |
Das, das plötzlich, äh, ich in die Küche kam, am ersten Kriegstag, und unsere Wohnküche - |
00:19:15 |
Wir hatten keine große Wohnung - in der Woh.. Alle hatten die Wohnküche, die Wohnküche war voll junger Männer. |
00:19:21 |
Das konnt' ich mir nich'.. Später hab' ich mir überlegt, was war das? Das war ein... |
00:19:29 |
Schneller Treff, meiner Meinung nach, des Widerstandes. Mein Vater war im Widerstand. Ja. |
00:19:36 |
IV: Wie ging die Geschichte dann weiter, dann nachdem Ihre Eltern verhaftet worden waren? |
00:19:43 |
JS: Naja, ich wohnte mit einem Jungen, der war ein, zwei Jahre älter, mit ähnlichem Schicksal, zusammen in einer, naja, |
00:19:54 |
man könnte sagen... {überlegt} Bodenkammer. So ungefähr. |
00:20:01 |
Mussten uns durchschlagen, bis... bis ich an einem Tag, ich weiß es jetzt nich' mehr, mein Tag der Ver.. |
00:20:13 |
Ach, 27., jetzt weiß ich wieder. Der 27. Februar 1943, ich wollte um 6 Uhr das Haus verlassen. |
00:20:20 |
Eher durfte ich nämlich nicht da, ich hatte Haus.. Ich musste im Haus bleiben von abends 8 Uhr bis früh 6 Uhr. |
00:20:30 |
Als ich das Haus verlassen habe, genau um 6 Uhr, weil ich zur Arbeit wollte, zur Zwangsarbeit, in Chemnitz. |
00:20:38 |
Stand vor der Haustüre Geheime Staatspolizei: "Du bist verhaftet." Äh, ich kam ins Polizeipräsidium, |
00:20:51 |
In eine Zelle, und man hat mir mein Gesamtvermögen, was ich hatte, äh, als sogenanntes "Kommunistisches Vermögen".. |
00:21:00 |
Ich.. Meine Eltern waren keine Kommunisten. Also glaube ich nicht, gleich gar nicht. Äh, abgenommen. |
00:21:08 |
Äh, mein Gesamtvermögen bestand damals, bei der.. Am Tage der Verhaftung, dreißig Mark. |
00:21:15 |
Das war mein Gesamtver.. mehr hatt' ich nich'. Ich hatt' kein, ich hab' nichts geerbt. |
00:21:21 |
Was ich geerbt hab' von meinen Eltern war... Beide, beide Elternteile gleich, ein ausgeprägter, starker Wille. Den hab' ich tatsächlich geerbt. |
00:21:34 |
Äh, ich bin... Ohne zu übertreiben, willensstark. Das kann ich von mir sagen, das hat mir viel geholfen in meinem Leben, ja. |
00:21:49 |
IV: Also, Sie wurden verhaftet... |
00:21:52 |
JS: Ja, ich, ich kam... |
00:21:59 |
IV: Ja, Herr Sonder, Sie haben gerade erzählt, Sie sind dann morgens, als Sie zur Arbeit gehen wollten, verhaftet worden. |
00:22:03 |
JS: Ja. |
00:22:04 |
IV: Man hat Ihnen ihr Geld abgenommen. Was ist dann passiert, nach... |
00:22:08 |
JS: Ja, ich kam ja in Untersuchungshaft. In Chemnitz. Hartmannstrasse. In eine Zelle. |
00:22:14 |
Und in der Zelle saßen schon zwei oder drei drin. Auf alle Fälle ging plötzlich die Zellentüre auf, |
00:22:21 |
Und mit einem Fußtritt landete ein weiterer Mann in der Zelle. |
00:22:28 |
Und wir haben gefragt, wenn ein Neuer kommt, also, wer ist er? |
00:22:37 |
Hat er gesagt: "Ich bin ein Angehöriger der Waffen-SS." Das kann doch gar nicht möglich sein, bei uns in der Zelle. |
00:22:47 |
Kommt jetzt plötzlich einer rein von der Waffen-SS. "Ja", hat er gesagt, "meine Einheit liegt in Niederlande, und der Kommandant hat mich zu sich geholt. |
00:22:59 |
Hat er gesagt, "was biste bloß für'n Lumpenhund!" Wörtlich! "Bist Freiwilliger der Waffen-SS, und hast, hast, |
00:23:09 |
Hast uns deine Großmutter oder was, unterschlagen! Du bist doch jüdischer Abstammung!" |
00:23:16 |
Oder so ähnlich. Also, der hat mit mir.. Dieser Mann, der Name ist mir jetzt gegenwärtig entfallen, Auschwitz überlebt. |
00:23:28 |
Und ich bin mal dazugekommen, wie er mit Häftlingen gesprochen, nein, mit einem SS-Mann gesprochen hat. |
00:23:35 |
Und gesagt hat: "Na, vor drei.. ein paar Mo.. vor drei Monaten hatt' ich diese Uniform auch noch an." Das hat keiner geglaubt. Aber... {zögert} |
00:23:48 |
IV: Es war so. |
00:23:50 |
JS: Es wird schon... Ja, er hat überlebt, ist nach Zwickau gegangen und war Musiker. |
00:23:57 |
Und hat im Zwickauer, äh, Restaurant, oder... das Orchester geleitet. |
00:24:10 |
Ja, ich such' immer noch den Namen, wie.. Gegenwärtig wird ein Buch geschrieben, über diesen Mann. |
00:24:18 |
In Chemnitz. Ich hab' schon Auszüge aus dem Buch, is' mir vorgelesen worden, das is' ja einmalig. |
00:24:26 |
Sein Großvater, ein Großvater, hat am Zarenhof, äh, Musik gemacht, und der andere am, im, äh, bei uns, beim, beim Kaiser Au.. Äh, in Deutschland. |
00:24:46 |
Also, immer noch such' ich den Namen, der mir so geläufig war, äh, von diesem... |
00:24:52 |
IV: Wenn er Ihnen noch einfällt... |
00:24:53 |
JS: Na, ja, könn' wir ihn nachreichen. |
00:24:55 |
IV: ...nachreichen. Und Sie beide waren in einer Zelle und sind dann auch gemeinsam nach Auschwitz gekommen? |
00:25:00 |
JS: Ja, wir sind... |
00:25:01 |
IV: Von der Untersuchungshaft aus? |
00:25:02 |
JS: Also, wir sind in ein Lager in Dresden, auch da fehlt mir wieder.. Der Gestapochef von Dresden hat, |
00:25:15 |
in Vorbereitung, dass die Juden abgeholt werden, oder andere, ein Lager, Barackenlager, äh, errichtet. |
00:25:24 |
Und, äh, die Namen sind leider weg. Und, äh, da sind wir erstmal reingekommen, und dann... |
00:25:30 |
Dresden Neustadt, stand ein ellenlanger Güterzug, und dann mussten alle dort in den Güterwagen rein, |
00:25:41 |
In jeden Waggon kam ein Eimer rein, für die Notdurft, aber der war natürlich innerhalb.. Männlein, Weiblein, und ein paar Kinder waren auch dabei. |
00:25:50 |
Äh... Und es stank, und es war stockfinster, und dann ratterte der Zug und wir wussten nich', wohin. |
00:26:01 |
Und hielt dann plötzlich auf einer schneebedeckten Stelle an, und die SS schrie: |
00:26:11 |
"Alle aussteigen, alles liegenlassen!" Und die Kommandos, und die, die Kinder, die ma.. die riefen nach der Mama. |
00:26:21 |
Nach ihrer Mama, und die M.. Und die Frauen suchten die Männer, also diese Nacht unterscheidet sich von allen anderen Nächten meines Lebens. |
00:26:29 |
Es war die Nacht der Ankunft in Auschwitz. Und dann musste man einzeln vortreten, |
00:26:38 |
Äh, Namen spielten schon keine Rolle mehr, nur noch Alter und Beruf. Und da ich schon einmal konfrontiert worden bin mit der SS... |
00:26:51 |
Wie man sich zu verhalten hat, in Chemnitz, auf dem Kaßberg, da hat es eine Gestapozentrale in Chemnitz, |
00:27:01 |
Ich sollte mich bei dem Kommandanten, {schüttelt den Kopf}, nicht Kommandanten, Entschuldigung, Kommissar Ahnert melden. |
00:27:09 |
Und Ahnert sagte zu mir: "Ich hab' jetzt keine Zeit, draußen im Vorraum steht 'n Stuhl, da setzte dich drauf und wenn ich Zeit hab', dann hol' ich dich wieder rein." |
00:27:18 |
Also, ich setz' mich auf diesen Stuhl. da saß ich eine Minute, höchstens eine Minute, da kam ein ellenlanger SS-Mann und sagte: |
00:27:27 |
"Du Mistschwein, du sitzt hier auf'm Stuhl!", und hau.. und hat mich total zusammen geschlagen. |
00:27:33 |
Ja. Und auf dieser Fahrt, äh, im, nach, nach Auschwitz, in dieser, dieser angekommenden Nacht, |
00:27:44 |
Äh, ich bin vor und hab' gesagt: "17 Jahre, Monteur." Und das hab' ich aber so überzeugend dargelegt, und Hacken zusammen: |
00:27:56 |
"17 Jahre, Kommandeur!" Äh, {schüttelt Kopf} Entschuldigung. "17 Jahre, Monteur!" |
00:28:03 |
Und der leitende SS-Offizier sagte: "Hast du noch Verwandte in Deutschland?" "Jawoll!" |
00:28:11 |
"Wer ist das?" "Meine Tante!" "Wo wohnt die?" "In Chemnitz!" |
00:28:16 |
"Du schreibst jetzt deiner Tante, dass du gut angekommen bist!" Dann sag' ich zu dem: "Ich weiß nicht, wo ich angekommen bin." |
00:28:23 |
"Das werd' ich dir schon sagen! Hier haste 'ne Karte!" Und, Kuli gab's noch nicht, er gab mir einen Drehbleistift. |
00:28:32 |
Naja, und jetzt im Winter. Und, Kälte, wie soll ich hier 'ne Karte schreiben? Die biegt sich doch. Ich sag: "Ich kann die nich.. Ich kann nich' schreiben." |
00:28:42 |
"Schreib auf meinem Rücken!" Also, der spätere Häftling schreibt auf dem Rücken, Rücken des leitenden SS-Offiziers. |
00:28:51 |
"Ich zitiere: Bin gut im Arbeitslager Monowitz angekommen." Das hab ich geschrieben. Die Karte ist tatsächlich in Chemnitz angekommen. |
00:29:08 |
Und die hatte, äh, später einmal folgenden Effekt: Nach dem Abendappell hat der Blockälteste, so waren die Bezeichnungen, |
00:29:24 |
zu mir gesagt: "Sofort an die Poststelle gehen", da sich jetzt einzufinden. Da bin ich mit gemischten Gefühlen hin, |
00:29:33 |
weil ich gewusst hab', in dieser sogenannten Poststelle am Anfang des Lagers saß auch die SS. Die Gestapo. |
00:29:41 |
Und da bin ich vor, und dann hab' ich.. Die Meldung war: "Hundert.. 105027", das war meine Häftlingsnummer, "wie befohlen zur Stelle!" |
00:29:57 |
Das war Kommandosprache. "Ne", hat der auf der Poststelle gesagt, der Häftling, "deine Nummer interessiert uns nicht, wie heißt du wirklich?" |
00:30:09 |
Und da hab' ich meinen Namen genannt. "Die Heimat hat an dich gedacht." Ich sag': "Was?" "Für dich ist ein Päckchen da." |
00:30:19 |
