[DE: IV: Heute ist Samstag der 20. Juli, wir sind in Weiden in der Oberpfalz im Hotel Admira.]

[DE: Mein Name ist Michael Aue von der Medien Werkstatt und wir führen jetzt ein Interview mit Agi Geva,]

[DE: die heute in den USA lebt und die 1930 am 2. Juni in Budapest geboren wurde.]

[DE: AG: Sie, Sie haben noch nicht begonnen oder?]

[DE: IV: Ich habe begonnen, Sie müssen nur kurz warten, bis..]

[DE: AG: Nein, aber ich kann doch sprechen, wenn, ich meine, was ich jetzt erzähle, das wird doch nicht aufgenommen?]

[DE: IV: Jetzt ist die Aufnahme aus.]

[DE: AG: Ok. Dann..]

[DE: IV: Ok, dann lassen Sie uns erst einmal ganz am Anfang beginnen, können Sie mir ein bisschen über Ihre Kindheit erzählen,]

[DE: wo sind Sie geboren, über Ihre Eltern, Ihre Familie, wie sind Sie aufgewachsen?]

[DE: AG: Ok, ich bin in Budapest geboren, aber zu der Zeit haben wir dort nicht gelebt.]

[DE: Wir wohnten auf einem Bauernhof, wo mein Vater der Leiter eines sehr großen Bauernhofes war]

[DE: und ah das Problem begann 1936, als Juden keine Schlüsselpositionen mehr inne haben durfte und er ah gefeuert wurde.]

[DE: Das hat ihn schwerer getroffen, als wir uns es vorstellen konnten.]

[DE: Er wurde herz, herzkrank und ah hat sich von diesem Schock, dass er seinen Job verloren hat, eigentlich auch nie richtig erholt.]

[DE: Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir eigentlich eine schöne Kindheit, aber als ich 5 oder 6 war, da mussten wir was Pogon Puszta genannt wurde verlassen.]

[DE: Und wir gingen nach Miskolc, wo ich eigentlich aufgewachsen bin und von wo wir auch deportiert wurden.]

[DE: Meine Mutter hat eine Pension aufgemacht ah eine Art kleine Privatpension, ein kleines Hotel, um meinem Vater Arbeit abzunehmen und ihm Kummer zu ersparen]

[DE: und ah sie war für die gesamte Organisation verantwortlich und ah meine Schwester und ich haben dort sehr gerne gelebt.]

[DE: Wir hatten es wieder ziemlich gut.]

[DE: Ah vom Antisemitismus haben wir nichts mitbekommen, weil unsere Eltern hier sehr bedacht waren, dass wir davon nichts wissen sollten.]

[DE: In der Schule, es gab dort keine jüdische Schule ah kein Gymnasium, nur eine protestantische, die haben wir dann besucht]

[DE: und da gab es nur zwei jüdische Mädchen in meinem Klassenzimmer.]

[DE: In den sozialen Beziehungen haben wir es gemerkt, dass wir nie zu irgendeiner Geburtstagsparty eingeladen wurden und auch nicht zu irgendwelchen anderen Feiern, also wir zwei jüdischen Mädchen.]

[DE: Damit konnten wir, wir umgehen {atmet stark}.]

[DE: IV: Also und können Sie sich erinnern, wie es war, als sich die Situation für Sie anfing, ein bisschen zu verändern?]

[DE: AG: Es hat sich nicht "ein bisschen" verändert.]

[DE: Es hat sich stark verändert, 1944 ist am 19. März nämlich mein Vater gestorben.]

[DE: Er starb am, am Morgen und wir riefen unsere Verwandten in Budapest an, damit sie zur Beerdigung kommen konnten und Sie sagten: "Wir können nicht kommen, Onkel Nazi ist da."]

[DE: Und meine Mutter verstand, dass die Besetzung begonnen hatte.]

[DE: Wäre mein Vater an diesem Tag nicht aus natürlichen, eigentlich ja nicht aus natürlichen Gründen,]

[DE: er hatte diese Probleme mit dem Herzen und er hatte Lungenprobleme und er hatte einen hohen Blutdruck, er hatte alles, was man sich nur vorstellen konnte.]

[DE: Er wäre am Schock gestorben.]

[DE: Und als wir dann vom Friedhof zurück kamen, standen schon an jeder Straßenecke ah viele SS ah Wächter und Soldaten und Offiziere und]

[DE: also Miskolc wurde an demselben Tag eingenommen, als er starb. ]

[DE: IV: Und was haben Sie gemacht?]

[DE: Was hat ihre Familie gemacht?]

[DE: An diesem Tag und an den folgenden Tagen?]

[DE: AG: {Atmet stark} Die folgenden Tage, ich meine, von diesem Tag an hat sich alles verändert.]

[DE: Aber alles hat sich zum Schlechteren verändert in einer ah unvorstellbaren Weise.]

[DE: Es wurden Regeln erlassen, zum Beispiel der rote, der gelbe Stern.]

[DE: Wir konnten nicht mehr auf die Straße gehen ohne den gelben Stern.]

[DE: Wir konnten kein Fahrrad haben.]

[DE: Ich musste mein Fahrrad der Stadtverwaltung geben.]

[DE: Das war eine Idee, die ich niemals, niemals hätte ich mir vorstellen können, dass das in Zusammenhang stehen sollte.]

[DE: Wir {atmet stark} haben neue Wörter gehört, wie Ghetto, gelber Stern, Deportation,]

[DE: Konzentrationslager, das wurden neue Wörter,]

[DE: die wir, meine Schwester und ich, lernen mussten, wir kannten die Bedeutung nicht.]

[DE: Wir hatten nie gedacht, dass wir das kennen sollten.]

[DE: Und dann begann sich alles ganz schnell zu ändern.]

[DE: IV: Hatten Sie von den Dingen gehört, die vorher schon in anderen Ländern wie Polen passiert waren?]

[DE: Oder was der jüdischen Bevölkerung widerfahren war oder was die Deutschen dort getan hatten?]

[DE: AG: Wissen Sie, es gab kein Fernsehen zu dieser Zeit und für gewöhnlich hörte man kein BBC.]

[DE: Ah die Nachrichtenübermittlung des ungarischen Radios war nicht verlässlich.]

[DE: So mussten wir uns mit den wenigen Informationen, die wir hatten, den Rest vorstellen,]

[DE: aber irgendwie haben die meißten meiner Bekannten und Freunde und Verwandten,]

[DE: jeder sagte immer nur eins: "Mit Ungarn kann das nicht passieren."]

[DE: Es ist passiert.]

[DE: IV: Vielleicht können Sie fortfahren, was dann passiert ist?]

[DE: Konnten Sie weiter zur Schule gehen oder?]

[DE: AG: Nein.]

[DE: IV: Nein.]

[DE: AG: Wir konnten nicht mehr zur Schule gehen.]

[DE: Das war das einzig gute daran.]

[DE: IV: {Lacht} Und ah..]

[DE: AG: Das war, was wir dachten.]

[DE: IV: Und das Hotel, die Pension, die Ihre Mutter betrieb, wurde sie geschlossen..?]

[DE: AG: Nein, meine Mutter hatte die Pension bis zur letzten Minute in Betrieb, bis wir sie verlassen mussten.]

[DE: Wir mussten rausgehen, mussten alles hinter uns lassen.]

[DE: Wir konnten etwas mit uns nehmen, was wir tragen konnten, mehr nicht.]

[DE: Die Wahl war besonders für meine Mutter sehr schwer.]

[DE: Und wir wussten nicht wohin wir gehen und warum.]

[DE: IV: Niemand hat Ihnen das vorher gesagt?]

[DE: AG: Nein, wir wurden ins Ghetto gebracht.]

[DE: Aber, bevor wir ins Ghetto gebracht wurden gab es Gerüchte, dass man der Deportation entgehen könnte,]

[DE: wenn man zur Stadtverwaltung ging, dort dem Land Loyalität schwöre und auf den Feldern arbeiten würde.]

[DE: Also hat meine Mutter 30, 33 Freunde zusammengesucht, die bereit waren das zu tun]

[DE: und wir sind zu der Stadtverwaltung gegangen und wir schworen Loyalität und wurden nach Muhi Puszta geschickt,]

[DE: das war der Ort, wo wir auf den Felden arbeiten mussten.]

[DE: Und keiner wusste so genau, wie man auf dem Feld arbeitete,]

[DE: aber um uns waren Wächter und wir arbeiteten viele, viele Stunden und wir taten es]

[DE: Und wir dachten, dass wir damit vielleicht unser Leben retten konnten.]

[DE: {Atmet stark} Aber das konnten wir nicht.]

[DE: Sie kamen, um uns zu holen, sie haben ihre Meinung geändert, ihre Regeln]

[DE: oder die Gesetze und sie haben uns zurück nach Miskolc gebracht,]

[DE: ins Ghetto, das war unserer Meinung nach die schlimmste Möglichkeit, sie haben ah fünf, sechs Familien in sehr kleine Wohnungen gesteckt,]

[DE: selbstverständlich gab es nur ein Badezimmer und eine Küche.]

