Media Collection "Interview Frau Lösch 2007"

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00:00:00 IV: Frau Lösch, Sie haben mir ja eben schon so ein bisschen erzählt. Sie sind hier in der Gegend geboren und aufgewachsen.
00:00:05 FrL: Geboren nicht.
00:00:05 IV: Geboren nicht, aber...
00:00:06 FrL: Aufgewachsen.
00:00:06 IV: Aufgewachsen.
00:00:08 Und äh, ja jetzt waren Sie ja hier auch bei der Eröffnung. Das ist ja so ein, 'n Ort des Erinnerns, und Sie haben ja auch gleich angefangen sich zu erinnern.
00:00:16 FrL: Ja.
00:00:17 IV: Vielleicht, ja. Vielleicht können Sie mal erzählen, an was Sie sich auch erinnern.
00:00:20 Und auch, was das vielleicht so für'n Gefühl ist, immer wieder daran zu denken.
00:00:24 Sie haben ja auch gesagt, diese Bilder kommen auch wieder zurück.
00:00:26 Wie war das, als Sie hier aufgewachsen sind?
00:00:27 FrL: Also, ich bin ca. 70 Kilometer von hier entfernt aufgewachsen, in einem kleinen Oberpfälzer Ort, Rötz.
00:00:35 Und über diesen Ort gingen ab Mitte April bis zum 25./ 26. April die Todesmärsche von Flossenbürg ausgehend.
00:00:46 Und das haben wir ja gerade in der Ausstellung auch sehen können.
00:00:50 Also meine Erinnerung an die damalige Zeit hat mich, täuscht mich nicht.
00:00:55 Ich wurde jetzt hier voll bestätigt.
00:00:57 Ähm, wann die von hier losgingen und warum.
00:01:02 Man wollte sie von den Amerikanern nach Süden bringen, denn..
00:01:07 IV: Und was ist es genau, an was Sie sich jetzt erinnnern? Sie waren ja relativ jung damals.
00:01:11 FrL: Äh, von unserer... Ich war, ich war sechs Jahre.
00:01:15 Also ich bin..., wäre dann im Juni sieben gewesen, also sechs Jahre und zehn Monate war ich alt.
00:01:21 Und die Todesmärsche gingen durch den kleinen Ort.
00:01:24 Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie viele.
00:01:26 Aber ich kann mich erinnern, dass es nächtelang ging.
00:01:31 Und zum Teil auch am Tag.
00:01:33 Und da hab' ich eben dann noch diese Menschen in Erinnerung, mit Decken über dem Kopf.
00:01:38 Damals im April war hässliches Wetter.
00:01:42 Die Straßen waren zum Teil noch unbefestigt, Pfützen, Dreck.
00:01:46 Die Bäume hatten keine Blätter im April.
00:01:49 Es war 'ne trostlose Stimmung.
00:01:52 Und äh in der Nacht knallte des, es dann öfters, wenn... haben manche Häftlinge versucht sich in die Scheunen zu flüchten oder..
00:02:00 Und manche konnten aus Erschöpfung nicht mehr.
00:02:04 Also, ich hab' die Bilder, auch wenn man manchmal äh Skizzen sieht über die Todesmärsche, so hab' ich sie im Kopf.
00:02:12 Ich kann mich auch erinnern, dass manche Anwohner Kartoffeln auf die Straße, gekochte Kartoffeln auf die Straße geworfen haben, und dann die Menschen sich da drauf gestürzt haben, um irgendwas zum essen zu haben.
00:02:26 Ich hab' mir jetzt die Karte hier in der Ausstellung angeschaut, wie diese Todesmärsche liefen.
00:02:32 Äh es ist auch, das wusste ich bis jetzt nicht, sie haben es ja gestreut in verschiedene Himmelsrichtungen.
00:02:39 Alles nach Süden, aber mal nach Westen, nach Osten, zum Beispiel in Neunburg vorm Wald waren viele, und andere Orte sind auch noch erwähnt.
00:02:48 Und ich weiß, dass die Gefangenen, die durch unseren Ort äh durchgetrieben wurden, dann von den Amerikanern in Stamsried befreit wurden, kurz vor Cham.
00:03:01 Diese Erinnerungen haben mich nie verlassen, obwohl ich es als Kind ganz gut verkraftet hab'.
00:03:07 Es war Krieg, und wir sind mit dem Krieg groß geworden.
00:03:10 Aber im Lauf meines Lebens hat mich das immer wieder eingeholt.