In Auschwitz ein Päckchen! Also, so was hat's ja noch gar nicht gegeben! Und da haben die mir ein schuhkartongroßes Päckchen in die Hand gedrückt. |
00:30:28 |
Da war bissel Zwieback drin, ein bissel Schokolade drin, ich weiß nicht mehr, was da d.. Ne, eine Maggisuppe war auch drinne! Oder zwei. |
00:30:36 |
Also, und wer hat mir das Päckchen geschickt? Auf der Lagerstraße hab' ich versucht nachzugucken, wer ist das? |
00:30:51 |
Es war mein Kinderarzt. Otto... ach, leider ist es schon wieder entfallen. Reiter, oder... Ich weiß nicht mehr. |
00:31:02 |
Friedrich-August-Straße hat er die Praxis gehabt. Das ist ungefähr dort, wo heute die Hauptpost ist. |
00:31:11 |
Und, weil das ein Kinderarzt war, war die Attraktion so verrückt: in seinem.. im Warteraum für Kinder, die waren ja meistens mit der Mutter da. |
00:31:25 |
Kinder alleine gingen nicht, war {überlegt} vielleicht zwanzig Quadratmeter großes Fläche abgeteilt. |
00:31:35 |
Und da war ein kleiner Affe drin. Wirklich, lebender Affe. Kleines Äffchen. Das sollte die Kinder ablenken. |
00:31:44 |
Und dann.. Ach, jetzt hab' ich den Namen des Arztes. Dr. Otto Jäger. Also so heißt der Chemn.. Hieß der Chemnitzer Arzt. Ja. |
00:31:56 |
IV: Und der hat Ihnen dieses Päckchen geschickt? |
00:31:59 |
JS: Und der hat mir das Päckchen geschickt. So ist es. Jetzt ist mir der Name eben wieder eingefallen, ne? |
00:32:04 |
IV: Ja. |
00:32:06 |
JS: Ja, der hat mir das Päckchen gesch.. Also, das war... das war überwältigend für mich. |
00:32:12 |
Hat ja nie einer Päckchen bekommen oder Post. Ich hab' bloß den Fehler gemacht, nach Jahren hab' ich mir das alles nochmal durch den Kopf gehen lassen. |
00:32:20 |
Ich hätte sagen sollen, zur Poststelle: "Darf ich mich bedanken?" Das hab' ich nicht... die Freude war so groß, dass ich das... Ja. |
00:32:30 |
IV: Wie ging denn Ihre Zeit in Auschwitz dann weiter? |
00:32:35 |
JS: Ich bin nach Auschwitz III gekommen, das hieß Monowitz. Monowitz. Man musste die Kleider ablegen,kam in einen Duschraum, heißes Wasser, splitternackt. |
00:32:51 |
Es wurde uns alles weggenommen. Und dann hieß es, so jetzt über.. Nachts, es war ja Februar, über die Lagerstraße rennen, zu dem Block 10. |
00:33:05 |
"Ihr gehört alle zum Block 10." Also, wir kannten uns ja alle nicht, es waren junge Männer, junge... alte Leute, g.. ging gar nicht. Sind ja Arbeitskräfte gewesen. |
00:33:17 |
Und der La.. Und der Blockälteste, ein Mann mit einem grünen Winkel, all.. jeder Häftling bekam 'ne Nummer und einen Winkel. |
00:33:28 |
Rot war politisch. Also ich hatte auch mit rot. Grün war, die Nazis sagten dazu, das gibt's natürlich im Strafrecht in Deutschland nicht. |
00:33:41 |
Äh... {überlegt} Was ham die jetzt... Ach... Jetzt fällt mir... |
00:33:50 |
IV: Ich weiß es auch nicht genau. |
00:33:51 |
JS: Ah ja... |
00:33:53 |
IV: Aber es gab eben verschiedene Farben für... |
00:33:55 |
JS: Es gab verschiedene Farben, grün war, ach... waren Verbrecher. Die Nazis... |
00:34:03 |
IV: Also Kriminelle, sozusagen, oder... |
00:34:04 |
JS: Ja, die Nazis haben diese Leute zu ihren Helfershelfern erklärt. Und die haben auch geschlagen und denunziert und Entzug von Essen undsoweiter. |
00:34:18 |
Also, und die sagten dazu Berufsverbrecher. Diesen Ausdruck kennt das deutsche Recht nicht. Aber sie haben die so bezeichnet. |
00:34:28 |
Und die haben geschlagen und gefoltert und gemacht. Als Helfershelfer der SS. Und wir waren über 500, glaube ich, Überlebende, |
00:34:43 |
Oder, oder, also, die Zahl kann ich auch nicht mehr richtig. Die anderen sind in der gleichen Nacht noch, äh, vergast worden. |
00:34:51 |
Das haben wir aber nicht gewusst. Und während ich, wir, auf dem Arbeitsgelände, gestanden haben am nächsten Tag, |
00:35:03 |
lief ein Häftling vorbei, mit besserer Kleidung, Häftlingskleidung, heute würde ich sagen "Funktionshäftling". |
00:35:17 |
Der hat gerufen: "Ist denn von den Neuen einer aus Chemnitz dabei?" Ich hab', ich hab' das wohl gehört, aber ich hab' mich.. |
00:35:27 |
Ich hab' nicht reagiert, ich war so erschüttert von dem, was bis jetzt da war. Und... "Wo is'n der Chemnitzer?" |
00:35:34 |
Weil einer gerufen hat: "Wir ham nen Chemnitzer!" "Wo is'n der..." Dann hab' ich mich gemeldet und dann kam er zu mir her und hat gesagt: |
00:35:40 |
"Wie heißt ‘n du?" Da hab' ich den Namen, wusste er auch nichts mit anzufangen. Und: "Frierst du?" Das war sein zweites Wort. |
00:35:51 |
Ich sage: "Ja, 's is' kalt." Da hat er sich ausgezogen, der hatte so'n... |
00:35:56 |
Wie Unterhemd. Das hat er mir gegeben. Und "mein Name ist Max", hat er gesagt, "Max." |
00:36:03 |
"Ich bin vom Chemnitzer Brühl. Komm heute Abend mal in Block 8. Da brauchste bloß nach Max zu fragen." Das hab' ich auch gemacht, nach dem Abend.. am Abend. |
00:36:20 |
"Ich will zu Max." Und da hat einer gerufen: "Max, du kriegst Besuch!" Und Max hat mir als erstes gesagt: "Solange wir arbeiten können, haben.. können wir eventuell leben. |
00:36:36 |
Wenn du nicht mehr arbeiten kannst, wirst du selektiert." Und jetzt hat er mir die Selektion erläutert. Wie es vor sich ging. |
00:36:49 |
Und dann hat er gesagt... Jetzt müsst' ich aber ein Wort gebrauchen, was nicht kamerareif ist... |
00:36:57 |
IV: Jedes Wort... Wenn es die Wahrheit ist, ist es auch kamerareif... |
00:37:02 |
JS: Ja, er hat gesagt: "Du musst dich verhalten wie ein Arschficker. Hinter einem herlaufen, der schon.. Den kannst du nicht mehr retten. |
00:37:10 |
Der is.. der läu.. der schleppt sich selber schon.. Also der hat noch.. der wird ausgesucht zur Vergasung." {räuspert sich} |
00:37:22 |
Und so hab' ich's gemacht. Und, und wenn der... Nach altem römischen Recht hat der SS-Arzt den Daumen nach oben gehalten: |
00:37:40 |
Du kannst weiter Arbeitssklave bleiben. Oder so {Daumen nach unten}: Du hast noch ein, zwei Stunden zu leben, dann wirst du vergast. |
00:37:49 |
Ja, das hab' ich 17 Mal mitgemacht. Das ist grausam. Das ist einzigartig, war das in Auschwitz. Woanders gab' s das in diesem Maße.. Diese Vernichtung.. |
00:38:01 |
Auschwitz nannte sich nicht bloß KZ, sondern Konzentration- und Vernichtungslager. Also man hat das schon mit eingebaut. Ja. Ja. |
00:38:11 |
IV: Wie lange waren Sie in Auschwitz? Und wie sind Sie von dort dann weggekommen? |
00:38:18 |
JS: Mit der Offensive der Roten Armee, oder der Sowjetarmee. Kam immer näher und ich weiß nicht mehr genau, |
00:38:34 |
Im Dezember, abends, gab's kein Essen, sondern wir sind in Marsch gesetzt worden und sind die ganze Nacht gelaufen. |
00:38:50 |
Wer gestolpert ist, wurde von der, von den SS-Einheiten rausgeschleudert und erschossen. Wer selber weggerenn.. wegrennen wollte, |
00:39:03 |
wurde erschossen. Dieser Marsch nannte sich der erste Todesmarsch. Neben dem KZ Auschwitz gab es ein kleines Lager für britische Kriegsgefangene. |
00:39:16 |
Und ein britischer Kriegsgefangener.. Und die, und die sind ebenfalls in Marsch gesetzt worden, als die Rote Armee immer näher kam. |
00:39:29 |
Und dann sind die, so schildert der, über die toten Häftlinge hinweggelaufen. Muss eine fürchterliche Sache gewesen sein. |
00:39:43 |
Und, äh, und er hat ein Buch geschrieben: "Ich drang in ein KZ ein." Is' egal, ich will nicht.. über das nicht weiter reden. |
00:39:53 |
Aber auf alle Fälle, äh, hab' ich Stück gehört davon. |
00:40:01 |
Und hab' BBC London angerufen. Und hab' gesagt: "Es gibt Überlebende." Er hat nämlich geschrieben, da gibt's keine Überlebenden, von diesem Todesmarsch. |
00:40:12 |
Und dann hab' ich aber zu wenig Englisch gebracht, und dann haben die gesagt: "Es genügt uns auch, wenn Sie uns einen Bericht schicken." |
00:40:21 |
Also, ich habe einen Bericht.. Auf Deutsch natürlich.. BBC London geschickt. Und da haben sie sich bei mir bedankt, weil es doch Überlebende gab. |
00:40:32 |
IV: Das war in der Zeit nach der Befreiung. Schon dann. Wo Sie das geschickt haben. |
00:40:36 |
JS: Die, die Geschichte mit BBC? |
00:40:38 |
IV: Ja, ja. Ja. |
00:40:40 |
JS: Ja, ja, sicher. |
00:40:41 |
IV: Gehen wir doch nochmal zurück, erzählen Sie doch ein bisschen, was Sie noch auf dem Todesmarsch erlebt haben, und wohin das ging... |
00:40:48 |
JS: Wir sind nach Gleiwitz, wir sind, äh... Ich weiß es nicht mehr, mir fä.. Ich hab's mal ausgerechnet, die Kilometerzahl. |
00:40:56 |
Also, wir sind in Gleiwitz angekommen, Oberschlesien, glaube ich. Und, äh, und sind jämmerlich beleidigt worden. Von, äh, Frauen. Männer haben wir gar nicht gesehen. |
00:41:09 |
Also Frauen: "Euch müsst' man alle umbringen! Ihr Mörder, ihr Verbrecher! Ihr Schweine!" |
00:41:16 |
Und während wir so durch Gleiwitz gelaufen sind, hab' ich eine Frau gesehen, die aus einem, aus einer Türe im Vorgarten war, |
00:41:28 |