[DE: Es war fürchterlich überfüllt und sehr, sehr, sehr unbequem.]

[DE: Wir hatten sehr wenig zu essen, auch Wasser war sehr knapp, ah sie haben uns nicht nach draußen gelassen. ]

[DE: Wir waren eingezäunt.]

[DE: Es war eine sehr schlechte Situation.]

[DE: IV: Ah können Sie sich erinnern, wie viele Menschen in diesem Ghetto gelebt haben?]

[DE: AG: {Atmet stark} Wissen Sie, die gesamte jüdische Bevölkerung aus Miskolc.]

[DE: IV: Ja.]

[DE: AG: Die gesamte jüdische Bevölkerung, ich kann, ich habe keine Zahlen.]

[DE: Ich, ich weiß es nicht.]

[DE: Ich weiß nur wie viele Familien pro Wohnung dort waren.]

[DE: Nein, ich kann es Ihnen nicht sagen.]

[DE: IV: Aber also, war es ein großes Ghetto oder ein kleines?]

[DE: AG: Es war ein sehr großes Ghetto.]

[DE: Es war ein sehr großes Ghetto.]

[DE: Ah die Menschen waren dort schon viel länger als wir, denn wir haben versucht auf dem Feld zu arbeiten,]

[DE: also wir, sie haben uns zurück gebracht und dann, was auch immer sie sagten, meinten {atmet stark}, sie hatten andere Pläne,]

[DE: wir nahmen, sie brachten das gesamte Ghetto zu der Ziegelfabrik an den Stadtrand von ah Miskolc.]

[DE: Und ah wir warteten dort auf Züge, sagten sie uns.]

[DE: Wir durften nicht mehr in unserer Heimatstadt sein, wir durften sogar nicht mehr in Ungarn sein,]

[DE: wir müssen in Konzentrationslagern sein, wir müssen deportiert werden.]

[DE: Diese abstrakten Begriffe hatten für uns keinerlei Bedeutung.]

[DE: Wir verstanden die Bedeutung nicht, meine Schwester und ich.]

[DE: Aber meine Mutter war mit uns, so wenigstens waren wir zusammen]

[DE: und nach einer Weile, ich weiß nicht, es war eine Woche, zwei Wochen, ah kamen die Züge.]

[DE: IV: Und die ganze Zeit haben Sie bei der Ziegelfabrik gewartet, einfach darauf gewartet, dass die Züge kommen?]

[DE: AG: Auf die, ja, ja.]

[DE: Und die Enttäuschung war sehr groß.]

[DE: Das waren keine Züge, das waren Güterwagons.]

[DE: Das waren Wagons, Viehwagons.]

[DE: Wir konnten es nicht glauben, dass wir in diese Wagons hochklettern sollten,]

[DE: sie waren sehr hoch und sie haben uns reingepresst.]

[DE: Und es gab, es gab da nur Platz zum Stehen]

[DE: bis es absolut keinen Stehplatz mehr gab, dann haben sie die Tür geschlossen.]

[DE: {Atmet stark} Es war sehr heiß, keine Luft, da war ein Eimer in einer Ecke.]

[DE: Wir hatten kein, sehr wenig zu Essen, kein Wasser {atmet stark}, wir warteten eine lange Zeit, bis sie anfingen]

[DE: und ah wir hatten keine Ahnung, wo wir hinfuhren, für wie lange ah, es dauerte lange, lange.]

[DE: Es dauerte drei, dreieinhalb Tage.]

[DE: Und wir waren in einem sehr schlechten Zustand als, von Tag zu Tag wurde es immer schlechter.]

[DE: Das schlimme daran war, es gab schwangere Frauen,]

[DE: Frauen mit sehr kleinen Babies, sehr alte Leute, sehr kranke Leute.]

[DE: Ah, jede Art von Zuständen.]

[DE: Da gab es Leute, die schrien, sie wussten nicht, wie bestimmte Dinge überhaupt möglich sein könnten.]

[DE: Wie, wie Menschen auf diese Art und Weise transportiert werden können.]

[DE: Da gab es Frauen, die anfingen zu weinen, sie konnten einfach nicht aufhören, sie konnten für die ganzen drei Tage nicht aufhören.]

[DE: Da gab es natürlich Babies, die weinten, die ebenfalls nicht aufhören konnten.]

[DE: Es gab nichts, was sie zum Aufhören bewegen konnte.]

[DE: Ah es war ah sehr, sehr verzweifelt, eine furchtbare Situation.]

[DE: Wir dachten, dass die Ghettos das schlimmste gewesen waren, nun das war das schlimmste.]

[DE: IV: Also und wo endete der Zug?]

[DE: AG: Als wir an eine gewisse Station kamen, hielt der Zug und wir hatten keine Ahnung, wo wir waren.]

[DE: Die Türen öffneten sich, wir sahen viele SS-Soldaten,]

[DE: wir sollten aus den Zügen steigen, es war schwierig auszusteigen.]

[DE: Teilweise half man uns, aber nicht aus Höflichkeit,]

[DE: sie mussten, sie wollten, dass wir endlich da raus kamen.]

[DE: Und sie gingen zurück, um zu sehen, wer in den vielen Güterwagons zurückgeblieben war]

[DE: oder wie nennt man die, Vieh, Viehwagons?]

[DE: Viele Menschen sind gestorben, bevor sie angekommen sind.]

[DE: In, in, in, der in dem ich war, niemand.]

[DE: Und dann, Männer und Frauen wurden getrennt, das war sehr tränenreich,]

[DE: sehr, sehr emotional, wie sie sich aneinander geklammert haben]

[DE: und sie wollten nicht getrennt werden und sie wollten zusammenbleiben.]

[DE: Es gab viel Gebrüll und Geschreie: "Los, los."]

[DE: Und viel ah, ah Gebrülle, Weinen, hysterisches Ohnmächtigwerden.]

[DE: Es ist sogar unmöglich das zu beschreiben, bis sie die beiden Gruppen trennen konnten.]

[DE: Und wir wussten nicht, wohin die Männer gebracht wurden.]

[DE: IV: Was war mit den Kindern?]

[DE: Wurden sie auch, kamen die kleinen Jungen zu den Männern oder wurden sie getrennt mit..]

[DE: AG: Nein, nein sie wurden, sie wurden, sie blieben mit den Frauen.]

[DE: Kinder blieben mit den Frauen.]

[DE: Das hat mich bisher noch keiner gefragt, daran habe ich nicht gedacht.]

[DE: Und dann, wir gingen zu unserem, zu einem bestimmten Punkt.]

[DE: Und meine Mutter war sehr erschrocken und sehr besorgt und sie sagte uns, dass wir weiter der Menschenschlange folgen sollten.]

[DE: Und sie würde ganz nach vorne gehen und sehen, was los sei]

[DE: und selbstverständlich waren an beiden Seiten ah SS, die ihre Waffen auf uns zielten und sie riskierte,]

[DE: sie riskierte ihr Leben, würde ich sagen, aber sie sagte, sie müsse herausfinden, was vor sich gehe.]

[DE: Sie musste wissen, welcher Schritt der nächte sein würde.]

[DE: Und als sie zurück kam sagte sie uns, dass wir niemals Familienverbindungen erwähnen sollten,]

[DE: denn sie sah, dass wann immer jemand sagte: "Lass mich mit meiner Mutter gehen, lass mich mit meiner Großmutter gehen."]

[DE: Oder mit meiner Tochter oder Schwester.]

[DE: Das wurde sofort, ja, selekt.. ah ich meine, getrennt.]

[DE: Dann sah sie, dass sie nach dem Alter fragten, sie hörte, unter 16 ]

[DE: würde man automatisch nach, zu einer bestimmten Seite geschickt.]

[DE: Sie wusste nicht, was gut war, was schlecht war.]

[DE: Die Frauen mit, wer immer ein Kind mit sich hatte, wurde ganz klar zu der anderen Seite geschickt, so nannten wir es.]

[DE: Ah diese Babies natürlicherweise, selbstverständlich schwangere Frauen ah auch alte Menschen, auch kranke Menschen, Menschen, die nicht gehen konnten auch.]

[DE: So hat sie also beobachtet, dass ah die leistungsstarken Frauen in ein Arbeislager geschickt werden könnten, ]

[DE: dachte sie und sie kam zurück und sagte uns das.]

[DE: Und dann sagte sie: "Du darfst dein Alter nicht nennen."]

[DE: Wir waren 13, meine, meine Schwester und ich war 14.]

[DE: Sie sagte: "Du darfst das nicht sagen, du musst mindestens sagen 18 und 19 ."]

[DE: Und sie wird sagen, dass sie fünf Jahre jünger ist, wenn man sie fragen wird.]

[DE: Und dann haben sie ah alle gefragt, sie haben auch darauf geachtet, ob man gesund war und, und sich gut bewegen konnte.]

[DE: Also sie hat uns gewarnt wie wir uns verhalten sollten, für den Fall, dass wir gefragt würden.]

[DE: Es ging schrecklich schnell, links, rechts, links, rechts.]

[DE: Da gab es nicht viel zu denken.]