00:03:16 Und ich bin jetzt heute sehr dankbar, dass ich hier mit sein darf.
00:03:20 Weil manche Erinnerungen, manche Gesichter jetzt für mich auch äh, Gestalt kann man schlecht sagen, aber, sie sind, ich weiß jetzt was über sie.
00:03:32 Und ich kann auch äh ihnen die nötige Ehre erweisen, das ich eigentlich immer schon wollte.
00:03:40 IV: Sie haben ja gesagt, Sie können sich manchmal sogar so an Gesichter erinnnern.
00:03:43 FrL: Ja an zwei ganz besondere Gesichter kann ich mich erinnern.
00:03:46 Äh an einen Häftling, der von einem Soldaten vor sich her getrieben wurde, und der, dem irgendein Anwohner so ne Oberpfälzer Hefenudel gegeben hat.
00:03:59 Und wie gierig der gegessen hat.
00:04:02 Er hatte die, den gestreiften Anzug, des Käppi, wie's ja auch hier auch ausgestellt sind.
00:04:07 Und äh dann noch an sich an mehrere, aber äh so den Ausdruck des Gesichtes, an einen aber noch, der sich Gott sei Dank retten konnte.
00:04:21 Und wir mit unserer Mutter mal spät am Abend durch den Wald gingen, und er kam aus'm Wald raus.
00:04:28 Auch noch mit seiner Kleidung vom KZ.
00:04:31 Und als der dann meine Mutter mit mir und meinem Bruder an der Hand sah, wir sind erschrocken, der ist erschrocken, und er ist wieder zurück.
00:04:41 Und ich ho..., des ist einer von den Überlebenden.
00:04:44 Was aus dem anderen geworden ist, weiß ich..., kann ich nur ahnen.
00:04:48 Denn der Soldat ist hinter ihm her gegangen mit dem Gewehr.
00:04:52 IV: Da sind ja schon, die Erinnerung ist ja auch ziemlich detailreich.
00:04:54 FrL: Ja.
00:04:56 IV: Wie war denn auch so der Zustand? Sie haben ja vorher schon mal gesagt, die hatten Decken, es war kalt.
00:05:00 FrL: Kalt, ja.
00:05:00 IV: Wie sahen, wie haben die ausgeschaut?
00:05:02 Wie waren die beieinander?
00:05:03 Wie wurden die noch bewacht?
00:05:04 Gibt's noch so Sachen?
00:05:05 FrL: Die wurden noch, also da waren schon, war Wachpersonal noch dabei.
00:05:08 Ich sagte ja, in der Nacht hat's dann öfters mal geknallt.
00:05:12 Und des steht jetzt, das ist auch in der Aufzeich.. äh in der Ausstellung äh beschrieben, äh.
00:05:17 Die wurden ja dann viel am Straßenrand eingegraben.
00:05:21 Später wurden sie dann umgebettet und, auf den Friedhof in dem kleinen Ort.
00:05:26 Also zur letzten Ruhe gebettet.
00:05:30 Aber später umgebettet.
00:05:33 Das weiß ich jetzt nicht wohin, aber dort in dem Friedhof ist noch 'ne Gedenktafel an diese Menschen, dass sie dort begraben waren zunächst.
00:05:41 IV: Hm. Also hier wird ja auch dokumentiert, dass zum Teil eben die Nazis die, also, die, die erschossen haben, sie dann noch verbuddelt haben.
00:05:48 Und dass die Amerikaner sie zum Teil exhumiert haben diese Gräber.
00:05:52 FrL: Ja, das ist...
00:05:53 IV: Und die Bevölkerung sozusagen dann auch gezwungen wurde, sich das anzuschauen.
00:05:55 FrL: Ich bin auch vorbeige.., ich bin vorbei.
00:05:56 IV: Können Sie vielleicht davon ein bisschen was erzählen.
00:05:58 FrL: Ich bin vorbeigegangen als Kind auch.
00:06:00 Wir mussten alle an den Grä, an dem großen Grab, ich fahr' jetzt noch später hin, äh musste die ganze Bevölkerung vorbeigehen.
00:06:10 Das ist von den Amerikanern also angeordnet worden.
00:06:14 Äh, wir mussten die Häuser, die, die Türen offen lassen, soweit ich weiß.
00:06:20 Ich war a Kind, also, was man halt so dann auch später noch erzählt bekommen hat.