Und die hielt so'n Päckchen in der Hand. Und ich hab' das Gefühl gehabt, die will uns das Päckchen geben. |
00:41:37 |
Und beim Moment bin ich aus der Reihe gelaufen. |
00:41:41 |
Das war lebensgefährlich und hab' das Päckchen in Empfang genommen. Das waren alles belegte Schnitten. |
00:41:47 |
Und dann hab' ich die verteilt, unter den Häftlingen, die da waren. Ja. |
00:41:55 |
IV: Und von Gleiwitz aus, wie ging es dann weiter? Sind Sie immer nur gelaufen, oder auch mal wieder gefahren, mit Zügen oder so? |
00:42:04 |
JS: Ach, es.. Ich muss, es ist schwer... Natürlich sind wir wieder mal gefahren. Ja, an welchem Bahnhof weiß ich nicht, |
00:42:16 |
Auf alle Fälle, Güterwagen, geschl.. äh, geschlossene Wagen, da sind wir reingepfercht worden, und in jeden Wagen kam ein SS-Mann. |
00:42:29 |
Der sollte für Ruhe und Sicherheit sorgen und dieser SS-Mann war ein totaler Verbrecher. |
00:42:39 |
Er zog sein Bajonett und schlug auf die Häftlinge ein. Grausam, grausam sahen die Häftlinge aus. Dem Einen fehlt die halbe Nase. |
00:42:53 |
Der andere ein Ohr, also ich will's nicht weiter ausmalen. Es war fürchterlich, was dieser SS-Mann gemacht hat. |
00:43:04 |
Und ich wollte.. Und er sprach sächsisch. Und er sprach sächsisch, und ich sagte zu meinem französischen Mithäftling mit dem schönen deutschen Namen Marx. |
00:43:21 |
Der hieß Leon, Leon Marx: "Ich muss mit dem SS-Mann reden." "Du bist wohl verrückt!" hat er ges.. |
00:43:30 |
"Du darfst kein SS-Mann, du wirst zu Tode, der schlägt dich tot!" Und ich hab' zwei Stunden gebraucht, |
00:43:36 |
immer einen Platz zu wechseln, bis ich in die Nähe, ganz in der Nähe des SS-Mann war, der da drinne war. |
00:43:45 |
Und.. jetzt hab' ich.. Und er sprach sächsisch. Total sächsisch. Und ich hab' mir überlegt, wie sprichst du so einen SS-Mann an? |
00:43:56 |
Was nicht gestattet ist. Und dann hab' ich mir doch Mut zugesprochen und hab' gesagt: |
00:44:04 |
"Na, wo Sie herkomm' wees ich." Jetzt hätt' er mich zusammenhauen müssen. |
00:44:09 |
Hat er aber nicht gemacht. Und sagte zu mir: "Na, wo komm' isch denn her?" Ich sag': "Sie komm' aus Weißenfels." |
00:44:18 |
Na sagt er, hätt' er wieder.. Hat das Gespräch weitergeführt. Und sagte: "Ne, mei' Gutster, aus Weißenfels komm' isch ne'. |
00:44:30 |
"Ich sag': "Jetzt weiß ich aber genau, wo Sie herkomm'. Sie kommen aus Leipzig." |
00:44:36 |
"Wieso weestn du das?" Ich sag: "Na, Sie ham Gutster gesagt. {lacht} Ich bin aus Chemnitz." "Was?" Er sagte, "Aus Chem.." |
00:44:46 |
Also für den waren wir alle, wie sagt man, Ur.. Unmenschen. So eine Verwirrung. "Aus Chemnitz! Wieso, wieso bist denn du hier? |
00:44:58 |
Mensch, 'n Chemnitzer! Jetzt sind wir schon zwee!" Also, {abwertende Geste} so primitiv. So primitiv. Hat mir von Leipzig erzählt, |
00:45:08 |
Hat ein Friseurgeschäft gehabt, "Der Führer hat gerufen", hat er gesagt, "also hab' ich mich sofort gemeldet." Ja, hm. |
00:45:15 |
Dieser, dieser... Und das kam gar nicht gut an, was ich gemacht hab', bei den Mithäftlingen. Die Mithäftlinge waren ja keine Deutschen. |
00:45:26 |
Die, ah, jetzt auf einmal haben wir gelacht. SS-Mann und ich. Die wussten nicht mehr, wer ich bin. Ob ich ein Verräter bin, oder was weiß ich was. |
00:45:36 |
Also mir ging's nicht gut. Es hat mir nicht viel eingebracht. Ja. |
00:45:42 |
IV: Sie sind dann ja irgendwann auf diesem Weg auch nach Flossenbürg gekommen. Vielleicht können Sie mir ein bisschen erzählen... |
00:45:52 |
JS: Ja, das weiß ich jetzt wirklich nich' mehr, wie ich nach Flossenbürg gekommen bin. Ob wir gelaufen sind... |
00:45:57 |
Ich kann das.. Flossenbürg, ja... Ich bin nach Flossenbürg gelaufen, auf alle Fälle. Und, das war wie so 'ne Selektion. |
00:46:11 |
Ein SS-Mann stand auf einem Schemel, und ein Häftling.. Bin dort vorbei.. |
00:46:23 |
Einzeln mussten wir vorbeilaufen. Und dieser Häftling hat mit 'nem Lappen oder was das war, dir eine vors Gesicht gegeben. |
00:46:31 |
Das war also Wasser. Und der SS-Mann, oder Kommandeur oder wer das war, hat mit einem Stift eine Zahl drauf geschrieben. |
00:46:43 |
{fragend an IV} Ist Ihnen das schon mal unter..? Als würden wir sortiert oder was. Das ist Flossenbürg der Beginn gewesen. |
00:46:54 |
IV: Was hatten.. Wissen Sie, was diese Zahlen zu bedeuten hatten? |
00:46:59 |
JS: Nein, ich, ich, ich hab' Angst gehabt. Ich hab'.. Römische Zahlen. Die anderen hatten das ja auch. Al.. Der Häftli.. Und der hat oben.. {macht Geste} So... |
00:47:11 |
Ich kam in Block 19. Das is' direkt neben dem Eingangstor. Wer kommt auf den Gedanken, neben dem Tor mit der 19 zu beginnen? |
00:47:25 |
Und das, und das, Flossenbürg war total überfüllt. Von den zurückflutenden, zurückgetriebenen Häftlingen aus dem Osten. |
00:47:38 |
Flossenbürg war so überfüllt, dass.. Und das sage ich immer, wenn ich vor Jugendlichen spreche: "Was denkt ihr, wieviel Leute in einem Block... |
00:47:55 |
Also in einem Schlafblock geschlafen haben, wo drei Mann rein müssen, wieviel haben dann in einem Bett bis oben geschlafen?" |
00:48:03 |
Bisher ist noch niemand drauf gekommen. Es war eine Wahnsinnszahl, die wir dort in den einzelnen Betten zugebracht haben. |
00:48:17 |
In den einzelnen Betten wurden sechs Häftlinge reingepfercht. Das brach natürlich zusammen. Und Fenster konnte man nicht schließen. |
00:48:26 |
Sonst wären wir erstickt. Und die SS.. Wenn die zusammengebrochen sind, kam die SS und hat mit den Kolben... {macht Schlaggeste} |
00:48:33 |
Also, es war.. So hab' ich Flossenbürg zu Beginn erlebt. Ja... |
00:48:39 |
IV: Wie lange waren Sie dann ungefähr in Flossenbürg? |
00:48:43 |
JS: Ja, bis zur Auf.. Ich war von An.. Bis das, bis das Lager evakuiert worden ist. Aber ich weiß nicht mehr, da weiß ich nicht mehr. |
00:48:53 |
Ja. Ich hab' in diesem Block 19, hab' ich zwei Sachen erlebt. Also es war das erste Block nach ‘m Tor. |
00:49:07 |
Und ich hab' aus.. Ich hab' 'n roten Winkel gehabt. |
00:49:15 |
Aus Versehen, oder wie das gekommen ist, weiß der Teufel. Äh, und ein SS-Mann sagt: "Eimer holen und Besen!" |
00:49:25 |
Na, Und dann hab' ich mir das ausgeliehen, von dem Blockältesten. |
00:49:33 |
Und dann sind wir, bin ich mit dem SS-Mann auf die Wachtürme geklettert. Und hab' die saubermachen müssen. Und das... |
00:49:47 |
Ohne zu sprechen, er hat mich nicht angesprochen. Und auf einmal sagte der SS-Mann: "Ab jetzt nicht mehr ins Lager blicken!" |
00:50:00 |
Naja, is' genau das Gegenteil passiert, ein Häftling, der den Befehl bekommt, nicht mehr ins Lager zu blicken.. |
00:50:08 |
Man musste die Treppen zu dem hochklettern und durch die Beine hab' ich ins Lager geblickt. |
00:50:15 |
Und sah einen äh, wie Häftlinge, wie Tote aufgestapelt waren. |
00:50:27 |
Stapel, 'n regelrechten Stapel Häftlinge. Es gab aber kein Gespräch, ich bin mit dem SS-Mann rings ums Lager gelaufen und hab' die Türme sauber gemacht. |
00:50:44 |
Also ich kenn' das Lager von.. Er hat mit mir auch nicht gesprochen. Das war die erste Sache. |
00:50:51 |
IV: Und Sie haben ja auch schon gesagt, das Lager war überfüllt... |
00:50:55 |
JS: Total überfüllt. |
00:50:57 |
IV: Es waren, äh, Berge von Leichen. Wie war, gab es noch Verpflegung, oder irgendwas oder... |
00:51:03 |
JS: Ganz, alles mangelhaft, alles mangelhaft. Und, ach, ein SS-Offizier kam, weil er wusste, da ist einer, der deutsch spricht. |
00:51:14 |
"Hol dir mal zehn junge Häftlinge bis morgen früh!" Ich suchte deutsche Häftlinge, Jungs. Mit denen konnte ich ja reden. |
00:51:31 |
Ich hab' sie nicht gefunden. Ich wusste aber genau, es gab welche. Na, da hab' ich Franzosen genommen, Polen genommen, Russen genommen. |
00:51:40 |
Das waren glaub' ich die. Und früh sollt' ich melden: |
00:51:47 |
"Eins neun auf dem Wege zur SS-Unterkunft." Die waren ein bissel... An der Seite. |
00:51:54 |
IV: Seitlich. |
00:51:55 |
JS: Hä? |
00:51:56 |
IV: An den Sa.. An den Seiten. |
00:51:57 |
JS: Ja, wirklich, ja. Ja, genau. Und dort.. So hab' ich gemeldet. "Eins neun, auf dem Wege zur SS-Unterkunft." |
00:52:05 |
Das kann man nicht erzählen. Da... Als erstes war, er gab uns eine Waschschüssel, da waren die Reste der Rasur drinne. |
00:52:20 |
Und übrig gebliebene Speisereste vom Abend. |
00:52:28 |
Das getrau' ich mir bald nicht zu sagen. Und die Häftlinge haben die Kartoffeln, die aussahen wie das letzte.. |
00:52:38 |
Der Hunger is' so fürchterlich, so grausam. Rausgeklaubelt und gegessen. Ich hab's nicht gemacht. |
00:52:45 |
Aber es ist gemacht worden, ich hab's gesehen. Es ist schlimm. |
00:52:49 |
Es ist, der Hunger ist, ist des Wahnsinns. Ja, auf alle Fälle hatte ich die zehn Jungs zusammen, darunter einen Franzosen, polnische Jungs waren ein paar dabei. |
00:53:04 |
Die haben übel mitgespielt dann, mit mir... Und ich hab' sie geleitet. Und, in der SS-Unterkunft bekam jeder Junge, Häftlingsjunge, eine Decke. |