[DE: Und dann sah sie, dass wir Schals mit uns hatten]

[DE: und sie sagte uns, wir sollten uns die Schals umbinden, auf den Kopf, so dass wir älter aussehen würden und es war so wie das hier {bindet sich einen Schal um}.]

[DE: Meine Schwester und ich, wir beide binden, haben das so um unseren Kopf gebunden.]

[DE: Und wir wissen nicht genau, was geholfen hat, aber wir alle drei wurden zusammen auf eine Seite geschickt.]

[DE: IV: Und dann standen Sie da immer noch bei den Zügen?]

[DE: AG: Nicht mehr, nicht mehr.]

[DE: Wir wurden in ein Gebäude geschickt ah in eine große, große Halle und wir saßen studenlang auf den kalten Steinen,]

[DE: wir warteten und wussten nicht worauf.]

[DE: Und dann kamen sie und nahmen unsere Taschen weg,]

[DE: diese Tasche, die wir hatten, um zu, die wir mit uns nehmen konnten ah meine Schwester und ich wir hatten eine Puppe, eine Uhr,]

[DE: ich hatte eine neue Uhr, ich hatte ein Buch, das ich gerade las, ich erinnere mich, dass ich ein Kleid nahm]

[DE: und wir mussten sie ablegen in eine der Ecken dieser Halle.]

[DE: Und Erwachsene hatten nicht so ein un.., unbedeutendes Zeug.]

[DE: Sie hatten Dokumente, Geld, Juwelen, Bilder, sie wollten sich nicht von ihren Taschen trennen.]

[DE: Sie waren hysterisch, sie weinten, sie bettelten, sie ah fielen in Ohnmacht.]

[DE: Aber sie ließen sie nicht.]

[DE: Sie sagten einem: "Packs in die Ecke."]

[DE: Es ist selbstverständlich, dass wir ah, alles passierte unter vorgehaltener Waffe.]

[DE: Also, ich weiß nicht, was meine Mutter gehört hat, aber ich stellte mir vor, dass sie auch verzweifelt war]

[DE: und sie sich von ihrer Tasche trennen musste.]

[DE: {Atmet stark} Sie waren, jeder war in einer ganz schlechten Situation]

[DE: und jedes Mal dachten wir, das ist das schlimmste, aber es war es nicht.]

[DE: Danach mussten wir uns ausziehen und das war die größte Erniedrigung.]

[DE: Sie befahlen uns alles auszuziehen, nichts mehr am Leib zu haben.]

[DE: Nun ah neben der Erniedrigung war es auch wieder die Sache, dass ah die meißten Frauen in ihre Kleidung]

[DE: und ihre Taschen Sachen eingenäht hatten, aber sie dachten, dass, wenn die Taschen verloren gingen]

[DE: oder weggenommen werden würden vielleicht, aber sie haben nicht gedacht, dass es so sein würde,]

[DE: sie müssten, dass sie sich etwas anderes ausdenken müssten.]

[DE: Also nahmen sie ein paar der Juwelen, ein bisschen Geld, Dokumente, Bilder, woran auch immer sie denken konnten,]

[DE: was auch immer sehr, sehr wichtig für sie war, nähten es in das Innenfutter der Kleidung]

[DE: oder in die Taschen und nun mussten sie das alles ausziehen.]

[DE: Also fing alles wieder von vorne an, das Betteln, das Weinen, das in Ohnmacht Fallen, die Schreie.]

[DE: Es ist unmöglich sich, sich, sich vorzustellen, was dort los war.]

[DE: {Atmet stark} Aber wir hatten keine andere Möglichkeit.]

[DE: Und dann standen wir da ohne irgendwas an und dann kamen sie, um alles Haar von unserem gesamten Körper zu rasieren.]

[DE: Das war, ich kann nicht beschreiben, was das für eine Erniedrigung war.]

[DE: Und danach ging es weiter, sie haben uns desinfiziert mit, sie sprühten uns mit einem Desinfektionsmittel ein,]

[DE: also, wir konnten, wir konnten einfach nicht atmen, wir konnten uns sogar nicht wiedererkennen]

[DE: ohne Haare und, und ah ohne Kleidung und ah {atmet stark}..]

[DE: IV: Wer hat das gemacht?]

[DE: Andere Insassen aus dem Lager oder Soldaten oder Soldatinnen?]

[DE: AG: Soldatinnen, aber Soldaten waren, waren die ganze Zeit anwesend, so dass es sogar noch schlimmer wurde.]

[DE: Ich, ich konnte nicht einmal hinsehen wer, wer, wer es war.]

[DE: Es war so unangenehm und so unfassbar.]

[DE: Und dann wurden wir zu den Duschen geschickt und zu dem Zeitpunkt wussten wir nicht,]

[DE: dass in den anderen Baracken die Menschen, die zu der anderen Seite geschickt worden waren,]

[DE: wir hatten keine Ahnung, dass bei ihnen Gas aus den Duschköpfen kam.]

[DE: Wir wussten das nicht und wir fanden das auch für eine lange, lange Zeit nicht heraus.]

[DE: Also nach der Dusche wurden wir ah in eine andere Halle geführt und wir mussten an einem riesen Berg an Kleidung vorbei]

[DE: und als wir daran vorbei gingen konnte jeder langsam etwas nehmen, jeder konnte einen Anzug und Schuhe nehmen.]

[DE: Ob der Schuh passte oder nicht, das war nicht wichtig und]

[DE: natürlich gab es keine Unterwäsche, kein gar nichts, nur ein einziger Anzug.]

[DE: Nachdem das erledigt war saßen wir wieder studenlang auf dem kalten Stein und warteten,]

[DE: wir wussten nicht worauf.]

[DE: Und so wie wir aussahen und wie wir uns gefühlt haben, war sowieso, gar nichts war mehr wichtig.]

[DE: Und dann gab man uns zwei graue Decken.]

[DE: Alles war grau in Auschwitz, die Decken, die Baracken, die Luft, alles.]

[DE: Und dann wurden wir in Baracken gebracht, die drei Stockwerke, drei Pritschen.]

[DE: IV: So, von der (???)]

[DE: AG: Ja, ja. Und da waren sechs, sieben Frauen auf einer der, auf jeder ah..]

[DE: Und wir hatten diese zwei Decken mit uns, wir konnten sie unter uns legen oder wir konnten uns damit zudecken.]

[DE: Und manchmal wurden sie naß und wir standen still, Zählappell war wie wir]

[DE: unsere Zeit in Auschwitz verbracht haben, wir standen draußen in fünf Reihen,]

[DE: Reihen und sie kamen, um uns ständig zu zählen,]

[DE: drei, vier mal am Tag und als es regnete wurden diese Decken naß.]

[DE: Oder dieses einzige Kleid, was wir hatten, wurde naß.]

[DE: Damit mussten wir klar kommen.]

[DE: Und es war eine ganz schlechte Situation.]

[DE: IV: Wussten Sie zu dieser Zeit, dass Sie in Auschwitz waren oder hatten Sie jemals zu vor den Namen Auschwitz gehört?]

[DE: AG: Das hatte ich niemals, niemals zu vor.]

[DE: Also dort haben wir gehört, dass wir in Birkenau in Auschwitz sind, ich bin mir nicht ganz sicher.]

[DE: Und wir wussten nicht, was das zu bedeuten hatte.]

[DE: Wir wussten nicht, dass es ein ah Vernichtungslager war.]

[DE: Wir hatten keine Ahnung und meine Mutter sprach mit allen Erwachsenen in ihrer Nähe.]

[DE: Das waren überwiegend Freunde aus Miskolc, aus unserer Stadt.]

[DE: Sie vermied, meine Schwester und mich darüber zu informieren, was los war.]

[DE: Und wann auch immer etwas schlimmes vor sich ging, machte sie, wurden wir weggebracht,]

[DE: wir sollten das nicht wissen und sie war sehr besorgt um uns, um unsere Stimmung und, und ah unsere Kenntnis,]

[DE: wir sollten in nichts, das angsteinflößend war, involviert sein.]

[DE: Und sie hatte damit Erfolg, bis zum Tag der Befreiung fanden wir nicht heraus, was los war.]

[DE: Damit hatte sie Erfolg, also nach ah zwei Wochen denke ich, gab es täglich Selektionen,]

[DE: sie hatte solch eine Angst vor diesen Selektionen, sie wusste, dass wenn eine von uns woanders hingeschickt werden würde,]

[DE: ah würden wir das nicht überleben, davon war sie überzeugt.]

[DE: Und sie tat alles, um uns zusammenzuhalten.]

[DE: Und sie nahm immer wieder meine Brille ab und packte sie seitlich in ihren Schuh, um sie zu verstecken.]

[DE: Ich sollte nicht anders aussehen als alle anderen.]

[DE: Und ich brauche meine Brille.]

[DE: Und dann wurden wir gemeinsam selektiert und zum Bahnhof gebracht und dort wieder in Wagons gesteckt.]

[DE: Und wir wurden raus aus Auschwitz geschickt, nach Plaszow.]

[DE: Wir wussten nicht, wir wussten nicht, dass es Plaszow war, wir wussten nicht, was das bedeutete,]

[DE: wir wussten nicht, was es war.]