00:06:25 Äh nur die Sterbenden eigentlich durften noch im Haus bleiben.
00:06:30 Und die ganze Bevölkerung musste an dem offenen Grab vorbei gehen.
00:06:35 Und äh die Toten lagen da drin.
00:06:40 Das war April, es war, wie, wie schon erwähnt, sehr unerfreuliches Wetter.
00:06:48 Also es hat geregnet und äh die Depression war schon sehr groß.
00:06:53 Also das haben wir Kinder auch mitbekommen.
00:06:56 Obwohl, die Mutter hat einen an der Hand gehalten, hat einem den nötigen Schutz gegeben.
00:07:01 Aber es, es sind Eindrücke, die man dann, wenn man älter wird, eben, die kommen immer wieder, und ich habe mich dann eben auch damit befasst.
00:07:13 Und erzähle es auch viel, auch der Jugend.
00:07:18 IV: Äh, gab's denn damals so.. Also ich weiß, Sie haben so, Sie erinnern sich an die optischen Dinge, so, aber die Leute, die Bevölkerung in den Orten, als die Todesmärsche kamen, hatten die Leute denn eine Ahnung, wo diese Leute herkommen?
00:07:29 Gab's da in diesen Dörfern, die in der Nähe waren, so'n Bewusstsein, dass hier so ein Konzentrationslager ist?
00:07:34 Oder hat man auch später, als Sie größer wurden, mal da drüber geredet über diese Zeit?
00:07:38 FrL: Hat man schon geredet. Weil das war, man konnte sich ja dann gar nicht mehr äh..
00:07:43 Gut, die Medienlandschaft war damals nicht so.
00:07:46 Es gab zensierte Zeitungen und es gab die Volksempfänger, also vorher war's für die kleinen Orte, für uns jetzt, für uns Kinder, wir haben da nichts mitbekommen.
00:07:57 Was die Erwachsenen wussten, das, das kann ich jetzt also auch aus der Erinnerung nicht mehr so viel sagen.
00:08:05 Aber anschließend war des präsent, weil ja immer wieder, auch lange Jahre danach hab' ich, später, als ich dann schon in Nürnberg wohnte,
00:08:15 immer wieder mal in der Zeitung gelesen, dass wieder Gräber gefunden wurden entlang der Straße nach Cham.
00:08:21 Also die wurden dann schon auch noch viele auch einfach dort an Ort und Stelle vergraben.
00:08:27 Ob dann alle aus, also umgebettet hat auf den Friedhof, des weiß ich nicht mehr.
00:08:34 IV: Aber so auch in Ihrer Familie war dann das noch so ein Thema, dass hier mal so ein KZ in der Nähe war?
00:08:38 Oder dass überhaupt, dass vielleicht die Eltern Ihnen später, als Sie größer wurden, Ihnen erzählt haben, ein bisschen was von der Zeit, dass Sie diese Eindrücke besser äh, verstehen konnten oder so?
00:08:48 FrL: Als Kind bestimmt nicht.
00:08:52 Weil der Vater war in Gefangenschaft.
00:08:54 Und äh, das ist dann erst später auch, man hat uns Kinder dann auch mit, also, mir ham auch, muss ich, des schneiden wir dann raus, gell?
00:09:04 IV: Ja. Einfach mal anfangen jetzt, wie war das dann mit dem Erzählen?
00:09:07 FrL: Nein, des is a so, dass wir Kinder, des ist vielleicht die Kraft des Kindes, dass wir einfach dann wieder gelebt haben.
00:09:16 Mir haben dann das Leben mit den Amerikanern auch interessant gefunden.
00:09:20 Mir ham Kippen gesammelt und sind froh gwesen, wenn ma a Stück Schokolade geschenkt bekommen haben.
00:09:25 Also, des, des ist vielleicht, liegt in der Natur des Kindes auch, dass es nach vorne schaut.
00:09:32 Die, des Nachdenken darüber ist erst später gekommen.
00:09:35 So vielleicht mit 17, 18 Jahren.
00:09:39 Dass man dann, ich bin ja dann von dem Ort weggezogen.
00:09:43 Und dass man dann wieder zurück gekehrt ist und...
00:09:49 IV: Danke schön. Das war für mich sehr aufschlussreich, und ich finde das wirklich sehr nett, dass Sie uns das jetzt erzählt haben. Wirklich.
00:09:54 FrL: Gern geschehen. {lacht} Ich dürft's aber vorher sehen...