00:53:21 |
Und dann sind wir in der, ins.. Dort wo die Desinfektion, Desinfektion gelaufen und bekamen noch feuchte Oberbekleidung von Frauen. |
00:53:39 |
Also, Männerbekleidung null. Äh, von Frauen, und die haben wir gebündelt, ach, wenn wir viel tragen konnten, waren es vielleicht, ich weiß es nicht, vielleicht fünfzehn. |
00:53:52 |
Ach, wir haben zu tun gehabt mit der, mit der kleinen Menge. Und ich wurde in eine SS-Villa gebracht, und auf dem Oberboden der SS-Villa waren Schnüre gespannt. |
00:54:03 |
Da sollten die Frauen Kleider oder Röcke oder was weiß ich was - keine Unterwäsche - restlos noch trocknen. Ja. |
00:54:17 |
IV: Also das war Ihre Arbeit praktisch. |
00:54:21 |
JS: Das war meine Arbeit. |
00:54:24 |
IV: {unverständlich, durcheinander} ...Kommando, die desinfizierte Wäsche dann zum Trocknen zu tragen. |
00:54:29 |
JS: Ja, mit dem.. Und, und ich wurde dort mal... |
00:54:34 |
Ach so, und die SS erwischte uns, wie wir Klamotten ins Lager reingebracht haben. |
00:54:46 |
In den ersten - Block 2 war das, glaube ich - aber hat den entgegengenommen. Und dann wurde ich erwischt. Und jämmerlich zusammengeschlagen. |
00:55:00 |
Und wenn du niedergeschlagen warst, musst du wieder aufstehen. Und wieder zusammengehauen. Und ich stand wieder auf. |
00:55:08 |
Dann hat er einen Polen, einen polnischen Häftling genommen, und der sollte mich dann zusammenschlagen. |
00:55:16 |
Der Pole hatte jedoch kein Interesse, mich zusammenzuschlagen, und hat bloß so... |
00:55:21 |
Tatschel, tatschel, tatschel... Jetzt kriegte der Pole 'ne Ladung von der SS mit und dann: "Los, schlag den zusammen!" |
00:55:31 |
Und der Pole hat dann wirklich aus Not mich zusammengehauen. Also, ich sah aus... Das war... |
00:55:41 |
IV: Aber Sie waren willensstark... |
00:55:43 |
JS: Ich war sehr willensstark, aber da hab' ich wirklich... So zusammengehauen war ich in Auschwitz nicht... |
00:55:52 |
In Auschwitz hatte ich ja 'n Beschützer, den Max. |
00:55:57 |
IV: Ja, hatten Sie erzählt... Und jetzt, in Flossenbürg, gab's da 'ne Krankenstation? |
00:56:02 |
Nachdem Sie zusammengeschlagen wurden, kamen Sie irgendwie auf ein Krankenrevier oder einfach wieder in Ihren Bau 19 da... |
00:56:10 |
JS: Ich kam... Das weiß ich nicht mehr genau. Ob ich in den Krankenrevier kam. Ich glaub 's nicht. Hätten Sie ja aber angeben müssen. Das ging ja gar nicht. |
00:56:22 |
IV: Dann kam ja die Front immer näher und es stand auch an, dass Flossenbürg evakuiert werden musste. |
00:56:29 |
JS: Ja... |
00:56:31 |
IV: Wie war das? Können Sie sich erinnern? |
00:56:32 |
JS: Ne, da fehlt mir.. der Erinnerungsvermögen is' nich' mehr da. |
00:56:36 |
Wir sind.. Ich weiß bloß, wir sind nach Floß. Muss ein Bahnhof gewesen sein oder was. |
00:56:48 |
Sind hingekommen und auf einmal waren die Amis, äh, die Flugzeuge da. Und ich bin vom Bahnhofsplatz in das Floßer Dörfchen... |
00:57:06 |
In das Dörfchen gerannt. Und zwar wo die Schule war. Mitten im Dorf war 'ne Schule. Weil ich davon ausgegangen bin, "da findste was Übriggebliebenes". |
00:57:22 |
Mitbringsel, Essen, Brot oder was. Und ich kam in die Schule an und da waren schon zwei polnische Häftlinge. Die haben wirklich was gefunden. |
00:57:33 |
Ich hatte nichts gefunden. Und dann kam die SS, drei Mann SS, mit... {Geste vorgehaltene Waffe} und führten uns zu dem Bahnhofsplatz wieder zurück. |
00:57:49 |
Hände hoch mussten wir machen. Und ich hab' gedacht: "Denen kannste ja nicht erzählen, dass das.. wir bloß wegen Essen." |
00:57:58 |
Für die stand die Frage fliehen. Äh, und.. Aber wir hatten gleiche Klamotten an. Und, und als ich am Bahnhofsvorplatz wieder war, |
00:58:11 |
kamen wieder Flugzeuge drüber. Da bin ich zu den anderen Häftlingen gerannt. Die SS lag im Dreck und allem, die haben mich nicht mehr gefunden. |
00:58:23 |
Und dann da passierte Folgendes: Es war ja der Güterwagen da, wir mussten alle einsteigen in 'n Güterzug. Güterzug. |
00:58:35 |
Und zwei Häftlinge kampelten sich, richtig. Die hatten sich in die Haare gekriegt, also Haare hatten sie keine mehr, aber... |
00:58:46 |
Um ein Stück Brot. Und dann kam ein SS-Offizier, nahm das Stück Brot, jedem die Hälfte gegeben und die sollten sich hinknien. |
00:59:02 |
Und das Brot so ver.. Einmalige Erlebnis. Hielten das Brot so und waren gekniet. Und der andere von der anderen Seite. |
00:59:10 |
Da hat der SS-Offizier seine Pistole gezogen und hat die mit 'n St.. Jeden mit ‘n Stück Genickschuss gegeben. |
00:59:18 |
Also das war eine der schlimmsten Dinge, die ich von Mord da direkt gesehen hab'. Mit'm Stück Brot sind die.. |
00:59:28 |
Haben Genickschuss bekommen. Das war fürchterlich für mich. |
00:59:32 |
IV: Das war in Floss auf dem Bahnhof. |
00:59:34 |
JS: Das war in Floss auf'm Bahnhof. Das müssen sie heute aber wissen, denn ich hab's ja dort kund getan. Ja. |
00:59:44 |
IV: Und dann sind Sie irgendwann nochmal mit einem Zug weitergefahren? Also von dem Bahnhof aus, wie ging es dann weiter? Wissen Sie's noch? |
00:59:53 |
JS: Ja... |
00:59:55 |
IV: Irgendwann wurden Sie ja auch befreit, vielleicht noch mal ver.. Dass Sie sich versuchen, zu erinnern... |
01:00:00 |
JS: Ja, Moment mal... Jetzt fehlt mir ein bissel... Ach, Gott... Vor ein paar Jahren war das noch alles da... |
01:00:12 |
IV: Ja, und da war es einfacher, sich zu erinnern. |
01:00:14 |
JS: Ja, ich... |
01:00:15 |
IV: Aber vielleicht erinnern Sie sich ja an die Befreiung selber, wir müssen ja gar nicht alles Stück für Stück erzählen... |
01:00:19 |
JS: Ja, ja. |
01:00:22 |
IV: Die Befreiung... |
01:00:28 |
JS: Ah, so schlimm... Keine Erinnerung mehr... Also... Ach... |
01:00:42 |
Das hätt' ich nicht gedacht, dass ich das Erinnerungsvermögen... |
01:00:48 |
Wissen Sie, die Amis kamen mit Panzern. |
01:00:57 |
Ach, es war filmreif, die Szene. Wir riefen den Amis was zu. Aus Freude. Den Panzern. |
01:01:08 |
"God save the king!" oder "How do you do?" oder alles, alles Mögliche. Ein.. Und die Amis schmissen Apfelsi.. |
01:01:22 |
Die haben voll ihre Panzer gehabt, ich hab' so was noch nicht erlebt. |
01:01:25 |
Und es wurde gekocht, und äh... Also der, dieser Tag, der 23. April 1945, ja, war mein Befreiungstag, |
01:01:43 |
Und seit dieser Zeit feier' ich diesen 23. April schon mit meiner Frau als zweiten Geburtstag. |
01:01:54 |
Das halt' ich ganz.. Für außerordentlich wichtig, diesen Befreiungstag. |
01:02:01 |
Ja, aber... Ach, wie wir frei waren sind wir in 'ne Gaststätte "Zur Sonne". Ich weiß noch jetzt den Namen. |
01:02:12 |
Von.. Sonne, und da war noch der Rest vom Frühstück der SS, angebissene Brote. |
01:02:20 |
Und wir haben, als wär' das das Gängigste der Welt, aufgegessen. |
01:02:26 |
Obwohl das angebissen war von der SS, haben wir aufgegessen. |
01:02:31 |
Und es machte uns gar nichts aus, dass in der Entfernung von drei, vier Metern eine tote Frau lag. |
01:02:38 |
Die, die Chef.. die Wirtin des Ha.. So. Und einer der.. |
01:02:45 |
Aber wir haben trotzdem nicht viel zu essen gehabt, die paar Schnitten von der SS. Wir suchten nach.. |
01:02:50 |
Wir suchten nach Essen. Und einer ging in ‘n Keller, und sagt: "Ich hab' nichts gefunden, ein paar Rüben, ein paar Kartoffeln, und ein totes Mädel." |
01:03:03 |
Die dort unten... Neun Jahre ungefähr. So, und die Wirtin war auch tot, also die lag neben uns und wir haben weitergegessen, so... |
01:03:16 |
Und einer.. Und während wir weitergegessen haben kam einer und sagte: "Ich nix Soldat." Ich Arbeits... Äh, ich... Wie das bei den Nazis hieß... |
01:03:33 |
Arbeiter.. Arbeits... Also der hat 'ne andere Uniform gehabt. Und... Und ich sag': "Ich weiß, dass du nicht von der.. Du bist von der..." |
01:03:51 |
Ich weiß nicht mehr, wie die Bezeichnung hieß. Äh, ja. Der sprach mit uns immer so halb deutsch. |
01:03:58 |
Er dachte, wir sind, wer weiß wer solche Leute. Na hab' ich gesagt: |
01:04:03 |
"Mit uns kannst du deutsch reden. Wir sind Deutsche." Das hat er nicht begriffen. Der hat.. Der Junge. |
01:04:13 |
Arbei.. Arbeitsfront, nee... Ich weiß nicht mehr, wie die Bezeichnung hieß, von denen... Ja. |
01:04:21 |
IV: Ich würd' vorschlagen, dass wir jetzt mal fünf Minuten Pause machen... |
01:04:25 |
Laufen wir wieder? - Ja. Ja, ihr lauft? - |
01:04:27 |
Ja. Äh, ich würde sagen, jetzt waren wir ja bei der Befreiung, und dann würde ich sagen, schließen wir dieses ganze Kapitel, |
01:04:34 |
Auschwitz, Flossenbürg ab, und dann würde ich sagen, unser neues Kapitel heißt dann: "Neuanfang". Wie ging's weiter? |
01:04:45 |
JS: Also, ich hab' mich von meinen französischen Mithäftlingen verabschiedet, und der hat gesagt: |
01:04:55 |
"Was willst du in diesem fürchterlichen Mörderstaat? |
01:04:59 |
Mörder. Komm mit mir nach Paris, da geht es dir gut." Und dann haben wir uns umarmt, und ich sag: |