[DE: Später hatte Spielberg einen Film dort gedreht.]

[DE: IV: Es ist nicht so weit entfernt.]

[DE: Es ist nicht so weit von Auschwitz entfernt?]

[DE: AG: Es dauerte eine Stunde mit dem Zug.]

[DE: IV: Ja, ja.]

[DE: AG: Und es war viel schlimmer.]

[DE: Es war nur so hingehend besser, dass es dort keine Selektionen gab.]

[DE: So mussten wir nicht, brauchten nicht jeden Tag diese Angst haben, getrennt zu werden.]

[DE: Aber es war ah ein Lager ah ich könnte sagen, es war ein Folterlager,]

[DE: aber, was ich nicht gesehen habe ah ich kann nicht, ich werde darüber nicht sprechen.]

[DE: Ich habe viele Geschichten gehört, später.]

[DE: Meine Mutter war sehr darum besorgt, dass wir das nicht dort hören sollten.]

[DE: Wir führten eine sehr ah erniedrigende Arbeit aus.]

[DE: Wir mussten große Felsen nehmen, sie den Berg hoch tragen,]

[DE: am nächsten Tag mussten wir sie wieder zurück tragen, zurück nach unten.]

[DE: Meine Schwester war 13 und weil sie so schwach war, konnte sie die Felsen, die sie nehmen sollte, nicht hochheben]

[DE: und als sie sie nicht bewegen konnte und hochheben konnte wurde sie ganz fürchterlich geschlagen.]

[DE: Weder meine Mutter noch ich konnten irgendetwas tun, wir konnten nicht sagen, dass wir helfen konnten oder sowas,]

[DE: denn wir sollten ja nicht sagen, dass, dass wir eine Familie waren.]

[DE: Also musste sie damit selber klar kommen.]

[DE: Ah ich werde nicht darüber sprechen, was anderen Menschen in Plaszow widerfahren ist,]

[DE: Sachen, die ich nicht gesehen habe und nicht selber erlebt habe.]

[DE: Wir haben viel in der Sonne gearbeitet.]

[DE: Wir waren sehr, wir sahen sehr schlecht aus, sonnenverbrannt und unsere Haut schälte sich und ah, ah]

[DE: wir hatten Schmerzen und, und ah wir waren müde und das Essen war nur ein klein wenig besser als in Auschwitz.]

[DE: Und ah es war schwierig.]

[DE: IV: Also Sie haben erzählt, dass die Arbeit, die Sie verrichten mussten, vollkommen sinnlos war?]

[DE: AG: Vollkommen, vollkommen sinnlos.]

[DE: IV: Auch und andere Menschen, gab es da auch Arbeit wie in anderen Lagern, Sachen zu produzieren]

[DE: wie Waffen oder sowas in Plaszow oder haben Sie das nicht gesehen, habe sie nicht..]

[DE: AG: Habe ich nicht gesehn.]

[DE: Ich weiß von einem weiteren Arbeitsplatz, wo wir manchmal arbeiteten.]

[DE: Wir saßen auf dem Boden und hämmerten kleine Steine in einen schmalen Pfad, damit es gerade war.]

[DE: Ah da gab es viele, viele andere Arbeitsstätten, von denen ich nicht persönlich wusste]

[DE: und dann, als wir Schüsse hörten, hofften wir, dass wir von den Russen befreit würden,]

[DE: wir dachten, sie kämen näher.]

[DE: Und wir waren ziemlich ah hoffnungsvoll, aber sie lösten das Lager auf und sie kamen nicht.]

[DE: IV: Möchten Sie ein wenig trinken?]

[DE: AG: Ah, Danke.]

[DE: Sie brachten das ganze Lager zum Bahnhof in die Wagons.]

[DE: Und dieses Mal waren meine Schwester und ich zum ersten Mal so verzweifelt, dass wir nicht mehr aufhören konnten zu weinen.]

[DE: Denn so schlecht es auch in Plaszow war, wussten wir, wissen Sie, manchmal ist man, es ist sehr schlecht, aber man, man kennt es, es ist einem vertraut.]

[DE: Und dann wieder zurück zu den Wagons zu gehen und diese Reise anzutreten, wir wussten nicht wohin,]

[DE: wohin es geht und meine Mutter erzählte uns immer wieder:]

[DE: "Ihr wart in Auschwitz, das war das schlimmste.]

[DE: Ihr wart in Plaszow, das war nicht, nicht viel besser, aber es war ebenfalls schlecht,]

[DE: ihr könnt nur noch an einen besseren Ort gebracht werden."]

[DE: Also, das erzählte sie uns die ganze Stunde lang und dann hielt der Zug und als sie die Tür öffneten]

[DE: konnten wir einfach unseren Augen nicht glauben, wir waren zurück in Auschwitz.]

[DE: Also dieses Mal wusste meine Mutter wirklich nichts mehr zu sagen.]

[DE: Sie sah nur einen Offizier alleine stehen, der selektierte, so erinnere ich das.]

[DE: Man sagte, dass es Mengele war.]

[DE: Wir wussten natürlich nicht, dass er ein Arzt war.]

[DE: Wir wussten nichts von den Experimenten, wir wussten nicht, was er dort tat,]

[DE: aber wir sahen, dass er selbständig auswählte.]

[DE: Und dann bekam meine Mutter wirklich Angst, sie sagte,]

[DE: sie gehe als erste, meine Schwester sei die nächste und ich werde die dritte sein.]

[DE: Und wir sollten versuchen, ihr zu folgen, wo auch immer sie hingeschickt werden würde, sie nahm dieses Risiko auf sich,]

[DE: denn sie dachte nicht, dass wir ohne sie überleben könnten.]

[DE: Oder wir sollten sagen oder versuchen in ein Arbeitslager zu kommen und sagen, dass es ein Arbeitslager sei, falls das möglich wäre.]

[DE: Also sagte sie das immer fort zu uns und ah, weil ich, mein Gesicht und meine gesamte Haut schälte sich die ganze Zeit]

[DE: und deshalb dachte sie, dass ich die letzte sein sollte]

[DE: und sie vertraute mir, dass ich dort hingehen würde, wo sie hingeschickt wurde.]

[DE: Also trat sie vor ihn, vor Mengele und sie wurde nacht rechts geschickt und meine Schwester auch.]

[DE: Und ich wurde nach links geschickt.]

[DE: Dann sagte ich ihm:]

[DE: "Nein, bitte, bitte lassen Sie mich auf diese Seite gehen."]

[DE: Er sagte: "Warum, was ist auf dieser Seite?"]

[DE: Ich sagte: "Das Arbeitslager."]

[DE: Selbstverständlich sagte ich nicht, dass dort meine Mutter oder Schwester waren.]

[DE: Und sie hat uns wirklich gut vorbereitet und er sagte: "Du bist nicht,]

[DE: was, was willst du in einem Arbeitslager machen?]

[DE: Für mich siehst Du nicht wie jemand aus, der noch arbeiten kann."]

[DE: Aber dann bemerkte er, dass wir Deutsch miteinander sprachen.]

[DE: Und dann fragte er: "Wieso sprichst Du so gut Deutsch?"]

[DE: Und irgendwie ist etwas passiert und er sagte: "Ok, geh dahin."]

[DE: IV: Er sprach mit Ihnen Deutsch?]

[DE: AG: Und ich sprach Deutsch.]

[DE: IV: Ja, aber er, als er Sie gefragt hat?]

[DE: AG: Ja, ja, er sprach Deutsch, ich antwortete auf Deutsch.]

[DE: Und ah er war beeindruckt genug, um mich dort hingehen zu lassen, wo auch immer ich hin wollte.]

[DE: Also, ich war sicher, aber als meine Mutter von weitem sah, was vor sich ging, war sie sicher, dass sie mich verloren hatte.]

[DE: Und sie fiel in Ohnmacht und sie war sogar noch nicht ah wieder bei Bewusstsein, als ich dort ankam, dort auf ihrer Seite.]

[DE: Also zumindest waren wir wieder zusammen.]

[DE: Und dann gab es wieder eine weiter Erniedrigung, wir wurden auf unseren linken Arm tätowiert,]

[DE: der Buchstabe A, Auschwitz, und eine lange Nummer.]

[DE: Wir alle drei.]

[DE: Und dann fiel ich in Ohnmacht.]

[DE: Vielleicht ebenfalls aus dem Schock heraus, dass ich beinahe woanders hingeschickt worden wäre, ich wusste nicht, was das zu bedeuten hatte.]

[DE: Ich wusste nicht, dass es ah das Krematorium war, ich wusste nichts über solche Sachen.]

[DE: Aber getrennt zu sein von der Familie, ich wusste, dass ich dann nicht überleben würde.]

[DE: Und dann der Schmerz nach dem Tätowieren, also fiel ich in Ohnmacht.]

[DE: IV: Während dieser ganzen Zeit war das dann das erste Mal, dass sie tätowiert wurden?]

[DE: AG: Ja, aber es war mein zweiter Aufenthalt in Auschwitz.]

[DE: Wir bekamen es nicht in, beim ersten Mal.]

[DE: IV: Und dann wurden Sie in die Baracken gebracht?]

