Media Collection "Interview Aloisia Müller 2014"

Originator/Copyright holder Medienwerkstatt Franken
Source(s) KZ-Gedenkstätte Flossenbürg / Medienwerkstatt Franken
Usage conditions Nur mit Einverständnis und Nennung von Archiv bzw. Urheber
Display format Interview, Rohmaterial
Interviewer Michael Aue
Camera Günter Wittmann

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00:00:03 IV: Und ihr sagt, wenn es los geht.
00:00:05 CM: Und läuft.
00:00:07 IV: Ja, erzählen Sie uns vielleicht kurz, wer Sie sind und woher Sie kommen.
00:00:10 AM: Ich heiße Aloisia Müller, und bin in der Nähe von Wallern in einem Dorf geboren, Hintring.
00:00:17 Und wir.. mein Vater ist dann zur Eisenbahn gekommen in Wallern.
00:00:23 Und wir sind dann dahin gezogen und haben äh ja in einem Haus von einem Uhrmacher äh, der früher einen Laden dort drinnen gehabt hat, aber das war in der Nähe von der Molkerei.
00:00:37 War ein bisschen abseits von der Ortsmitte.
00:00:40 Und er hat dann ein Geschäft in der Ortsmitte gemietet.
00:00:44 Und wir haben dann in dieser Wohnung, in dieser Geschäftswohnung gewohnt.
00:00:50 Und äh, ja wir waren nur vielleicht vier Jahre in Wallern.
00:00:59 Ich bin dort in den Kindergarten gegangen.
00:01:02 Und später habe ich dann erfahren, dass das die Judenschule war.
00:01:05 Also die tschechische Schule, nicht die Judenschule.
00:01:09 Und äh da waren Juden äh Tschechen dort in Wallern.
00:01:16 Und auch während dem Krieg äh war noch ein Tscheche da, weil mein Vater, der hat äh.. meine Eltern, die haben dann weiter oben von Wallern ein Haus gebaut und da war ein tschechischer Maurer dabei.
00:01:29 Der dann später unser Haus rausgesucht hat und dort das dann gekriegt hat.
00:01:36 IV: Äh.. Sagen Sie vielleicht auch noch, wie alt Sie damals waren, 1945?
00:01:42 AM: 1945, ich bin '35 geboren, ich war 10 Jahre alt.
00:01:48 Und äh ich bin die ersten Klassen noch in die Volksschule da gegangen.
00:01:54 Und äh der..
00:01:59 Und ich habe den Zug gesehen äh, weil wir da äh.. das Haus stand ein bisschen weiter oberhalb Wallern, ein bisschen von der Stadtmitte weiter weg.
00:02:11 Und das war ein, ein Wiesenweg.
00:02:16 Äh die sind so den Berg raufgekommen, haben dann eine Kurve gemacht und sind dann nach rechts weiter gegangen.
00:02:23 Ich weiß nicht, warum ich da dort war.
00:02:26 Ich bin nur gestanden und hab' das gesehen.
00:02:29 Und konnte das nicht verstehen, was da ist.
00:02:32 IV: Können Sie vielleicht ein bisschen schildern, was Sie gesehen haben?
00:02:34 Ich denk, Sie haben die Bilder ja noch..
00:02:36 AM: Die Frauen.. Ich hab den ganzen Zug gesehen.
00:02:39 Also die Frauen sind gekommen, und sind da.. haben die Kurve gemacht.
00:02:45 Und äh hinterher sind äh.. ist noch Männer dabei gewesen.
00:02:52 Und eine Frau hat sich gebückt und wollte ein bisschen Gras rupfen.
00:02:58 Und er hat ihr einen Rennerer gegeben, dass sie bald hingefallen wäre.
00:03:02 Und äh sie sind dann weitergegangen.
00:03:06 IV: Wie sahen die Frauen aus?
00:03:07 Was hatten Sie für einen Eindruck?
00:03:09 Wie viele waren es?
00:03:10 Was haben die getragen?
00:03:12 AM: Es, es waren mehr wie 10 vielleicht, 10, 15 so ungefähr.
00:03:18 Und äh sie.. ich kann mich an die Kleider nicht mehr genau erinnern.
00:03:24 Aber Sie haben anders ausgeschaut und sie waren sehr mager, sehr dünn.
00:03:31 Und...
00:03:35 Später habe ich dann erfahren, das, das war auch in Wallern dann in dem Museum.