01:05:07 |
"Nein, ich, ich geh' in meine Heimatstadt Chemnitz. Ich geh' nach Norden, und du kannst nach Frankreich gehen." |
01:05:16 |
Ja, und seitdem.. Er hat ja so'n schönen deutschen Namen gehabt. Marx. Ich weiß nicht, {unverständlich}. |
01:05:27 |
Bin nach Chemnitz gegangen... Ach, ich bin bis Hof gelaufen. Mit noch einem. Und international.. Die Alliierten haben angeordnet, |
01:05:45 |
dass in jeder Stadt, größeren Dorf auch, äh, Restaurants eingerichtet werden sollen, oder |
01:05:54 |
Übernachtungsstätten für zurück.. überlebende Häftlinge. |
01:05:59 |
So war das auch... in Hof. Und ich bin schon mit einem ehemalig.. Breslauer Junge gelaufen, er wollte auch nach.. Er wollte nach Breslau. |
01:06:16 |
Aber.. Wir waren ja frei. Ich wollte nach Chemnitz. Und, und die Amis... Wie war denn das? |
01:06:27 |
Ach, die haben uns angehalten, und: "Your paper, please!" |
01:06:34 |
Und das.. Alle hatten paper, nur wir hatten keine. Und abends kamen so, |
01:06:42 |
Ami-Militärfahrzeuge, große, alle drauf, in ein leergezogenes Konzentrationslager in Hof. |
01:06:53 |
Wurden wir nach.. runtergeschmissen. Und früh am nächsten Morgen, hieß das Kommando: "Alles auf den Appellplatz, Oberkörper frei!" |
01:07:02 |
Und dann stand alles da und die Amis haben SS-Leute gesucht, mit ihren Blut... |
01:07:15 |
IV: Tätowierungen. |
01:07:18 |
JS: ...hier unterm Arm, oder an der Seite oder was, ich weiß nicht was. Und ich, und ich stand da mit dem Breslauer und ich sag': |
01:07:24 |
"Du, ein kleines bissel Englisch, Schulenglisch, bring' ich noch. Wenn die Amis kommen, nehmen wir zwei demonstrativ die Hände nach unten." |
01:07:36 |
Und so hab' ich gesagt: "We are concentration camp. And this is the number." Oh, oh, was hat der Ami zu mir gesagt? |
01:07:49 |
"Sorry, sorry, sorry." Und nochmal: "Oh, oh, oh. Entschuldigung, Entschuldigung." Mir wurde ein Offizier benannt, |
01:07:59 |
der uns Ausweise.. Ja, ich hab' von den Amis einen, in vier Sprachen glaube ich, |
01:08:10 |
Ausweis bekommen, den hab' ich noch zuhause gehabt. |
01:08:14 |
Der müsste noch zu mir in der Wohnung liegen, wir haben es mit einem politischen Häftling zu tun, ihm ist jede Unterstützung zu gewähren. |
01:08:25 |
Mit bicycle, Eisenbahn, was weiß ich was, so. Und dann hab' ich dem Ami gesagt: "Wir haben Hunger." |
01:08:37 |
Und dann, äh: "Da fahren wir euch ins Rathaus von Hof." Also die haben, die Ami haben uns nichts zu essen gegeben. |
01:08:49 |
Wir kamen ins Rathaus und sahen, da haben sie gesagt: "Wir haben auch nichts zu essen." |
01:08:53 |
Aber, nach alliiertem Beschluss haben wir eine, ein Restaurant eingerichtet für Hä.. für, äh, zurückfüh.. überlebende Häftlinge. |
01:09:07 |
Und das war um 9 Uhr früh. Und da haben wir geklingelt und dann kam der Ober raus: "Was wollt‘n ihr?" |
01:09:14 |
"Das Rathaus schickt uns her, hier würd' s zu essen geben." |
01:09:17 |
"Ja, aber nicht um Neune. Wir machen um Elfe auf. Ihr seid die Ersten. Haut euch hierher." |
01:09:25 |
Und da lagen wir zwei vor der Eingangstür und haben gewartet, bis es um Elfe war. Um Elfe wurden wir reingelassen, |
01:09:34 |
Und der Ober sagt: "Ihr seid schon so lange da, die erste Suppe oder was, bekommt ihr." |
01:09:44 |
Und während wir die Suppe gelöffelt haben, sagt mein Nebenmann: |
01:09:49 |
"Da drüben is' auch einer von Auschwitz. Den musst du auch kennen." Also, ich hab' den nicht erkannt. |
01:09:58 |
Der ließ nicht locker. "Wir wechseln mal die Plätze." |
01:10:03 |
Wir wechseln die Plätze, und "Schau mal hier nüber." |
01:10:08 |
Und da schrei ich auf: "Mein Vater!" Alles hat geklatscht. |
01:10:13 |
Der Ober hat meine Suppe runtergehauen, aber das hat er mit.. Also, ich hab' meinen Vater in Hof... |
01:10:21 |
Wie.. und mein Vater kam aus Konzentrationslager Dachau und is', is' genau diesen Weg.. |
01:10:30 |
Und dann sind wir gemeinsam weitergelaufen, nach Chemnitz. |
01:10:37 |
Diese zerstörte Stadt. Ich hab' die Stadt nicht wiedererkannt. |
01:10:43 |
Dort, wo einst der Krieg begonnen hat, hat der Krieg zurückgeschlagen. |
01:10:51 |
Äh, Chemnitz war eine.. Es war nichts mehr ganz. Es fuhr keine Straßenbahn mehr, gar nichts. |
01:11:01 |
Omnibus ist sowieso nicht gewesen.Also, ein Wort: eine tote Stadt. |
01:11:06 |
Mein Vater war aber ein SPD-Mann. Vorher schon gewesen, war im Widerstand der SPD. |
01:11:14 |
Und dann hat man.. Dann hat er wieder, nicht, die Partei mitgegründet, mein Vater. |
01:11:26 |
Ach, und, und dann hab' ich zu meinem Vater gesagt.. |
01:11:29 |
Ja, jetzt, wie das langsam wieder kommt. Ich bin auch in der Partei. |
01:11:35 |
Ja, ich weiß bloß nicht wo. Und dann sagt mein Vater: |
01:11:40 |
"Es sind ja ununterbrochen Versammlungen." Und da hab' ich sowieso.. Einem Mal von der SP.. |
01:11:46 |
Es kamen nur zwei Parteien in Frage für mich: SPD, KPD. |
01:11:51 |
Und dann hab' ich die angehört und hab' gesagt: "Ich seh' hier gar keinen Unterschied groß." |
01:11:56 |
Alle wollen die Verfolgung der Nazi und Kriegsverbrecher, |
01:12:01 |
Aufbau eines neu.. Friedlichen Deutschland, das haben doch alle beide. Na, dann gehste noch einmal rein. |
01:12:09 |
Und dann bin ich noch einmal rein, hab' mir wieder angehört, und dann gefiel mir die Diskussionsrunde der SPD besser als die der KPD. |
01:12:20 |
Bei der SPD war das nicht so absolut, absolut. |
01:12:25 |
Bei der KPD: "Wenn wir das sagen, muss..." Das gefiel mir nicht. Also bin ich in die SPD gegangen. |
01:12:31 |
Ich war einer der Jüngsten dann, die in der SPD waren. Ja. |
01:12:36 |
IV: Wie war das dann auch so in der, in der Partei, die meisten jüdischen Überlebenden haben Deutschland ja verlassen. |
01:12:47 |
JS: Ich nicht. |
01:12:48 |
IV: Sie und Ihr Vater auch nicht? |
01:12:50 |
JS: Nein. Mein Vater... |
01:12:52 |
IV: Wie war sozusagen das Klima, als Sie sozusagen... |
01:12:55 |
JS: Na, ich sag'... |
01:12:56 |
IV: ...als Überlebender zurückkamen... |
01:12:57 |
JS: Ja, mein Vater war SPD-Mann und is' in der SPD-Familie.. |
01:13:03 |
Sind wir beide aufgenommen worden. Und man hat uns zu essen gegeben. |
01:13:07 |
Und man hat uns, äh, Wo.., Wo.. Schlafraum gegeben. Die SPD-Familie war so groß... |
01:13:19 |
Der Max Müller, der is' eigentlich, der war derjenige, der eigentlich den Aufruf zum, zur |
01:13:30 |
Bildung des Arbeiter- und Bauern.. 1918, unterschrieben hat, mit Fritz Heckert. |
01:13:38 |
Fritz Heckert auf der einen Seite, KPD, und Max Müller auf der anderen Seite. |
01:13:43 |
Inzwischen war, war er ja der sächsische Innenminister geworden, Max Müller. |
01:13:52 |
Also, wir.. Ich hab'.. Mein Vater lernt dort eine neue Frau kennen und sagt zu mir: |
01:14:00 |
"Hast du was dagegen, wenn ich die heirate?" |
01:14:06 |
Also da sind jetzt Wochen und Monate vorbei. Und ich sag': "Ihr könnt mir meine Mutter..." |
01:14:13 |
Ich wusste, dass meine Mutter getötet worden ist, "...nicht mehr lebendig machen." |
01:14:18 |
Dann, dann hat er die Herta Müller geheiratet. Aber die Ehe ging nicht lang, mein Vater ist nach kurzer Zeit gestorben. |
01:14:30 |
Er ist aber von der Stadt noch berufen worden, |
01:14:35 |
Berufen worden zur... Fehlen mir die Worte... |
01:14:44 |
IV: Hat ein Amt oder so bekommen. |
01:14:45 |
JS: Ja, hat ein Amt bekommen... Ah, Gedächtnis lässt nach, da... |
01:14:56 |
IV: Is' nicht schlimm. |
01:14:57 |
JS: Ja. |
01:14:59 |
IV: Und Sie selber sind dann wieder zur Schule gegangen? |
01:15:01 |
JS: Ah, ah, nee, ich... Die SPD sagte zu mir: "Solche jungen Leute, auf.. |
01:15:12 |
Haben wir schon lange gewartet, mit so 'nem politischen Hintergrund. |
01:15:17 |
Du musst zur Polizei." Da hab' ich so naiv geantwortet: "Ich wollte mal 'n Beruf erlernen." |
01:15:28 |
"Polizei is' auch 'n Beruf." Hab' ich.. Haben die gesagt. |
01:15:34 |
Da hab' ich gesagt: "Na gut. Wenn schon Polizei, dann möchte ich zur Kripo." |
01:15:42 |
Aber im Freistaat Sachsen konnte man erst zur Kripo gehen, wenn man 25 is'. |
01:15:50 |
Ich war aber erst gerade mal 19. "Dann geh du auf die Polizeiwache, Polizeirevier." |
01:16:00 |
Naja... So bin ich auf ein Polizeire.. Aufs Team der Polizeirevier gekommen, hab' wieder Uniform gehabt. |
01:16:09 |
Mein erster Dienstgrad war "Wachtmeister auf Probe". Ha. Was da los war, auf dem Revier... Die ersten... |
01:16:18 |
Es war ja um 11 Uhr Sperrstunde. Um 11 Uhr hat jeder zuhause zu sein. |
01:16:24 |
Nachts. Und manchmal kamen noch Leute, Frauen, und die haben wir ja als Polizisten, nach Hause begleitet. |
01:16:35 |
Ich hab' mal 'n Vortrag gehalten, ein einziges Mal den gleichen Vortrag, ich, ich... |
01:16:41 |
Es wär' doch wichtig, man sollte den Vortrag nochmal halten. Und zwar: |
01:16:47 |
Die erste, die erste, die erste Stunde, so ähnlich hieß der Vorgang. |