[DE: AG: Ja, dann wurden wir in die Baracken gebracht und es gab einen Vorfall.]

[DE: Ah, meine Mutter hatte ein paar Wunden, etw.., etwas an ihrer Schulter,]

[DE: denn es hatte jemand auf ihrer Schulter gestanden, um aus dem Fenster schauen zu können und zu erfahren, wo wir hingebracht würden]

[DE: und sie befürchteten, dass es ansteckend sein könnte,]

[DE: so kam sie in eine Quarantäne-Baracke und wir wurden in eine andere geschickt.]

[DE: Und sie war natürlich sehr ängstlich wegen der "Selektionen", dass wir,]

[DE: dieses Mal konnten wir sehr leicht getrennt werden und sie wäre nicht in der Lage uns zu begleiten oder wir sie.]

[DE: So einigte sie sich mit einem Mädchen, dessen Schwester bei uns in der Baracke war, einen, einen Tausch vorzunehmen.]

[DE: Und als der Abend dann kam und es an der Zeit war, um diesen, diesen Tausch vorzunehmen, bekam das Mädchen Angst und sie blieb.]

[DE: Und meine Mutter kam und das bedeutete dann, dass in unserer Baracke eine zusätzliche Person war]

[DE: und als am Abend der Zählappell erfolgt war und sie sahen, dass es eine zusätzliche Person gab]

[DE: und sie wollten herausfinden, wer das war.]

[DE: Und sie bedrohten uns, dass es, wenn sie herausfänden, dass eine Person in der Quarantäne-Baracke fehlte,]

[DE: wir waren ja natürlich nur Nummern, da gab es keine Namen,]

[DE: sie drohten uns damit, dass wir sterben würden, wir krank sein würden,]

[DE: wir dies und das sein würden und man sagte den Menschen, dass sie erzählen sollten, wer dazu gekommen war.]

[DE: Nun war meine Mutter eine höchst respektierte Person und zwar aus einem Grund.]

[DE: Ah der Hunger war wirklich sehr stark und viele Mütter oder Töchter stahlen in der Nacht gegenseitig von einander]

[DE: das Stückchen Brot, das sie sich zur Seite gelegt hatten und als das heraus kam, da kam es selbstverständlich zu Schlägereien und Geschreie]

[DE: und Gebrülle und Geweine und ah fast jeder hat das getan.]

[DE: Das war ah so eine Situation, in der du manchmal kein Mensch mehr warst.]

[DE: Und sie respektierten meine Mutter, denn sie stahl nicht von uns, im Gegenteil,]

[DE: sie kam und sagte manchmal zu meiner Schwester und mir, dass:]

[DE: "Schau mal, ich hab meine Portion schon gehabt und hier, hab du noch ein weiteres Stück oder ah ein halbes Stück"]

[DE: uns sie konnten nicht verstehen, wie sie das tun konnte.]

[DE: Und sie wussten, dass sie zu uns gekommen war, aber niemand, niemand war bereit, das zu sagen.]

[DE: Und dann kamen sie, diese anderen SS-Leute, die uns sagten, wenn ihr es nicht sagen wollte, dann wird die ganze Baracke erschossen.]

[DE: Und trotzdem sagte niemand etwas.]

[DE: Und wir standen bis fünf Uhr morgens im Zählappell,]

[DE: draußen und wir wissen nicht und wir haben niemals herausgefunden, was der Grund war,]

[DE: aber wir wurden zurück in die Baracken geschickt und wir wurden nicht erschossen.]

[DE: Also das war eines der Vorkommnisse.]

[DE: Der andere, andere, man kann sagen, es war ein erfreulicher, irgendwie, der andere Vorfall,]

[DE: als eine von ah wir herausgefunden haben, dass eine von den jungen Frauen aus Miskolc]

[DE: eine Opernsängerin war und wir sie gefragt haben, für uns zu singen.]

[DE: Und es war schwer, sie zu überzeugen, denn]

[DE: ah bei der "Selektion" wurde ihre Mutter zu der anderen Seite geschickt,]

[DE: als wir zurück aus Plaszow kamen und sie war verzweifelt und ihre Schw..,]

[DE: sie war auch, auch zwei Mädchen mit ihrer Mutter,]

[DE: und ihre Schwester war bei ihr, aber ah sie war selbstverständlich nicht in der Stimmung zu singen, aber sie hat es getan.]

[DE: Und ah wir haben ihr so viel Beifall gespendet und sie so sehr dafür geliebt, dass sie es getan hat,]

[DE: alle paar Tage einmal und das hat zu dieser Zeit unseren Geist wirklich sehr stark erhoben.]

[DE: IV: Können Sie sich an die Lieder erinnern oder?]

[DE: AG: Traviata.]

[DE: Ich erinnere mich, dass es hauptsächlich bekannte Opernarien waren,]

[DE: aber Traviata war für uns sehr, sehr beeindruckend.]

[DE: Auch wegen dieser Wörter und so hat das, das für uns wirklich sehr viel bedeutet.]

[DE: Und dann hat jemand herausgefunden ah, eine alte Bekannte meiner Mutter hat in der Küche gearbeitet]

[DE: und sie hat herausgefunden, sie hatte Angst zu fragen, ob wir mit ihr sein werden, meine Schwester und ich,]

[DE: und ich und sie schickte uns rohen Weißkohl, von Zeit zu Zeit,]

[DE: wenn sie uns finden konnte und das könnte eine Art Lebensretter gewesen sein]

[DE: bis wir wieder "selektiert" wurden und zum Bahnhof geschickt wurden.]

[DE: IV: Können Sie sich daran erinnern, wie viele Tage Sie in dieser Situation verbracht haben?]

[DE: AG: Wochen, Wochen.]

[DE: IV: Wochen, Wochen und also nach dieser ersten ah Sache, die Sie erwähnt haben, würd.., ah]

[DE: wo niemand den Wachmännern verraten hat, dass es Ihre Mutter war,]

[DE: die, die zurück gekommen war und sie ah haben zu Ihnen gesagt:]

[DE: "Wir erschießen euch, alle."]

[DE: Hat jemand seine Meinung geändert?]

[DE: Also in, in Ihrer Vorstellung, was könnte passieren?]

[DE: Oder, oder sind sie, behandeln sie die Menschen?]

[DE: CM: Ah, sie müsste mal das Papier aus der Hand nehmen, weil das {???}]

[DE: IV: Das krazt? Das Tempo Taschentuch?]

[DE: CM: Ja, sie tut die ganze Zeit so mitm Tempo machen und direkt vorm Mikrofon.]

[DE: IV: Ah, entschuldigen Sie bitte, brauchen Sie das ah, ah]

[DE: AG: Ah, ok.]

[DE: IV: Manchmal macht das Geräusche.]

[DE: AG: Ich wusste das nicht, ich wusste das nicht, oh, gut, dass Sie das angesprochen haben.]

[DE: IV: Aber er kann, kann es hören, über die Kopfhörer und..]

[DE: AG: Ok, entschuldigung.]

[DE: IV: Es macht ein Geräusch, wir können es nicht hören.]

[DE: CM: Was ist das? {Handy klingelt} ]

[DE: IV: Ich habe vergessen, es auszuschalten ..]

[DE: AG: Wissen Sie, wir befanden uns in einer solchen unmenschlichen Situation, ah verzweifelt, ah am Verhungern,]

[DE: die meißte Zeit waren wir so durstig, ah auch übermüdet ah,]

[DE: wir waren nicht besonders, wir waren nicht wir selbst, also, wer hat da schon gedacht?]

[DE: Schauen Sie, wenn jemand gesagt hätte, wer das war,]

[DE: nun ja, wir hätten das akzeptiert, was hätten wir tun können?]

[DE: Aber irgendwie wussten wir, dass niemand etwas sagen würde.]

[DE: Irgendwie wussten wir es.]

[DE: Und auch meine Mutter hatte keine Angst, ich meine, es war, es war eine Situation, in der man, man]

[DE: ah man konnte nicht einmal sprechen, wir standen, standen so viele Stunden auf diesem Appellplatz.]

[DE: Unsere einzigen, einzigen Sorgen waren, dass wir nicht mehr stehen konnten,]

[DE: wann bekommen wir etwas zu trinken, wann bekommen wir etwas zu essen,]

[DE: wir, wir haben nicht mehr gedacht.]

[DE: IV: Also, wir sind nun, wir sind an dem Moment, an dem Sie wieder "selektiert" wurden oder?]

[DE: AG: Ja.]

[DE: IV: Vielleicht können Sie fortfahren?]

[DE: AG: Und wir hatte ah wieder Glück, alle drei beisammen, aber es war schon September,]

[DE: und wir wurden zu dem Bahnhof geschickt,]

[DE: das war das vierte Mal, dass ich an diesem Bahnhof war]

[DE: und zurück in die Wagons und ah die Wagons setzten sich in Bewegung und wir wussten wieder nicht wohin.]

[DE: Und ah meine Mutter war wieder dabei uns zu trösten, dass es nicht schlimmer kommen könnte,]

[DE: und es würde nicht schlimmer werden und wir sollten ein wenig fröhlich sein und]

[DE: positiv denken und was auch immer man an diesen Tagen sagt, aber es war schrecklich kalt.]