00:03:42 Da stand dann auch, dass Tiefflieger gekommen sind und die dann äh wurden.. äh im Wald sind sie umgekommen.
00:03:50 Und äh von dem Uhrmacher äh, der, der war bei der, bei der Partei.
00:03:59 Und der hat mit uns später dann..
00:04:02 Den haben wir mal besucht, meine Mutter und ich.
00:04:05 Und der hat mir später dann erzählt äh, dass die Amerikaner sie gezwungen haben, äh die dort im Wald auszugraben mit den Händen.
00:04:17 Sie haben nichts bekommen.
00:04:19 Sie mussten die mit den Händen, mit bloßen Händen ausgraben.
00:04:24 Und äh und ich war.. ich habe die Jüdinnen nicht gesehen äh, wie sie ausgegraben waren.
00:04:32 Ich war später mit meinem Vater bei der Beerdigung.
00:04:36 Und da ist.. der Friedhofsmauer entlang eine große Grube ausgegraben gewesen.
00:04:41 Und so rum, dass halt mehrere Särge gestanden.
00:04:46 Und äh an zwei Särgen waren.. war jemand dort.
00:04:52 Ich habe gedacht, das sind Angehörige.
00:04:56 Aber äh ich wusste nicht, wer das ist.
00:05:00 IV: Und zu dieser Beerdigung mussten da auch alle kommen, oder warum sind Sie da gewesen?
00:05:04 AM: Mein Vater hat gesagt, von jeder Familie muss jemand kommen.
00:05:09 Und meine Mutter hat damals noch kleine Kinder gehabt, und dann war ich mit meinem Vater dort.
00:05:15 Ich bin auf der Friedhofsmauer gesessen und habe das alles gut überblickt.
00:05:21 IV: Die Frau Egner hat ja erzählt, sie hat sich nach, nachdem sie mit allen sozusagen sich die offenen Särge anschauen musste, nicht getraut zu fragen.
00:05:29 Nachdem Sie diesen Zug gesehen hatten als Kind, sind Sie hinterher nach Hause gegangen und haben erzählt, was sie gesehen haben und was das wohl gewesen sein könnte?
00:05:37 AM: Ja, mein Vater war ja mit.
00:05:39 Und ich habe dann auch gefragt, und dann hat..
00:05:41 Haben sie mir gesagt, das sind diese Jüdinnen, die da durchgezogen sind.
00:05:46 Und dass dann Tiefflieger gekommen sind und sie im Wald umgekommen sind.
00:05:51 IV: Ich meine jetzt gar nicht bei dieser Beerdigung, sondern vorher, als Sie den Zug gesehen haben.
00:05:56 AM: Da habe ich niemand gefragt.
00:05:58 Ich habe auch niemand..
00:05:59 Ich habe wohl gehört, dass Leute drüber reden.
00:06:02 Aber äh dass.. manche haben den auch gesehen, aber ich habe dann nicht gefragt.
00:06:08 Weil das war..
00:06:12 Also meine Eltern nicht gefragt.
00:06:14 Die haben das auch nicht gesehen, weil ich alleine dort war, wahrscheinlich zufälllig.
00:06:20 Wir mussten damals Wasser von einer Quelle holen, und äh dann äh wahrscheinlich nur zufällig gesehen.
00:06:29 IV: Und haben Sie noch Erinnerungen an die Bewacher?
00:06:32 Oder waren das viele, diese Männer, die diese Frauen da begleitet oder durchgetrieben haben?
00:06:38 AM: Ich kann mich jetzt nur an den einen erinnern, aber vorher ist bestimmt auch noch jemand gewesen.
00:06:46 Und..
00:06:53 Wir haben dann durch das, dass ich die Frau Egner kennengelernt habe, dann haben wir dann gesprochen immer drüber.
00:06:59 Weil mich hat das auch immer beschäftigt. Ich..
00:07:05 IV: Aber Sie sind sich erst später durch Zufall begegnet?
00:07:07 Also Sie haben sich auch nicht erkannt und haben sich erinnert, dass Sie dort..?
00:07:10 AM: Nein, ich habe sie nicht gekannt.
00:07:12 Also ich war ja einige Jahre jünger wie sie, drei Jahre jünger.
00:07:16 Ich war in der Volksschule, da war sie schon in der anderen Schule.
00:07:19 Wir haben uns nicht gekannt.
00:07:22 Und wir waren auch nicht so lange in Wallern.