01:16:52 |
Äh, Vortrag. Ich hab' im Polizeirevier, siebente, Polizeirevier.. |
01:17:00 |
Was ich nicht wusste, waren Barackenstädte. Die Nazis haben sogenannte Barackenstädte eingerichtet für Leute, |
01:17:09 |
Heute würde man sagen, Faulenzer, oder ja... Die haben da.. |
01:17:18 |
Und wenn nachts Leute aufgegriffen worden sind, sind die festgehalten worden. |
01:17:22 |
Auf dem Polizeirevier, Männlein wie Weiblein, und früher sind die von uns begleitet worden, wegen der Gefahr Geschlechtskrankheiten. |
01:17:36 |
Also die sind dort, äh, in so'n... Krankenhaus war das nicht, aber so'n Station gebracht worden. |
01:17:47 |
Sollten geprüft werden, ob sie Geschlechtskrankheiten... |
01:17:49 |
Der Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten war ganz... Vor allen Dingen Tripper, war ganz stark, äh, ja. |
01:17:57 |
Und eben einmal is' ne Frau, splitternackt ins Polizeirevier gerannt, siebente, Angst vor Russen. |
01:18:10 |
Die is' über ‘n Balkon ausgerissen, da haben wir erstmal Decken geholt. |
01:18:14 |
Um die Frau zuzudecken, also.. Aber ich hab' dort unheimlich viel gelernt, für den späteren Beruf. |
01:18:25 |
Und ich wollte ja zur Kripo. |
01:18:28 |
Und dann hab', hat man mir gesagt: "Du kannst noch nicht." |
01:18:35 |
Und dann immer wieder bin ich konfrontiert worden, mit Leuten der Kripo, wenn die auf'm Revier waren. |
01:18:43 |
Haben jemanden geholt oder was weiß ich was, da haben die immer gesagt: |
01:18:47 |
"Sag mal, warst du denn nicht eigentlich im Lager?" |
01:18:50 |
Ich sag': "Ja." "Ja, was willst ‘n auf'm Polizeirevier? Wir brauchen junge Leute bei der Kripo." |
01:18:55 |
"Na, ich kann nicht. Ich bin erst neun... Ich bin erst neunzehn." |
01:18:59 |
"Na, da musste dem Innenminister..." Jetzt kommt er, Fischer, wie hieß der hier in Chemnitz, hatte.. |
01:19:07 |
Also, ich hab' dem geschrieben, und dann wurde die Genehmigung erteilt, dass ich zur Kripo gekommen bin. |
01:19:15 |
IV: Schon mit19? Oder 20 oder... |
01:19:17 |
JS: Ja. Und die erste Arbeit, die ich gemacht hab', bei der Kripo.. |
01:19:22 |
Ach so, es war Ost wie West, die Formulare waren gleich, die tona.. Die Dings waren gleich. |
01:19:35 |
Und ich, und die erste Arbeit, die wir hatten, die ich mitgemacht hab' war, die schlimmen Nazis dingfest zu machen. |
01:19:46 |
Wie meinetwegen den Luftschutzwart, der gesagt hat, "ich hab' gehört, abends, wie die BBC London hören", oder meinetwegen, was so... |
01:19:55 |
{ahmt die Paukenschläge des deutschen Dienstes der BBC nach} |
01:19:59 |
...angezeigt sind, verhaftet worden, ins KZ gekommen... Also es gab 'ne ganze Masse, die verfolgt werden mussten. |
01:20:08 |
Das ist der kleine Unterschied, meiner Meinung nach, gewesen, ich weiß nicht, |
01:20:14 |
ob mit so 'ner Gründlichkeit im Westen das gemacht wurde. Also hier ist es... |
01:20:18 |
IV: Also da war sozusagen die DDR schon gegründet, als Sie bei der Kripo waren dann? |
01:20:22 |
JS: Nö... {JS und IV durcheinander} Noch nicht... Nein, nein. |
01:20:28 |
IV: Also noch sowjetische Besatzungszone... |
01:20:29 |
JS: Ja, ja, das war. Also, es gab genug zu tun bei der Kripo, Überfälle und alles Mögliche. Und nachts um, um 11 Uhr war Sperrstunde. |
01:20:40 |
Also, da mussten sie alle zuhause sein. Frei.. Ja. Aber, und dann hab' ich die Sprossenleiter bei der Kripo gemacht, ich... |
01:20:59 |
Das war mein, das war mein Beruf. Ich wollte eigentlich was ganz anderes machen. |
01:21:03 |
Machen wollte ich Reporter. Sportreporter. Das lag mir. Also ich konnte Fußball.. Sportübertragungen regelrecht... |
01:21:18 |
Und ich hab' mal, in der Schule war ein Aufsatz, Thema hieß {überlegt} |
01:21:30 |
Es ist schlimm. Äh, Sport.. Radiobericht vom Autorennen, so ähnlich. |
01:21:41 |
Und ich kannte die Fahrer alle, ob es Hans Stuck war, Caracciola, wie sie hießen. Und ich hab' 'n Aufsatz geschrieben, |
01:21:52 |
Und dann wurden die Aufsätze wieder zurückgegeben, und da hat er gesagt, der Lehrer: |
01:21:57 |
"Dieser Aufsatz ist in der Schulleitung schon einmal vorgelesen worden. |
01:22:04 |
Und in der Parallelklasse auch. Und jetzt les' ich euch den Aufsatz vor." |
01:22:09 |
IV: Weil der so gut war. |
01:22:12 |
JS: Aber, war aber wirklich gut, ich weiß noch manche Sätze: "das satte Grün leuchtete darüber, und die schleu.. |
01:22:19 |
Wunderbaren Autos stehen schon startbereit..." Also, das war, da hab' ich mein.. Ich wollte wirklich... |
01:22:26 |
IV: Sportreporter werden. |
01:22:30 |
JS: Ich wollte Sportreporter werden. Ja. |
01:22:32 |
IV: Aber später wurde dann doch die Kripo Ihr Leben, oder Ihre Berufung. |
01:22:35 |
JS: Ja. |
01:22:38 |
IV: Das wollten Sie dann ja auch. |
01:22:40 |
JS: Ja, das wollte ich auch. Ich hab' dann Jura studiert, und Diplom.. |
01:22:49 |
Ich bin Diplomjurist. Und das, das machte mir Laune. Also, dieses.. |
01:23:00 |
Zuletzt war ich verantwortlich für die Aufklärung von Mord und Totschlag, |
01:23:09 |
Schwere Vergewaltigung und vor allen Dingen... fehlt mir schon wieder die Worte... |
01:23:18 |
IV: Also jede Form von Gewaltkriminalität, an sich... Also... |
01:23:21 |
JS: Ja. |
01:23:24 |
IV: Und das haben Sie bis zu Ihrem, äh... |
01:23:27 |
JS: Äh, bis zum... |
01:23:29 |
IV: Rentenalter, oder so... |
01:23:30 |
JS: Ja. Und der General, der sagte.. Der war aus dem Potsdamer Raum, sprach aber ganz berlinerisch: "Je nu, der Sonder..." |
01:23:45 |
So hat er mich angesprochen, "häng' Se doch noch zwei, drei Jahre an." Ich hab' gesagt: |
01:23:52 |
"Genosse General, meine Frau darf in Rente gehen, ich möchte eigentlich.." |
01:24:03 |
Ich darf auch, man hat die ehemaligen Häftlinge, durften zwei Jahre eher glaube ich, gehen. Ich weiß nicht mehr genau, wie es war. |
01:24:13 |
"Na dann gehen.. Na dann hörn Se eben auf bei uns, alles Gute wünsch' ich Ihnen noch." Hm. |
01:24:22 |
Und dann haben wir ein paar schöne Jahre noch gehabt. |
01:24:27 |
Die Frau war die Chefin, wo ich sie kennengelernt hab', im Raum Chemnitz - Kindergarten. |
01:24:35 |
War verantwortlich. Und dann hat sie, is' sie sehr schwer krank geworden, und dann hat sie so 'ne Kita bekommen. |
01:24:45 |
War nicht mehr die Chefin in Chemnitz, sondern Kita, und das machte sie bis zu, bis zum Ende. |
01:24:53 |
Ja. Oder kurz vor dem Ende. Ja. |
01:24:58 |
IV: Ja, trinken.. Trinken Sie nochmal einen Schluck... Ich trink' auch einen... |
01:25:06 |
Ich möchte nochmal so'n bisschen zurückgehen, äh, also irgendwann wurde ja aus der sowjetisch besetzten Zone die DDR. |
01:25:15 |
Die DDR hat sich gegründet, äh, wie haben Sie das erlebt? Hat sich da was geändert für Sie? |
01:25:20 |
JS: Gar nischt. |
01:25:21 |
IV: Gar nichts... |
01:25:22 |
JS: Also für mich... kann ich mich nicht entsinnen. Ja, es is' sieben.. Wann war das? 7.10.49 glaube ich. |
01:25:36 |
Ach so, äh, ich war nicht in der FDJ. Erst als ich erfahren hab', dass es keene Erfindung der DDR, |
01:25:53 |
sondern, die FDJ ist in London gegründet worden, hab' ich gesagt: "Da tret' ich ein." |
01:26:02 |
Also ich wollt'.. Die wo noch vor ‘n paar Wochen Hitlerjungs oder BDM-Mädels waren.. |
01:26:09 |
Nein, die sind in England aus der Taufe gehoben worden. |
01:26:15 |
Freie deutsche Jugend, auch die Fahne, und dann bin ich rein, und das war.. Ich bin a bissel hofiert worden. |
01:26:24 |
Die wussten, dass ich im Lager war. Und dann bin ich gleich in 'ne Leitungsfunktion gekommen. |
01:26:31 |
Leitung, aber Kultur. So. Und wir haben Ausflüge gemacht oder Wanderungen gemacht oder... |
01:26:43 |
Politisch war nicht viel. Ja, man is', ich hab' mal einen.. |
01:26:53 |
Ach, es gab bei der FDJ ein Abzeichen für gutes Wissen. Und das war.. |
01:27:02 |
Die Bedingungen waren sehr, sehr schwer. |
01:27:06 |
Und die Polizei in Chemnitz wollte, dass sie mit die ersten sind, die dieses, diese Medaille bekommen haben. |
01:27:20 |
Und stellten uns acht Tage von der Arbeit frei, zwei Mann. |
01:27:26 |
Den FDJ-Sekretär Gerhard Wallussek, so hieß er glaube ich, und ich von der Kripo. |
01:27:35 |
Und wir, wir machten alles Mögliche, lernten, lernten, lernten, lernten, und was man auswendig... |
01:27:43 |
Also mit einem Wort, die Prüfung wurde in Halle abgenommen. |
01:27:49 |
Wir fuhren früh nach Halle, und dort musste man einen gewählten Aufsatz schreiben, aber das hab' ich auch gemacht. |
01:28:00 |
Und wir besch.. Wir bekamen das Abzeichen für gutes Wissen. Das erste Abzeichen für Chemnitz. Für gutes Wissen in Gold. |
01:28:11 |
Und wir waren so besessen, auf dieses Gold, haben wir ja erarbeitet, dass ich in Leipzig, wir hatten 'ne Stunde Aufenthalt, |
01:28:21 |
Sind wir beide auf das Postamt gegangen und haben wir beide nach Chemnitz an die Polizeidirektion ein Telegramm geschickt: |
01:28:32 |