[DE: Und es war immer noch nicht Winter, aber die Nächte waren sehr kalt und wir mit dem]

[DE: bisschen Kleidung, die wir hatten und dieses Mal hatten wir nicht einmal mehr Decken.]

[DE: Und wir hatten keine geeigneten Schuhe, geeigneten Schuhe und wir hatten keine geeignete Kleidung und kein Essen, kein Trinken ah]

[DE: während dieser ah Reise und wir wurden nach Rochlitz, nach Deutschland geschickt und]

[DE: als sie die ah Türen öffneten, sahen wir zumindest kein Lager.]

[DE: Ah Rochlitz war ein sehr kleines Lager und wir wurden ausgewählt, "selektiert", eigentlich 200 Frauen,]

[DE: 20 Polinnen und 180 Ungarinnen.]

[DE: Und wir wurden in eine Baracke gebracht und sie sagten uns,]

[DE: man würde uns jetzt beibringen, wie man kleine Ersatzteile für Flugzeuge, Schrauben, machen würde.]

[DE: Aber wir werden nicht in der Fabrik arbeiten, sondern vielmehr in der Schule,]

[DE: wo man uns beibringen würde, wie das zu machen sei.]

[DE: Also auf eine Art fühlten wir uns gut, dass wir Menschen sind, dass wir nicht bloß eine Nummer waren, wir kein Vieh waren,]

[DE: wir besser behandelt wurden, aber die Disziplin war sehr, sehr rau.]

[DE: Das Essen war ein klein wenig besser und die Schlafquartiere waren selbstverständlich viel besser,]

[DE: aber es war, wir hatten die ganze Zeit Angst,]

[DE: die ganze Zeit, die Disziplin war sehr hart und Drohungen und ah,]

[DE: und da waren Wächterinnen, SS-Wächterinnen, die auf manche Weise viel schlimmer waren]

[DE: und wir waren ein paar Wochen dort.]

[DE: IV: Und wie viele Stunden am Tag mussten Sie arbeiten?]

[DE: Oder haben sie Sie nur angelernt..]

[DE: AG: Es war nicht schlimm, sie haben uns nur angelernt, es war nicht so schlimm]

[DE: und ah was schlimm war, war die Kälte und ah die gesamte Situation natürlich.]

[DE: Meine Schwester hat besonders gelitten, denn sie sah im September,]

[DE: es war im September, als die Schulkinder, sie sah Schulkinder von,]

[DE: wir wurden zu einem anderen Ort gebracht an den ich mich nicht mehr erinnern kann]

[DE: und sie sah Schulkinder mit Taschen und sie ist zusammengebrochen und]

[DE: sie weinte zwei Tage lang, dass sie nie wieder zur Schule gehen wird.]

[DE: Mir konnte das nicht weniger egal sein.]

[DE: Und das war Ende September, als wir nach, geschickt wurden,]

[DE: ich kann mich nicht erinnern, mit dem Zug, mit dem Bus, ich hab keine Ahnung, wie wir nach Stuttgart gekommen sind.]

[DE: In der Nähe von Stuttgart, nach Calw in die Flugzeugfabrik, Ersatzteilfabrik.]

[DE: Und da war es ganz schlimm.]

[DE: Sie, man hat uns erzählt, unsere Wachleute, dass uns nicht erlaubt sei, in die Nähe der Fenster zu gehen.]

[DE: Wochenlang haben wir keine frische Luft bekommen, kein Tageslicht.]

[DE: Wir arbeiteten von 7 Uhr abends bis 7 Uhr morgens]

[DE: neben monotonen Maschinen, die, die einen einschläferten sogar ohne dass es Nacht war.]

[DE: Und es war total anstrengend wach zu bleiben und unsere Arbeit zu machen.]

[DE: Ein Mädchen hat ihr Gleichgewicht verloren, denn sie ist eingeschlafen und in die Maschine gefallen.]

[DE: Sie war sehr schwer verletzt, sie ist nicht gestorben, sie hat es überlebt.]

[DE: Eine Frau bekam Typhus, wir dachten, dass wir es alle bekommen würden, irgendwie, ich weiß auch nicht, haben wir das nicht, sie starb.]

[DE: Ah meine, eines Tages ist meine Mutter ohnmächtig geworden, denn ihr Stein war explodiert,]

[DE: es war ein Stein zum Feilen, ein großer Stein zum Feilen.]

[DE: Ich arbeitete an einer Revolverdrehbank.]

[DE: Ich bekam das Aluminiumstück und die Pläne und ich sollte daraus eine Schraube machen und das tat ich.]

[DE: Und wenn sie zu groß war, dann kam das in ihre Abteilung,]

[DE: wo sie es gefeilt haben in die, auf die geforderte Größe]

[DE: und meine Schwester war in der Kontrollabteilung,]

[DE: wo sie überprüft haben, ob die Größe korrekt war.]

[DE: Also feilte sie ah diese kleinen Schrauben und der Stein explodierte, sie fiel in Ohnmacht]

[DE: und sie erklärten ihr, dass der Stein sehr, sehr teuer war,]

[DE: aber sehr selten und sie, es werde sehr lange dauern, bis sie einen neuen haben können, bis er eintreffen würde]

[DE: blieben die Schrauben in den Kartons an der Tür.]

[DE: Sie können nicht, sie können sie nicht rausschicken.]

[DE: Und dann hat sie verstanden, dass das vielleicht eine gute Idee war, sie konnte eine Art Mini-Sabotage machen]

[DE: und verhindern, dass diese Schrauben bei den Flugzeugen ankommen.]

[DE: Und so hat sie das viele Male gemacht.]

[DE: Der Stein ist explodiert, sie fiel in Ohnmacht und keiner fand das heraus, natürlich wussten wir Kinder nichts.]

[DE: Wir hatten keine Ahnung, dass es echt war, wir dachten wirklich, dass es erneut geschieht,]

[DE: also das Äußerste, was geschehen konnte war, dass sie dachten, sie sei dumm.]

[DE: Niemand dachte, dass sie das absichtlich gemacht hatte {atmet stark}.]

[DE: Ah eines Tages {räuspert sich} kamen sie, um uns zu sagen, dass dieser Abschnitt nun auch erledigt sei, vorbei, wir müssen gehen.]

[DE: Also dachten wir, ok, wir kommen wieder in die Wagons und Gott weiß wohin, aber wir müssen gehen.]

[DE: Aber da waren keine Wagons, wir mussten zu Fuß gehen.]

[DE: Ah es war unvorstellbar, es war schon Januar, Februar, es war Ende Februar,]

[DE: die Kälte war unmöglich und wir sollten nur in der Nacht gehen.]

[DE: IV: Gab es Schnee?]

[DE: AG: Ich erinnere mich nicht an Schnee.]

[DE: Das war später als Februar, es war schon März.]

[DE: Ich habe, ich kann mich nicht erinnern.]

[DE: Wissen Sie, da war diese 50-jährige Stille, ich habe das nie erwähnt,]

[DE: wo wir mit all unserer Kraft versucht haben, zu vergessen, was passiert war]

[DE: und keiner wollte darüber reden und wir haben wirklich sehr stark versucht zu vergessen.]

[DE: Und meine Mutter und meine Schwester, sie ah wollten sogar nicht darüber reben, sogar nicht, nachdem ich]

[DE: mit einer Frage auf sie zu kam oder wirklich etwas wissen wollte, sie sagten:]

[DE: "Du hast überlebt, sprich einfach nicht mehr darüber."]

[DE: Also, viele Dinge kann ich wirklich nicht mehr erinnern, konnte ich nicht erinnern]

[DE: auf jeden Fall mussten wir weg und das war der Beginn des Todesmarsches, so wurde das genannt.]

[DE: Ich kann nicht beschreiben, was es war ah wirklich, wir, wir hatten selbstverständlich keine passende Kleidung, wir hatten keine passenden Schuhe,]

[DE: wir hatten keine Mützen, Handschuhe, Schals, Unterwäsche, es war unbeschreiblich, Essen und Trinken erwähne ich schon gar nicht mehr.]

[DE: {Schwer atmend} Wir, ich glaube, wir hatten eine Decke dabei, die aber überhaupt nicht half.]

[DE: Und sie wollten, dass wir nur in der Nacht marschierten.]

[DE: Sie wollten nicht, dass die Leute, die Dorfbewohner uns sahen und Fragen stellten, wer wir waren.]

[DE: IV: Und während des Tages?]

[DE: Haben Sie da irgendwo geschlafen oder?]

[DE: AG: Sie haben für uns Scheunen gefunden.]

[DE: IV: Ja.]

[DE: AG: Und sie fanden für uns, wir, wir mussten uns das selber finden, sie versuchten, für uns etwas zu Essen zu finden.]

[DE: Manchmal war es Milch, manchmal Brot.]

[DE: Wir fanden für uns, wir fanden ah rohe Kartoffeln, rohen Weißkohl und davon mussten wir dann eine ganze Weile leben.]