00:07:24 Also ich war ja vielleicht vier, höchstens vier, fünf Jahre.
00:07:30 IV: Und Sie leben jetzt auch in München?
00:07:32 AM: Ich lebe auch in München, ganz in der Nähe von Frau Egner.
00:07:36 Und wie ihr Mann krank, bin ich dann hingekommen, wenn sie mal irgendwo weggehen musste, dass jemand bei ihrem kranken Mann da war.
00:07:46 IV: Und da haben Sie erst festgestellt, dass Sie...
00:07:49 AM: Da haben wir uns kennengelernt und dass wir vom gleichen Ort sind und..
00:07:53 Und dann haben wir dann über alles Mögliche auch gesprochen, und auch über das.
00:08:00 IV: Gut. Dann bedanke ich mich bei Ihnen, dass Sie so spontan unvorbereitet..
00:08:04 AM: Ja.
00:08:05 Mein Vater war nicht im Krieg, der.. weil er Eisenbahner war.
00:08:09 Er war dann nur äh.. einmal musste er nach Dresden fahren.
00:08:16 Und wie Dresden bombardiert worden ist, haben sie dann Sonderzüge eingesetzt.
00:08:20 Und dann hat er immer erzählt, dass so viele Leute dort waren und dass alles gebrannt hat.
00:08:27 Und wie bei uns die Amerikaner gekommen sind äh, kann ich mich auch noch gut erinnern.
00:08:33 Äh wir waren da im Keller, dann sind, haben die Amerikaner reingeschossen ein paar Mal mit so kleinen Granaten.
00:08:42 Und äh hat dann so Löcher gegeben im Garten.
00:08:46 Und ein Haus hat es getroffen bei uns in der Nähe, das hat es dann bis in Unter.. äh Erdgeschoss durchgeschossen gewesen.
00:08:55 Und ja die sind dann mit Panzern gekommen und waren dann sehr.. eigentlich sehr nett zu den Kindern.
00:09:04 Sie haben uns dann Süßigkeiten gegeben.
00:09:06 Wir wussten gar nicht, was das so richtig ist.
00:09:08 So buntes, süßes Zeug.
00:09:12 Und mein Vater hat dann auch später bei den Amerikanern gewohnt äh gearbeitet.
00:09:19 Und wie die gekommen sind, dann sind sie rein und haben sofort gefragt, ob wir Waffen haben.
00:09:26 "Nein", hat meine Mutter gesagt.
00:09:27 Dann haben sie sich in unsere Betten gelegt, so wie sie waren mit.., angezogen mit Stiefeln und haben erst einmal geschlafen.
00:09:35 Und dann waren sie in das Lager gegangen, wo früher der Arbeitsdienst war.
00:09:39 Da hat halt mein Vater, der hat dann dort auch die Heizung und das gemacht.
00:09:49 Ja.. Und sind die Tschechen wieder gekommen, schön langsam wieder, und haben uns alles weggenommen.
00:09:57 Die Brunnenrohre, die noch draußen gestanden sind, haben sie weg.
00:10:01 Holz haben sie weggefahren.
00:10:02 Wir haben kein Brennholz mehr gehabt.
00:10:04 Wir konnten nicht kochen, weil wir.., keine andere Möglichkeit war.
00:10:08 Dann hat mein Vater oben äh, weil das Haus noch nicht ganz fertig war, äh die Bodenbretter zersägt, dass wir wenigstens kochen können.
00:10:19 IV: Und dann sind Sie auch mit einem dieser Transporte dann..?
00:10:21 AM: Ja und da.. Äh ich habe mir vorher den Fuß gebrochen, ich war dann im Krankenhaus.
00:10:26 Und äh dann haben sie mir erzählt, dass sie gekommen sind.
00:10:31 Und wir sollten in einer Stunde pro Kopf 50 Kilo vor der Tür stehen haben.
00:10:36 Was nicht draußen ist, das wird nicht mitgenommen.
00:10:39 Wir sind dann zurückgestellt worden.
00:10:41 Und beim nächsten Transport äh sind sie dann am Abend gekommen.
00:10:47 Und dann hat halt meine Mutter alle Betttücher ausgelegt und alles reingeworfen.
00:10:55 Und dann sind wir über Furth im Wald äh nach Aschau gekommen.
00:11:01 Und von da dann über Umwege nach München.
00:11:06 IV: Ok. Vielen Dank. Kleinen Moment..