"Zwei Mal Gold. Gerhard und Justin." |
01:28:38 |
So stark war das. Wir bringen, was wir können, wir sind da für die Sache... Ja. |
01:28:47 |
IV: Der starke Wille. Sie haben ja gesagt, willensstark und zielstrebig. |
01:28:50 |
JS: Ja, ja, der andere machte auch mit. Er, er, der Gerhard. Ja. |
01:28:58 |
IV: Denken Sie jetzt denn in Ihrer Zeit, sozusagen ja auch Ihrer beruflichen Karriere und des normalen Alltagslebens.. |
01:29:04 |
War das irgendwie noch ‘n Thema, dass Sie an sich Jude sind? |
01:29:08 |
JS: Nein. Ich bin Atheist, ich hab'.. Wie hab' ich mal gesagt? Ach, ich hab' in Würzburg gesprochen. |
01:29:19 |
Wahnsinnig große Veranstaltung. Und die Zeitung in Würzburg, oder Kitzingen, ich weiß es nicht, hieß Mainpost. |
01:29:33 |
Und die Mainpost schrieb, Balkenüberschrift: "In Auschwitz ging ihm der liebe Gott verloren" So ähnlich. |
01:29:43 |
Das war die Balkenüberschrift. Da war, ja, hat mich nicht gestört. Muss ich ehrlich sagen. |
01:29:50 |
IV: Aber, ich meine jetzt auch gar nicht unbedingt persönlich für Sie, sondern in der Wahrnehmung von außen. |
01:29:56 |
Weil viele jüdische Überlebende, die haben ja gesagt, sie wollen in Deutschland nicht leben, sie wollen weg... |
01:30:01 |
JS: Ach so, da muss ich dann schon... |
01:30:03 |
IV: ...weil sie quasi diskriminiert werden, oder immer noch schlecht angesehen werden, kam da von außen.. War das irgendwie für andere ein Thema? |
01:30:09 |
JS: Nein. Da muss ich aber zurück ins Lager nochmal gehen. Im Lager waren wir 'ne Gruppe deutscher Jungs. Wo ich war. |
01:30:20 |
Breslauer, St.. Bayerische, München und alles Mögliche, Chemnitz natürlich auch, Leipzig, Dresden... |
01:30:29 |
Wir haben gesagt, wir wollen nach Deutschland. Im Lager! Im Lager haben wir das gesagt. Wir, die, die haben uns für verrückt erklärt. |
01:30:38 |
Wir wollen nicht ins Ausland, wir wollen nicht nach Amerika, wir wollen nicht nach.. Israel gab's nicht, Palästina. Wir wollen in Deutschland... |
01:30:46 |
Und wir wollen studieren, wir wollen, wir wollen ein gutes Deutschland aufbauen. Es klingt heute alles pathetisch, aber es ist wahr. |
01:30:55 |
Und die, die haben uns an den Kopf gegriffen, die anderen. Äh, und wir haben das gemacht. Und jedes Jahr haben wir uns einmal in Berlin getroffen. |
01:31:05 |
Als wir verheiratet waren, haben wir uns wieder getroffen, äh. Und alle haben studiert, einer von uns hat promoviert, es sind alle in Deutschland geblieben. |
01:31:18 |
Die, die kleine Gruppe, wir waren wesentlich weniger als die religiösen Leute. Die sogar während ihrer Haftzeit gefastet haben. |
01:31:29 |
Sind früh zur Arbeit und bis zum Fastenbrechen haben sie die Schwerarbeit gemacht, das haben wir, war... {schüttelt Kopf} ...war ich nicht dabei. Ja. |
01:31:39 |
War ich nicht dabei. Ich gehörte auch keiner Gemeinde, ich bin Atheist. Muss ich ganz ehrlich sein. Ich werde manchmal eingeladen. |
01:31:49 |
Mal gehe ich, mal gehe ich nicht, sie wissen, kennen meinen, meine Meinung zur Religion. Auch die jüdische Gemeinde in Chemnitz. |
01:32:01 |
Das sind ja mehr aus Russland eingewanderte Juden. Aber ich hab' nichts mit der jüdischen Gemeinde. Ich werde manchmal eingeladen, |
01:32:12 |
Auch von der Vorsitzenden. Ich hab' dort gesprochen, das, das Sprechen is' ganz schwer. Es wird 'ne deutsche Frage gestellt, |
01:32:23 |
dann wird Russisch übersetzt, dann wird meine Antwort wieder in Russisch, ach Gott... |
01:32:30 |
Aber die Frau, Vorsitzende der Gemeinde, ich weiß nicht, ob Sie das wissen... Is' 'ne Deutsche. Und der Mann ist, ich glaube Christ. |
01:32:42 |
Wie so oft die sogenannten Mischehen, in Sachsen, ganz stark waren. Schon während meiner Kindheit hab' ich viele kennengelernt. |
01:32:56 |
Jungs und Mädels aus 'ner Mischehe. |
01:32:59 |
Da haben die Eltern beschrieben, wir wollen das das Kind christlich erzogen wird oder so. |
01:33:07 |
Oder die haben gesagt, sie wollen, dass die jüdisch erzogen werden. |
01:33:13 |
War aber in Unterfranken unmöglich. Oder in Franken. Was hier gang und gäbe war bis nach Berlin hoch, also da war das einfach. |
01:33:25 |
Die haben, ich hab' 'n Freund gehabt, der hieß Erich, der Vater war Jude und die Mutter war Christin. Der hatte eine Schwe.. Der hatte zwei Schwestern. |
01:33:37 |
Da war das ähnlich: Die eine ist christlich erzogen worden... Es war ein Durcheinander. Und die haben Chan.. Die haben Weihnachten gefeiert. |
01:33:47 |
Und, und Chanukka, ein Lichterfest. Und da entstand das schöne deutsche Wort: Weihnukka. |
01:33:55 |
Ha, wenn man das Wort Weihnukka hört, das ist 'ne Veralberung. Ja. |
01:34:03 |
IV: Jetzt vielleicht so abschließend noch so'n paar Fragen. Sie haben ja erlebt sozusagen, wie aus Nazideutschland, oder einem Teil, die DDR wurde. |
01:34:12 |
Und Sie haben ja dann auch die Wende und die Wiedervereinigung erlebt. |
01:34:17 |
Äh, hat sich da was in Ihrem Leben verändert, wie haben Sie das wahrgenommen? So, also die letzten 25 Jahre? |
01:34:25 |
Irgendwie so, oder auch die Veränderung in der Gesellschaft... Hat das auch für das Leben von jüdischen Menschen was geändert? |
01:34:31 |
JS: Na, ich meine, ich hab' ja mit den jüdischen Problemen... War nicht mehr für mich. |
01:34:38 |
Äh, also ich hab' das begrüßt, die deutsche Einheit. |
01:34:43 |
Und, und auch in meinen Vorträgen, da war noch gar nicht dran zu denken, hab' ich den Jungs und Mädels gesagt: |
01:34:52 |
"Leute, ihr braucht nicht nach Jamaika zu rammeln. Wir haben ein wunderschönes Land. |
01:34:59 |
Liebt Deutschland... Und in Deutschland darf nie wieder Krieg..." Also ich hab' gefleht. |
01:35:05 |
Das ist auch der Grund, im Großen und Ganzen, warum ich Ehrenbürger geworden bin. Das hab' ich gar nicht registriert. |
01:35:12 |
Aber die Stadt hat registriert, in wieviel Schulen ich war, in wieviel.. |
01:35:18 |
Vor wieviel Kindern ich gesprochen hab', und dann... Das war der Grund. |
01:35:22 |
Also dann, Ehrenbürgerschaft entspricht dem Wirken, was ich in den Schulen gemacht habe, in vielen Schulen. Ja. |
01:35:31 |
IV: Und ist es Ihnen nie schwer gefallen, darüber zu reden? |
01:35:36 |
JS: Nein. |
01:35:37 |
IV: Es gab ja Leute, die wollten ihr ganzes Leben nicht mehr drüber reden... |
01:35:40 |
JS: Doch, ich hab' mich, ich hab' das ihnen gesagt, ich muss aus der, meiner Jugendzeit.. Ich bin mit 17 dorthin gekommen. |
01:35:50 |
Und hab' Selektionen, äh denn.. dargestellt und aber auch gesagt, dass meine Mutter ermordet worden ist. Und ich, und ich sage, was ich hier mache, |
01:36:01 |
ist alles im Ange.. Im Gedenken an meine wunderbare Mutter, die ermordet worden is'. Die is' grausam ermordet worden. |
01:36:11 |
Wer da denkt, der Gastod is' einfach und schnell, der irrt gewaltig. Sie kämpfen fürchterlich ums Überleben, die machen die verrücktesten Sachen. |
01:36:22 |
Kann man gar nicht schildern. Und immer wenn, ich hab' gesagt, wenn 'ne Frage kommt zu meiner Mutter, lehne ich ab. |
01:36:32 |
Also das hab' ich nicht beantwortet. Was hab' ich noch? Ah, zwei Sachen... Ach, und eine zweite Sache lehne ich ab: Wenn sie gesagt haben... |
01:36:40 |
"Wissen Sie, Sie haben gesagt, die werden erschossen. Die Häftlinge sind erschossen worden, |
01:36:46 |
sind vergast worden, was gab's denn noch für Totungs.., Tötungsarten?" |
01:36:50 |
Und dann sag' ich: "Ich kenn' sie, ich teile sie Ihnen aber nicht mit. Zu meinem Schutz und auch zu Ihrem Schutz." Darüber spreche ich nicht. |
01:37:01 |
Es ist fürchterlich, was ich an Todesarten in Auschwitz erleben musste. Also, das, das hab' ich auch eingehalten. Spreche ich nicht. |
01:37:14 |
Und es kommt auch sehr, sehr selten vor. Ja, kommt selten vor. Aber ich sag' gleich: "Schenk ich euch." |
01:37:24 |
Ja, ja. Kapitel für sich. |
01:37:43 |
Eine Selektion ist... Kann man nicht darstellen. Und mein letzter Kapo von Auschwitz, ein Chemnitzer, hat auch überlebt. Ah, als Komponist. Ja. |
01:38:09 |
IV: Ja, vielleicht einfach, nach auch diesen vielen schrecklichen Geschichten, |
01:38:15 |
So wenn man auf die Jahre danach kuckt, was war dann so das Schönste in Ihrem Leben? |
01:38:22 |
JS: Das Kennenlernen meiner Frau. Sag ich ganz ehrlich. |
01:38:27 |
Also erstma' hat die Polizei ein Ensemble aufgebaut. Ich musste nicht mehr Polizist spielen. |
01:38:40 |
Sondern war nur noch... Man hat uns alle, die sich freiwillig gemeldet haben, geprüft. In Erhol.. In einem Erholungsheim der Polizei. |
01:38:53 |
Auf unsere Stimme. Und haben gesagt, wir wollen ein Ensemble aufbauen. Aber jede Stimme wurde e.. Wirklich von einem Musiker geprüft. |
01:39:06 |
Und gleich an Ort und Stelle wurde gesagt zu mir: "Der Bass geht, du wirst genommen. |
01:39:14 |
Zum bestimmten Zeitpunkt musste dort und dort sein." |
01:39:19 |