[DE: Und ah ich weiß nicht, was sie den Dörflern gesagt haben, wer wir waren, was wir waren.]

[DE: Manchmal brachten sie uns etwas, die meißte Zeit über nichts]

[DE: und ah dieser Marsch dauerte lange, lange.]

[DE: Das waren 400 km.]

[DE: Wir sollten entweder in Mauthausen oder Dachau ankommen und wir kamen bis Garmisch-Partenkirchen,]

[DE: aber bevor wir nach Garmisch-Partenkirchen kamen, konnte ich einfach nicht mehr laufen]

[DE: und einer der Wachleute half mir und sagte mir,]

[DE: dass wir zu einerm Bahnhof kommen müssen und dann können wir weiter mit dem Zug fahren.]

[DE: Nun sagten uns ein paar andere Leute auf Ungarisch, die Deutsch verstanden, dass das nicht stimme,]

[DE: sie bringen uns zu einem Bahnhof, wo sie auf Züge mit Waffen warten und auf den Befehl, uns zu erschießen.]

[DE: "Also beeilt euch nur nicht zu sehr", sagten sie uns.]

[DE: Nun, ich konnte mich sowieso nicht beeilen, ich setzte mich einfach hin, ich sagte:]

[DE: "Ist mir egal, ich werde nicht, ich kann einfach nicht mehr weiterlaufen."]

[DE: Und ich war die, die letzte in der Reihe.]

[DE: Und wir wussten nicht, was wir glauben sollten, aber uns war das alles einfach nur noch egal,]

[DE: wissen Sie, uns war so kalt und wir waren so hungrig und dieses Mal kam auch noch die Müdigkeit dazu.]

[DE: Das, ganz einfach, die, die Verzweiflung war, war unbeschreiblich, also wir kamen einfach nicht mehr damit klar.]

[DE: Aber sie, wir waren, man zielte die ganze Zeit mit der Waffe auf uns und wir hörten später,]

[DE: nicht zu dem Zeitpunkt, wir wussten nicht, dass viele Todesmärsche mit ah vielen ah Opfern endeten,]

[DE: denn die, die nicht mehr weiter gehen konnten, sie wurden erschossen und am Straßenrand liegen gelassen.]

[DE: Wir wussten es nicht und selbst, wenn wir das gewusst hätten, ich denke nicht, dass uns das noch interessiert hätte.]

[DE: Also kamen wir irgendwie an dem Bahnhof an und die Züge fuhren ab.]

[DE: Also da waren, da gab es keine Gewehre, um uns zu erschießen,]

[DE: was wir nicht wussten, das fanden wir ein paar Tage später heraus.]

[DE: Und ah, da gab es weiße Umschläge, die an die Offiziere ausgehändigt wurden,]

[DE: nicht zu den Soldaten, das ist, was wir aus der Ferne gesehen haben]

[DE: und sie beinhalteten ah falsche Papiere für die Offiziere, um in die Schweiz zu gehen.]

[DE: All das fanden wir ein paar Tage später heraus.]

[DE: Und wir wurden zurück in den Wald geschickt, da gab es Flüsse in diesen Wäldern,]

[DE: mit kleinen Steinen und mein Fuß blutete und ich war verletzt]

[DE: und mir war wirklich schon alles egal und es war der schlimmste, schlimmste Tag meines gesamten ah Jahres, lassen Sie es mich so sagen.]

[DE: Und ich habe einfach gesagt: "Das reicht, das war's, wirklich, wirklich, mir ist das alles egal."]

[DE: Und dann sagte jemand: "Schaut mal, da sind keine Wächter mehr um uns herum."]

[DE: Und dann ah während der gesamten Zeit waren die 20 Polinnen eigentlich die Kapos und die Lagerälteste,]

[DE: also rief uns die Lagerälteste zu sich]

[DE: und sie ließ uns wissen, dass: "Von heute an, dem 28. April, seid ihr frei."]

[DE: Also, ja, das war geradezu unmöglich zu begreifen, das, das]

[DE: Wort und sich vorzustellen, dass das wahr sein könnte.]

[DE: Und ah wissen Sie, der schlimmste Tag stellte sich als der beste heraus]

[DE: und der glücklichste und als etwas, was wir uns niemals vorgestellt hatten.]

[DE: Ich habe niemals gedacht, dass ich jemals frei sein würde.]

[DE: Und ah eigentlich war das die Befreiung, nein, das war nicht die Befreiung.]

[DE: Ich meine, sie haben uns erzählt, dass wir frei seien]

[DE: und dann waren wir da 180 Ungarinnen mit 180 Meinungen]

[DE: darüber, wo wir waren, was wir tun sollten, wohin wir gehen sollten, wir wussten einfach nicht, was wir tun sollten.]

[DE: Wir waren sogar zu müde und zu erschöpft um zu denken.]

[DE: {Atmet stark} Und dann waren irgendwie einige 30, 35 Frauen einer Meinung mit meiner Mutter und wir zogen los,]

[DE: ich weiß nicht, gen Süden, Westen in eine bestimmte Richtung und wir hörten Soldaten in der Ferne]

[DE: und wir bekamen wieder Angst, das könnten Deutsche sein, Russen.]

[DE: Wir hatten keine Ahnung, wir fanden einen Stock, wir, wir banden daran ein Stück Unterwäsche, hoben ihn hoch, um zu zeigen, dass wir friedlich waren,]

[DE: es sollte weiß sein und zumindest haben die Soldaten gesehen, dass]

[DE: wir friedlich waren und sie schickten mich, um mit ihnen zu sprechen,]

[DE: weil ich Englisch sprach und sie sagten mir, sie hätten niemals im Leben so viele hässliche, dreckige, glatzköpfige,]

[DE: dünne, ich weiß nicht was noch für Frauen in ihrem Leben gesehen.]

[DE: Also, wir sagten ihnen, wenn sie ein Lager befreien würden, dann würden sie noch viel Schlimmeres zu sehen bekommen.]

[DE: Denn es stimmte wirklich.]

[DE: IV: Und das waren die Amerikaner?]

[DE: AG: Und die, das waren die ersten Amerikaner, die ich in meinem Leben gesehen habe.]

[DE: Und ich habe sie getroffen und ich habe niemals wiedergefunden,]

[DE: wer, habe niemals diese Veteranen wiedergefunden, die uns befreit haben {atmet stark}.]

[DE: IV: Haben Sie später nach ihnen Ausschau gehalten?]

[DE: AG: Ja, oft, oft, auch das Museum, für das ich arbeite.]

[DE: IV: Ja, und dann, wie ging es weiter?]

[DE: Also Sie sind in einem fremden Land ohne irgendetwas, ah mit Menschen, die Sie nicht kennen,]

[DE: wie würden sie reagieren wenn wir auftauchen...]

[DE: AG: Das waren die nettesten Menschen, die wir jemals getroffen hatten.]

[DE: Sie haben uns in ihr Hauptquartier mitgenommen, selbstverständlich konnten wir uns dort erholen, sie haben uns zu Essen gegeben,]

[DE: sie brachten Ärzte, Krankenschwestern, was auch immer notwendig war, wir waren in einer sehr schlechten Verfassung.]

[DE: Sie ah haben sich wirklich um uns gekümmert, aber das konnte nicht ewig so gehen.]

[DE: Sie, das, eines Tages gingen sie einkaufen,]

[DE: sie sagten, dass jede um etwas bitten könne.]

[DE: Sie würden uns das bringen, wovon wir das ganze Jahr über geträumt hätten, egal, was es sei.]

[DE: Einige fragten nach einem Stück Kuchen, andere nach einem Schnitzel, jemand fragte nach Schokolade,]

[DE: jemand fragte nach einer Jacke, denn es war ja die ganze Zeit so kalt gewesen und ich fragte nach Lipenstift]

[DE: und sie haben uns gebracht, wonach auch immer wir gefragt hatten, sie gaben es uns, das waren ah, ein paar sehr nette Wochen,]

[DE: so wie sie sich um uns gekümmert haben.]

[DE: Aber sie mussten uns zurück lassen, sie mussten zurück zum URO,]

[DE: United Restitutions Offices, sie brachten uns nach Innsbruck]

[DE: und wir blieben dort acht Monate, meine, wir konnten uns nicht entscheiden, was wir tun sollten.]

[DE: Ich wollte nicht zurück nach Ungarn.]

[DE: Als meine Mutter aber zurück wollte und sehen wollte, wer noch am Leben war, dann gingen wir schließlich doch zurück.]

[DE: IV: Lassen Sie uns noch eine kurze Pause machen, ein bisschen Wasser {atmet stark}.]

[DE: Oder vielleicht Ungarn, Sie haben dort Deutsch gelernt?]

[DE: AG: Das wird nicht mit aufgenommen, richtig?]

[DE: IV: Ja, richtig, richtig.]

[DE: AG: Eigentlich könnte ich das erzählen, ah ich kann nicht mit der Realität umgehen,]

[DE: so wie sie wirklich war, also das ist nicht so ganz wie es war.]

[DE: Womit ich nicht so gut umgehen kann, sind die schwereren, schwereren Episoden.]

[DE: Eigentlich kann das erzählt werden, ich meine, das kann ruhig aufgenommen werden.]

[DE: IV: Ja, ja.]

[DE: AG: Am Ende werde ich das noch erzählen.]

[DE: Also, sagen Sie mir, wenn es los geht, wenn Sie..]

[DE: IV: Ja.]

[DE: AG: Ok, also von, von Innsbruck ah gingen wir schließlich zurück nach]

[DE: Ungarn und meine Mutter hat ihre Pension wiedereröffnet,]

[DE: wenn sie auch in einem üblen Zustand war, dass sie nicht, nicht möbliert war, so, wie wir sie zurückgelassen hatten.]

[DE: Also ging sie zur Stadtverwaltung und bat um Hilfe,]

[DE: sie schickten mit ihr ein paar Leute und sie ging zu den Nachbarn und bat diese, ihre Vorhänge zurück zu geben,]

[DE: die Betten, die Teppiche, was auch immer sie finden konnte, was die anderen mitgenommen hatten {atmet stark}]

[DE: und sie hat sie wieder möbliert und wieder eröffnet.]

[DE: Und ich ging einen Tag zur Schule, denn die Klassenkameradinnen sagten mir, dass sie niemals gedacht hätten,]

[DE: mich jemals wiederzusehen]

[DE: und jemand fragte: "Warum bist du zurückgekommen?"]

[DE: Also hatte es sich mit dem Antisemitismus noch nicht erledigt.]

[DE: Warten Sie, also ging ich zum Schulleiter und sagte ihm: "Ich kann hier nicht sitzen, ich kann hier nicht lernen."]

[DE: Aber ich lernte hier mein ganzes, all die Jahre, als es ein protestantisches Gymnasium war.]

[DE: Ah es war das beste in der Umgebung.]

[DE: Also kam er zu dem Schluss, dass er mir das Unterrichtsmaterial geben und ich zu Hause studieren würde]

[DE: und zu den Prüfungen kommen und mein Studium eben auf diese Weise abschließen würde.]

[DE: Also während ich zu Hause lernte, unterrichtete ich Ungarn in Englisch und Deutsch,]

[DE: denen, die fliehen wollten, viele von ihnen wollten fliehen,]

[DE: also nahmen sie Privatunterricht, den ich ihnen anbot.]

[DE: Und ah, als der Kommunismus in Ungarn begann, sagte ich meiner Mutter, dass ich gehen müsse]

[DE: und sie konnte selbstverständlich nicht gehen, aber ah es war bekannt, dass, wenn die Kinder gingen]

[DE: auch ihre Eltern ihnen folgten oder, wenn Erwachsene gingen, dann konnten auch ihre Kinder nachfolgen,]

[DE: es werden viele gehen, sie werden den Pass bekommen.]

[DE: Und ah sie rekrutierten Soldaten, junge jüdische Menschen im Alter von 18, 19 Jahren,]

[DE: die bereit waren nach Palästina zu gehen und für Isra.., für das zukünftige Israel zu kämpfen.]

[DE: Also, meine Mutter lehnte es ab, diese Anfrage zu unterzeichen und ich rannte hin..,]

[DE: folgte dieser ah Person, die die Liste mitgebracht hatte und unterzeichnete mit dem Namen meiner Mutter]

[DE: und so erhielt ich ein paar Wochen später meinen Pass]

[DE: und meine Schwester und ich waren die letzten, die Ungarn verließen,]

[DE: ich meine, die Letzten bedeutet, dass es keine Gruppen mehr gab, nur Einzelpersonen ah, ah Pässe,]

[DE: also verließen wir Ungarn und sie ließen uns nicht nach Palästina, bevor der Krieg zu Ende war,]

[DE: also warteten wir in Marseille]

[DE: und als wir nach Israel kamen, da war es schon wieder ok.]

[DE: Nein, es war ein schwerer Start, denn, ich beherrschte ja schon drei Sprachen und ich kam an einen Ort,]

[DE: wo sie keine dieser Sprachen wollten, sie sagten mir: "Bitte sprich Hebräisch."]

[DE: Also es war nicht so einfach.]

[DE: Und meine Mutter hatte direkt nachdem wir weggegangen waren geheiratet]

[DE: und '56 nach der Revolution sind sie,]

[DE: bekam auch sie ihren Pass und auch den von ihrem Ehemann und sie kamen nach Israel in einen Kibbuz,]

[DE: wo meine Schwester war und ah meine Mutter war 97 Jahre alt, als sie starb]

[DE: und mein Stiefvater war 79.]

[DE: Und sie hatten ein ziemlich gutes Leben, gut, in einem hohen Alter eigentlich]

[DE: und meine Mutter hatte 17 Großenkelkinder und 13 Enkelkinder.]

[DE: Und meine Schwester ist immer noch in dem Kibbuz mit,]

[DE: nur eines der Kinder ist im Kibbuz, der Rest ist ah in der Nähe, wo anders.]

[DE: IV: Und wann, warum haben Sie entschieden Israel zu verlassen und in die USA zu gehen?]

[DE: AG: Meine Tochter verließ Israel ah, ging nach, alle meine Kinder waren in der Armee,]

[DE: also waren sie, nachdem sie in der Armee gedient haben, der Armee gedient haben, auch mein Schwiegersohn,]

[DE: wollten sie für eine Weile nach England gehen und für eine Weile bedeutete 13 Jahre]

[DE: und dann bekamen sie ein Jobangebot in den USA und sie gingen in die USA.]

[DE: Und vor zehn Jahren lud meine Tochter mich zu ihnen ein, mit ihnen zu leben,]

[DE: also habe ich Israel verlassen und bin vor zehn Jahren in die USA gegangen.]

[DE: Und mein Sohn und seine Fam.., Familie ist in Israel geblieben.]

[DE: Beide Kinder haben einen Jungen und ein Mädchen und die, ich habe vier Großenkelkinder,]

[DE: jede von ihnen hat zwei und das ist alles.]

[DE: IV: Also ah ich habe keine Fragen mehr, also sind Sie entlassen.]

[DE: Aber, vielleicht ist da ja etwas, was Sie noch sagen möchten?]

[DE: Manchm.., manchmal haben die Menschen eine Nachricht oder so was ah]

[DE: was sie mir gerne sagen möchte, uns, den Menschen..]

[DE: AG: {Atmet stark} Eine Botschaft, eine letzte Botschaft, eine Tatsache ist, dass das nicht genau das ist, was passiert ist,]

[DE: aber weil ich sehr viel darüber rede, ich kann nicht mit mehr umgehen, als dass ich erzählen kann,]

[DE: mehr als was ich erzählt habe.]

[DE: Ah, es gab ah ich, ich hatte ein paar schwierige Zeiten, mehr als die, vor denen meine Mutter versucht hatte, uns zu schützen, ]

[DE: nicht, sie war nicht immer erfolgreich, aber da gibt es Ereignisse, über die ich wirklich nicht in der Lage bin zu sprechen.]

[DE: Ich kam zu dem Schluss, dass, wenn ich nicht muss, dann kann ich so weiter machen, wie bisher.]

[DE: Was ich mache ist, ah, ich leiste Freiwilligenarbeit beim Holocaust Museum in Washington,]

[DE: ich übersetze und spreche mit Schulen,]

[DE: mit Colleges, mit Universitäten, nicht nur in Washington, sie schicken mich in verschiedene Staaten]

[DE: und ich bin nicht in der Lage über mehr zu sprechen, als das, was ich erzähle. ]

[DE: Die andere Sache ist, wenn sie mich fragen, wenn es eine Schule ist, was ich den Kindern gebe, ist, dass...]

[DE: zu allererst, die Disziplin zuzuhören und zuzuhören und dann das zu machen, was auch immer der Lehrer oder die Eltern denken, was sie machen sollten]

[DE: und Sprachen, nicht nur bei einer Sprache zu bleiben.]

[DE: Das Sprachen zu lernen und ah, dass ich hoffe, dass ich in der Lage sein werde, fortzufahren mit dem, was ich tue.]

[DE: In dem Museum gibt es auch eine Schreibwerkstatt, die uns zum Schreiben animieren soll,]

[DE: nicht unsere Geschichte, nicht vom ersten bis zum letzten Tag, wir sollen einzelne Episoden darüber schreiben, was passiert ist.]

[DE: Also mache ich das auch sehr oft und vier Geschichten wurden auch schon durch das Museum veröffentlicht.]

[DE: Und ich finde dieses Zusammentreffen des Erinnerns, was hier in Flossenbürg stattfindet,]

[DE: etwas von dem ich nie geträumt hätte, niemals wusste, nie gedacht hätte, dass so etwas möglich sei zu tun, eine wundervolle Sache,]

[DE: all diese Leute hier zu haben und ihnen ein gutes Gefühl zu geben und ihnen das Gefühl zu geben, wichtig zu sein]

[DE: und uns unseren Selbstrespekt wiederzugeben und, und alles, was damit verbunden ist.]

[DE: IV: Danke, dass Sie bereit sind, diese Arbeit zu leisten.]

[DE: AG: Danke, dass Sie mich eingeladen haben {lacht}.]

[DE: IV: Ok. Kamera aus.]