Und zu den anderen hat man gesagt: "Du kannst wieder nach Hause fahren. Das dau.. Das geht nicht." Ja, und dann wurde das Ensemble... |
01:39:30 |
Nannte sich Republikensemble der deutschen Volkspolizei. Ein Klangkörper ersten Grades. |
01:39:38 |
Ich hab' die ganze DDR mit dem Ensemble.. |
01:39:44 |
Jeden Tag, in Plauen, in Chemnitz, vor Hunderten, vor zehntausend Zuschauern. Ja, bis zum Ende. |
01:39:53 |
Und dann hat man uns gesagt, wo das Ende, nach einem halben Jahr: "Ihr könnt jetzt richtige Profis werden. |
01:40:05 |
Dieses Ensemble tritt dann in Deutschland auf, in Ausland auf, oder ihr geht zurück." Und da hab' ich gesagt: |
01:40:14 |
"Mit mich braucht ihr gar nicht weiter reden, ich war schon bei der Kripo, ich möchte wieder dorthin. |
01:40:21 |
Ich hab' mit dem, mit dem Ensemble will ich nichts mehr zu tun haben." |
01:40:25 |
Also, so'n bissel, so ähnlich hab' ich gesprochen. Und da hab' ich wieder angefangen bei der Kripo. Ja. |
01:40:32 |
IV: Also zwischendurch waren Sie praktisch, richtig fast vollberuflich in diesen... So 'ne Art Polizeichor oder so, dieses Ensemble... |
01:40:39 |
JS: Es war ein Ensemble, ein richtiges Ensemble. |
01:40:41 |
Ja, ja, war ich drin, aber das war vielleicht ein halbes Jahr. Ja, war schöne Zeit. Wir waren jung. Ja. |
01:40:50 |
IV: Und Sie haben gesungen. |
01:40:54 |
JS: Ich hab' nur gesungen. |
01:40:55 |
IV: Welche Stimmlage? |
01:40:56 |
JS: Bass. |
01:40:57 |
IV: Bass. |
01:40:58 |
JS: {unverständlich} Bin ich hier ja, bin ich zu dem Chor gekommen hier. Hier wurde auch einmal im, im bestimmten Zeit... |
01:41:08 |
Also, äh, das war ein Klangkörper ersten Grades. Ja. Wunderbar. |
01:41:14 |
Und, da hab' ich so lachen müssen, wie hieß der große Sänger von drüben, Westen? |
01:41:22 |
Wie der gesagt hat, ihr seid ja gar keine, ihr habt ja bloß Lieder aus der Sowjetunion gesungen... |
01:41:28 |
Und, und, und, das stimmt nicht, natürlich. Wir haben ganz uralte deutsche Lieder gesungen. Ich kann mich erinnern: "Schwefelhölzle" |
01:41:38 |
Das ist ein sagenhaft altes deutsches.. {singt} |
01:41:41 |
Schwefelhölzle, Schwefelhölzle muss mer han. Schwefelhölzle, Schwefelhölzle, um Feuer machen kann. |
01:41:48 |
Lalala, lalala... Na, das war... |
01:41:51 |
Also die Zeit, das is' natürlich Unsinn gewesen, was der gesagt hat. Nein, nein, das waren deutsche Volkslieder. |
01:41:58 |
IV: Und das ist 'ne schöne Erinnerung für Sie. |
01:42:00 |
JS: Das ist 'ne wunderbare Erinnerung. Also, da... Freies Leben gewesen. Ja. |
01:42:07 |
IV: Jetzt, zum Abschluss, das Mittagessen wird schon langsam kalt, befürchte ich... |
01:42:12 |
JS: Aber haben wir denn über Flossenbürg... |
01:42:14 |
IV: Haben wir, da haben wir genug geredet. Das ist... |
01:42:17 |
JS: Haben wir genug geredet... Ja. |
01:42:20 |
IV: Mich würde jetzt noch interessieren, zwei Sachen. Was wünschen Sie sich noch für Ihr Leben? Und was... Sie sich persönlich. |
01:42:30 |
Und was wünschen Sie Deutschland für die Zukunft? |
01:42:34 |
JS: Also, so.. 'Ne Einheit. Ich wünsche, dass kein Krieg mehr ausgeht von Deutschland. Dass Frieden herrscht. Dass die gegenwärtigen Dinge, |
01:42:50 |
die ich ab und zu mal höre, die menschenfeindlich sind, die antisemitisch sind, die Ausländerhass predigen, dass das.. |
01:43:00 |
Das wünsch' ich mir, dass das aufhört. |
01:43:03 |
Dass das untersagt wird, dass es - da muss ich sagen - bekämpft wird. Das darf es nicht in Deutschland geben. |
01:43:10 |
Ein zweites Auschwitz darf es nicht geben. Und ich denke auch, es ist die Kraft vorhanden, und ich, ich glaube, dass das gelingt. |
01:43:22 |
Aber es müssen schon viele Leute mitmachen. Müssen sehr viele Leute mitmachen. Ja, das wünsch' ich mir für Deutschland. Für mein Heimatland. Ja. |
01:43:32 |
IV: Und für sich persönlich? |
01:43:36 |
JS: Na, noch ein paar gute Jahre. Es ist, ich, ich hab' ja noch niemand groß kennengelernt, weder ein Mann noch eine Frau. |
01:43:48 |
Wenn man, wenn ich hier lieg', und bevor ich einschlaf', ich sag, mein Sohn, der ruft mich jeden Abend an, aus‘m Stuttgarter Raum. |
01:43:58 |
Und dann sag' ich: "Die erste Zeit denk' ich immer noch an die Mutter." {nickt} Die gestorben ist. |
01:44:07 |
Ich war echt ein Mann, der die Frau geliebt hat. Wie man einen Menschen lieben kann, also das is'... Schade. Ja. |
01:44:26 |
Meine Tochter is' Lehrerin, ganz schwer in der Schule. Die heißt "Am Zeisigwald", in Chemnitz. Und diese Schule hat den Untertitel: |
01:44:44 |
"Für Schwererziehbare". Also, was die zu hören bekommt und zu sehen bekommt, und erleben muss, is' viel. Ja. |
01:44:57 |
IV: Aber die is' ja dann in Ihrer Nähe, wenn sie in Chemnitz ist. Die Tochter. |
01:45:03 |
JS: Die besucht mich oft, ja. |
01:45:05 |
IV: Das ist doch schön. |
01:45:06 |
JS: Ja, ja. Das ist wunderbar. Und ein Sohn, der spricht bloß Englisch, beruflich, in Berlin, Nachzügler. Also der is' zehn Jahre jünger als die anderen Kinder. |
01:45:21 |
Und der andere hat promoviert, mein ältester Sohn, hat ‘n Doktor gemacht, und is' auch so Ding, äh, Spezialgebiet, äh, Spezialgebiet Englisch. |
01:45:42 |
Einsatzgebiet der Nahe Osten. Israel nicht, äh, die anderen Länder. Ja. Und dann fehlt mir wieder der Faden. |
01:46:02 |
IV: Äh, die Kinder, wie es einem geht... Aber... Und insgesamt, wenn Sie zurück gucken, ein gutes Leben? |
01:46:15 |
JS: Ich würde sagen, ich möcht' die erste Hälfte nicht noch einmal erleben. Das war zu.. Ich war ja auch im Kinderheim. |
01:46:26 |
Meine Mutter war so schwer krank, ist, ich glaube, vier Mal operiert worden, und mein, durch die Arbeit meines Vaters, |
01:46:37 |
der nicht zuhause seinen Beruf hatte, sondern ich musste ins Kinderheim. Die, das Kinderheim war auch ein Ort meiner Erziehung. |
01:46:48 |
Also ich hab' mich untergeordnet. Im Kinderheim muss man sich unterordnen. Da kann man nicht hier Wild West spielen. |
01:46:55 |
Und alles, was ich vorgeschlagen hab', musste die Oberin, so hieß die, bestätigen. |
01:47:04 |
Zum Beispiel: Manche Kinder, also ich gehörte nicht darunter, hatten noch Päckchen bekommen. |
01:47:13 |
Das war so vorübergehend. Und dann hab' ich gesagt: "Die Masse kriegt keine Päckchen. Du hast aber einen Karton bekommen mit Kuchen und Äpfel. |
01:47:27 |
Ich schlage vor, wir machen eine Süko", was heißen soll: Süßkost-Kiste. |
01:47:38 |
IV: Für alle, praktisch. |
01:47:39 |
JS: Ja. Gib was ab. Die Masse kriegt ja kein Päckchen. Und das musste erst die Oberin bestätigen. Und, und so ist die Süko entstanden. Ja. |
01:47:54 |
Und ich hab' noch ‘n Vorschlag gemacht. Der is' halb und halb durchgegangen. Ich wollte, dass wir uns selber erziehen. Also spielerisch. |
01:48:09 |
Äh, ich war der Staatsanwalt, andere haben den Richter gespielt. Jetzt haben wir.. |
01:48:19 |
Und der hat.. Also, ich weiß, der Junge hat bei den Mädels mal oben ins Bad geguckt, also... |
01:48:27 |
Das ist ruchbar geworden, und jetzt sollten wir.. Und dann haben wir den.. Das ist nicht durchgegangen bei der Oberin. |
01:48:36 |
Wir wollten den nach Naziart in Bann legen. Also keiner durfte mit dem mehr sprechen. Und dieses Urteil hat die Oberin nicht bestätigt. |
01:48:48 |
Dagegen, ein anderes, wie der einmal ins Waschraum geguckt hat, bei ‘n Mädels, oder, oder Baderaum, durch ‘n Fenster... |
01:48:58 |
Da hat er die Schuhe putzen müssen für alle. Das is' bestätigt worden. {lacht} |
01:49:05 |
IV: Aber das zeigt ja, dass Sie schon sehr früh ein soziales Bewusstsein hatten. |
01:49:09 |
JS: Naja... |
01:49:10 |
IV: Also nicht nur an sich gedacht, sondern auch an andere. {sprechen durcheinander} ...soziale Gerechtigkeit... |
01:49:15 |
JS: Durch das Kinderheim. Das Kinderheim, schlechtes Essen, armselig, armselig, könnt ihr nicht mehr vergleichen mit heute. |
01:49:25 |
Um Gottes Willen, Ostern '38... Meine Mutter hat mir immer 'n paar Ostereier geschenkt, und ein bissel Gelee so, Gellee-Ei. |
01:49:39 |
IV: Gelee-Ei... |
01:49:41 |
JS: Ja, Gelee-Eier. Und die hatten so gut wie gar nichts. Das war so armselig, ach... Also, die Zeit möcht' ich eben nicht mehr wiederholen. |
01:49:53 |
Ja, die Lagerzeit natürlich auch nicht, aber sonst, ansonsten, hab' ich eine wunderbare Ehe geführt, Kinder haben alle studiert, |
01:50:06 |
Alle Kinder studiert, ja. |
01:50:12 |
IV: Jetzt haben Sie die Kurve aber noch gut gekriegt, mit der Frage. |
01:50:17 |
Die erste... Jetzt haben Sie aber gut die Kurve in der Frage noch gekriegt, wie das Leben war: Erste Hälfte nicht mehr, aber die zweite war gut. |
01:50:27 |
JS: Ja. Jaja. |
01:50:29 |
IV: Gut. Und dann machen wir jetzt einfach Schluss und ich bedanke mich. Vielen Dank. |
01:50:35 |
JS: Ist in Ordnung. |
01:50:36 |
IV: Vielen Dank. Das war sehr... {unverständlich im Hintergrund} |
01:50:38 |
JS: Jetzt wollen die Schwestern.. Haben, oder wie ihr wo.. |